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caiman.de 08. ausgabe - köln, august 2001
mexico

Die Tomate - Eine Latina?

Absolut! Sie ist sogar eine echte Aztekin mit Verwandten in Ekuador und Peru. Und erst die Spanier brachten sie nach Europa; schätzte man sie doch auch als Heilpflanze.

In dem Nahuatl-Wort Tomatl verbirgt sich das Verb tomala: schwellen; deshalb wurde sie auch lange als Schwellfrucht bezeichnet. Und ihr italienischer Name „Pomodoro", Goldapfel, weist noch heute auf ihre Herkunft aus dem Eldorado, dem Goldland und ihre ursprünglich zumeist gelbe Farbe hin.

Die Franzosen verehren sie sogar als
Liebesapfel. Als Pommes d`amour half die Tomate bis zur Jahrhundertwende bei Liebeszauber, Alpträumen und sogar Tollwut. Später liebten sie die Maîtres de la Cuisine auch aufgrund ihrer angeblich aphrodisierenden Wirkungen. Eine naheliegende Schlußfolgerung bei den edlen Rottönen der Tomate. Auf ihrem Eroberungszug erwärmte sie zudem die Herzen der Österreicher, die der Latino-Frucht noch heute als Paradeiser huldigen; denn nur ein paradiesisches Gewächs vermag an einem giftigen Strauch einen so köstlichen Apfel hervorzubringen!

Weiter im Norden traute man der fremden Schönen zunächst nicht über den Weg. Dort galt auch die Frucht als giftig, und dennoch konnte man ihrer Schönheit nicht widerstehen.

Als Zierpflanze fand sie den Weg in die Gärten. Und als Tollapfel hielt sie respektvollen Einzug in die deutsche Literatur.

Später, als die Teutonen von der verbotenen Frucht kosteten und endlich ihr köstliches Inneres entdeckten, versuchten sie sich an einem intensiveren Anbau.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fiel die Kultivierung der frostempfindlichen Pflanzen aber noch äußerst schwer: die Sträucher wollten partout nicht gedeihen.
Die Italiener mit ihrem freundlicheren Klima dagegen hatten den Dreh viel schneller raus. Und als sich Italien im Verlauf des Ersten Weltkrieges vom Verbündeten Deutschland lossagte, setzte man die treuebrüchigen, Goldäpfel liebenden Italiener mit den unzuverlässigen Tomaten gleich. So wurde die Redensart von der
treulosen Tomate geboren. Purer Gärtnerneid.

Inzwischen existieren wunderbare alte und neue Varianten der Tomate. Viele werden neu gezüchtet oder gerade erst wieder entdeckt, es gibt Arten mit klangvollen Namen wie das Andenhorn (große Früchte, paprikaförmig) oder die fäulnisresistente
Goldene Königin, oder auch die Purpurkalebasse mit tiefdunklen Früchten und einem honigartigen Geschmack. Es gibt runde, lange, zackige, winzige und melonengroße Sechspfünder von gelb über violett bis gestreift.


Zu ihrem botanischen Namen, solanum lycopersicon, kam das Nachtschattengewächs durch den persischen Arzt Galen, der die amerikanische Tomate mit einer ihr sehr ähnlichen ägyptischen Giftpflanze verwechselte. Der französische Botaniker Linné stellte diesen Irrtum zwar richtig, ihr Name Wolfspfirsich (oder Wolfsapfel) ist jedoch geblieben.

In ihrer ursprünglichen Verwendung als Heilpflanze steckt übrigens ein wahrer Kern. Tomaten enthalten
Lycopin, welches heute als Anti-Krebs-Mittel Verwendung findet. Und gesund sind sie sowieso, denn ausgereifte Tomaten strotzen vor Vitamin C und Beta-Carotin.

Trotzdem, ganz erfunden ist die Geschichte mit der Giftigkeit nicht: weil sie ein Nachtschattengewächs ist, sollte man unreifen, grünen Tomaten den Strunk komplett entfernen; vom Solanin, einem toxischen Glycoalkaloid, kann man sonst das Magendrücken kriegen.
Bei richtiger Anwendung gibt aber genau diese Eigenschaft dem Essen eine ganz besondere Note: In Mexiko wird beispielsweise aus Tomatillo und grünen Tomaten eine
mole verde gezaubert, die den Koster vom paradiesischen Ursprung restlos überzeugt. Das Tomatillo, auch Schalentomate genannt, entfaltet sein Aroma erst im gegarten Zustand, dann ist der Geschmack frischer und zitroniger als der einer Tomate. Und damit die Soße nicht zu süß wird, kommen die grünen compañeras mit in die salsa.

Angesichts dieser Delikatesse wird auch Pablo Nerudas lyrisches Denkmal für die Tomate verständlich. Er widmete ihr eine eigene Ode, in der es heißt:

„Tiene
luz propia,
majestad benigna.
Devemos, por desgracia,
asesinarlo:
se hunde
el cuchillo
en su pulpa viviente,
es una roja
viscera,
un sol
fresco,
profundo,
inagotable...


Text + Fotos: Alexandra Geiser

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