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caiman.de 05. ausgabe - mai 2001
mexico

Oscar Feuerwerk für mexikanische Straßenkinder

Ein paar Gedanken zu Mexikos Straßenkindern. Gallenberger bekommt für "Quiero Ser" den Oskar. Hat er das wirklich verdient? So schlecht ist der Film doch gar nicht.

Oder eigentlich über eine Begebenheit auf Yucatán, die mir seit mehr als einem Jahr nicht aus dem Kopf geht.

Als ich die letzten Tage das Feuilleton oder in anderen Blättern mit weniger literarischem Anspruch den Kulturteil durchstöberte, fielen mir zwei Dinge auf. Zum einen, dass man voll des Lobes ist für einen von der "Äcädemy" mit einem kleinen goldenen Männchen bestraften jungen deutschen Filmemacher und sich zum anderen über die Banalität der von den "Rechten" angezettelten Diskussion um den Nationalstolz echauffiert. Was hat das Eine mit dem Anderen zu tun? Nichts, denn was kann der arme Gallenberger dafür, dass ein paar kalifornische Tattergreise seinen engagierten Kurzfilm auf eine Stufe mit cineastischen Tiefschlägen wie "Gladiator" stellen. Und was kann das arme Deutschland dafür, dass ein paar Holzköpfe meinen, stolz auf es sein zu müssen, und es Intellektuelle gibt, die dieses auch noch weitschweifend thematisieren.

Natürlich hat sich Freund Gallenberger artig bei den Verantwortlichen bedankt und sich sogar richtig gefreut.

Und nicht nur er, sondern auch die deutsche Filmförderung, die mal wieder frei nach dem Motto "erst fördern, dann vergessen" den Film jetzt wieder aus den Archiven ausgraben muss, um stolz ihren richtigen Riecher für Talente in die bereit stehenden Kameras zu halten.

Ich habe den Film erst in Ausschnitten sehen dürfen. Das reichte aber durchaus, um zu erkennen, dass er die von den Amis verordnete Höchststrafe nicht verdient, genauso wie mich wenige Ausschnitte von "Gladiator" überzeugten, dass fünf Oskars so wenig über gutes Kino aussagen wie ein Wahlausgang über den richtigen Präsidenten.

Was hat das Ganze nun eigentlich mit Yucatán zu tun? Fast nichts, außer dass mich Gallis Filmchen an eine Begebenheit mit Straßenkindern in Tulúm erinnert hat. Wir hatten Playa del Carmen zum Glück schon nach zwei Tagen verlassen und bezogen unsere Cabaña am Strand von Tulúm und stellten fest, dass wenig Komfort entgegen aller Tipps auch viel kosten kann und es trotzdem gute Gründe gibt, nicht weiter darüber nachzudenken.

Die paar Kilometer ins Städtchen legten wir zu Fuß zurück, was wir beinahe bereuten, denn Taxifahrer, die äußerst knapp die riesigen Schlaglöcher umkurven, nehmen recht wenig Rücksicht auf in absoluter Dunkelheit umher laufende Touristen. Könnten ja auch ein Taxi nehmen, oder? Wir setzten uns in das erstbeste Straßen-Restaurant schräg gegenüber dem Busbahnhof. Der Dieselgestank von unzähligen Bussen und vorbei rasenden Trucks vermischte sich mit dem Geruch von scharf gebratenem Fleisch aus Dutzenden von Garküchen und waberte mit der warmen Brise zu uns herüber. Zwei Bierchen und direkt noch mal zwei. Entspannung stellte sich ein und wir hingen wortlos unseren Gedanken nach. Neue Gäste gesellten sich an die Tische. Unter ihnen zwei, am Akzent leicht als Australier auszumachende Backpacker. Die beiden luden ihre Rucksäcke ab und bezogen einen Ecktisch. Sie unterhielten sich in dieser unnachahmlich lauten, aber sympathischen Art über ihren voran gegangenen Aufenthalt auf Kuba, und was sie jetzt nicht alles für ein Bier tun würden. Wir schlossen uns diesem Gedanken an und bestellten die nächste Runde.

Erst jetzt nahm ich die beiden Jungs bewusst wahr, die sich vorher anscheinend an der Straße herumgedrückt hatten und sich nun, da genügend Gäste vorhanden waren, verhalten näherten. Zerrissene Shorts, dreckige, durchlöcherte T-Shirts, abstehende Haare, etwa acht bis zehn Jahre alt. Sie begannen die Tische abzuklappern. Bis dahin nichts Ungewöhnliches.

Es war die Art und Weise der beiden, wie sie mit ausgestreckter Hand langsam an den Gästen vorbei zogen, die mich veranlasste, sie weiter zu beobachten.

Mit keinem Blick würdigten sie die Sitzenden. Ihren Gesichtsausdruck mag ich bis heute nicht zu deuten. Bar jeder Verlegenheit, fast ein wenig amüsiert gingen sie ihrer Arbeit nach, ohne einen Zweifel bei mir zu hinterlassen, dass sie das erbettelte Geld tatsächlich brauchten. Viel kam an diesem Abend nicht rum. Die beiden setzten sich auf eine an das Restaurant angrenzende Mauer und begannen die Gäste genauer unter die Lupe zu nehmen: besonders die Australier, oder besser gesagt eine seitlich aus einem der Rucksäcke lugende Tüte mit Feuerwerksraketen.

Wenn die Knaben gewusst hätten, dass es sich bei den Dingern, wie sich später bei unserem Versuch, sie aus einer geleerten Tequila-Flasche zu starten, herausstellte, hauptsächlich um Blindgänger handelte, hätte sich ihr Interesse wahrscheinlich in Grenzen gehalten. Ohne Umschweife nahm einer der Kleinen Kurs auf die Aussies und forderte: "Gebt mir welche davon!" Der Spanisch sprechende Bewohner des fünften Kontinents namens Dave meinte die Situation erkannt zu haben und war bereit, sich auf das Spielchen - erst ein bißchen zappeln lassen und dem Kleinen letztendlich ein paar von den Dingern in die Hand zu drücken - einzulassen. Doch mit dem, was dann folgte, hatte keiner von uns gerechnet: Schon nach dem ersten "Nein" und ohne weitere Versuche zu verhandeln, griff das Bürschchen in seine ausgebeulte Tasche und zückte ein Bündel Scheine und diverses Kleingeld, knallte einen Dollar auf den Tisch und sagte: "Verkauf mir zwei!"

Dave schaute Hilfe suchend in die Runde und fing meinen ebenso perplexen Blick auf. Er hatte deutlich ein Problem. Als low–budget-Reisender rechnete er zwar auch mit jedem Groschen. Er hatte aber, wie er mir später erzählte, auf einem Markt in Guatemala für die ganze Tüte nicht mehr als zwei Dollar bezahlt. Dem Australier, unsicher, was zu tun sei, nahm der Kleine die Entscheidung ab, drückte ihm den Dollar in die Hand, zog sich zwei Raketen aus der Tüte und bedeutete seinem Kumpel, dass man jetzt gehen könne. Immer noch völlig verunsichert, stotterte Dave den Jungs mit sichtlich schlechtem Gewissen hinterher, dass sie ruhig noch ein paar mehr haben könnten; doch ohne sich umzudrehen, winkten sie ab.

Ob sich die beiden bewusst waren, was sie den Beteiligten und Betrachtern dieser Szene mit auf den Weg gaben, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich weiß nur, dass manche Filmpreise, egal wie unnütz sie scheinen mögen, auch ihre guten Seiten haben; denn sie können einen an das wirkliche Leben erinnern.

Text + Fotos: Arne Guder

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