ed 07/2016 : caiman.de

kultur- und reisemagazin für lateinamerika, spanien, portugal : [aktuelle ausgabe] / [startseite] / [archiv]


spanien: Die extrem harte Tour durch das hitzeflimmernde Herz der Extremadura
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


brasilien: Bois don’t cry
Back to Bumba meu Boi in Parintins
THOMAS MILZ
[art. 2]
argentinien: Nur gemeinsam sind die Kleinen stark
Vom Zusammenschluss argentinischer Kleinbauern zu La Riojana
KATHARINA NICKOLEIT
[art. 3]
guatemala: "Rette sich wer kann!"
Interview mit Gaby Moreno
TORSTEN EßER
[art. 4]
sehen: Brasiliens geplatzte Träume
Olympia-Land in der Krise
[kol. 1]
sehen: Troja ist überall - Der Siegeszug der Archäologie
Rivalen im Maya-Reich / Das Rätsel von Machu Picchu
[kol. 2]
buchtipp: Tödliche Brieffreundschaft
BERND KÜPPERBUSCH
[kol. 3]
lauschrausch: Gaby Moreno - Illusion
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] Spanien: Die extrem harte Tour durch das hitzeflimmernde Herz der Extremadura
 
Ja, es wurde die befürchtete Durststrecke, ein Marathon durch die Savanne. Dabei hatte ich noch Glück. Denn die fürsorgliche Dame im Touristenbüro von Cáceres entdeckte die Jakobsmuschel an meinem Rucksack und warnte mich sofort, dass die vom Land Extremadura betriebene Pilgerherberge am Stausee von Alcántara an der Vía de la Plata zur Zeit geschlossen sei. Cáceres, die heimliche Hauptstadt der Extremadura, liegt an der Vía de la Plata, dem fast 1000 Kilometer langen Pilgerweg, der von Sevilla nach Santiago führt. Vor und hinter Cáceres muss der Pilger die beiden wohl längsten Etappen der ganzen Route bewältigen. Während die Etappe südlich von Cáceres (siehe Caiman) mit ihren endlosen Kork- und Steineichenwäldern zu den landschaftlich schönsten Europas gehört, würde dies von der nördlich von Cáceres verlaufenden Etappe wohl niemand behaupten. Und mit der soeben vernommenen Warnung wird mir schlagartig klar, dass sich eine ohnehin lange Tagesetappe in eine kaum zu bewältigende Herausforderung verwandelt. Aus 33 werden damit 45 Kilometer - bei Nachmittagstemperaturen von über 40° im Schatten. Denn die nächstmögliche Ortschaft und damit Übernachtungsmöglichkeit ist 12 zusätzliche Kilometer weiter entfernt. Nun sind 12 Kilometer allein ja nicht viel, aber nach 33 bereits absolvierten Kilometern diese noch bei größter Mittagshitze schaffen zu müssen, ist nicht gerade eine verlockende Aussicht. Meine erste Reaktion: ich beschließe, einen kompletten Pausentag in Cáceres einzulegen, um diesen Wahnsinn wenigstens ausgeruht in Angriff nehmen zu können.

19. Juni 2015: Aufbruch um 5.30 Uhr in Cáceres. Es fängt gut an. Die ersten zehn Kilometer bis Casar de Cáceres sind sehr schnell geschafft, es ist ja auch noch deutlich unter 30° Grad und der Wind kurz vor und nach Sonnenaufgang erfrischend. Auch die nächsten zehn Kilometer geht es zügig voran, vorbei an Kornspeichern, 2000 Jahre alten römischen Meilensteinen in Form von meterhohen Granitblöcken, die sich abwechseln mit den modernen Granitquadern mit gelbem oder grünem Quadrat, die hier den Jakobsweg markieren. Die Finca Berrueto und die Finca La Higuera wünscht den Pilgern einen guten Weg (Buen Camino) und erinnert daran, dass der Pilgerweg hier nahezu überall durch private Weidegründe verläuft, wo sich, meist weit entfernt, Schafherden und magere schwarze Rinder tummeln. Rechts verläuft in Sichtweite der Río Almonte.

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Während vor und hinter Casar noch vereinzelte Steineichen die monotone Weite der Landschaft auflockerten, ist nun soweit das Auge reicht kein einziger Baum mehr zu entdecken. Schon kurz vor 12 Uhr breitet sich vor mir der Stausee von Alcántara aus. Eigentlich ein Grund zum Jubeln. Aber die dort unten idyllisch liegende Herberge ist ja geschlossen. Und ringsumher gibt es so weit das Auge reicht - nichts! Rund um die Talsperre wirkt die graugelbe Landschaft wie eine hügelige Steppe, von Juni bis Oktober, wenn alles Gras verdorrt ist und selbst die Ginsterbüsche grau wirken, kann man guten Willens von einer Halbwüste sprechen. Plötzlich nähert sich das Thermometer den gefürchteten 40° Celsius. Zwar habe ich (neben zwei leeren) noch eine volle Flasche Wasser (das schon lange nicht mehr genießbar ist), aber es liegen ja noch 12 Kilometer vor mir...

Nun jagt ein Desaster das nächste. Der Pilgerpfad ist plötzlich abgesperrt und ein Umleitungsschild zeigt nach links: das bedeutet noch mehr Wegstrecke. Schließlich verläuft der Weg über einen Seitenstreifen der Nationalstraße 630. Das Hostal Linda und das Restaurant Miraltajo, wo ich eigentlich meine Wasserflaschen auffüllen wollte, sind geschlossen. Kein Brunnen, kein Schatten. Die Ginsterbüsche und das Dornengestrüpp neben der Straße sind höchstens einen halben Meter hoch. Ich marschiere nun schon eine halbe Stunde neben der autobahnartigen Straße und kein einziges Auto ist mir begegnet. Eine Tour de Force durch eine Geisterlandschaft. So langsam beginne ich, die verbleibenden Milliliter in meiner nur noch halb vollen Wasserflasche zu zählen. Marschieren kann man meine Gangart wohl nicht mehr nennen, ich stolpere mit leichtem Schwindelgefühl durch die endlose Ödnis. Die Hitze von nun 42° Grad ist nicht das schlimmste, ich kann die erbarmungslos blendende Helligkeit nicht mehr ertragen. Die Landschaft beginnt zu glühen, jeder verdammte Stein scheint das Licht zurück zu werfen. Trotz Sonnenbrille verschwimmen die Licht reflektierenden graugelben Flächen vor meinen Augen.

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Da ragt plötzlich ein silbrig glänzender, riesiger Bogen in den Himmel. Eine Fata Morgana? Nein, es ist der Grund für die Umleitung des Pilgerwegs: die gigantische, fast vollendete Eisenbahnbrücke für die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke des AVE von Madrid nach Lissabon. Diese kühne Konstruktion ist ein paar Fotos und eine staunende Betrachtung wert, bevor ich mich wieder um mein Überleben kümmern muss.

Es ist absurd. Da gehe ich ein halbes Dutzend Kilometer entlang an einem der vier größten Stauseen Europas und muss trotzdem Angst haben, hier zu verdursten. Denn die verlockend schimmernden Wassermassen sind schier unerreichbar, liegen ein paar hundert Meter unterhalb der Straße und man müsste sich schon die steilen, mit Geröll übersäten Hänge hinab purzeln lassen und denselben steilen Hang danach wieder irgendwie erklettern. Das Risiko ist mir zu groß. Also weiter durch die hitzeflimmernde Einsamkeit taumeln - immerhin geht es nun mal ein wenig bergab. Und dann die Erlösung: die alte Eisenbahnbrücke, der einzige Schatten im Umkreis von 20 Kilometern! Sofort krieche ich darunter, nehme meinen Rucksack als Kopfkissen und meine Augen können sich in dieser Schattenoase etwas erholen von der Lichtwüste ringsumher. Dann eine Stimme - ein Mensch, der erste an diesem Tag! Es ist ein Radfahrer, der sich freundlicherweise erkundigt, ob es mir gut gehe oder ob er mich irgendwie retten solle. Ich lehne dankend ab und antworte, ich sei bereits gerettet (ganz sicher bin ich mir da nicht) und würde nach einer kurzen Pause weiter gehen. Aufmunternd meint er zum Abschied, dass es ab hier nur noch knapp fünf Kilometer bis Cañaveral seien.

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Davon geht es die letzten beiden Kilometer ganz ohne Wasser nochmal schön bergauf. Mit letzter Kraft ziehe ich mich an den Leitplanken bis zum Ortseingang von Cañaveral empor, wo ich fast mit zwei Mitpilgern zusammen stoße. Ein alter Italiener und eine sich immer über alles beklagende Frau aus den USA, beide über 70. Die beiden wussten nicht, dass die Stausee-Herberge geschlossen war, hatten viel zu wenig Wasser dabei und berichteten, dass ihnen die Bauarbeiter der Eisenbahnbrücke mit einer Wasserspende das Leben gerettet hätten. Beide sehen nun nicht mehr sehr lebendig aus (ich vermute mein Anblick ist auch nicht der erquickendste) und ich würde mich nicht wundern, wenn wir nun um 4 Uhr nachmittags am Ortsschild von Cañaveral zu dritt in Ohnmacht fallen würden.

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Mit letzter Kraft schleppen wir uns ins Restaurant "Delfi", wo ich zunächst zwei Liter Wasser und dann je einen halben Liter Bier und Wein sowie natürlich das kalorienreichste aller möglichen Menüs zu mir nehme. Die Pilgerherberge in Cañaveral ist übrigens auch geschlossen und so wird das "Hostal Málaga" zur letzten Zuflucht von insgesamt 12 Pilgern, die sich heute diesen Marathon durch die Steppe angetan haben. Der Besitzer wirkt erfreut über den unerwarteten Zustrom an Gästen, bleibt aber so wortkarg wie die Landschaft. "Llave!" (Schlüssel!), sagt er bei der Schlüsselübergabe, ansonsten kommt kein Wort über seine Lippen. Dafür ist das Abendessen gut und reichhaltig. An ein Erkunden des Dorfes verschwende ich keinen Gedanken - bloß jetzt keinen Schritt mehr machen. Mein Schlaf ist fest und lange traumlos, bis ich kurz nach 6 Uhr aufwache, mitten in einem tiefen Sturz. Ich hatte geträumt, einen gigantischen Brückenpfeiler hoch klettern zu müssen, um oben auf der Brücke eine Wasserflasche zu erreichen, und war dabei abgestürzt.

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
Unterkunft und Verpflegung in Cañaveral:
Hostal Málaga, an der Hauptstraße, fast am Ortsausgang, Tel. 927-300067, kleine einfache EZ (20 €) und DZ (35 €) ohne Frühstück, Menüs gut und günstig

Bar / Restaurant Delfi, ebenfalls an der Hauptstraße, Ortsmitte kurz vor Hostal Málaga, auch hier einfache + günstige Menüs, freundliche Bedienung

Und noch ein Wort:
Liebe Junta de la Extremadura,
wenn Ihr schon - aus welchen Gründen auch immer - die Herberge am Stausee nicht wieder eröffnet, dann legt wenigstens eine Wasserleitung vom Stausee (Wasser gibts da ja wohl genug) hoch an die N 630, denn sonst wird diese Marathonstrecke in den Sommermonaten für Pilger lebensgefährlich.

[druckversion ed 07/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_2] Brasilien: Bois don’t cry
Back to Bumba meu Boi in Parintins

In den Straßen stehen Regenpfützen, eine frische Brise weht vom Fluss herüber. In meiner Erinnerung ist Parintins ein Feuerofen. Jetzt allerdings ist es angenehm. Gut so.

In meiner Erinnerung waren alle Häuser der Insel entweder blau oder rot. Wer den Boi Caprichoso, den Ochsen von Caprichoso liebt, gibt seiner Hütte einen blauen Anstrich. Wer auf Garantido steht, rot. Doch jetzt sind wenige Häuser angemalt, wenige geschmückt. Und das obwohl Boi Bumba in Parintins als größtes Folklore-Fest Brasiliens gilt. Überall spricht man von Krise, Sponsorengelder fehlen. Fast hätte man es komplett abgesagt, nachdem auch der Gouverneur einige Tage vor dem Fest die Gelder strich. Er mag den Bürgermeister von Parintins nicht, man ist Mitglied in zwei verfeindeten Parteien. Typisch Brasilien, wo die Politik nur auf den eigenen Bauchnabel schaut.

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"2016 ist das Jahr, in dem wir alles überstanden haben", sagt auch der Stadionsprecher des Bumbódromo. Gigantisch ist die Arena, mitten in der Stadt. 35.000 Plätze, wau, ich hatte sie nicht so gigantisch in Erinnerung. Aber ich erinnere mich noch genau an das magische Gefühl, wenn die Trommler einziehen, wenn das Publikum wild zu den Liedern hüpft. Und das jeweils zweieinhalb Stunden, drei Nächte hintereinander. Und jedes Mal mit neuem Programm. Unglaublich. Das ist nicht bloß eine Urwaldoper mitten auf einer Amazonas-Flussinsel. Nein, es sind sechs verschiedene Opern, drei Nächte lang.

Und, was meint das Sambódromo dazu, der Carnaval in Rio de Janeiro? Da hat man jeweils ein einziges Liedchen, was in Endlosschleife gespielt wird. Immer das gleiche. Und die Choreografie wird von zehn Leuten am Anfang des Umzugs aufgeführt. Die restlichen 10.000 Mitläufer laufen halt nur mit, rasend schnell durch die Avenida. Da lob ich mir den Ochsen mit seinen stundenlangen Choreografien.

Die Geschichte des Ochsen ist übrigens recht simpel. Und vorhersehbar. Der Bumba meu Boi stammt aus dem Nordosten, und geht in etwa so: ein Typ soll auf das Vieh einer Farm aufpassen. Seine Frau ist jedoch schwanger und hat Heißhunger, ausgerechnet auf Ochsenzunge. Und es muss ausgerechnet die Zunge des besten Ochsen sein. Statt seiner Frau diese Idee auszureden und ihr die Konsequenzen vor Augen zu führen, tötet er schlichtweg den besten Ochsen und verfüttert dessen Zunge an die heißhungrige Frau. Was wäre die Welt der Mythen und Geschichten ohne dumme Männer? Und ohne Frauen, die ihre Männer in deren Dummheit noch anfeuern? Klar dass das Ärger mit dem Eigentümer geben wird. Dessen wird sich der Typ dann auch bewusst, leider etwas spät. Immerhin, er setzt Schamane, Geister und alle möglichen magischen Tierchen in Bewegung, um den Ochsen wiederzubeleben. Nicht ganz einfach, klar.

So müssen hunderte von Tänzern sich abmühen, Stunden und Tage lang rumhüpfen, damit das Tier wieder erwacht. Am Ende erhebt sich das Tier tatsächlich. Ob allerdings mit oder ohne Zunge, hab ich noch nicht herausgefunden. Aber natürlich lohnt sich der ganze Aufwand, all die geschmückten Wagen, die Herde von Tänzern, und natürlich die cunhã poranga, wie die schönste Frau auf Tupi heißt. Von ihr gibt es viele Versionen, alle sehr hübsch, mit Federn geschmückt, mit orientalisch-indigenen Augen und pechschwarzem Haar. Königinnen sind sie. Barfuß tanzen sie. Und stets verknalle ich mich in sie, heute genauso wie vor vielen Jahren.

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Es war 2002, wenige Wochen nachdem ich nach Brasilien kam, um als Journalist zu arbeiten. Da tauchte eine Einladung der Landesregierung auf, man wolle Journalisten Parintins zeigen. Zu der Zeit schauten die Politiker also doch nicht nur auf den eigenen Bauchnabel.

Damals reiste ich mit einer Gruppe von Journalisten, nette Truppe, Freunde. Der Flug von Manaus nach Parintins hatte fünf Stunden Verspätung, da ein Geier in die Turbine kam und ein neues Flugzeug erst aus São Paulo geschickt werden musste. Als wir endlich auf der Insel landeten, tanzte der erste Ochse bereits. Wir fuhren direkt in die Arena. Am Eingang füllte ich den Rucksack mit Dosenbier. Mal blau, mal rot, der Sponsor wollte es allen recht machen. Mir ganz besonders.

Bei den höllischen Temperaturen trank ich in einer Höllengeschwindigkeit. Danach versuchte ich Fotos zu machen, mit meiner einfachen Kamera, mit drei 36er Filmen im Gepäck. Damals durfte die Presse noch mitten unter die Schauspieler und Tänzer. Ich ging nah an sie ran, um Fotos zu machen, bekam oft Ärger deswegen. Ich sah einen glatzköpfigen Fotografen, der mir bekannt vorkam. Da ich erst seit einigen Wochen in Brasilien war, musste es jemand aus Deutschland sein, dachte ich. Und sprach ihn auf Deutsch an. Er schaute nur grimmig zurück. Danach stellte ich fest, dass es kein Deutscher war. Sondern Sebastião Salgado. Naja, was soll man machen?

Als die drei Filme voll waren, fotografierte ich mit meiner Unterwasser-Kamera weiter. Unnötig zu sagen, dass bei all dem Aufwand gerade einmal drei oder vier Bilder was wurden. Und so entschloss ich mich, eine Profi-Kamera zu kaufen (und Bier langsamer zu trinken). So etwas sollte mir nicht noch einmal passieren.

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So hätte ich jetzt, vierzehn Jahre später, mit der Profi-Kamera Bilder machen können. In der Theorie. Vor einigen Tagen stellte ich fest, dass was mit der Kamera nicht stimmt. So nahm ich eine digitale Normalkamera mit. Jetzt hab ich immerhin neun oder zehn Fotos, die etwas geworden sind. Ich hab sie mal hier auf die Seite gestellt.

Wer weiß, vielleicht komm ich in ein paar Jahren wieder nach Parintins, mit einer guten Kamera, um mal endlich nette Bilder zu schießen. Und herauszufinden, was aus der Ochsenzunge wurde. Und um die cunhã poranga zu heiraten.






[art_3] Argentinien: Nur gemeinsam sind die Kleinen stark
Vom Zusammenschluss argentinischer Kleinbauern zu La Riojana
 
Kleinbauern in Argentinien haben sich erfolgreich zu der Kooperative La Riojana zusammen geschlossen und sind inzwischen erfolgreiche Weinexporteure. Gemeinsam mit der Gepa sichern sie nun die Zukunft für kommende Generationen.

Luis Montilla könnte auch die Aussicht auf die phantastisch schönen Berge genießen. Doch für den Weinbauern ist etwas anderes viel wichtiger: Die Reihe von Körben voller roter Trauben, die die Arbeiter einen nach dem anderen auf die Ladefläche des klapprigen Lastwagens kippen. Das Hochgefühl, eine gute Ernte einzubringen, erfüllt den Weinbauern nur kurze Zeit, gerade mal einen Tag dauert es, bis sein Hektar abgeerntet ist. Ein Hektar Wein – das ist im Vergleich zu den Flächen, auf denen in Argentinien üblicherweise Trauben angebaut werden, geradezu lächerlich. Dass es dieses winzige Weingut trotzdem gibt, hat eine Geschichte: die der Kooperative La Riojana. Luis Montillas Vater war einer derjenigen, die die Kooperative 1940 mit begründeten. Damals wie heute war und ist es für kleine Weinbauern fast unmöglich, auf sich selbst gestellt zu überleben. "Große Weingüter haben ihre eigenen Verarbeitungsanlage, ihre eigenen Vertriebswege. Ein Kleinbauer hat nichts davon", meint Montilla und drückt einem der Erntehelfer, der gerade wieder einen Korb gebracht hat, einen Chip in die Hand. Wie überall auf der Welt in den Weinbaugebieten werden auch hier die Erntehelfer nach Mengen bezahlt. "Mein Vater und seine Genossen erkannten, dass sie sich zusammen schließen mussten, um mit den Großbauern mithalten zu können", fährt der 68jährige fort. "Ohne die Gemeinschaft mit anderen Kleinbauern hätten wir mit unseren paar Tonnen Trauben keinen Zugang zum Markt und müssten unsere Ernte unter Wert an große Produzenten verkaufen." Der Faire Handel spielt dabei für Luis Montilla eine Schlüsselrolle. "Es gibt zu viel Wein in Argentinien und es ist oft schwierig, einen Markt dafür zu finden. Der Faire Handel garantiert uns einen sicheren Absatzmarkt. Das ist fast noch wichtiger, als dass wir 20 Prozent mehr für unsere Ernte bekommen."

Was als kleine Kooperative im trockenen Nordwesten Argentiniens begann, ist heute einer der größten Weinexporteure des Landes. La Riojana ist Hauptarbeitgeber in dem Städtchen Chilesito, einer Gegend, in der sonst außer Oliven nichts wächst und es keinerlei Industrie gibt. Die wenigsten der rund 500 Genossen würden mit ihren kleinen Anbauflächen heute noch Wein anbauen, wenn sie nicht gemeinsam die Kellerei betreiben würden. Der Betrieb ist professionell organisiert, mit Abfüllanlage, Labor und Marketingabteilung. Ungewöhnlich für eine Kooperative sind die beiden Kollektivfarmen – große Weingüter, die den Genossen gemeinschaftlich gehören und jedem Mitglied ein zusätzliches Einkommen einbringen. Als Kooperative und soziales Unternehmen fühlt sich La Riojana nicht nur seinen Mitgliedern sondern auch den Arbeitern auf den Kollektivfarmen verpflichtet. "Ich bin seit 17 Jahren bei La Riojana", erzählt Reni Garcia und fährt fort "ich wäre bestimmt nicht schon so lange geblieben, wenn das nicht so ein guter Arbeitgeber wäre". Dann zählt der 39jährige auf, was er alles an der Kooperative schätzt: Die Kinder der Festangestellten erhalten Schulmaterialien, es gibt Universitätsstipendien und für Notfälle Zugang zu Mikrokrediten. "So etwas bietet hier sonst kein Arbeitgeber!". Mario Gonzales, der Präsident von La Riojana, hört still zu und nickt. Dann schaltet er sich ein. "Das sind alles Dinge, die wir einführen konnten, seitdem wir mit dem Fairen Handel zusammen arbeiten. Die Prämie erlaubt es uns, solche Projekte umzusetzen." Als nächstes ist ein Gesundheitszentrum für Mitglieder und Arbeiter geplant. "Bildung und Gesundheit, das sind für uns die beiden wichtigsten Säulen für eine gerechte Gesellschaft."

Als Betrieb, in dem zur Erntezeit viele zusätzliche Helfer gebraucht werden, beschäftigt La Riojana jedes Jahr zudem rund 350 Wanderarbeiter. Ricardo Scosiz ist einer von ihnen. Das ganze Jahr über reist er durch das riesige Argentinien, denn irgendwo ist immer gerade Erntesaison, seien es Äpfel im kühlen Süden, Zitrusfrüchte im tropischen Norden oder eben Wein in der nördlichen Bergregion. La Riojana ist jedes Jahr fester Bestandteil seiner Tour. "Ich kenne sehr viele Farmen und Plantagen und habe gute Vergleichsmöglichkeiten. La Riojana ist einer der besten Arbeitgeber." Der 43jährige macht eine kurze Pause um einen Löffel voll dicker Suppe zu nehmen. "Wir bekommen Verträge, Unterkunft und Mahlzeiten müssen nicht bezahlt werden. Das Beste ist, dass es eine zentrale Küche gibt und wir uns nicht selber um die Zubereitung des Essens kümmern müssen. So bleibt Zeit, um nach der schweren Arbeit richtig auszuruhen." Auch mit der Bezahlung ist Ricardo Scosiz zufrieden. "Die Arbeit ist so organisiert, dass weite Wege mit den schweren Körben wegfallen. Das macht sie weniger anstrengend und wir können mehr pro Tag ernten als anderswo – das steigert unseren Verdienst." So kommt er statt auf die sonst üblichen 25 Euro auf bis zu 35 Euro pro Tag.

Das alles klingt idyllisch und nach heiler Welt – doch weit gefehlt, La Riojana und seine Mitglieder stehen vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen. Die schwierigste ist der Klimawandel. Luis Montilla hat sofort ein plastisches Beispiel parat: "Vor zwei Wochen hatten wir Regen. Kurz vor der Erntezeit! So etwas gab es früher nie!" Zuviel Regen schadet den Trauben, sie brauchen so viel Sonne wie möglich um ihre besondere Süße und damit Qualität zu entwickeln. Noch schlimmer als Regen zur Unzeit ist Hagel. Ein einziger Sturm kann die Ernte eines ganzen Jahres in wenigen Stunden zerstören. "Glücklicherweise haben wir dagegen Dank dem Fairen Handel eine Versicherung. Wenn der Hagel die Trauben zerschlägt, bekommen wird sie von La Riojana trotzdem bezahlt". Eine solche Versicherung wäre auf dem freien Markt unbezahlbar und für den Kleinbauern ist sie ein zusätzlicher Grund, seiner Kooperative treu zu bleiben.

Neben dem unberechenbar gewordenen Wetter macht noch etwas anderes Sorgen: Die Altersstruktur der Mitglieder. Luis Montillo ist mit seinen 68 Jahren nur eines von vielen Mitgliedern, das sich demnächst auf sein Altenteil zurückziehen wird. Sein Fall ist typisch: Sein Vater teilte sein damals schon kleines Stück Land zwischen den Kindern auf. Um es unter der nächsten Generation erneut aufzuteilen, ist es zu klein, die drei Kinder von Luis Montillo sind deshalb in die Städte abgewandert. Um den Kindern ihrer Mitglieder eine Zukunft in ihrer Heimat zu bieten und die Landflucht einzudämmen, hat La Riojana ein Programm aufgelegt: "Jedem Kind unserer Mitglieder, das sich dazu entschließt, Weinbauer zu werden, stellen wir zehn Hektar Land zur Verfügung. Dieses Land wird dann nach und nach mit der Ernte abbezahlt", erklärt Präsident Mario Gonzales. Er ist zuversichtlich, so den Altersdurchschnitt seiner Mitglieder senken und die Kooperative zukunftsfähig machen zu können.

Um für die Zukunft gerüstet zu sein, gibt es noch ein weiteres Projekt: Den Bioanbau. Nirgendwo sonst ist die Zusammenarbeit zwischen La Riojana und der Gepa enger. Die Pläne sind ehrgeizig. "Wir wollen ein ganzes Dorf zu Biobauern machen", erläutert der Präsident. Dazu gibt es Schulungen für die Genossen, finanziert durch eine Extraprämie der Gepa. "Viele der Bauern erfüllen bereits weitgehend die Biokriterien, da müssen nur noch Kleinigkeiten angepasst werden." Bei Luis Montilla könnten die Prüfer schon jetzt jederzeit vorbei kommen. "Ich wohne direkt neben meinem Feld und wollte keine Chemie mehr um mich herum haben", erzählt er. In den vergangenen sechs Jahren hat er nach und nach alle Reben ausgetauscht, keine seiner Trauben ist auch nur mittelbar mit Pestiziden in Berührung gekommen. "Das war teuer", meint er "aber so ist es gesünder und außerdem gebe ich jetzt kein Geld mehr für Pestizide aus". Was noch fehlt, ist die Zertifizierung. "Die kostet Geld und rechnet sich nur, wenn auch die Genossen zertifiziert sind und wir dann gemeinsam einen höheren Preis für unseren Biowein bekommen."

Der Erntetag neigt sich dem Ende zu. Glutrot geht die Sonne über den schroffen Felsen, die Luis Montillas Tal einrahmen, unter. Der klapprige Lastwagen heult laut auf, als er sich in Richtung Kellerei von La Riojana in Bewegung setzt. "Ach ja", schiebt der Weinbauer noch hinterher "das hätte ich fast vergessen: der Transport ist für uns kostenlos, ich muss mir also nie Sorgen machen, wie ich die Ernte vom Feld kriege". Noch so ein Punkt, der für einen Kleinbauern in Argentinien keine Selbstverständlichkeit ist und Luis Montilla dafür dankbar sein lässt, Teil einer solidarischen Gemeinschaft zu sein.

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

[druckversion ed 07/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: argentinien]





[art_4] Guatemala: "Rette sich wer kann!"
Interview mit Gaby Moreno

Gaby Moreno, Sängerin aus Guatemala, die im Alter von 19 Jahren nach Los Angeles zog, hat ihr neues Album "Illusion" (/07_16/kol_4/index.shtml) auf einer Tournee im Studio 672 in Köln vorgestellt. Die Gelegenheit zu einem Interview...

Auf der Suche nach Videos zu deinem neuen Album bin ich auf den Song "Fuiste tú" gestoßen, der sehr untypisch für Dich ist und mich eher an Stücke von Ricky Martin erinnerte...
Das Thema ist nicht von mir, sondern von Ricardo Arjona, der in Lateinamerika sehr bekannt ist. Er macht kommerzielle Popmusik und seine Lieder kennt fast jeder. Aber im Gegensatz zu Ricky Martin ist er auch ein Komponist und verfasst bessere, sehr kritische Texte. Er hat mich eines Tages angerufen. Ich wusste, wer er war, da er nun mal berühmt ist und der bekannteste guatemaltekische Musiker, aber persönlich kannte ich ihn nicht. Er fragte mich dann, ob ich dieses Lied von und mit ihm singen wollte, auch wenn es nicht typisch für mich wäre. Es würde sicher ein kommerzieller Erfolg werden in Lateinamerika. Und genau das ist passiert, ich wurde viel bekannter. Danach gab es Leute, die meine eigenen Kompositionen anhörten und denen sie zu sehr abwichen von "Fuiste tú", aber andererseits haben auch Viele meine Musik so überhaupt erst entdeckt…

"Nobody to love", "Love is gone", diese Titel deuten auf eine persönliche Krise hin…
(Lacht!) Nein, sie handeln nicht von meiner Situation. Aber es gibt Millionen Lieder über die überbordende Liebe und darum schreibe ich lieber etwas über die zerstörte Liebe. Und so kann ich die Musik auch etwas düsterer komponieren.

Diese eher "düstere" Seite kommt in Lateinamerika ja nicht so häufig vor in der Musik…
Nein, aber es gibt dort Lieder, die "cortavenas" genannt werden, die von der zerbrochenen Liebe, Traurigkeit etc. handeln. Bei "Sálvese quien pueda" bin ich noch etwas weiter gegangen: ein Blues, der von einem Sklavendorf in den Zuckerrohrplantagen handelt, in dem alles schrecklich ist. Es passieren und passierten in Guatemala und der Welt so schlimme Dinge und dafür steht dieses Lied, als Metapher sozusagen: "Rette sich wer kann".

Und welche Musik hast Du als Teenager in Guatemala gerne gehört?
Nach einer Reise in die USA mit meinen Eltern – so im Alter von 13 – hörte ich Blues, Jazz, Soul und Funk, ich hatte mir ganz viele Alben mitgebracht. Das war für einen Teenie dort sehr ungewöhnlich, ich hatte Poster von Buddy Guy und Jimi Hendrix im Zimmer hängen. Erfreulicherweise fanden meine Eltern das ok.

Eine sehr moderne Familie…
Ja, dadurch, dass meine Eltern in der Unterhaltungsindustrie, nicht in der Musik, tätig waren, hatten sie viel Verständnis und haben mich schon früh auf Festivals singen lassen. So habe ich u.a. im Alter von 13 ein Konzert für Ricky Martin eröffnet.

Hast Du nicht Bohemia Suburbana oder Alux Nahual gehört?
Sehr lustig, diese Namen jetzt zu hören, zum Teil kannte ich die Musiker. Diese Musik habe ich natürlich auch gehört, genauso traditionelle Lieder. Aber ich bin schon im Alter von 19 nach Los Angeles gezogen, um Musik zu studieren, so dass ich von Guatemala nicht mehr viel mitbekommen habe. Ich wollte immer international tätig sein und nicht nur in Guatemala spielen. Alux Nahual sind eine tolle Band, aber außerhalb von Zentralamerika kennt sie keiner. Manche sind damit zufrieden, ich nicht. Ich habe schon als kleines Mädchen davon geträumt, in die USA oder nach Europa zu gehen.

Hast Du vom Bürgerkrieg als Kind etwas mitbekommen?
Nicht viel, Gott sei Dank. Ich lebte in der Hauptstadt, in einem condominio, und die meisten Gräueltaten passierten auf dem Land. Tatsächlich war das Leben für mich damals ruhiger als heute, wo man wegen der Kriminalität nicht mehr auf die Straße gehen kann. Erst auf der Schule, als ich so 15 war, machten wir ein Projekt über den Bürgerkrieg und ich war wie vor den Kopf gestoßen, dass das in meinem Land geschehen war.

Vor allem auf deinem Album "Illustrated songs" entdecke ich eine Vorliebe für die Musik der 20er / 30er Jahre, wieso?
In einem Club in Los Angeles, "Largo", bin ich öfter aufgetreten und dort legten sie vor dem Konzert immer solche Musik auf. Und das hat mich fasziniert, mich direkt in eine andere Epoche geschossen, mich sehr berührt. Und dann gab es da noch ein Stummfilmkino mit Orgelspieler, das ich oft besucht habe. Diese Musik erzeugt Gänsehaut bei mir.

Auf "Illusion" gewinnen musikalisch die USA mehr an Einfluss, oder?
Ich lebe nun schon 16 Jahre in den USA und die Kultur, die Musik – Folk, Americana etc. - haben natürlich Einfluss auf mich. Aber Blues und Jazz habe ich auch vorher schon sehr geliebt. Ich hatte nie großes Interesse daran, eine typische Latino-Sängerin zu werden. Mir gefällt es auf Spanisch zu singen, und hier und da einen lateinamerikanischen Rhythmus oder ein Instrument von dort einzubauen, aber ich wollte mich nie einschränken, nur weil ich eine Latina bin. Ich bin also eine Latina, die Blues, Jazz usw. auf zwei Sprachen singt. Hinzu kommt, dass ich so natürlich ein größeres Publikum erreiche.

Und wann schreibst Du die Texte in Spanisch oder Englisch?
Gute Frage... ich schreibe die Musik und begleite sie dann oft mit Unsinnswörtern singend. Und manchmal wird daraus ein Text, mal in Spanisch, mal in Englisch, es gibt kein System.

Ich dachte, es hängt vielleicht mit dem Thema zusammen…
Manchmal ja. Das Stück "Fronteras", das von einer Erfahrung handelt, die ich und alle Latinos in den USA machen, nämlich, dass wir zwischen zwei Kulturen leben, dass wir mit einem Bein immer in unseren Ländern stehen, aber gleichzeitig Vieles aus den USA annehmen, es mischen und uns gut dabei fühlen. Das musste ich in Spanisch schreiben, auch, um meine Landsleute damit zu erreichen.

Wieso hast Du Dir den mexikanischen Titel "La Malagueña" als einzige Fremdkomposition ausgesucht?
Ich liebe es! Wie viele lateinamerikanische Klassiker hat es Leidenschaft! Ich singe bei meinen Konzerten einige solcher Lieder und wurde immer wieder aufgefordert, "La Malagueña" auf ein Album zu nehmen.

Interview: Torsten Eßer

[druckversion ed 07/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: guatemala]





[kol_1] Sehen: Brasiliens geplatzte Träume
Olympia-Land in der Krise
 
Im August 2016 wird die Welt auf Brasilien schauen. Doch der Glanz der Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro wird nicht darüber hinwegtäuschen können, dass sich das Land in einer tiefen Krise befindet.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto 1: Polarisiertes Brasilien. Demonstrationen für die Regierung von Dilma Rousseff in São Paulo.

Copyright: PHOENIX/ZDF


Das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff hat das Land im Olympia-Jahr monatelang paralysiert. Die Wirtschaft ist um 3,8 Prozent geschrumpft, Millionen haben ihre Arbeit verloren, die Inflation liegt bei rund zehn Prozent.

Sendetermin und Hintergrundinfo
Brasiliens geplatzte Träume
Olympia-Land in der Krise
Länge: 45 Minuten

Sonntag, 31. Juli 2016, 21.45 Uhr
Sender: PHOENIX
Du findest die Reportage nach der Ausstrahlung in der ZDF-Mediathek.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Archäologen und Drehteam. Im Hintergrund altes Gebäude.
Foto 2: Gegen Präsidentin Dilma Rousseff: Demonstranten in Brasília.

Copyright: PHOENIX/ZDF


Politisches Chaos, milliardenschwere Korruptionsskandale, wirtschaftlicher Niedergang, steigende Kriminalität, die Angst um das Zika-Virus. Brasiliens Probleme sind groß und vielfältig, von Vorfreude auf Olympia ist daher nichts zu spüren.

ZDF-Brasilien-Korrespondent Andreas Wunn zeigt in seiner Reportage die Ursachen und Konsequenzen der historischen Krise in Brasilien; eine Kollektion der geplatzten Träume vom wirtschaftlichen Aufstieg.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Gómez und zwei Arbeiter in unterirdischem Gang.
Foto 3: Rio de Janeiros neues „Museum des Morgen“ in der alten Hafengegend der Stadt.

Copyright: PHOENIX/ZDF


Aber trotzdem: es könnte ein großartiges Sportfest vor traumhafter Kulisse werden. Brasilien ist ein Land mit kurzem Gedächtnis, die Menschen hier leben intensiv den Augenblick. Trotz aller Probleme werden Brasiliens Olympia-Besucher Rio de Janeiro als faszinierende Stadt erleben.

Das WDR WELTWEIT-Team hat ihn auf dieser Mission begleitet.

Weitere Infos: phoenix

[druckversion ed 07/2016] / [druckversion artikel]





[kol_2] Sehen: Rivalen im Maya-Reich / Das Rätsel von Machu Picchu
Troja ist überall – Der Siegeszug der Archäologie
 
Folge 1: Rivalen im Maya-Reich

Der Deutsche Teobert Maler und der Amerikaner Edward Thompson waren besessen von dem Wunsch, als Maya-Forscher Geschichte zu schreiben – jeder auf seine Art. In den Regenwäldern von Mexiko und Guatemala entwickelte sich ein Wettlauf um Ruhm, Geld und Anerkennung. Ihr Ringen miteinander spiegelt die beiden Philosophien wider, die die Archäologie des 19. Jahrhunderts bestimmten: Erkenntnisgewinn und Erhaltung kontra Raub im Namen der Wissenschaft.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Edward Herbert Thompson finanzierte seine Reisen in das Mayaland auch, indem er vor Ort Fundstücke entnahm und sie an amerikanische Museen verkaufte.

Copyright: PHOENIX/ZDF/David Kämmerer


Maler war Dokumentarist, Archivar und vor allem ein hervorragender Fotograf. Seine Bilder sind für moderne Wissenschaftler noch immer oft der erste und einzige Anhaltspunkt für das Verstehen und Interpretieren versunkener Tempel und Paläste der ebenso rätselhaften wie faszinierenden Kultur der Maya. Seine Expeditionen führten den Deutschen kreuz und quer durch das gesamte Maya-Reich. Tausende Kilometer legte er im Dschungel zurück. Monate lang war er ohne Unterbrechung unterwegs – um zu zeichnen und zu fotografieren und so die Kultur der Maya zu bewahren. Dabei hatte er den amerikanischen Forscher Edward Thompson besonders im Visier.

Sendetermin und Hintergrundinfo
Troja ist überall - Der Siegeszug der Archäologie
Mittwoch, 10. August 2016

Folge 1: Rivalen im Maya-Reich
Beginn: 20.15 Uhr

Folge 4: Das Rätsel von Machu Picchu
Beginn: 23.00 Uhr

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Als Pionier der Unterwasser-Archäologie erkundet Edward Thompson einen als Cenote bezeichneten Maya-Brunnen.

Copyright: PHOENIX/ZDF/David Kämmerer


Thompson war der Gegenentwurf eines verantwortungsvollen Wissenschaftlers. Um bei seinen Raubzügen durch das mexikanische Yucatán ungestört walten zu können, beantragte er beim amerikanischen Außenministerium einen diplomatischen Status. Fortan suchte Thompson als Konsul die Stätten der Maya nach gewinnbringenden Funden ab. Dabei war er äußerst erfolgreich und lieferte so viele Artefakte an die amerikanischen Museen, dass er dort als Held galt. Als Thompson dann auch noch als erster Unterwasser-Archäologe Amerikas in die geisterhaften Opferbrunnen der Maya hinab tauchte, wurde er zu einer lebenden Legende.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Palenque, das "Paris der Maya".

Copyright: PHOENIX/ZDF/David Kämmerer


Obwohl die Rivalität ihre Arbeit bestimmte, legten Teobert Maler und Edward Thompson entscheidende Grundsteine für die Archäologie des 21. Jahrhunderts. Die Wissenschaftler von heute führen mit modernen Methoden die Arbeit fort und versuchen genau wie ihre Vorgänger, die noch immer bestehenden Geheimnisse der Maya in Mexiko, Guatemala und Honduras zu lüften.

Folge 4: Das Rätsel von Machu Picchu

1532 eroberten 168 spanische Soldaten unter dem Kommando von Francisco Pizarro, einem ehemaligen Schweinehirten, das heutige Peru. Ein Teil der Inka floh an einen Ort namens Vilcabamba und leistete von dort aus noch bis 1572 Widerstand. Der Rückzugsort wurde in der Folgezeit zu einem Mythos. Das Wissen um seine Lage ging verloren, nicht aber die Gerüchte über sagenhafte Gold- und Silberschätze, die in Vilcabamba vor den Konquistadoren versteckt worden sein sollen. Unzählige Abenteurer und Archäologen durchstreiften seither die peruanischen Anden, auf den Spuren der letzten Inka.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Die Inkaruine Machu Picchu gibt den Archäologen noch immer Rätsel auf.

Copyright: PHOENIX/ZDF/Thomas Bianga


Der Morgen des 24. Juli 1911: Nebel verschlechtert die Sicht und nur wenig Licht scheint durch das dichte Gewächs. Ein junger Amerikaner kämpft sich einen unwegsamen Andenpass hinauf. Immer wieder rutscht der Mann ab, Blattwerk peitscht ihm ins Gesicht, Gestrüpp auf dem Boden fesselt ihn. Seine Gesichtszüge sind verzerrt, vor Anstrengung und Schmerz. Als er endlich oben ankommt, macht er die spektakulärste Entdeckung in der Geschichte der Inkaforschung. Vergessen im nahezu unzugänglichen Gebirge Perus und dem dichten Nebel des Regenwaldes thront die atemberaubende Festung Machu Picchu auf einem Felssporn hoch über dem Urubambatal. Es soll der wichtigste Tag im Leben des amerikanischen Forschers Hiram Bingham werden. Er selbst misst dem Fund zunächst allerdings nur wenig Bedeutung bei, da er in den Schriften spanischer Chronisten keinen Hinweis auf den Ort findet.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Der Amerikaner Hiram Bingham erforschte auf drei Expeditionen von 1911-1915 die Kultur der Inka.

Copyright: PHOENIX/ZDF/Thomas Bianga


Der junge Wissenschaftler läutete mit der „Yale Peruvian Expedition“ im Jahr 1911 eine neue Ära in der Geschichte der Archäologie ein. Zum ersten Mal bricht ein interdisziplinäres und mit modernster Technik ausgestattetes Team auf, um eine bisher unbekannte Region Perus zu erkunden. Für seine Expedition hat sich Bingham das größte und in vielen Teilen unzugänglichste Reich in der Geschichte Amerikas ausgesucht.

Die Inka selbst nannten es Tahuantinsuyu, Land der vier Teile. Ihre Herrschaft schwankte zwischen perfekter Ordnung und grausamer Despotie. Die Ordnung des Reiches spiegelt sich in seiner planvollen Architektur wieder, einem mehr als 20.000 Kilometer umfassenden, phantastisch ausgebauten Straßensystem und einer wirtschaftlichen Verwaltung, die die Versorgung der Bevölkerung auch bei Katastrophen und in Dürrejahren sicherte.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto: Die Nachfahren der Inka leben noch immer in den Anden.

Copyright: PHOENIX/ZDF/Thomas Bianga


Fast 100 Jahre nach der Entdeckung ist der ursprüngliche Zweck Machu Picchus, dieser archäologischen Stätte der Superlative, noch immer nicht geklärt.

Weitere Infos: phoenix

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[kol_3] Buchtipp: Tödliche Brieffreundschaft

DDR, 1960er-Jahre. Weshalb endet der Briefwechsel mit seiner norwegischer Brieffreundin so abrupt? Warum konnten die Briefe bis dahin überhaupt unbehelligt die Kontrollen der Stasstsicherheit passieren?

Nach der Wende beginnt er mit Nachforschungen in traumhafter norwegischer Landschaft. Aber die Umstände um die Person seiner Brieffreundin werden immer mysteriöser: Nieman kannte sie, sie scheint nicht existiert zu haben. Kurz vor seinem Eintreffen im hohen Norden geschehen Morde, die Licht ins Dunkel seiner Nachforschungen hätten bringen können.


Titel: Tödliche Brieffreundschaft
Tödliche Brieffreundschaft
Autor: Bernd Küpperbusch
Seitenanzahl: 264
Verlag: Kellner Verlag

Mithilfe eines charismatischen Kommissars und des norwegischen Geheimdienstes kommt eine verzwickte Spionage-Geschichte ans Licht, die bis ins Dritte Reich zurückreicht und verblüffende technische Innovationen offenbart: eine spektakuläre Revolution bei der Entwicklung von zukünftigen Energieversorgungssystemen. So geht es um Elektromobilität und infrastrukturelle Stromspeicherung und nicht zuletzt um Energietransporte aus den sonnenreichen Regionen Nordafrikas und Südspaniens in die industriellen Ballungsräume.

Text + Cover: Bernd Küpperbusch

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[kol_4] Lauschrausch: Gaby Moreno - Illusion

Das erste, was einem beim Durchhören von "Illusion" auffällt: dieses Album ist im Gegensatz zu seinen Vorgängern "amerikanischer" geworden, nicht nur weil englischsprachige Songs überwiegen (8 zu 5), sondern vor allem, weil mit Country, Western, Blues, Pop und Jazz Musikstile aus den USA das Album dominieren.

Gaby Moreno
Illusion
Termidor / Universal

Die Guatemaltekin Gaby Moreno lebt nun schon 16 Jahre in Los Angeles, war aber schon vor dieser Zeit von Blues, Jazz und Soul fasziniert (07_16/art_4/index.shtml). So eröffnet mit "Nobody to love" ein langsamer Blues das Album, dessen Thema die zerbrochene Liebe ist. Letzteres ist nicht ungewöhnlich für die lateinamerikanische Liedkultur, allerdings bearbeitet Moreno das Thema – auch im dritten Song "Love is gone" – ohne schmalzige Instrumentierung, sondern setzt eher auf düstere bzw. poppig-fröhliche Töne, die das Ende der Liebe fast als Befreiung feiern.

Ob Saloon-Klavier im Westernsong "Pale bright lights" oder Countrymusic auf Spanisch ("Maldición / Bendición"), mit Morenos Stimme und der jeweiligen Instrumentierung funktioniert es musikalisch immer und ist gleichermaßen schön wie interessant, auch wenn die Überraschungsmomente weniger sind als z.B. auf "Illustrated songs" (/06_12/kol_4/index.shtml). Denn der von Moreno so geliebte Retrosound der 20er / 30er Jahre, den sie in einer Bar und in einem Stummfilmkino in Los Angeles lieben lernte (/07_16/art_4/index.shtml), klingt hier seltener an und auch "exotische" Instrumente werden nicht ganz so oft in die Kompositionen eingebaut.

Im einzelnen: Der Countryfolksong "Fronteras" handelt von den Gefühlen der Latinos in den USA, die spanisch gesungene "Rockballade" "Hermana Rosetta" ist eine Hommage an die US-Bluessängerin Rosetta Tharpe. Die düstere Ballade "Sálvese quien pueda" beschreibt ein Sklavendorf in den Zuckerrohrplantagen, in dem alles schrecklich ist, und soll als Metapher dienen, für die aktuellen Zustände in Guatemala und in der Welt: "Rette sich wer kann!" Da versöhnen zum Schluss der mexikanische Klassiker "La Malagueña" und die im Stile von Doris Day gehauchte Ballade ("Illusion"). Spannend und absolut hörenswert!

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 07/2016] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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