l
caiman.de 08. ausgabe - köln, august 2001
mexico

Die Eroberung Mexicos
Wie eine Hand voll Spanier das Millionen-Heer der Azteken bezwingt

Intro: Wir schreiben das Jahr 2019. Außerirdische belagern das Weiße Haus. Die Eindringlinge beteuern zwar vehement gemeine Menschen zu sein, doch versetzen sie die Erdlinge durch ihr Auftreten und allerhand abgefahrenen futuristischen Kram in Ratlosigkeit und Schrecken.
Sie verlangen die Unterwerfung der „Neuen Welt“, der alten Erde. Ab sofort dürfe weder dem christlichen Gott, noch irgendeinem anderen Götzen gehuldigt werden, denn ihr Herrscher sei der Einzige und Wahre.
das
aztekische
teotihuacan:
nahe
tenochtitlan



Wer oder was sind diese Fremdlinge? Aliens, manipulierte Gen-Bastarde - oder handelt es sich um eine künstlerische Performance, ein verselbständigtes Videospiel, die Apokalypse? Die Spekulationen an den Stammtischen der Welt sind schier grenzenlos. Aber auch in der Chefetage herrscht Uneinigkeit: Wie solle man den Außerirdischen entgegen treten? Militärs fordern den Kampf. Die Politik jedoch ist unentschlossen und wählt die Diplomatie...

Chronologie der Eroberung
Am Karfreitag des Jahres 1519 landet Hernán Cortés mit 500 Soldaten in der Bucht des heutigen Veracruz. Um mehr über die Sagen umwobene Goldstadt Úlua bzw. Mexico zu erfahren, sucht er den Kontakt zur Bevölkerung.

In dem „Dicken Kaziken“, dem Anführer der in dieser Gegend heimischen Totonaken, gewinnen sie einen ersten Verbündeten in Sachen Unterwerfung der Azteken, der Weg zum Gold.

Gemeinsam ziehen sie gen Mexiko.
In Tlaxcala, auf halber Strecke, werden sie mit Pfeil und Bogen empfangen. Auf heftige Kämpfe folgt das wichtige Bündnis, denn die Tlaxcalteken sind später im Kampf gegen den verhassten Erzfeind, die Mexica bzw. Azteken, unerbittlich.
Am 8. November erreicht Cortés Tenochtitlán, das heutige Mexiko, die Hauptstadt des gewaltigen Aztekenreiches. Eine Woche darauf nimmt er ihren Herrscher Motecuzoma gefangen. Über ein halbes Jahr leben die Spanier in der Mexica-Metropole, bis zum 30. Juni 1520, der „Noche Triste“. Aufgrund ihres allzu respektlosen Auftretens gegenüber Priestern und Adel erfolgt ihre Vertreibung. Während der Tumulte finden zwei Drittel der Spanier den Tod, ebenso wie Motecuzoma.
Ein Jahr später steht Cortés erneut vor den Toren Tenochtitláns.
Und mit der Gefangennahme Cuautémocs, dem letzten Herrscher der Mexica, am 13. August 1521, fällt nicht nur das Herzstück, sondern das gesamte Aztekenreich.


Warum kämpft Motecuzoma nicht?
Das Volk der Azteken ist, wie auch das der Spanier, ein „Kriegsvolk“. Der Krieg bietet die beste Möglichkeit, gesellschaftliches Ansehen zu erreichen, und der Tod auf dem Schlachtfeld bedeutet Glückseligkeit und Ehre.
Man schätzt die Anzahl der aztekischen Krieger auf bis zu zwei Millionen. Diesen standen je nach Zeitpunkt der Eroberung bis zu 1500 gleichzeitig Spanier gegenüber.
Dass der Sieg allein durch die Überlegenheit der Waffen (härtere Schwerter und eine Reihe von damals in ihrer Handhabung sehr umständlichen Gewehren und Kanonen) errungen werden konnte, ist wenig plausibel. Die den Azteken unbekannten Hunde und Pferde werden durchaus ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Doch vermochten sie ein Millionen-Heer Kampfunfähig zu machen?



Schon die kurz nach der Eroberung nach Mexico eilenden Mönche suchten nach alternativen Erklärungsansätzen. Auf die bis heute umstrittene Sage des Quetzalcoatl, des aztekischen Gottes, der eines Tages aus der (freiwilligen) Verbannung zurückkehren werde, um die Herrschaft an sich zu reißen, stützen sie ihre Ausführungen. Die Franziskaner Sahagun, Motolinía und Mendieta verfälschen das Erscheinungsbild Quetzalcoatls soweit, dass er sich dem des Cortés immer mehr anglich: Weiß-häutig und bärtig soll er aus dem Osten übers Meer seinen Weg zurück ins Mexica-Reich finden. Das Cortés-Quetzalcoatl-Erklärungsmuster ist demnach, zumindest in dieser Form, ein Konstrukt der nach-aztekischen Ära.

Doch eher eine Frage der Wahrnehmung?
Stimmten die Spanier weder mit der Vorstellung Motecuzomas von Menschen noch mit der von Göttern überein? Möglich! Und deshalb wusste der große Herrscher der Einen Welt nicht wie er gegen den gewieften „Halbgott“ der anderen Welt vorgehen sollte und führte schließlich nicht einen einzigen Kampf gegen die Spanier.
Cortés hatte bereits 15 Jahre in der Karibik verbracht. Azteken als Menschen zu identifizieren, dürfte ihm keine Schwierigkeiten bereitet haben. Er verfügte über ein wesentlich breiteres Wissen über „Menschen“, sprich der Existenz verschiedener Kulturen, Religionen und Äußerlichkeiten als sein aztekisches Gegenüber. Geschichte hatte ihn vertraut gemacht mit dem heidnischen Götzenkult der Griechen und Römer; er kannte Mohammedaner und die schwarze Bevölkerung Afrikas, und er wusste, dass er sich nicht im Reich des großen Khans befand – ganz im Gegensatz noch zum ersten Eroberer der Spanischen Krone Christoph Kolumbus.

Cortés und der kulturelle Code der Azteken
Cortés beschränkte sich nicht auf die reine Zuordnung seiner Gegenüber in natürlich oder übernatürlich. Vielmehr setzte er sich intensiv mit Kultur, Religion und der aztekischen Art zu denken auseinander. Und dieses Wissen wusste er später zu seinem Vorteil zu nutzen.
Die Azteken hingegen lebten in einer Welt der festen Ordnung.

Störungen wurden als Zeichen mit zumeist negativen Begleiterscheinungen interpretiert.

Eines der 14 Gebote der Mexica etwa besagt, dass der Herrscher für sein Volk nicht sichtbar sein dürfe. Das hieß für die Untertanen des Motecuzoma, dass sie ihm nur mit geneigtem Kopf gegenüber traten durften, da sein Körper als persönlich galt. Die Spanier aber taten dies. Sie mussten ihn treffen, um ihrem Kaiser ein Bild zeichnen zu können.
Da ein solches Handeln im Sinne der Azteken außerhalb ihrer Vorstellungskraft lag, musste es sich bei den Spaniern um eine Art Übernatürlicher Wesen (Teules) oder gar Götter handeln.
Um sich Klarheit zu verschaffen, rief Motecuzoma seine eigenen Götter an. Doch diese blieben die Antwort schuldig und der Herrscher hüllte sich in Schweigen. Dies wiederum wurde von seinem Volk als schlimmes Vorzeichen ausgelegt, da der „tlataomi“, der Herrscher, der das Wort hat – so die Bezeichnung für den Obersten Fürst des Reiches, niemals schweigt.

Zudem fand Cortés bereits zu Beginn der spanischen Unternehmung in der Fürstentochter Malinche eine weitere wichtige Verbündete. Die vor Jahren an die Maya verkaufte Aztekin sann nach Rache gegen ihr eigenes Volk.
Ihr, der Geliebten und Übersetzerin des spanischen Führers, wird ein nicht unwesentlicher Teil der Sensibilität des Cortés für den kulturellen Code der Azteken zugesprochen.

Er nutze diesen Vorteil aus, indem er seine Nachrichten an die Mexica zweideutig formulierte. Um damit an seinem Teules-Image zu arbeiten, gleichzeitig aber zu beteuern, ein gewöhnlicher Mensch zu sein.

Insgesamt gelang es Cortés, nicht nur Motecuzoma zu irritieren und von einem Kampf abzuhalten, sondern auch die Konstellationen der mitunter heftig zerstrittenen Völker Mexikos auszunutzen, und eine Reihe wichtiger Verbündeter gegen die Azteken zu gewinnen.

Extro: Switch ins Jahr 2500: Aus heutiger (futuristischer) Sicht ist einfach nicht einzusehen, warum die Erdbewohner die außerirdische Delegation, welche im Jahre 2019 die Erde heimsuchte und binnen weniger Monate den gesamten Planeten unterjochte, nicht einfach auslöschte. Schließlich handelte es sich um hundsgewöhnliche Menschen aus Fleisch und Blut, die keiner Gewehrkugel hätten trotzen können...

Doch das ist Geschichte. Das Große Reich der Erdbewohner war vor 500 Jahren untergegangen. Ähnliches hatte sich weitere 500 Jahre zuvor schon einmal ereignet. Damals war es einer Hand voll Kriegern – sie gehörten einem Volk an, dass sich Spanier nannte - gelungen, das mächtige Reich der Azteken zu erobern.

Text : Dirk Klaiber
Fotos: Katarina Schlieben

Copyright: Bei Verwendung von Zitaten oder Infos aus diesem Artikel verweist bitte auf caiman.de und den Autor.

Literatur zum Thema Eroberung Mexicos

pa`rriba

l