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[art_2] Brasilien: Bois don’t cry
Back to Bumba meu Boi in Parintins

In den Straßen stehen Regenpfützen, eine frische Brise weht vom Fluss herüber. In meiner Erinnerung ist Parintins ein Feuerofen. Jetzt allerdings ist es angenehm. Gut so.

In meiner Erinnerung waren alle Häuser der Insel entweder blau oder rot. Wer den Boi Caprichoso, den Ochsen von Caprichoso liebt, gibt seiner Hütte einen blauen Anstrich. Wer auf Garantido steht, rot. Doch jetzt sind wenige Häuser angemalt, wenige geschmückt. Und das obwohl Boi Bumba in Parintins als größtes Folklore-Fest Brasiliens gilt. Überall spricht man von Krise, Sponsorengelder fehlen. Fast hätte man es komplett abgesagt, nachdem auch der Gouverneur einige Tage vor dem Fest die Gelder strich. Er mag den Bürgermeister von Parintins nicht, man ist Mitglied in zwei verfeindeten Parteien. Typisch Brasilien, wo die Politik nur auf den eigenen Bauchnabel schaut.

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"2016 ist das Jahr, in dem wir alles überstanden haben", sagt auch der Stadionsprecher des Bumbódromo. Gigantisch ist die Arena, mitten in der Stadt. 35.000 Plätze, wau, ich hatte sie nicht so gigantisch in Erinnerung. Aber ich erinnere mich noch genau an das magische Gefühl, wenn die Trommler einziehen, wenn das Publikum wild zu den Liedern hüpft. Und das jeweils zweieinhalb Stunden, drei Nächte hintereinander. Und jedes Mal mit neuem Programm. Unglaublich. Das ist nicht bloß eine Urwaldoper mitten auf einer Amazonas-Flussinsel. Nein, es sind sechs verschiedene Opern, drei Nächte lang.

Und, was meint das Sambódromo dazu, der Carnaval in Rio de Janeiro? Da hat man jeweils ein einziges Liedchen, was in Endlosschleife gespielt wird. Immer das gleiche. Und die Choreografie wird von zehn Leuten am Anfang des Umzugs aufgeführt. Die restlichen 10.000 Mitläufer laufen halt nur mit, rasend schnell durch die Avenida. Da lob ich mir den Ochsen mit seinen stundenlangen Choreografien.

Die Geschichte des Ochsen ist übrigens recht simpel. Und vorhersehbar. Der Bumba meu Boi stammt aus dem Nordosten, und geht in etwa so: ein Typ soll auf das Vieh einer Farm aufpassen. Seine Frau ist jedoch schwanger und hat Heißhunger, ausgerechnet auf Ochsenzunge. Und es muss ausgerechnet die Zunge des besten Ochsen sein. Statt seiner Frau diese Idee auszureden und ihr die Konsequenzen vor Augen zu führen, tötet er schlichtweg den besten Ochsen und verfüttert dessen Zunge an die heißhungrige Frau. Was wäre die Welt der Mythen und Geschichten ohne dumme Männer? Und ohne Frauen, die ihre Männer in deren Dummheit noch anfeuern? Klar dass das Ärger mit dem Eigentümer geben wird. Dessen wird sich der Typ dann auch bewusst, leider etwas spät. Immerhin, er setzt Schamane, Geister und alle möglichen magischen Tierchen in Bewegung, um den Ochsen wiederzubeleben. Nicht ganz einfach, klar.

So müssen hunderte von Tänzern sich abmühen, Stunden und Tage lang rumhüpfen, damit das Tier wieder erwacht. Am Ende erhebt sich das Tier tatsächlich. Ob allerdings mit oder ohne Zunge, hab ich noch nicht herausgefunden. Aber natürlich lohnt sich der ganze Aufwand, all die geschmückten Wagen, die Herde von Tänzern, und natürlich die cunhã poranga, wie die schönste Frau auf Tupi heißt. Von ihr gibt es viele Versionen, alle sehr hübsch, mit Federn geschmückt, mit orientalisch-indigenen Augen und pechschwarzem Haar. Königinnen sind sie. Barfuß tanzen sie. Und stets verknalle ich mich in sie, heute genauso wie vor vielen Jahren.

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Es war 2002, wenige Wochen nachdem ich nach Brasilien kam, um als Journalist zu arbeiten. Da tauchte eine Einladung der Landesregierung auf, man wolle Journalisten Parintins zeigen. Zu der Zeit schauten die Politiker also doch nicht nur auf den eigenen Bauchnabel.

Damals reiste ich mit einer Gruppe von Journalisten, nette Truppe, Freunde. Der Flug von Manaus nach Parintins hatte fünf Stunden Verspätung, da ein Geier in die Turbine kam und ein neues Flugzeug erst aus São Paulo geschickt werden musste. Als wir endlich auf der Insel landeten, tanzte der erste Ochse bereits. Wir fuhren direkt in die Arena. Am Eingang füllte ich den Rucksack mit Dosenbier. Mal blau, mal rot, der Sponsor wollte es allen recht machen. Mir ganz besonders.

Bei den höllischen Temperaturen trank ich in einer Höllengeschwindigkeit. Danach versuchte ich Fotos zu machen, mit meiner einfachen Kamera, mit drei 36er Filmen im Gepäck. Damals durfte die Presse noch mitten unter die Schauspieler und Tänzer. Ich ging nah an sie ran, um Fotos zu machen, bekam oft Ärger deswegen. Ich sah einen glatzköpfigen Fotografen, der mir bekannt vorkam. Da ich erst seit einigen Wochen in Brasilien war, musste es jemand aus Deutschland sein, dachte ich. Und sprach ihn auf Deutsch an. Er schaute nur grimmig zurück. Danach stellte ich fest, dass es kein Deutscher war. Sondern Sebastião Salgado. Naja, was soll man machen?

Als die drei Filme voll waren, fotografierte ich mit meiner Unterwasser-Kamera weiter. Unnötig zu sagen, dass bei all dem Aufwand gerade einmal drei oder vier Bilder was wurden. Und so entschloss ich mich, eine Profi-Kamera zu kaufen (und Bier langsamer zu trinken). So etwas sollte mir nicht noch einmal passieren.

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So hätte ich jetzt, vierzehn Jahre später, mit der Profi-Kamera Bilder machen können. In der Theorie. Vor einigen Tagen stellte ich fest, dass was mit der Kamera nicht stimmt. So nahm ich eine digitale Normalkamera mit. Jetzt hab ich immerhin neun oder zehn Fotos, die etwas geworden sind. Ich hab sie mal hier auf die Seite gestellt.

Wer weiß, vielleicht komm ich in ein paar Jahren wieder nach Parintins, mit einer guten Kamera, um mal endlich nette Bilder zu schießen. Und herauszufinden, was aus der Ochsenzunge wurde. Und um die cunhã poranga zu heiraten.



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