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caiman.de 05. ausgabe - köln, 01. mai 2001
mexico

Subcomandante Marcos und der Marsch nach Mexico D.F.

Im mexikanischen Bundesstaat Chiapas hat sich vor sieben Jahren die EZLN, die Zapatistische Nationale Befreiungsarmee, im Namen der indianischen Landbevölkerung gegen die Regierung erhoben und fordert seither vehement Rechte und Erhaltung der Kultur der Ureinwohner.

Marcos und seine vermummten Mitstreiter wählten den 1. Januar 1994, um San Cristóbal de las Casas, den Bischofssitz von Chiapas, zu besetzen. Tatsächlich gekämpft wurde zwölf Tage, dann legten die Zapatisten die Waffen nieder und kündigten an, fortan auf friedliche Weise ihr Ziel verfolgen zu wollen. Die offene Schlacht forderte mehrere Hundert Tote, seitdem herrscht offiziell Waffenstillstand. Vor vier Jahren kamen die Verhandlungen zum Stillstand. Das 1996 geschlossene Abkommen von San Andrés über den Schutz der indígenen Rechte und Kulturen hat Ernesto Zedillo, Präsident der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) von 1994 bis 2000, nicht umgesetzt. Stattdessen verstärkte er die Militärpräsenz in der Region von Chiapas.

Die EZLN zog sich daraufhin in die lacandonischen Waldgebiete zurück.

ZEITEN DES UMBRUCHS
Seit Dezember 2000 regiert in Mexico Vicente Fox von der liberalkonservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN). Sein Wahlsieg beendete die Herrschaft der PRI, die als allmächtige Staatspartei 71 Jahre lang in Mexico regiert hatte und deren Strukturen von Vetternwirtschaft und Korruption gekennzeichnet waren.

In Mexico, welches sich offiziell als ein Land der Mestizen darstellt, wurde die Identität der Indios, die gut 10% der mexikanischen Gesamtbevölkerung ausmachen, bisher konsequent ignoriert. Chancenlos leben viele der indígenen Völker weit unterhalb der Armutsgrenze und müssen dem langsamen Sterben ihrer Sprachen und traditionellen Gebräuche tatenlos zusehen.

"DIES IST DER MARSCH DER INDIANISCHEN WÜRDE, DER MARSCH DER FARBEN DER ERD"
Einen Tag nach dem Amtsantritt von Vicente Fox aber meldeten sich die Zapatisten mit einem medienwirksamen Auftritt zu Wort: Subcomandante Marcos kündigte an, nach Mexico D.F. marschieren zu wollen – ein Marsch des Friedens sollte es werden, stellvertretend für alle Indio-Völker, gegen Unterdrückung und Angst und für die Anerkennung der indígenen Völker als kollektives Rechtssubjekt. Nicht nur das Datum war strategisch günstig gewählt, auch die Wegstrecke passte ins Gesamtbild einer gut geplanten Inszenierung: Marcos und seine 23 Weggefährten wollten auf demselben Weg die 3000 Kilometer zurückzulegen wie einst der mexikanische Rebell und Nationalheld Emiliano Zapata während der Revolution zu Beginn des letzten Jahrhunderts.


Um eines seiner Wahlversprechen einzulösen, zeigte Vicente Fox seine Verhandlungsbereitschaft mit den Zapatisten, indem er die Vereinbarung von San Andrés bereits wenige Tage nach Amtsantritt ins Parlament einbrachte.

Marcos bot sich damit die Chance, am Ende seines Marsches vor allen führenden Politikern des Landes zu sprechen. Zwar lehnte er ein direktes Treffen aus Sicherheitsgründen ab, erkannte jedoch indirekt die Legitimität der neuen Regierung an.

Als Bedingung für Friedensverhandlungen mit der jetzigen Regierung verlangen die Aufständischen außer der Verabschiedung des Gesetzes für die indígene Bevölkerung die Schliessung von sieben Militärstützpunkten in Chiapas sowie die Freilassung aller ihrer in Haft befindlichen Anhänger.

GUERILLERO GEGEN GLOBALISIERUNG
Subcomandante Marcos ist bereits zu Lebzeiten ein Mythos. Viele Frauen bezeichnen ihn als attraktivsten Mann Lateinamerikas oder wünschen sich ein Kind von ihm, ohne sein Gesicht aufgrund der wollenen Skimaske je gesehen zu haben. Ähnlich wie Che Guevara, Buenaventura Durruti oder Emiliano Zapata, umweht den maskierten, stets mit einem Maschinengewehr bewaffneten Anführer der Zapatisten eine geheimnisvolle Aura.

Mittlerweile wird die Symbolfigur des indígenen Widerstandes vermarktet wie die allgegenwärtigen Marken Coca Cola und Pepsi. Kleine Mädchen aus Chiapas verkaufen an den Stränden von Mexiko Puppen mit dem Abbild des berühmten Guerilleros, der mit bürgerlichem Namen Rafael Sebastián Guillén Vicente heißt und der – bevor er sich Subcomandante Marcos nannte – Soziologiedozent an der Universidad Autónoma Metropolitana war. Der Guerillero nutzt das Internet, um seine Botschaft auf einer Webseite weltweit zugänglich zu machen (www.ezln.org). Er ist ein geschickter Medienstratege, der irgendwann einmal die Skimaske ablegen und mit offenem Gesicht Politik machen will. Aber erst, wenn seine Forderungen erfüllt sind; auf bloße Versprechungen will er sich nicht einlassen.

ZAPATOUR 2001 – MARCOS SIND WIR ALLE
An den teilweise verheerenden Lebensumständen vor allem in der ärmsten Region Mexicos, in Chiapas, hat sich seit dem ersten Aufstand der Zapatisten 1994 nicht viel verändert. Der "Sub" aber gibt nicht auf.

Denn er verfolgt mit dem Marsch und seiner Vermarktung ein viel weitreichenderes Ziel und überträgt das konkrete Anliegen der EZLN auf die globale Ebene.

Sein Kampf für die Rechte der Urbevölkerung steht symbolisch für den Kampf gegen Globalisierung. Im Globalisierungszeitalter bestimmen die Gesetze des Marktes immer mehr auch die Tendenz der Politik.

Damit einher gehend spaltet sich die Menschheit in zwei Gruppen auf: Eine Gruppe, zu der auch die indígenen Völker gehören und die nach den Gesetzen des Marktes keinen Wert besitzen.
Auf der anderen Seite stehen die verwertbaren Konsumenten, die als kaufkräftige Zielgruppe möglichst schnell den Wertvorstellungen des american way of life untertan gemacht werden sollen. Am einfachsten geht dies durch kulturelle Homogenität, die eine breite, einschätzbare Masse zum Ziel hat, der die passenden Produkte häppchenweise vor die Nase gesetzt werden und nur noch konsumiert werden müssen. Gleichschaltung der Kaufinteressen, der weltweite Siegeszug von Pokémon ist nur ein Beispiel.

Bleibt also zu hoffen, dass die kleinen Mädchen aus Chiapas auch weiterhin Puppen vom "Sub" an den Stränden von Mexico anbieten werden.

Text + Fotos: Kristina Willenborg

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