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spanien: El Greco und Toledo
Grelle Ikonen vom Mystiker der Leinwand
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


argentinien / chile: Rally Dakar auf Südamerikanisch
Tagebuch einer Expedition
THOMAS MILZ
[art. 2]
peru: Kulturelle Unterschiede auf dem Weg nach Tambo Colorado
NIL THRABY
[art. 3]
chile: Kann man Stille hören?
Reiseimpression aus Chile
BERND KÜPPERBUSCH
[art. 4]
grenzfall: Besuch aus Patagonien
Argentinische Pinguine in Brasilien
THOMAS MILZ
[kol. 1]
amor: Salsasonntagsglück
NORA VEDRA
[kol. 2]
pancho: Pancho gewinnt
DIRK KLAIBER
[kol. 3]
lauschrausch: La Paloma 1-6
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] Spanien: El Greco und Toledo
Grelle Ikonen vom Mystiker der Leinwand

Gegen Ende des Jahres 1582 erreichte Toledo, die Stadt im Herzen Kastiliens, die 1560 die Hauptstadtwürde an das Dorf Madrid hatte abgeben müssen, eine Botschaft König Philipps II. von Spanien. Sie enthielt die Antwort auf ein gemaltes "Bewerbungsschreiben".  Es war eine Absage: Seine Majestät Philipp II. hatte keinen Gefallen an dem monumentalen Gemälde "Martyrium des heiligen Mauritius" gefunden, so dass sein Autor nicht mit weiteren königlichen Aufträgen rechnen durfte. Der Name des ausländischen Malers, der diese enttäuschende Absage verkraften musste, war Domenikos Theotokopoulos, doch alle nannten ihn einfach nur "El Greco." Seine genaue Reaktion auf diese Abfuhr ist nicht überliefert. Ob er vielleicht vor Wut Pinsel und Palette gegen die Wand schleuderte? Jedenfalls hatte er sich sehr viel erhofft von diesem Auftrag zur Dekoration des Escorial-Palasts, doch nun waren seine Pläne von einer Malerkarriere am Königshof abrupt beendet worden.



Die Kirche Santo Tomé in Toledo.
Hier befindet sich El Grecos Hauptwerk "Begräbnis des Grafen Orgaz".


Rückblickend war dieser Misserfolg jedoch ein Glücksfall - sowohl für den glamourösen Maler als auch für die aristokratische Metropole Toledo, die damals mehr Einwohner besaß als heute. Denn selten hat es eine so enge Symbiose zwischen einem Künstler und seiner Wahlheimat gegeben wie im Fall von El Greco und Toledo. Geboren wurde der größte Maler Toledos allerdings als Kyriakos Theotokopoulos 1541 in Kandia (heute Heraklion) auf der Insel Kreta, als diese zum venezianischen Imperium gehörte.

Dort erhielt er eine Ausbildung als Ikonenmaler, bevor er spätestens 1567 nach Venedig auswanderte. In der Lagunenstadt wurde er Schüler von Tizian und Tintoretto und verwandelte sich unter deren Einfluss in einen Meister der Renaissance. Seinen ursprünglich byzantinischen Stil geprägt von flächiger Darstellung ohne Perspektive und düsteren Farben entwickelte er beeindruckt von der Farbenpracht der venezianischen Malerei weiter zu Darstellungen von räumlicher Tiefe, lichten Rot- und Gelbtönen und Kompositionen voller Dynamik. Doch obwohl er sich alsbald einen Namen machte (in Italien nannte er sich "Domenico"), wollte ihm der große Durchbruch in der Malermetropole Venedig nicht gelingen - zu genial und etabliert war die Konkurrenz: Tizian, Tintoretto, Veronese, Bassano. Vielleicht auch aus diesem Grund ging El Greco 1569 nach Rom, wo die Situation allerdings ähnlich war. Zwar erlangte er auch hier eine gewisse Berühmtheit - unter anderem durch eine prachtvolle "Verkündigung", doch die Fraktion der Nachahmer von Michelangelo und Raffael blieb tonangebend in der Residenzstadt des Papstes.

Dabei mangelte es dem Meister aus Kreta keineswegs an Selbstbewusstsein. El Greco schlug allen Ernstes vor, die Fresken Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle abzuschlagen, damit er selbst sie an dieser Stelle neu malen könne. Dieser Vorschlag löste einen Sturm der Entrüstung aus und wurde natürlich abgelehnt. Als der große Tizian in seinem Todesjahr 1576 ein Empfehlungsschreiben für El Greco an König Philipp II. sandte, der für die damals größte Baustelle Europas, den Escorial-Palast, zahlreiche Künstler zur Dekoration der über 1000 Räume seiner neuen Residenz suchte, wagte der griechische Maler mit 35 Jahren einen weiteren Neubeginn in Spanien.

Toledo macht einen Ausländer zum Jahrhundert-Genie
Bereits in Rom hatte El Greco einige Intellektuelle kennen gelernt, die aus Toledo kamen und die ihn bei seinem Start in Spanien unterstützten. Deshalb ging er nicht nach Madrid, sondern in die alte Hauptstadt Toledo. Der vergoldete Hochaltar für das Toledaner Kloster Santo Domingo mit den Bildern der Himmelfahrt Marias und der Dreifaltigkeit im Zentrum war das erste Werk, das El Greco für seine neue Wahlheimat malte (1577, das Original befindet sich heute im Prado). Es wird dominiert von einer frappanten Farbenpracht, die zwar unter dem Einfluss von Tizian und Tintoretto entwickelt, aber von dem eigenwilligen Meister aus Kreta mit revolutionärer Radikalität fortgeführt wurde.

Die lichterfüllten, grellen Farben, aus denen die Gewänder der überirdischen Wesen bestehen, erinnern in ihrer Aufdringlichkeit fast an Pop-Art: das Purpur-Rosa und intensive Himmelblau der Engelsschleier und das Goldgelb des Gottesmantels. Wie ein riesiges Fragezeichen erscheint der bizarr gekrümmte, elfenbeinfarbene Körper des toten Erlösers in den Armen des Vaters, darüber der Heilige Geist in der üblichen Gestalt einer Taube, die aus dem Bild heraus zu fliegen scheint, einen Schweif aus blendendem Licht hinter sich her ziehend.


Source: wikimedia commons
http://www.wga.hu/frames-e.html?/html/g/greco_el
permission: GFDL (see below)

Das Jahr des ersten Toledaner Werks des ehemaligen Ikonenmalers Theotokopoulos geht als "Mystisches Jahr" in die Annalen Toledos ein, denn ebenfalls 1577 verfassten die beiden Karmeliter Theresa von Ávila und San Juan de la Cruz ihre Hauptwerke: Theresa vollendete die "Siete Moradas" und San Juan schrieb im Kerker der Inquisition in Toledo (!) den ersten Teil des "Cántico" und sein geniales Gedicht "Noche Oscura". Ob El Greco, wie manche Kunsthistoriker behaupten, die beiden größten Mystiker Spaniens in Toledo persönlich kennen gelernt hat, ist nicht bewiesen und darf bezweifelt werden. Aber es ist wahrscheinlich, dass er zumindest die Werke der überaus erfolgreichen Theresa gelesen hat und möglicherweise von ihrer kristallenen Seelenburg und ihren detailliert beschriebenen "Ekstasen" inspiriert wurde, vor allem in seiner letzten Schaffensphase ab ca. 1600.

Doch schon vorher sind die Hauptwerke des Griechen von einer einzigartigen mystischen Hingabe durchdrungen, die in Toledo auf fruchtbaren Boden fiel. Als er 1579 sein monumentales, für die Sakristei der Kathedrale komponiertes Gemälde "El Expolio" (Die Entkleidung Christi) übergab, schwankten die Reaktionen zwischen Begeisterung und völliger Ablehnung. Das Domkapitel, das den Auftrag für dieses Werk vergeben hatte, war entsetzt darüber, dass in dem Gemälde einige Personen (im Hintergrund) über Christus gestellt waren und einige Kleriker waren irritiert über die in ihren Augen seltsame Darstellung. Sie wollten ihm nur die Hälfte des vereinbarten Preises von 3500 Reales zahlen und drohten sogar, ihn vor der Inquisition wegen Ketzerei anzuklagen.

In der Tat musste dieses revolutionäre Bild die zeitgenössischen Betrachter beunruhigen: der Purpurmantel, den Christus hier trägt, ist nicht mit Purpur, sondern mit grellem Blutrot gemalt, so dass die Figur des Erlösers wie eine Flamme im Bildzentrum lodert, umgeben von düsteren, fast expressionistisch wirkenden Fratzen seiner Folterknechte. El Greco hat um Christus als Lichtgestalt, der seine Peiniger verdunkelt, einen Kreis von grausamen Gestalten inszeniert, die den Heilsbringer von allen Seiten umzingeln und bedrängen. Die Gewalt der Folterung, obwohl nicht direkt gezeigt, wird auf beängstigende Weise spürbar.


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In diesem Geniestreich stellt der Meister aus Kreta Jesus mit verklärtem Gesicht und als Verkörperung bedingungsloser christlicher Liebe und Aufopferung dar - verfolgt und gefoltert von den Abgesandten eines fanatischen Hasses. Dass diese zutiefst christliche Interpretation der Passion Christi von einer Kirche, die selbst mit den Folterknechten der Inquisition ihre "Herde" drangsalierte, kaum verstanden wurde, ist nicht weiter verwunderlich. Doch schließlich wurde der Streit zwischen Autor und Auftraggebern durch ein Schiedsgericht beigelegt, das den Wert dieses Gemäldes neu schätzen sollte. Der Vorsitzende der Kommission teilte die Begeisterung des Volks von Toledo und bezeichnete "El Expolio" als "eigentlich unbezahlbar". Der skandalöse Prozess um die Bezahlung des Passionsbilds bedeutete für El Greco die beste "Publicity" - sein Name wurde bekannt in ganz Spanien.

Zwischen 1586 und 1588 malte El Greco sein Hauptwerk, das ihn endgültig unsterblich machen würde: das "Begräbnis des Grafen von Orgaz". Dieses Bild, das vom Pfarrer der Kirche Santo Tomé in Auftrag gegeben worden war, besaß herausragende Maße: fast fünf Meter hoch und drei Meter sechzig breit. Die pompöse Komposition wird dominiert vom Kontrast zwischen "irdischer" und "himmlischer" Ebene.

Während die auf der Erde stattfindende Szene der Grablegung des Grafen vor allem in den Farben Schwarz (die Gewänder der spanischen Granden und die Rüstung des Grafen) und Weiß (die Gesichter und Halskrausen der Adligen) gehalten ist, entfesselt El Greco in den himmlischen Sphären in der oberen Bildhälfte ein unwirklich leuchtendes Farbspektrum mit verfremdeten Formen.


Source: wikimedia commons / Petrusbarbygere
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In der unteren, irdischen Bildhälfte sind Formen und Konturen konkret und klar umrissen, alle Details (z.B. die Stickereien auf dem prächtigen Bischofsmantel des Augustinus) sind deutlich zu erkennen. Im Szenarium des Himmels erscheinen zwar einige konventionelle Symbole wie die Schlüssel des Petrus, doch insgesamt wabert dort ein von merkwürdig grellen Farben illuminierter Lichtnebel, der viele Gesichter und Gestalten sowie Engelsköpfe nur erahnen lässt. Lediglich einzelne Figuren treten klar aus dem Lichtnebel hervor, doch auch sie sind mit verfremdeten Farben gemalt. Die Haut Johannes des Täufers schimmert grünlich, Christus ist umstrahlt von einem poppigen Gelb und Mantel und Schleier der Jungfrau Maria zeigen die beiden Farben, die zu einem Markenzeichen von El Greco werden sollten: ein verwaschenes, verklärtes Blau und Rot. Im Mittelpunkt des Monumentalbildes präsentiert der Meister das gewagteste Element: den Seelenflug. Ein Engel mit goldfarbenem Gewand und weit ausgebreiteten Flügeln trägt eine von innen strahlende, transparente Hülle aus Licht - die Seele des verstorbenen Grafen - zum Himmel empor. Kein Künstler hatte es vor ihm gewagt, dieses tiefste Glaubensgeheimnis vom Übergang der Seele in die Ewigkeit so direkt darzustellen. Dieses Werk El Grecos gehört zu den zehn wichtigsten Bildern der Kunstgeschichte und es gibt bis heute Besucher, die nur wegen dieses Gemäldes nach Toledo kommen. So hatte es sein Schöpfer - ebenso unbescheiden wie zutreffend - selbst prophezeit, indem er nach Vollendung des "Conde Orgaz" sagte, dass erst künftige Generationen seinen Wert erkennen und in ihm eines der größten Genies der Malkunst sehen würden.

Realistische Porträts und mystische Visionen
Obwohl die bekanntesten Bilder des ehemaligen Ikonenmalers visionäre religiöse Darstellungen von monumentaler Größe und voller Pathos sind, hat er auch zahlreiche kleinformatige Porträts gemalt, die ganz ohne Stilmittel der Verfremdung auskommen und bis ins kleinste Detail so realistisch wirken, wie man es später nur noch von Velázquez kennt. Ein gutes Beispiel ist das Porträt von Antonio Covarrubias (gemalt 1601), einem Kanoniker der Kathedrale von Toledo.

Aristokratisch gekleidet, voll stolzer Grandeza, aber auch mit weißem Haar und schon altersmüdem Blick, aus dem eine gewisse Schicksalsergebenheit spricht, präsentiert sich dieser Kleriker fast wie eine Symbolfigur für die Lage des spanischen Imperiums, das in stolzer Realitätsferne seinem eigenen Niedergang zusah.


Source: wikimedia commons / Petrusbarbygere
permission: GFDL (see below)

Dieses beeindruckende Bild hat Ähnlichkeit mit El Grecos berühmtem Selbstporträt, das er wahrscheinlich um 1595 gemalt hat, und in dem er sich selbst auch mit aristokratischer Haltung, aber sehr melancholischem Blick darstellt. Hier dokumentiert El Greco auch, dass er zwei typisch spanische Eigenschaften offenbar verinnerlicht hat: Stolz gegenüber den Menschen und Demut vor Gott.

Seinen Sohn Jorge Manuel, ebenfalls ein Maler, hat der Meister mit heiterem Gesichtsausdruck beim Akt des Malens porträtiert. Dabei trägt er keine Arbeitskleidung, sondern die eleganten, schwarz glänzenden Festtagsgewänder und die typische weiße Halskrause eines Granden - auch dies ein Ausdruck des Selbstbewusstseins der Familie des eingewanderten Griechen. Das Porträt seines Sohns befindet sich heute im Museo de Bellas Artes von Sevilla.


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permission: PD-Art, PD-Old (see below)

Seine schöne Lebensgefährtin Jerónima de las Cuevas hat El Greco oft als Jungfrau Maria in seinen Werken verewigt, so z.B. in einem intimen Bildnis der Mater Dolorosa, geschaffen zwischen 1590 und 1595 (heute im Museum von Straßburg). Ganz ohne bunten Pomp kommt dieses Gemälde aus. Ergreifend in ihrer Einfachheit und still in sich gekehrten Trauer ist diese in schlichtem Blau und Weiß gekleidete Madonna, der die Frau El Grecos ihr wunderschönes Gesicht gibt.

Im Jahr 1606 malt er das vielleicht berühmteste seiner vielen Christus-Porträts. Auch dies ein unpathetisches, stilles Andachtsbild: der Erlöser wirkt in seiner Haltung von statischer Majestät byzantinisch beeinflusst, auch der Gestus seiner segnenden rechten Hand erinnert an die Pantokrator-Darstellung byzantinischer Ikonen. Die Farben sind nicht grell, sondern wirken wie ausgewaschen, scheinen von innen zu leuchten und sollen Verklärung suggerieren. Doch alles wird überstrahlt vom dunklen, hypnotisierenden Blick dieses Christus, den eine sakrale Aura umgibt, die so intensiv ist, dass nicht wenige Besucher der Sakristei der Kathedrale von Toledo sich niederknien.

In seinen Heiligenporträts (allein den heiligen Franziskus malte er 25 Mal) und seinen Apostelserien verband El Greco oft realistische Personendarstellung mit ekstatischer Emotionalität, z.B. bei dem Petrus-Gemälde mit dem tränenerfüllten Blick. Vor allem seine späten, nach 1600 gemalten Heiligenbilder sind mehr "Gefühlsexplosion" als Personendarstellung. El Greco scheint zu schwelgen in surrealistischen Visionen, malt die Gestalten immer langgestreckter und bizarr verformt, insbesondere die Hände unnatürlich vergrößert, Figuren die aussehen wie Flammen des Heiligen Geistes, Engel wie Schmetterlinge mit riesigen, bunt schillernden Flügeln, die Körper verklärt wie Lichtquellen. Farben und Formen wirken verfremdet wie in einem Fiebertraum, manche Details wirken wie unter Drogeneinfluss gemalt - kein Wunder, dass die eifrig Drogen konsumierende 68er Generation El Greco mit Begeisterung wieder entdeckte. Aber es gab auch Kunsthistoriker, die sein Spätwerk als "ekstatische Entgleisungen" ablehnten oder über eine Geisteskrankheit als Ursache solch bizarrer Maltechnik spekulierten. So bezeichnet Carl Justi, der Velázquez-Experte, El Greco als "...einen Geisterseher...ein pathologisches Problem, für das ein Arzt zuständig war."

Ob er wirklich der große "Mystiker der Leinwand", der Prophet mit Pinsel und Palette war, für den ihn manche halten? Im realen Leben gab er sich keineswegs weltfremd, sondern liebte den Genuss und ein luxuriöses Leben, für das er sich auch in Schulden stürzte, wie mehrere Quellen berichten. Als Mensch wollte er sich vor allem in der noblen Gesellschaft seiner geliebten Stadt Toledo einen privilegierten Platz erobern.


Source: wikimedia commons
http://gallery.euroweb.hu
permission: GFDL (see below)

Toledo als sakrale Seelenlandschaft El Grecos
Heute präsentiert sich Toledo als Museum seiner selbst und als Bollwerk einer ultrakonservativen spanischen Kirche. Damals dagegen war es eine sehr lebendige Stadt und Ausgangspunkt religiöser Reformen und vom Volk getragener, engagierter mystischer Bewegungen. Es herrschte Aufbruchstimmung und eine echte Begeisterung für sakrale Meditation, wie sie auch El Greco immer wieder in seinen Bildern zum Ausdruck bringt.

Wenige Jahre vor seinem Tod malt El Greco 1610 ein sensationelles Landschaftsbild, das sogar die Liebhaber der Moderne, die seine typischen religiösen Bilder meist ablehnen, tief beeindruckt hat: "Vista de Toledo" (deutscher Titel: "Toledo im Gewitter"). In einer Epoche, in der kaum ein Kunde ein reines Landschaftsgemälde kaufte, hat El Greco dieses mit impressionistischer Maltechnik ausgeführte Werk offenbar nur für sich selbst gemalt. Es scheint wie ein gemalter Dank an seine Wahlheimat Toledo für all die Inspirationen, die ihm hier geschenkt wurden. Und doch ist dieses Gemälde kaum als normales Landschaftsbild oder Stadtporträt zu betrachten, sondern strahlt eine metaphysische Bedeutung, eine religiöse Botschaft aus. "Toledo im Gewitter"  ist gemalt wie ein apokalyptischer Fiebertraum. Man könnte es als "ekstatisches Landschaftsbild" bezeichnen. Die Fronten der Finsternis und des Lichts prallen überall in diesem beunruhigenden Stadtpanorama aufeinander, scheinen sich in ständiger Bewegung zu verschieben, wie bei einem realen Gewittersturm, dessen Blitzschläge plötzlich einzelne Elemente grell beleuchten, um sie im nächsten Moment wieder in tiefes Dunkel fallen zu lassen. Das reale Toledo ist zu erkennen: die tiefe Schlucht des Tajo, die Alcántara-Brücke, der Hügel des Alcázars und der hoch aufragende Turm der Kathedrale. Aber die Formen sind hin zum Symbolischen verfremdet, die Farben unnatürlich, es dominieren ein fast zum Schwefelgelb hin tendierendes, flammendes Grün und kalte Blautöne, zwischen Grau und dem Violett der Sturmwolken changierend.

Kaum jemand kann bestreiten, dass dieses "Toledo im Gewitter" weniger eine reale Stadtansicht, sondern vielmehr eine Seelenlandschaft darstellt, in der die apokalyptische Schlacht zwischen Gut und Böse, zwischen den Mächten des Lichts und der Finsternis ausgetragen wird. Die stolzen Gebäude dieser Traumstadt heben sich seltsam illuminiert vom düsteren Hintergrund ab.


Source: wikimedia commons / Shakko

Doch es scheint weniger ein Blitzschlag, der sie in grelles Licht taucht. Kathedrale, Alcázar und die anderen Bauwerke scheinen vielmehr von innen zu leuchten.

El Greco hat hier Toledo als die Stadt Gottes des Augustinus, als das "himmlische Jerusalem" der Apokalypse auf die Leinwand gebannt. Sein Stil, den er erst in Toledo fand, ist absolut einzigartig, weder der Renaissance noch dem Barock eindeutig zuzuordnen. Der von ihm meisterhaft porträtierte Mönch und Dichter Hortensio Paravicino schrieb in einem Sonett über El Greco: "Kreta gab ihm das Leben und die Pinsel - Toledo gab ihm wahre Heimat, wo er mit dem Tode die Ewigkeiten erlangte."

Text + Foto 1: Berthold Volberg
Fotos 2-8: wikimedia commons (jedes Foto hieraus kopiert)

File Histories:
El Greco: El entierro del Conde Orgaz (Iglesia de Santo Tomé, Toledo):
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current 23:31, 3 April 2005 790?979 (255 KB) Petrusbarbygere (Talk | contribs) (El Greco (1541-1614),
El Greco (1541-1614), Entierro del Conde de Orgaz, Tolède. {{PD-art}} El Greco Category:El Greco)

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El Greco (1541-1614), Antonio Covarrubias {{PD-art}} El Greco Category:El Greco)

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current 21:30, 18 April 2007 940?1,350 (453 KB) Escarlati (Talk | contribs)
({{Information |Description=Retrato de Jorge Manuel Theotocópuli
|Source=http://www.juntadeandalucia.es/cultura/museos/GENERICO/S2_3_1_1nolupa.jsp?idpieza=877&pagina=1
|Date=pintado antes de 1614 |Author=Doménikos Theotokópoulos, "El Greco" |Permission=)

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({{Information |Description=El Greco self-portrait, 1604
|Source=http://gallery.euroweb.hu |Date= |Author=El Greco
|Permission= |other_versions= }} Category:El Greco )

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20:17, 26 March 2006 1,024?1,145 (235 KB) Nixdorf (Talk | contribs)
(''View of Toledo'' by El Greco a famous painting in Mannierism style.)

Links:
Gemäldefotos von El Greco im Netz:
Fray Hortensio Félix Paravicino
El Expolio del Greco Catedral de Toledo
La Trinidad
Blick auf Toledo
Gemäldesammlung

Artikel:
El Greco (sp)

[druckversion ed 08/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_2] Argentinien / Chile: Rally Dakar auf Südamerikanisch
Tagebuch einer Expedition

Vom 3 bis 18 Januar 2009 wird die Rally Dakar durch Argentinien und Chile rasen. Mehr als 6.000 Kilometer werden die über 500 Teilnehmer auf ihrem Weg zurücklegen müssen. Nachdem es in den letzten Jahren Sicherheitsprobleme auf der klassischen Paris-Dakar-Route gab, haben sich die Organisatoren entschieden, 2009 nach Südamerika auszuweichen.

Hier erwartet die Extrem-Motorsportler eine eindrucksvolle Umgebung, mit traumhaften Passagen durch die Hochanden Chiles und die weiten Ebenen Argentiniens.

Der caiman macht sich in diesem Monat schon einmal auf, um sich vor Ort umzuschauen. Zwar ist die exakte Wettkampfstrecke noch geheim, doch unser Plan ist es, der von den Organisatoren angegebenen wahrscheinlichsten Route zu folgen: Buenos Aires - Santa Rosa - Puerto Madryn - Jacobacci - Neuquén - San Rafael - Mendoza - Valparaiso (Chile) - La Serena - Copiapó - Fiambalá (Argentinien) - La Rioja - Córdoba - Buenos Aires.

Eigentlich ist der offizielle Start- und Zielort Buenos Aires, doch wir machten uns am 2. August vom brasilianischen São Paulo aus auf den Weg:

Samstag, 02. August 2008
Start in Sao Paulo, Brasilien: Mit Verzögerung geht’s es los... Eigentlich wollten wir um 10 Uhr morgens losrollen. Doch die Teilnehmer unserer Expedition, die ich im Laufe der Reise noch näher vorstellen werde, hatten gewisse Probleme, sich von ihren Lebensabschnittsgefährten/-innen zu lösen. Zudem gab es einige Abstimmungsschwierigkeiten darüber, wie das sich auf dem Bürgersteig türmende Gepäck wohl am besten in den zwei Jeeps unterzubringen sei.

Als wir dann endlich gegen 13 Uhr alles unter Dach und Fach gebracht haben, bleiben wir auf den Ausfahrtsstraßen Sao Paulos im dichten Verkehr stecken. Erst gegen 14 Uhr lassen wir die Hochhäuser der 20 Millionen Metropole hinter uns.

Über die BR 116 geht es Richtung Curitiba, das wir nach gut vier Stunden erreichen. Kurz aufgetankt und weiter gehts über die BR 101 nach Florianopolis, dem Ende unserer ersten Tagesetappe Richtung Anden. Nach 711 Kilometern erreichen wir um 21: 45 Uhr das gemütliche Landhaus von Luigi, einem Italiener, der seit Urzeiten hier lebt.

Im Anschluß an einen phantastischen Abendschmaus (Paella a la brasileira) hauen wir uns gegen Mitternacht aufs Ohr.

Sonntag, 03. August 2008
Florianopolis, Santa Catarina, Brasilien: Erstmal Formel 1 geguckt, dann an den Strand und zu Mittag Riesenmuscheln gegessen... Gegen 14 Uhr verlassen wir Florianopolis und machen uns auf der BR 101 auf Richtung Süden.

Die Straße ist in unglaublich schlechtem Zustand, an manchen Stellen geht es nicht schneller als 40 km/h. So brauchen wir für die 507 Kilometer bis Porto Alegre mehr als 6 Stunden. In Porto Alegre angekommen, erreichen uns die ersten Vorboten des Winters. Gerade einmal 8 Grad zeigt das Thermometer an der Praça Quinze im Zentrum an. Um Mitternacht geht es in die Falle.

Montag, 04. August 2008
Porto Alegre, Rio Grande do Sul, Brasilien: Um 8 Uhr stehen wir bei der Werksvertretung unseres Auto-Sponsors auf der Matte, um noch einmal alles durchchecken zu lassen. Die heutige Etappe wird die härteste der ganzen Tour werden. Wir haben gut 1200 Kilometer vor uns und um 4 Uhr am Dienstagmorgen geht unsere Fähre von Colonia de Sacramento aus nach Buenos Aires.

Von Porto Alegre aus an die Grenze nach Uruguay sind es gut 500 Kilometer; danach erwarten uns noch einmal etwas mehr als 700 Kilometer auf dem Weg hinunter an den Rio de La Plata. Wir müssen los, die Zeit drängt.

Die BR 116 von Porto Alegre Richtung Süden ist eine einzige lange Gerade. Mit konstant 120 km/h brausen wir Richtung Grenze nach Uruguay.

Es eilt, denn um 4:30 Uhr geht unsere Fähre vom uruguayischen Hafen Colonia del Sacramento aus nach Buenos Aires (Caiman-Archiv - Der Kampf um den silbernen Fluss).

Als wir mit den letzten Sonnenstrahlen gegen 18 Uhr in der brasilianischen Grenzstadt Chui ankommen, müssen wir feststellen, dass es hier keinen Grenzposten der brasilianischen Polizei mehr gibt. "Die haben zwei Monate lang gestreikt, und dann wurde es den Verantwortlichen der Polizei zu bunt und sie haben den Grenzposten einfach geschlossen", berichtet der örtliche Tankwart.

Also 20 Kilommeter zurück, um uns bei der Polizei eines kleinen Grenzdorfes den benötigten Ausreisestempel abzuholen. Die ganze Aktion kostet uns eine Stunde unserer kostbaren Zeit. 566 km haben wir seit Porto Alegre schon hinter uns und etwa die gleiche Strecke liegt noch vor uns.

Es beginnt wie aus Kübeln zu schütten und die Temperatur sinkt auf gnadenlose 5 Grad Celsius. Das Einzige, was wir von Uruguay sehen, ist Regen, Dunkelheit, eine einsame Pizzaria in einem Vorort von Montevideo und den Mittelstreifen der Autobahn. Nach 493 Kilometern durch Uruguay sind wir um 3 Uhr morgens am Fährhafen von Colonia del Sacramento angekommen - vollkommen geschafft von der heutigen Mammutstrecke.

Die Buquebus-Fähre ist eine seltsame Erscheinung mit löchrigen Sitzen, furchtbar wässrigem Kaffee und voller schweigender Uruguayer und Argentinier. Wer den alltäglichen Geräuschpegel Brasiliens gewohnt ist, der versinkt hier in einem Meer aus Stille.

Dienstag, 5. August 2008
Wir hauen uns für drei Stunden aufs Ohr, dann kommen wir mit Beginn der Morgendämmerung in Buenos Aires an. Hier erwartet uns ein eisiger Wind, doch nachdem wir uns in einem Cafe in Puerto Madero mit einem halben Dutzend köstlicher Medialunas (Croissants) gestärkt haben, lächelt die Sonne aus einem strahlend blauen Himmel herab. Bald beträgt die Temperatur erträgliche 14 Grad und wir drehen einige Runden durch die Stadt, die, so ein argentinischer Dichter, dessen Namen ich vergessen habe, die Hauptstadt eines Imperium ist, das niemals existiert hat.

In Erwartung von Schlimmerem kaufen wir schneefeste Kleidung ein. Im argentinischen Fernsehen sehen wir Bilder aus Neuquen, das wir in etwa einer Woche erreichen werden. Dort rutschen die Skiläufer bei Minus 5 Grad die weißen Berge hinab. Wir sollten also vorbereitet sein!

Gegen 14 Uhr verlassen wir Buenos Aires über die Ruta 5 in Richtung Süden unserem Tagesziel Santa Rosa entgegen. Die Straße führt schnurgerade dem Horizont entgegen. Links und rechts ziehen Viehwiesen und Getreidesilos an uns vorüber. Das ewige Überholen von Lastwagen verzögert unser Weiterkommen derart, dass wir uns entschließen, etwa 150 Kilometer vor Santa Rosa Halt zu machen.

Gegen 20 Uhr treffen wir in Trenque Lauquen ein, einem überraschend freundlichen Städtchen. 475 Kilometer haben wir heute geschafft, 35 davon kreuz und quer durch Buenos Aires und 44 Richtung Santa Rosa.

Damit haben wir morgen mehr Kilometer vor uns als eigentlich geplant. Denn wir wollen unbedingt bis zur Halbinsel Valdes kommen, um dort am Donnerstag einen kompletten Tag zu verbringen. Mit viel Glück könnten wir Orcas zu Gesicht bekommen - das können wir uns nicht entgehen lassen!



Mittwoch, 6. August 2008
Es geht früh los - schließlich haben wir heute gut 1000 Kilometer vor uns.

Um 10:23 Uhr überqueren wir die Grenze zu La Pampa. Ab jetzt sind wir in Patagonien. Vor dem Straßenschild posieren zwei Motorradfahrer aus São Paulo.

Ihre Reise quer durch Südamerika wird von zahlreichen Firmen gesponsert, und so klicke ich mit ihrer Kamera unendlich viele Fotos, auf denen sie stolz die Werbebanner ihrer Geldgeber in die Luft halten.

Auch wir lassen es uns nicht nehmen und posieren neben dem Schild. An dieser Stelle ist es Zeit, unser Team vorzustellen. Da ist zum einen Laura aus São Paulo, eine abenteuerlustige Brasilianerin, mit der ich seit meinen Studienzeiten in Köln befreundet bin.

Dessweiteren Roberto, ein italienischer Fotograf und Journalist, zudem ein enger Freund, mit dem ich in den letzten Jahren mehrere Abenteuerreisen erlebt habe - beispielsweise eine Tour durch Minas Gerais auf den Spuren Guimaraes Rosas (Caiman-Archiv - Gott oder der Teufel im Sertão von Minas) und den Besuch eines Goldgräbercamps in Amazonien (Caiman-Archiv - Zwischen Goldrausch und Katerstimmung).

Dann ist da noch der Kameramann Alexandre, ein lebenslustiger und wieselflinker Carioca, mit dem ich letztes Jahr bei einem Fernsehprojekt über Oscar Niemeyer zusammen gearbeitet habe. Sein Hobby: Paragliding. Am liebsten stürzt er sich von den Hügeln Rio de Janeiros aus hinunter, um zwischen den Bikinischönheiten an den Stränden der Cidade Maravilhosa zu landen. Man ist also unter Freunden.

Gereist wird in einem Pajero Sport und einem L200 Pickup, die uns für die Reise von Mitsubishi zur Verfügung gestellt wurden. Beide Autos sind bis oben hin mit Ersatzreifen, Schneeketten, Kameraequipment und persönlichem Krimskrams in übertriebenen Ausmaßen vollgestopft. Zudem hat Alexandre einen motorisierten Paraglider dabei, der zwei Personen tragen und von jedem Punkt aus starten kann. Wir planen, in den Anden einige Flüge zu starten, um unsere Reise aus der Luft zu filmen.

Gegen Mittag erreichen wir Santa Rosa, die Provinzhauptstadt von La Pampa, gut 600 Kilometer südwestlich von Buenos Aires. Nach einem kurzen Aufenthalt, bei dem wir einen guten Eindruck von der chaotischen Fahrweise der Bewohner gewinnen durften, geht es weiter Richtung Süden.

Die Straßen Patagoniens ziehen sich in unendlich langen Geraden durch die karge Landschaft. Kaum einmal sieht man einen Baum in dieser vom Wind gepeitschten Gegend.

Schilder warnen die Reisenden vor Ermüdungserscheinungen. "Ruht Euch aus", besagen sie, denn die Strecken sind äußerst monoton.

Immer wieder sieht man an den Straßenrändern mit roten Tüchern geschmückte Schreine, die einem Nationalhelden Patagoniens gewidmet sind: Gaucho Gil. Er ist so etwas wie die argentinische Ausgabe von Robin Hood. Als Soldat hat er am Tripple-Allianz-Krieg gegen Paraguay gekämpft. Danach zog er mit anderen ehemaligen Soldaten durch Patagonien, wo er den reichen Farmern das Vieh stahl. Die Bande fand bei der armen Bevölkerung Unterschlupf, bis es sie eines Tages dann doch erwischte und man sie aufknüpfte.

Die Schreine sind mit Maria- und Jesusbildern versehen und mit allerlei Gaben ausgestattet: 2-Liter-Flaschen Wasser und Brausegetränke, Zigaretten und Amulette.

Wir brausen weiter Richtung Süden bis wir spät am Abend in Puerto Mardyn ankommen, einem von walisischen Einwanderern gegründeten Hafenstädtchen.

Insgesamt haben wir 940 Kilomter hinter uns gelassen. Erschöpft beziehen wir Quartier. Morgen erwartet uns die Peninsula Valdes.

Donnerstag, 7. August
Noch vor Sonnenaufgang machen wir uns auf den Weg zur Peninsula Valdes, die gut 80 Kilomter nördlich von Puerto Mardryn liegt. Die 3600 Quadratkilometer große Halbinsel mit ihren 400 Kilometern Küste ist die Heimat zahlreicher außergewöhnlicher Meerestiere, was ihr den UNESCO WORLD HERITAGE Status eingebracht hat.

Den Sonnenaufgang erleben wir am Strand des einzigen Städtchens auf der Halbinseln, Puerto Piramides. Hier treffen wir auf eine einheimische Touristenführerin, die uns den ganzen Tag über begleiten soll.

Am Strand von Puerto Piramides sehen wir einen als Southern Right Whale bekannten Wal. Eigentlich befinden sie sich zu dieser Jahreszeit zur Paarung in Südbrasilien (Caiman-Archiv - Kapitän David und die Walfänger).

Verzweifelt versuche ich, mit meinem Tele-Objektiv ein Foto des Wals zu machen. Doch der eisige Wind peitscht dermaßen, dass alle Versuche scheitern. Durchnässt und verfroren gebe ich schließlich auf.

Die Halbinsel Valdes ist auch die Heimat der Magellanpinguine. Zu Hunderttausenden bevölkern sie die Strände der Insel. Unendlich viele Erdlöcher entlang der Küste zeugen davon. Allerdings sind die Pinguine gerade nicht vor Ort. Viele von ihnen haben sich in wärmere Gewässer aufgemacht, Richtung Brasilien (Caiman-Archiv - Besuch aus Patagonien).

Allerdings sind Seelöwen und Seeelefanten zu sehen. Sie sonnen sich an den Stränden von Valdes. Strenge Schutzbestimmungen sorgen dafür, dass man sich ihnen nicht nähern darf.

Und so schlummern sie unbekümmert oder jagen wild durch die Wellen. Ihnen scheint die schneidende Kälte nicht viel auszumachen. Genauso wenig wie den Orcas, die vor der Küste auf der Suche nach Nahrung kreuzen.

Wir sehen drei Orcas, die darauf lauern, sich ihre Beute vom Strand weg zu schnappen. Bevorzugte Opfer sind Pinguine, doch von denen ist nichts zu sehen, und so ziehen die Orcas unverrichteter Dinge weiter.

Im Gegensatz zu den Tieren trifft uns die Kälte empfindlich. Vermummt wie Beduine im Sandsturm versuchen wir uns vor dem Wind und dem umherfliegenden Sand zu schützen. Alexandre bekommt eine volle Ladung ins Gesicht, was am nächsten Tag zu dick geschwollenen Augen führen wird.

Auf den Kieselsteinpisten der Insel fliegen uns ab Tempo 80 die aufgewirbelten Steine um die Ohren. Einer trifft unsere Windschutzscheibe und hinterlässt einen kleinen Riss.

Weiter geht es zu den Sanddünen von Valdes - eine willkommene Abwechslung in der ansonsten vollkommen kargen Landschaft. So reich und abwechslungsreich das Leben im Meer auch zu sein scheint - auf dem Land ist es triste.

Die seltenen Niederschläge und der stete Wind sorgen dafür, dass nicht viel wächst. Ihr Trinkwasser müssen die Bewohner der Küstenregion durch Entsalzungsanlagen aus dem Meer gewinnen.

Nachdem wir 360 Kilometer kreuz und quer über die Halbinsel gefahren sind, beschließen wir, in Puerto Piramides zu übernachten.

Nach einem grandiosen Sonnenuntergang, der die Felsen rund um das Städtchen in orange-ockerne Farben taucht, fallen wir todmüde in die Betten.

Freitag, 8. August 2008
Heute werden wir Argentinien in der Mitte teilen, von der Küste bis zum Rand der Anden. Noch vor Sonnenaufgang machen wir uns auf den Weg. Zuerst einmal von der Peninsula Valdes hinunter Richtung Puerto Madryn, wo wir noch einige Kleinigkeiten zu erledigen haben. Trotz blauen Himmels ist es bitterkalt und der Seitenwind macht den Fahrern schwer zu schaffen. Als wir die Scheibenwaschanlage betätigen, gefriert die Flüssigkeit.

Der kleine Riss, den wir uns gestern durch Steinschlag zugezogen haben, wird durch die Kälte größer. Bei unserem nächsten Autocheck in Mendoza müssen wir wohl die Scheibe auswechseln lassen. Aber noch hält sie.

Gegen 11 Uhr kommen wir los und fahren erst einmal südlich nach Trelow. Die Stadt wurde, genau wie Puerto Mardyn, von walisischen Einwanderern im 19. Jahrhundert gegründet.

Von hier aus geht es die Ruta 25 Richtung Westen, entlang des Rio Chubut, des einzigen großen Flusses in der Gegend, der auch der hiesigen Provinz seinen Namen gibt.

Die Landschaft wird immer spektakulärer und erinnert oft an den Süden und Südwesten der USA. In langen Kurven schlängelt sich die Straße an rot-braun-ocker-farbenen Hügeln entlang.

Bei Los Altares erreichen wir gegen 17 Uhr den südlichsten Punkt unserer gesamten Reise: 43’53’56S. Niemals zuvor war ich weiter südlich auf der Welt als in diesem Moment.

Wir nähern uns stetig den ersten Ausläufern der Anden. Am Horizont erscheinen die Gebirgsketten und entlang des Rio Chubut zeichnen sich malerische Täler ab. Pferde, Schafe und Kühe ziehen unbehelligt ihre Bahn.

Wir biegen von der Ruta 25 ab und nehmen eine Sandpiste, um unsere Allradfahrzeuge zu testen. Unbeeindruckt von den widrigen Verhältnissen ziehen die Allrads über die Piste.

Zum ersten Mal spüren wir das Kribbeln im Bauch, das die Fahrer der Rally Dakar im Januar erleben werden.

Gegen Abend erreichen wir nach 788 Kilometern Esquel, einen kleinen von schneebedeckten Bergen eingekesselten Wintersportort.

Lange suchen wir nach einer Unterkunft bis wir schließlich einen Pub auftreiben, der in einem Hinterzimmer einige Betten für uns hat. Das Ganze erinnert eher an das Haus der Adams Family als an eine wirkliche Unterkunft. Doch die Müdigkeit siegt und wir schlafen tief und fest, wenn auch für nur wenige Stunden.

Samstag, 9. August 2008
Noch vor Sonnenaufgang geht es los Richtung Norden, zum Nationalpark Los Alerces.

Es sind die patagonischen Zypressen, die alerces, die für den Namen des Parks verantwortlich sind. Zu sehen bekommen wir jedoch keinen einzigen der Baumriesen, die einen Umfang von bis zu vier Metern haben.

Tief im Wald stehen die seltenen Exemplare und wir haben nicht genug Zeit, um uns auf die Suche nach ihnen zu machen.

Die Straße schlängelt sich um einen türkisfarbenen See, der von schneebedeckten Bergen eingeschlossen ist. Wir legen Allrad ein, denn die Erdstraße hat sich unter dem bei drei Grad auftauenden Schnee in eine Schlammstrecke verwandelt.

Die Autos brausen durch tiefe Pfützen und schon bald sind sie grau-braun vor Schneeschlamm. Für uns Fotografen ist die Mischung aus Wolken, Schnee und Wäldern, auf die die hohen Berge tiefe Schatten werfen, tödlich.

Wir nehmen mit Schnee bedeckte Seitenstraßen und haben Spaß. Zu Fuß steigen wir hinab ins Tal des Rio Arrayanes, der das Tal des Parks durchfließt. Am Flussufer herrscht himmlische Stille.

Bis gegen Mittag verbleiben wir im Park, dann fahren wir weiter Richtung Norden nach El Bolson, wo wir den örtlichen Kunsthandwerkmarkt besuchen. Das absolute Highlight ist eine Waffel mit Himbeermarmelade, Dulce de Leche (süßer Milch) und Sahne.

Danach machen wir uns auf Richtung Bariloche, dem mondänen Wintersportort der Reichen Südamerikas. Was Punta del Este im Sommer, ist Bariloche im Winter. Schon am Stadtrand erwartet uns das Verkehrschaos der Hochsaison.

Unseren Plan, hier wenigstens einen Kaffee zu trinken, lassen wir fallen und beschließen, über die Ruta 237 weiter Richtung Norden zu fahren.

Als Tagesziel haben wir uns Junin de los Andes ausgeguckt. Von Bariloche aus sind es gut 200 Kilometer. Auf dem Weg setzt starker Regen ein, so dass wir unsere Geschwindigkeit auf 60 km/h drosseln müssen.

Zudem gibt es weit und breit keine einzige Tankstelle. Um 22 Uhr müssen wir inmitten eines Regensturms aus unseren Reservetanks nachfüllen.

Dabei kommt es zu einer Schrecksekunde - der in Brasilien aufgefüllte Reservetank hat dickflüssigen, fast roten Diesel, während der in Argentinien getankte Diesel leichtflüssig und nahezu transparent ist. Uns kommen Zweifel, ob es sich im ersten Fall wirklich um Diesel handelt. Dabei haben wir bereits einige Liter in den Tank gekippt. Wir beschließen, die Feuerprobe zu machen und gießen etwas von der Flüssigkeit auf den Asphalt. Alle Versuche, die Pfütze in Brand zu setzen, scheitert. Wir sehen dies als Beweis dafür an, dass es sich tatsächlich um Diesel handelt und füllen alles in den Tank.

Wir sollen Recht behalten. Unser Motor überlebt und erreicht mit den letzten Tropfen gegen 23 Uhr Junin de los Andes. Hier gießt es in Strömen und der örtliche Fluss droht bereits über die Ufer zu treten.

"Seit drei Tagen regnet es", sagt unser Herbergsvater und dies nachdem der Winter bisher ungewöhnlich trocken war. So, es ist 4 Uhr morgens und ich muss endlich etwas schlafen! 553 Kilometer habe wir heute über meist schlammige Straßen zurückgelegt, von 7 Uhr morgens bis 23 Uhr haben wir fast die ganze Zeit hinter dem Steuer verbracht. Ich stinke nach Diesel, aber zum Duschen habe ich jetzt keinen Nerv mehr. Reisen dieser Art haben ihren ganz eigenen Charme!

Zudem verspreche ich, in Zukunft regelmäßiger das Tagebuch zu pflegen! Gute Nacht!

Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 08/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: argentinien / chile]





[art_3] Peru: Kulturelle Unterschiede auf dem Weg nach Tambo Colorado

Gestern sind wir landeinwärts gefahren, um ein paar Inkaruinen zu sehen (Tambo Colorado bei Pisco). Wir benutzen für solche Ausflüge die so genannten combis (Gemeinschaftstaxis, wie man sie auch aus der Türkei oder Ägypten kennt), die nicht nur sehr praktisch, sondern auch sehr preiswert sind und außerdem natürlich furchtbar authentisch, um das mal so zu sagen.

Die Küstenstadt Pisco hat eine ganze Menge Tourismus (jedenfalls für das, was ich bisher hier gesehen habe) und die Leute sind Touristen gewöhnt, ohne aber (noch?) davon genervt zu sein. Man kann nicht gerade behaupten, dass die Bewohner reich wären (der Markt z.B. ist für unsere Augen unverhältnismäßig übersichtlich).

Im Hinterland allerdings sieht das alles schon ganz anders aus. Die Menschen werden deutlich dunkelhäutiger (ob von der Arbeit oder aufgrund der Abstammung ist mir nicht ganz klar) und sehr schüchtern. Wir sind wie Lebewesen aus einer anderen Welt, die zwar (freundlich) toleriert werden, aber einfach vollkommen anders sind. Uns geht es natürlich genauso: auch ich habe das Gefühl, mit Leuten in einem Bus zu fahren, mit denen ich sehr, sehr wenig gemein habe.

In meiner Vorstellung erscheint ein näherer Kontakt beinahe unmöglich. Zum einen bin ich ein sprach-/kopfgesteuerter Mensch: ich würde also versuchen, die Leute über das Instrument der Sprache zu "erleben". Aber das, was ich Gespräch nennen würde, ist nicht unbedingt Teil ihrer Kultur. (Obwohl man sich da natürlich auch mächtig täuschen kann.) Dazu kommt offensichtlich der vollständig unterschiedliche Erlebnishorizont. So etwas, was wir hier gerade machen (mal ganz abgesehen davon, dass wir unsere Arbeit aufgegeben haben!), ist einfach nicht denkbar, nicht vorstellbar. Die Peruaner - schließe ich mal ganz dreist aus der Fülle und Frequenz der Busse - bewegen sich zwar eine ganze Menge, aber die Lustreise ist eine Seltenheit und der (durchaus existierenden) Oberklasse vorbehalten, die dann nach Miami zum Einkaufen fliegt.

Ich glaube nicht, dass ich mit dieser Beschreibung den Nagel auf den Kopf getroffen habe, es ist mehr ein erster Versuch, etwas zu beschreiben, was ich besser empfinden als ausdrücken kann.

Was ich versuche zu beschreiben, sind die sekundären Effekte der Armut oder des Geldmangels. Die vielleicht sogar noch schlimmer sind, weil sie einen der Möglichkeit berauben, der Armut zu entfliehen.

Ganz anders die Erfahrungen mit anderen "Einheimischen". Der Hotelier, bei dem wir wirklich phantastisch untergekommen sind (ein Katalane übrigens), hatte eine Angestellte von 19 Jahren, die sehr nett und sehr schön frech war. Mit ihr waren wir gestern Nacht aus. Diese Angestellte wiederum hat eine Mutter, die unsere Wäsche gewaschen und uns dann auch noch eine sehr mäßig schöne Puppe verkauft hat. Diese Frau, Anfang Vierzig, lebt genau am anderen Ende der Armut: Geld hat sie keins, reguläre Arbeit auch nicht, ihr Mann ebensowenig. Das Attribut "arm" ist also sicherlich gerechtfertigt. Aber der Unterschied zwischen uns und ihr begrenzte sich exakt auf diesen Aspekt: mit ein wenig Geld würde lediglich das Unterscheidungsmerkmal Temperament übrig bleiben. Mit ihr konnten wir uns austauschen, miteinander reden, sich verstehen und das Gefühl haben, dass wir eine gemeinsame Sprache sprechen.

Ich glaube, ich belasse es dabei. Das Gefühl des kulturellen Unterschieds zu beschreiben, fällt nicht leicht.

Etwas "oberflächlicher" kann man allerdings sagen, dass die Leute hier sehr, sehr freundlich sind. In Pisco mehr als in Lima, doch im Allgemeinen erntet man immer ein sehr angenehmes Lächeln, wenn man einen Laden betritt oder etwas auf der Straße kauft.

Bisher wurde auch kaum der Versuch unternommen, uns an der Nase herumzuführen (von Taxis mal abgesehen) und Straßenverkäufer oder Schuhputzkinder versuchen zwar, ihre Dienste/Produkte an den Mann zu bringen, aber wenn man nicht will, ist es nicht schwierig, sie loszuwerden. Wir werden natürlich viel gefragt, woher wir kommen. Ich hatte erwartet, dass Spanien keine gute Adresse wäre, aber keinesfalls. Der Schlüssel ist die gemeinsame Sprache: wenn wir kein Spanisch sprächen, würden wir nur die Hälfte erleben...

Heute sind wir nach Ica gefahren (ca. 80 Kilometer süd-östlich von Pisco). Dort bleiben wir aber nur kurz (bis morgen Mittag). Dann geht es weiter nach Nazca, wo wir einen Flug gebucht haben, um die berühmten Linien von Nazca zu bestaunen. Davon jedoch demnächst mehr.

Das Leben auf Reisen ist so dicht: ich habe das Gefühl, so unendlich viel zu erleben. Jede Menge Menschen, die man kennenlernt, viele Orte, die man sieht, eine unendliche Vielzahl an Eindrücken... Ich bin morgen erst eine Woche hier und mir kommt es vor, als wären es schon Monate.

Das Leben kann schon ganz schön schön sein.

Text + Fotos: Nil Thraby

[druckversion ed 08/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: peru]





[art_4] Chile: Kann man Stille hören?
Eine Reiseimpression aus Chile

Ob man Stille hören kann? Was für eine törichte Frage werden die meisten wohl spontan antworten. Wir bis dato mit Sicherheit auch. Doch in diesem Moment waren wir gar nicht mehr so sicher. Als langjährige Freunde hatten wir es uns zur Angewohnheit gemacht, halbwegs günstige Flugverbindungen zu nutzen, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viele spektakuläre Gegenden dieser Welt abseits üblicher Touristenpfade zu besuchen. Ja und nun saßen Wolf und ich an einem Geröllabhang, waren einigermaßen außer Puste und, obwohl die Lufttemperatur nicht über dem Gefrierpunkt lag, auch etwas vom Aufstieg ins Schwitzen geraten. Noch nie waren wir bislang in einer solchen Höhe gewesen und unsere Körper rebellierten leicht, wohl um zu zeigen, dass sie weiteres Nachobensteigen ablehnen würden. "Ist dir klar, dass wir von hier oben auf den Mont Blanc spucken können?" "Ehrlich gesagt, mache ich so was aus Prinzip nicht und zweitens glaube ich, dass der einfach zu weit weg ist." War er auch, denn wir befanden uns in Chile, auf einem Berg weit oberhalb des Geysirfelds von El Tatio, mit herrlichem Blick auf die Bergkette der Anden und die Atacamawüste mit einem ihrer gewaltigen Salzseen.


Dieser nicht ganz ernst gemeinte Dialog ließ uns jedoch gewahr werden, wie unangenehm unsere Stimmen die uns umgebende Stille störten. Bislang war das nicht aufgefallen. Erst hatte das laute Spektakel der Geysire in unseren Ohren, dann das Keuchen beim Anstieg und unsere Schritte im Geröll für entsprechende Geräuschkulisse gesorgt. Doch nun hatten sich unsere Körper beruhigt, wir saßen ausgestreckt auf den Steinen und da fiel sie uns erstmalig auf - diese fast unwirkliche, regelrecht unnatürlich wirkende Stille, die weder durch Wind noch Tiere oder sonst irgendetwas gestört wurde. Nur unsere Worte wirkten wie Donnerschläge und wir empfanden sie hier genauso passend wie einen papierraschelnden Zuhörer in einem klassischen Konzert! Und so schwiegen wir und jeder vertiefte sich in seine eigene Betrachtung dieser uns umgebenden grandiosen Szenerie.

Grandios ist ein zu geringes Wort, um zu beschreiben, wie diese Berge auf uns wirkten. Der strahlende Sonnenschein tauchte einige der kegelförmigen Berggiganten in ein wahres Farbenspiel von hell und dunkel, von bunt und schwarz. Auch glaubten wir kaum unseren Augen zu trauen, als wir in einiger Entfernung einen Vulkankegel entdeckten, aus dem tatsächlich Rauchschwaden aufstiegen. Zuerst dachten wir, es seien Wolken oder eine wie auch immer entstandene optische Täuschung. Später, zurück in der Wüstenoase San Pedro, bestätigte jedoch ein einheimischer Kenner unsere Wahrnehmung. "Ihr habt wahrscheinlich den Volcano Patana gesehen", erläuterte er uns völlig unaufgeregt, "ihr dürft nicht vergessen, ihr befindet euch hier in einer der geologisch aktivsten Zone der Erde". Haben wir nicht, aber das tatsächliche Wirken dieser Kräfte so real zu erleben, hat uns dann doch einigermaßen überrascht.

Oben auf dem Berg konnten wir jedoch unsere Blicke vorerst kaum lösen von diesem permanenten Wechsel der Farben, der im Zusammenspiel von Mineralien, Salzen und Sonnenstrahlen zu einem wahren Feuerwerk eskalierte. Hier gab es die Stille auch noch in allen Farben!

"Wir sollten absteigen und den Gipfel vergessen", so Wolf mit einigem Bedauern in der Stimme und mit traurigem Blick auf die gar nicht mehr so weit nach oben ragenden Bergflanken. "Sehe ich genauso, dazu sind wir weder ausgerüstet, noch reicht die Zeit", meinte ich zustimmend. Seltsamerweise gehören wir zu der Gattung von Menschen, die, wann immer sich die Gelegenheit bietet, auf Berggipfel steigen müssen, obwohl wir im Flachland zuhause sind. Aber vielleicht ist gerade dies der Grund für unser stetiges Streben bergan!

In diesem Moment jedoch waren wir ehrlich genug, uns einzugestehen, dass wir an unsere Grenzen gestoßen waren. Jede andere Entscheidung wäre unvernünftig, wohl auch gefährlich gewesen. Und so freuten wir uns, den im wahrsten Sinne des Wortes "Höhe(n)punkt" unserer Reise erreicht zu haben, der immerhin höher lag als der höchste Punkt unserer europäischen Heimat!

Dies geschafft zu haben, erfüllte uns zusätzlich mit fast kindlichem Stolz, denn ursprünglich wollten wir "nur" das Geysirfeld von El Tatio besuchen, doch wie gesagt, der innere Drang auf einen der schönen Berge zu steigen…


"Wenn ihr die Geysire richtig erleben wollt, heißt es früh aufstehen", hatte man uns in San Pedro erklärt. "Nur bei Sonnenaufgang erlebt man die Geysire in all ihrer Pracht". Was uns einleuchtete, da El Tatio mit seinen 4.290 Höhenmetern das höchstgelegene Geysirfeld der Welt ist. Und das Entstehen der Fontänen hängt natürlich sehr vom physikalischen Wechselspiel von Kälte und Wärme ab. Wenn das Wasser aus den umliegenden Schneefeldern durch das poröse Gestein sickert und an der Nahtstelle zu heißem unterirdischen Vulkanmagma aufgeheizt wird, steigt es wieder nach oben, um über Kanäle unter massivem Druck an die Oberfläche zu entweichen. Und wegen der kalten Außentemperatur schießen die Fontänen unter gewaltigem Zischen kurz nach Sonnenaufgang aus ihren Verstecken. Wir hatten es geschafft, pünktlich zum Sonnenaufgang in El Tatio zu stehen.

Überrascht waren wir, dass außer uns kein weiterer Besucher an diesem frühen Morgen den Weg hier herauf gefunden hatte. Schließlich war uns das Geysirfeld als Besuchermagnet geschildert worden. Wenn wir allerdings an die Fahrt zurückdachten, konnten wir schon verstehen, dass nicht jeder das Wagnis eingehen wollte. Ohne ortskundige Führung in stockdunkler Nacht über steinige Pisten und vereiste Wasserläufe und das in einem Fahrzeug, das mit stetig ansteigender Höhe seine Leistungsbereitschaft dank einer immer mehr vom rechten Zeitpunkt abweichenden Zündung, merklich abbaute, war wohl nicht jedermanns Sache. Dass wir die stockdunkle Nacht im Nachhinein für uns als segensreich empfanden - nicht nur wegen des fantastischen Sternenhimmels und des freien Blicks auf das viel besungene Kreuz des Südens - hing einzig mit der Tatsache zusammen, dass uns die Scheinwerfer nur den Blick auf die vor uns liegende Piste ermöglichten, die all unsere Aufmerksamkeit erforderte. Der Blick zur Seite blieb im Dunklen verborgen. Als wir im aufkommenden Tageslicht die Abgründe neben der schmalen Piste sahen - schweißnasse Hände wären uns an diesem Morgen sicher gewesen! Jetzt erst verstanden wir, warum man uns empfohlen hatte, den "Canon del Diabolo" äußerst vorsichtig zu befahren. Einige zertrümmerte Autowracks am Grunde der Schlucht zeigten drastisch warum.

Doch dies alles war vergessen, als langsam, sich immer mehr steigernd das Schauspiel der  Geysire begann. Kein anderer Regisseur als die Natur selbst konnte ein solches Drama besser in Szene setzen! Wohl über fünfzig größere und kleinere Fontänen schossen unter vielfachem Tosen und Zischen nach oben, um dann  wieder in der eigenen Gischt zusammenzustürzen. Wassertropfen glänzten und funkelten in den Strahlen der aufgehenden Sonne und verzauberten die Luft mit einem Blendwerk aus allen Farben des Regenbogens. Doch damit nicht genug: Der Boden aus dem die Geysire emporstiegen, blubberte und wabberte, Pfützen und Wasserläufe wurden von aufsteigenden Gasen in ein wild bewegtes Etwas verwandelt. Die Erde, gezeichnet von vielfarbigen Mineralablagerungen, bizarr geformt durch Kamine und Abbrüche, sowie jede Menge grüner Algenkolonien, gab dem ganzen Bild, gemeinsam mit dem Panorama der umliegenden Berge eine einzigartige, großartige Kulisse.

Fasziniert nahmen wir diese Bilder in uns auf und nach etwas mehr als einer Stunde beendete der geheimnisvolle Regisseur mit der höher steigenden Sonne diesen ersten Akt, um sogleich einen zweiten einzuleiten, der uns bekannterweise auf den Berg hinauf ziehen ließ. Beim Gang über das Geysirfeld kalauerten wir schon wieder herum. "Eigentlich der ideale Ort, um eine "heiße Sohle aufs Parkett zu legen", so unsere Erkenntnis, nachdem wir in teilweise 50 Grad warmes Wasser getastet hatten.

In San Pedro hatte man uns vorher gesagt, wir würden uns in El Tatio fühlen, als hätten wir den "Vorhof zur Hölle" betreten. Doch wir hatten eine weit weniger martialische, eine erheblich angenehmere Empfindung. Für uns war das tosende Feld viel mehr ein "Dampfbad der Engel". Dabei dachten wir nicht zuletzt an die "Schöne von Chile", die wir nicht weit von hier entfernt, doch leider nur noch als Mumie, im Museo del Norte des belgischen Paters Le Paige kennen gelernt hatten. An prächtigen Nachfolgerinnen im ganzen Lande mangelte es jedoch wahrlich nicht und diese mit dem Traumspektakel der Fontänen in Verbindung zu bringen, erschien uns wesentlich sympathischer als teuflische Gesellen hier anzusiedeln!


Der Rückweg führte uns am Salar de Atacama vorbei, einem riesigen Salzsee, in dem der Bodensee wohl mehrfach Platz finden dürfte. Eine kurze Zwischenrast in einem winzigen Ort unweit von Toconao ließ uns erkennen, dass die bisherigen Anstrengungen des Tages doch einige Wirkungen zeigten. Vor allem galt es, unsere Wasserflaschen aufzufüllen. Ob dies hier gelingen würde, schien im ersten Moment fraglich, da wir nicht einen einzigen Einwohner sahen. Doch Gott sei Dank war dieser Eindruck trügerisch. Und was für nette Leute wir trafen! Sie halfen sofort. Während einer von uns ob der immer noch recht frostigen Temperaturen herrlich warme Pullover aus Alpakawolle erstand, kam der andere mit gut gefüllten Wasserflaschen zurück. Breit grinsend verkündete Wolf stolz: "Ich habe sogar einen eisgekühlten Six-Pack Bier dabei." Es faszinierte mich immer wieder, wie es meinem Reisegefährten gelang, ohne die geringsten Kenntnisse der Landessprache, ein halbstündiges Gespräch mit den Einheimischen in dieser Einsamkeit über die "Fragen des Universums" wie er es gern sagt, zu führen. Na ja, diese Fragen wurden nicht gelöst, aber das Bier im Ergebnis der Diskussion tat gute Dienste bei der Wiederherstellung unserer körperlichen Leistungsbereitschaft.

Der Salzsee selber wirkte mit seinen Ablagerungen wie schneebedeckt. Auch die wechselnden Farbschattierungen auf Grund des Mineralgehaltes bildeten wiederum ein beeindruckendes Gemälde. Aber diesmal wurde dies alles noch übertroffen von dem Bild der rosafarbenen Flamingos, die zu Hunderten in den flachen Lagunen standen und den ganzen See bevölkerten. Und wieder diese Stille!

Selbst als einige Dutzend der Flamingos davonflogen, verursachte der Flügelschlag kein hörbares Geräusch. "Sag mal, ist es hier nicht noch stiller, als da oben?", so meine ernst gemeinte Frage. "Wenn du nicht weiter derartige Fragen stellst, dann wohl mit Sicherheit", war die ernsthafte Erwiderung meines Reisegefährten. Und so schwiegen wir ein weiteres Mal an diesem Tage, ließen uns verzaubern und gefangen nehmen von der einzigartigen Szenerie.

Wenn zwei Typen wie wir, die ansonsten soviel zu bereden haben, mehrmals an einem Tage in ergriffenes Schweigen verfallen, nur um die Ruhe der Gegend nicht zu stören, dann muss diese schon außergewöhnlich beeindruckend sein. Und seit unserem Besuch in Chiles fantastischem Norden wissen wir es genau: Stille kann man tatsächlich hören!

Text + Fotos : Bernd Küpperbusch

[druckversion ed 08/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: chile]





[kol_1] Grenzfall: Besuch aus Patagonien
Argentinische Pinguine in Brasilien

Sie sind zurzeit die Attraktion bei den staunenden brasilianischen Besuchern: argentinische Pinguine mitten im warmen Winter Brasiliens. Sie quieken (quiek.mp3: 164 kb), watscheln herum oder schlafen im Stehen. Und sie sind vor allem eins: unglaublich süß!


"Entgegen der allgemeinen Meinung stellen wir die Pinguine nicht in den Kühlschrank, wenn sie hier ankommen, sondern versuchen, sie aufzuwärmen." Tierarzt Thiago Muniz ist im Zoo von Niteroi verantwortlich für das Wohlbefinden der Tiere. Täglich bringen besorgte Anwohner die an den Stränden von Rio de Janeiro aufgelesenen Besucher aus Patagonien in die Pinguinstation.

Mehr als 400 Pinguine sind in den letzten Wochen tot an die Küste Brasiliens gespült worden, und viele kommen hier vollkommen entkräftet an. Es ist normal, so Muniz, dass sich die Pinguine im Juni und Juli aus dem Süden Argentiniens auf den Weg an die Südküste Brasiliens machen. Nicht normal sei jedoch, dass so viele die Reise nicht überstehen.


Vor allem Ölteppiche machen ihnen zu schaffen und durch den Klimawandel veränderte Meeresströmungen. Bis in den Nordosten Brasiliens werden manche Tiere abgetrieben, bis hoch nach Bahia und Alagoas. Muniz vermutet, dass aufgrund der Überfischung vor der Küste Argentiniens sich die Tiere auf der Suche nach Nahrung weit hinaus in den Atlantik wagen, wo sie von den ungünstigen Meereströmungen erfasst werden.

Unterkühlt und erschöpft stranden sie an Brasiliens Küste. "Als erstes versuchen wir, sie wieder auf ihre normale Körpertemperatur von 41 Grad zu bringen", so Muniz. Gleichzeitig päppeln Pflegerinnen die kleinen Tiere mit durch den Mixer gedrehter Fischbrühe wieder auf.


Danach, sagt Gilselda Candiotto, die Direktorin des Zoos, fliegt die brasilianische Luftwaffe die wieder fitten Pinguine nach Rio Grande do Sul, wo sie in einem Zentrum für Meerestiere in der Nähe von Pelotas noch einmal durchgecheckt werden. Anschließend setzt man sie einfach am Strand aus. "60 Kilometer vor der Küste gibt es eine Strömung, die die Tiere bis hinunter nach Patagonien bringt", so Candiotto. "Damit sind sie dann wieder sicher auf dem Weg nach Hause."

Text + Fotos : Thomas Milz

[druckversion ed 08/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]





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[kol_3] Pancho: Pancho gewinnt

Unser seit längerem verschollener Chefkoch Pancho zauberte im Unterschichtenfernsehen, beim Dinner der total Wichtigen, weil schon lange ohne Bühnenpräsenz, seine MitstreiterInnen in des Kannibalen Kessel. Da Inspirationspotential, hier noch einmal die Abfolge seines verschärften Schaffens:


Flieg Vögelchen
Frische Ananas auf sämigem Sauerkraut abgelöscht mit gewaltigem Spritzer feinen Bieres, Koriander, Blattpetersilie, Kümmel und Muskat sowie einem Fond vom Andenochsen, in mit Dijonsenf scharf angebratenem Hack auf einer geschlossenen Decke von grünen Chilischoten, verfeinert mit einem Hauch aztekischer Habanerokerne.

Trotz Tortilla - was steppt das steppt
Rumpsteak-Streifen vom venezolanischen Steppenbullen, der die Herde einst vor der Fresslust der größten Anakonda der los Llanos-Sümpfe bewahrte, und jetzt auf einer Tomatenpüreematratze, zermanscht mit Koriander und Frühlingszwiebel, gebettet seinen Seelenfrieden findet. Zum Schutz vor Kälte und Sturm erhalten die Fajítas ein Deckchen aus einer Es titscht die Hölle im Dreieck Guacamol - Chilipaste abgeschmeckt mit Avocado.

Chemie und süße Reinheit
Eine Platte feinster lateinamerikanischer, gehopfter Malzgetränke, gereicht mit Kristallblättchen vom salzigen Meerschaum und zwischen Kolibris und Bachstelzen gereifter Limone sowie 280g Erdnüsse, gut abgehangen und mit Knoblauchzehen im Ofen auf bissfeste Temperatur geschmort.

Zum Nachkochen sagt Pancho: "Einfach laufen lassen."

Menü: Pancho
Fotos: Dirk Klaiber

[druckversion ed 08/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: pancho]





[kol_4] Lauschrausch: La Paloma 1-6

V.A.
La Paloma 1-6
Trikont
Seit 1995 sind auf dem Münchener Label Trikont sechs CD's erschienen; mit über 140 Versionen von La Paloma. Zusammengestellt hat sie der DJ und Klangkünstler Kalle Laar, der in seiner umfangreichen Musiksammlung vor vielen Jahren quer durch alle Jahrzehnte und in verschiedenen Genres immer wieder auf dieses Lied gestoßen ist. Seine Idee ist zwar nicht neu - schon 1965 brachte Electrola die EP "100 Jahre La Paloma" mit vier verschiedenen Versionen heraus - aber er verfolgte sie konsequent.


Und so können wir neben Versionen von Hans Albers, Eugenia León, Freddy Quinn und Carla Bley kuriose, ja sogar irre Versionen von La Paloma hören, ohne dass Gefahr besteht, sich zu langweilen.

Die älteste Aufnahme, aus dem Jahre 1899, stammt von der französischen Garde Républicaine und ist auf der ersten CD enthalten. Die meisten Aufnahmen wurden zwar klanglich nachbearbeitet, behalten aber ihren Originalcharakter, so dass sie häufig nicht die heutige Klangqualität erreichen, was aber gerade ihren Charme ausmacht. Opernsänger wie Benjamino Gigli oder Richard Tauber finden sich auf den CD's ebenso wie die Jazzmusiker Jelly Roll Morton, Charlie Parker oder Laurindo Almeida und diverse internationale Schlagersänger. Surfbands wie The Jokers beschleunigen den altehrwürdigen Song ungemein, während King Edwards ihn als Ska interpretiert. Folkversionen kommen u.a. aus Bayern, Ungarn, Spanien (Paco de Lucia), Hawaii und verschiedenen lateinamerikanischen Ländern, vor allem Mexiko (Flaco Jimenez etc.) und Kuba (Ernesto Lecuona). Besonders interessant sind die kuriosen Aufnahmen von Musikautomaten, Kirchenglocken oder der Bahnsteigmusik aus China.


CD Nr. 5 ist gleichzeitig der erweiterte Soundtrack zum gleichnamigen Film. Kalle Laar recherchiert zu jedem Interpreten seine Geschichte und veröffentlicht sie in den liebevoll gestalteten Booklets.

Text: Torsten Eßer
Fotos: Trikont

[druckversion ed 08/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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