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[art_1] Brasilien: Zwischen Goldrausch und Katerstimmung
Der kurze Traum vom Eldorado

Es war allgegenwärtig in den Medien: das neue Eldorado, eine neue Serra Pelada. Tausende Glücksritter hofften auf den großen Fund, doch das Gold am Amazonas scheint bereits zu versiegen.


So schnell es kam, war es auch wieder vorbei. Für wenige Wochen herrschte in Brasilien das große Goldfieber. Angelockt von sich überschlagenden Sensationsnachrichten in den brasilianischen Medien strömten Glücksritter aus dem ganzen Land an den Rio Juma, einem kleinen Fluss im Amazonasregenwald, gut 400 Kilometer südlich der Urwaldmetropole Manaus. O novo Eldorado, das neue Eldorado, wurde die Gegend genannt, nachdem Goldsucher zwischen Oktober und Januar gut zwei Tonnen ungewöhnlich reinen Goldes im Flussbett eines kleinen Zuflusses des Juma gefunden hatten.

Politiker, Prostituierte, Landwirte, professionelle Goldsucher - viele gaben daheim alles auf, um am Juma eine bessere Zukunft zu suchen. Ein junger Mann war zwölf Tage mit seinem Fahrrad auf schlammigen Urwaldstraßen unterwegs, um hierher zu gelangen. Und sogar ein evangelischer Pastor ist gekommen, der sich nach Feierabend auch noch um das Seelenheil der Glücksritter kümmert. Alle zwei Tage liest er in der improvisierten Kirche aus Holzstämmen und darüber gestülpten Plastikplanen die Messe der Assembléia de Deus - doch gerade einmal eine Hand voll Zuhörer finden sich ein.


Es war das größte Goldfieber in Brasilien seit den 80er Jahren. Damals buddelten Tausende Garimpeiros, wie die Goldsucher im Portugiesischen genannt werden, einen hundert Meter tiefen Krater in den Urwald. Serra Pelada, Nacktes Gebirge, nannte man daraufhin die schlammige Mondlandschaft. Und mittendrin ein menschlicher Ameisenhaufen, festgehalten in beeindruckenden Schwarz-Weiß-Fotografien von Brasiliens Starfotograf Sebastião Salgado.

Erinnerungen an jenen vergangenen Goldrausch wurden wach, nachdem im September letzten Jahres eine kleine Gruppe von Goldsuchern am Juma fündig geworden war. In lediglich 20 Zentimeter Tiefe lag das Edelmetall, praktisch mit den Händen zu greifen. 20, 30 oder sogar 50 Kilogramm Gold sollen die Männer der ersten Stunde hier pro Kopf geborgen haben, erzählt man sich. Und verzweifelt versuchten sie, den Fund geheim zu halten. Doch im 70 Kilometer entfernten Apuí, einer Kleinstadt deutschstämmiger Einwanderer aus Südbrasilien, sprach sich die Nachricht schnell herum. "Ich habe in meinem Weihnachtsurlaub mal eben 400 Gramm Gold gemacht", erzählt ein Taxifahrer stolz.


Und so dauerte es nicht lange bis schließlich ganz Brasilien bescheid wusste. Anfang Januar veröffentlichte ein Mathematiklehrer aus Apuí die Geschichte des neuen Eldorado auf seiner privaten Homepage. Binnen weniger Tage wuchs daraufhin die Zahl der Goldsucher auf über 8.000 an. Unter prekärsten Bedingungen hausten die Menschen unter Plastikplanen inmitten des Urwalds. Durchfallerkrankungen und Grippe verbreiteten sich rasend schnell und Streitigkeiten über die besten Claims drohten zu eskalieren. Das große Geschäft machten derweil vor allem Händler, die Lebensmittel und Werkzeuge zu überhöhten Preisen an die Glücksritter verkauften. Eine findige Supermarktbesitzerin aus Apuí ließ sogar ein paar Dutzend junge Mädchen aus Manaus einfliegen, um vor Ort ein Urwaldbordell zu eröffnen. Eintritt: ein Gramm Gold.

Die in den brasilianischen Medien grassierenden Horrormeldungen über die prekären Zustände im Camp waren jedoch kräftig überzogen. "Das hier ist die bestorganisierte Goldmine, die ich je gesehen habe", stellt ein alt gedienter Goldsucher fest. "Nicht einen Todesfall hat es in all den Monaten gegeben, ein wahres Wunder." Und auch die bei den misslichen hygienischen Zuständen eigentlich zu erwartenden Epidemien sind bisher ausgeblieben. "Keine Malaria, kein Gelbfieber und selbst Hepatitis ist noch nicht aufgetreten", sagt ein junger Apotheker aus Apuí, der im Camp eine Zweigstelle eröffnet hat.


Probleme gab es lediglich abends, wenn der Cachaça in den zu Bars umgebauten Bretterbuden kräftig fließt. Doch seit Mitte Januar ist nun die Polizei vor Ort und sorgt für etwas mehr Ordnung. Um 22 Uhr ist Sperrstunde und durchgegriffen wird mit harter Hand. "Zu hart", wie manche meinen. Angeblich soll es zu Übergriffen der Polizisten gekommen sein und manch einer erzählt auch von Fällen, in denen die Polizisten Schmier- und Schutzgelder von den Goldsuchern und den Händlern erpresst haben sollen. Wut macht sich unter den eh schon frustrierten Goldsuchern breit.

Zudem hat die Regierung in Brasília den Goldabbau am Rio Juma vor wenigen Tagen legalisiert. Demnächst wird hier eine Kooperative errichtet und Steuern sollen auf die Funde erhoben werden. Wer nach Gold schürfen will, muss Beiträge bezahlen und Sozialversicherungen vorweisen. Und was für jeden Garimpeiro wohl das Schlimmste ist: die Funde sollen zu gleichen Teilen unter allen Schürfern aufgeteilt werden.


Doch ob es überhaupt soweit kommt, ist fraglich. Denn seit Anfang Februar bleiben die großen Funde aus. Zurück geblieben ist eine Kraterlandschaft aus gefällten Bäumen und aufgeschütteter Erde, die entfernt an Schützengräben auf Schlachtfeldern vergangener Zeiten erinnert. Die in den Medien verbreiteten Schreckensnachrichten über das Ausmaß der Umweltschäden ist allerdings vollkommen ungerechtfertigt. Etwa vier bis fünf Hektar Wald sind bisher gefällt worden - nicht mehr als vier Fußballfelder. Und giftige Substanzen wie Quecksilber kommen am Rio Juma auch nicht zum Einsatz.

Beeindruckend und erschreckend zugleich ist die Kulisse aber trotzdem: verzweifelt durchsieben die Goldsucher noch einmal die Erdhaufen, aus denen andere vor wenigen Wochen noch große Goldklumpen herausgeholt haben. Jetzt findet man lediglich feinen Goldstaub, den man in tagelanger harter Arbeit aus dem Schlamm auswaschen muss. Der Aufwand ist so groß und die Ausbeute derart gering, dass gut die Hälfte der einst 8.000 Goldsucher bereits die Heimreise angetreten hat.


Wer jetzt noch hier ist, träumt entweder immer noch vom großen Glücksfund. Oder hat schlicht und einfach kein Geld, um nach Hause zurückzukehren. "Ich habe alles verkauft, um hierher zu kommen. Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als hier zu bleiben und zu hoffen", sagt ein älterer hagerer Mann aus dem 1.000 Kilometer entfernten Porto Velho. "Im Fernsehen hatten sie von Unmengen Gold gesprochen. Das alles hier ist nichts als eine große Lüge."

Doch noch gibt es Hoffnung, meint ein Goldaufkäufer aus Apuí. "Das im Flussbett gefundene Gold muss ja irgendwo herkommen. Ich bin sicher, dass man in den nächsten Wochen auf das große Filetstück stoßen wird." Und so ziehen Hunderte durch den Dschungel, treiben Meter tiefe Probebohrungen in den Urwaldboden. Derweil hat man begonnen, die Hügel entlang des Flusslaufs abzutragen. "Wenn wir mit Baggern und Fördermaschinen arbeiten könnten, ginge es viel schneller", klagt ein Garimpeiro. Doch die Behörden haben den Einsatz von Maschinen untersagt.


So mischt sich Verzweiflung und Frust in die vagen Hoffnungen der Glücksritter des Rio Juma. "Für wenige Glückliche hat sich am Juma der Traum vom Reichtum erfüllt. Für 99% hat sich das Abenteuer jedoch zu einem Albtraum entwickelt", zieht Caio Ferreira, Einsatzleiter der brasilianischen Bundespolizei am Rio Juma, Bilanz.

Text + Fotos: Thomas Milz