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Fitzcarraldo, Hollywood und der ganze Dschungelrest
Das 37. Boi-Bumbá-Festival in Parintins / Amazonas

Dein Körper besteht zu 70% aus Wasser.
Deshalb ist das hier genau der richtige Ort für Dich!

Diesen Tourismus-Werbespruch versteht man spätestens dann, wenn man über das Amazonasgebiet fliegt. Wasser ist überall, das vom Urwald bedeckte Land gleicht Inseln inmitten tausender Flüsse, Seen, Lagunen. Und mitten in dieser grün-braun-schwarzen Welt, in der man, wenn man fleißig genug El-Dorado-Filme geguckt hat, vor allem riesige Schlangen und wilde Amazonen erwartet, findet eines der größten und schillernsten Folklore-Festivals Brasiliens statt, das Boi-Bumbá-Festival von Parintins.

Das Amazonasbild in meinem Kopf ist grundlegend von zwei Kindheitserinnerungen geprägt, und in beiden Fällen handelt es sich um die Allmachtsphantasien zweier Europäer: bei der einen handelt es sich um Werner Herzogs Film "Fitzcarraldo" mit Klaus Kinski als total verrücktem Typen mit dem interessanten Namen Brian Sweeny Fitzgerald, von den Indios Fitzcarraldo genannt, der mit den Ersparnissen seiner Freundin, der Bordell-Besitzerin Molly, einen Flussdampfer kauft, um mitten im Urwald ein Opernhaus zu bauen, dass mit dem Auftritt des Großen Caruso eingeweiht werden soll.

Bei der anderen um die Erinnerung an eine der unglaublichen Geschichten, die mein Vater mir über seine Zeit in Brasilien erzählte. Angeblich hat er, wenn man ihm glauben will, den Paraná von einem Ufer zum nächsten durchschwommen, nachdem er zuerst eine Schweinehälfte hinein geworfen hatte, um zu gucken, ob Piranhas vor Ort seien. In meinem Kinderkopf hat sich der Paraná irgendwie in den Amazonas verwandelt, und so blicke ich auf diesen größten Fluß der Erde und denke: mein Papa muss eine Mordskondition gehabt haben, bei dieser Strömung.

Die Opernhäuser unserer Zeit haben übrigens ganz andere Dimensionen als die, die sich Fitzcarraldo vorstellte: das mit 40.000 Menschen bis zum Bersten gefüllte Bumbódromo vibriert unter den Schlägen hunderter Trommeln und dem begeisterten Geschrei der Zuschauer.

In Blau oder Rot sind sie gekleidet, je nachdem, ob sie „Garantido“ oder „Caprichoso“ sind, also einem der beiden "Boi-Bumbá"-Gesellschaften angehören. Die ganze Stadt ist in diese zwei Farben aufgeteilt. Die Anhänger von „Garantido“ haben ihre Häuser rot gestrichen, tragen rote Kleidung. Dem gegenüber schwören die Anhänger von „Caprichoso“ auf alles, was blau ist. So bietet sich dem Besucher ein bizarres Bild: nicht nur die Stadt ist in blau und rot dividiert, auch in der Arena bilden die beiden Farben zwei Blöcke, die, zusammen mit den jeweils ca. 5000 Schauspielern und Musikern, um den Gesamtsieg kämpfen. Und zwischen den Anhängern der beiden Blöcke soll es manchmal sogar zu gewalttätigen Ausschreitungen oder Familienzerrüttungen kommen. Wehe dem, der sich mit einem blauen T-Shirt in den roten „Garantido“-Block verlaufen hat!

Einwanderer aus Maranhão im Nordosten Brasiliens, die während des Kautschukbooms im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nach Amazonien kamen, brachten die Tradition des "Bumba-meu-boi" mit in den Dschungel. Allerdings hat das "Boi-Bumbá" von heute nicht mehr sehr viel mit der ursprünglichen Tradition zu tun. Die traditionellen Instrumente sind modernen Synthesizern gewichen, die die Musik in eine Form amazonischer Axé verwandeln. Was hätte der große und mittlerweile sehr alte Caruso wohl davon gehalten?

Fitzcarraldo wollte in Iquitos Kautschuk anpflanzen, um sein Opernhaus zu finanzieren. Die wahre Geschichte Parintins und der gesamten Amazonasregion ist ebenfalls unzertrennlich mit dem Kautschuk verbunden. Nachdem die Engländer das brasilianische Kautschukmonopol in den 1890er Jahren gebrochen hatten und damit die kurze Blütezeit dieser Region endete, ging die Bevölkerung des mitten im Amazonasstrom gelegenen Inselarchipels Tupinambarana, auf dem die Stadt Parintins errichtet ist, dazu über, Jute anzupflanzen und diese zu Kaffeesäcke weiter zu verarbeiten.

Als dann das Gesetz aufgehoben wurde, welches vorschrieb, dass der gesamte brasilianische Kaffeeexport in diesen Jutesäcken vorzunehmen sei, brachen die örtliche Pflanzereien zusammen. Doch mit dem seit 37 Jahren stattfindenden Boi-Bumbá-Festival haben die Einwohner eine Möglichkeit gefunden, ihre Stadt vor dem Vergessen zu retten und die örtliche Jugend davon abzuhalten, in die größeren Städte wie das 500 Kilometer flussaufwärts gelegene Manaus oder flussabwärts nach Belém (1500 Kilometer entfernt) abzuwandern.

Und so wirkt ein Großteil der Jugendlichen bei den Präsentationen der zwei Blöcke mit, die an drei aufeinander folgenden Abenden am letzten Juniwochenende aufgeführt werden. Pro Abend jeweils drei Stunden Show von jedem Block, und jeden Abend ein vollkommen neues Programm: die Darstellung indianischer Mythen, der Kampf des Indio gegen die Natur, von den Jungfrauen, die von Monsterschlangen verschluckt oder von riesigen Greifvögeln fort getragen werden, von menschengroßen Ameisen, die die Indios von ihren Baumhäusern aus mit Pfeil und Bogen bekämpfen, dazu die von einer vielköpfigen Band live eingespielte und von Hunderten von Trommlern begleitete Musik, speziell für dieses Programm komponiert, riesige Formationen von buntgeschmückten Tänzern, darunter die „cunhã Poranga“ – die schönste Frau des Stammes, ständig wechselnde Bühnenbilder von gigantischen Ausmaßen, bis zu 20 Meter hohe Figuren, die Feuer spucken und sich vom Indio in eine Anakonda verwandeln. Und mittendrin das große Heiligtum des jeweiligen Blockes, der weiße Ochse von „Garantido“ und der schwarze von „Caprichoso“. Wild und bedrohlich betritt er zum Höhepunkt der Show die Arena, begeistert angefeuert von seinen Anhängern auf den Tribünen.

Während der eine Block seinen Auftritt hat, muss der andere in vollkommener Stille verharren, ansonsten gibt es Punktabzüge. Denn alle drei Präsentationen werden von den Augen einer prominenten Juri begleitet, die am Ende des letzten Abends den Sieger verkünden – das wichtigste Ereignis in Parintins überhaupt.

Wer diesem bizarren irgendwo zwischen Carnaval, Bumba-meu-boi, Hollywood und 50er–Jahre–Operettenfilm angesiedelten Ereignis beiwohnen will, muss entweder ein Flugzeug nehmen oder eine tagelange Bootsfahrt über den Amazonas auf sich nehmen.

Mehr als 300 Schiffe liegen im Hafen von Parintins vor Anker. In den Hängematten und Kabinen wohnen für ein paar Tage mehr als 35.000 Besucher, denn an preisgünstigen Hotels oder Pousadas für so viele Menschen mangelt es in Parintins.

Es wirkt absurd und ist gleichzeitig faszinierend, mitten im Urwald ein solches Feuerwerk an technischen Gimmicks anzutreffen. So als ob ein verrückter Europäer einen Flussdampfer mitten durch den Urwald ziehen würde. Aber viele der Techniker, die jedes Jahr im Mai damit beginnen, die riesigen Figuren aus Pappmachee und Stahlträgern zusammenzubauen und mit modernsten hydraulischen und technischen Spielereien auszustatten, haben ihr Handwerk bei den weltberühmten Carnavalschulen in Rio de Janeiro gelernt. Und jetzt bringen sie diese Technik mitten in den brasilianischen Urwald, um den Kampf der schönen und mit bunten Federn geschmückten Amazonen gegen die Riesenschlangen, Monsterraubvögel und menschengroßen Ameisen zu inszenieren.

Ich frage mich, wer letztlich verrückter ist: derjenige, der einen Flussdampfer quer durch den Dschungel ziehen lässt, um ein Opernhaus zu bauen, oder jemand, der den Amazonas durchschwimmen will?

Oder etwa eine ganze Stadt auf einer Insel an einem der entlegensten Orte der Welt, deren Bevölkerung ihre Häuser wegen eines Ochsen blau oder rot anmalt und um das ganze herum ein Hollywood mäßiges Showspektakel aufführt?

Und in meinem Kopf vermischt sich die unglaubliche Geschichte Fitzcarraldos mit der von "Aguirre, der Zorn Gottes", dem anderen großen Amazonasfilm Werner Herzogs und Klaus Kinskis. Und mittendrin ist irgendwie mein Vater, der eine Schweinehälfte in den Fluss wirft, kurz zögert, um sich dann in die Fluten zu stürzen. "Kein Blut, dass ist ein gutes Zeichen", murmelt er noch. Einmal quer durch den Amazonas durchtauchen. Das wärs!

Oder wie pflegte Klaus Kinski, der wahre Brian Sweeny "Fitzcarraldo", immer zu sagen: "Ein jeder für sich, und Gott gegen alle!"

Text + Fotos: Thomas Milz

Reisetipp:

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