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[art_3] Peru: Kulturelle Unterschiede auf dem Weg nach Tambo Colorado

Gestern sind wir landeinwärts gefahren, um ein paar Inkaruinen zu sehen (Tambo Colorado bei Pisco). Wir benutzen für solche Ausflüge die so genannten combis (Gemeinschaftstaxis, wie man sie auch aus der Türkei oder Ägypten kennt), die nicht nur sehr praktisch, sondern auch sehr preiswert sind und außerdem natürlich furchtbar authentisch, um das mal so zu sagen.

Die Küstenstadt Pisco hat eine ganze Menge Tourismus (jedenfalls für das, was ich bisher hier gesehen habe) und die Leute sind Touristen gewöhnt, ohne aber (noch?) davon genervt zu sein. Man kann nicht gerade behaupten, dass die Bewohner reich wären (der Markt z.B. ist für unsere Augen unverhältnismäßig übersichtlich).

Im Hinterland allerdings sieht das alles schon ganz anders aus. Die Menschen werden deutlich dunkelhäutiger (ob von der Arbeit oder aufgrund der Abstammung ist mir nicht ganz klar) und sehr schüchtern. Wir sind wie Lebewesen aus einer anderen Welt, die zwar (freundlich) toleriert werden, aber einfach vollkommen anders sind. Uns geht es natürlich genauso: auch ich habe das Gefühl, mit Leuten in einem Bus zu fahren, mit denen ich sehr, sehr wenig gemein habe.

In meiner Vorstellung erscheint ein näherer Kontakt beinahe unmöglich. Zum einen bin ich ein sprach-/kopfgesteuerter Mensch: ich würde also versuchen, die Leute über das Instrument der Sprache zu "erleben". Aber das, was ich Gespräch nennen würde, ist nicht unbedingt Teil ihrer Kultur. (Obwohl man sich da natürlich auch mächtig täuschen kann.) Dazu kommt offensichtlich der vollständig unterschiedliche Erlebnishorizont. So etwas, was wir hier gerade machen (mal ganz abgesehen davon, dass wir unsere Arbeit aufgegeben haben!), ist einfach nicht denkbar, nicht vorstellbar. Die Peruaner - schließe ich mal ganz dreist aus der Fülle und Frequenz der Busse - bewegen sich zwar eine ganze Menge, aber die Lustreise ist eine Seltenheit und der (durchaus existierenden) Oberklasse vorbehalten, die dann nach Miami zum Einkaufen fliegt.

Ich glaube nicht, dass ich mit dieser Beschreibung den Nagel auf den Kopf getroffen habe, es ist mehr ein erster Versuch, etwas zu beschreiben, was ich besser empfinden als ausdrücken kann.

Was ich versuche zu beschreiben, sind die sekundären Effekte der Armut oder des Geldmangels. Die vielleicht sogar noch schlimmer sind, weil sie einen der Möglichkeit berauben, der Armut zu entfliehen.

Ganz anders die Erfahrungen mit anderen "Einheimischen". Der Hotelier, bei dem wir wirklich phantastisch untergekommen sind (ein Katalane übrigens), hatte eine Angestellte von 19 Jahren, die sehr nett und sehr schön frech war. Mit ihr waren wir gestern Nacht aus. Diese Angestellte wiederum hat eine Mutter, die unsere Wäsche gewaschen und uns dann auch noch eine sehr mäßig schöne Puppe verkauft hat. Diese Frau, Anfang Vierzig, lebt genau am anderen Ende der Armut: Geld hat sie keins, reguläre Arbeit auch nicht, ihr Mann ebensowenig. Das Attribut "arm" ist also sicherlich gerechtfertigt. Aber der Unterschied zwischen uns und ihr begrenzte sich exakt auf diesen Aspekt: mit ein wenig Geld würde lediglich das Unterscheidungsmerkmal Temperament übrig bleiben. Mit ihr konnten wir uns austauschen, miteinander reden, sich verstehen und das Gefühl haben, dass wir eine gemeinsame Sprache sprechen.

Ich glaube, ich belasse es dabei. Das Gefühl des kulturellen Unterschieds zu beschreiben, fällt nicht leicht.

Etwas "oberflächlicher" kann man allerdings sagen, dass die Leute hier sehr, sehr freundlich sind. In Pisco mehr als in Lima, doch im Allgemeinen erntet man immer ein sehr angenehmes Lächeln, wenn man einen Laden betritt oder etwas auf der Straße kauft.

Bisher wurde auch kaum der Versuch unternommen, uns an der Nase herumzuführen (von Taxis mal abgesehen) und Straßenverkäufer oder Schuhputzkinder versuchen zwar, ihre Dienste/Produkte an den Mann zu bringen, aber wenn man nicht will, ist es nicht schwierig, sie loszuwerden. Wir werden natürlich viel gefragt, woher wir kommen. Ich hatte erwartet, dass Spanien keine gute Adresse wäre, aber keinesfalls. Der Schlüssel ist die gemeinsame Sprache: wenn wir kein Spanisch sprächen, würden wir nur die Hälfte erleben...

Heute sind wir nach Ica gefahren (ca. 80 Kilometer süd-östlich von Pisco). Dort bleiben wir aber nur kurz (bis morgen Mittag). Dann geht es weiter nach Nazca, wo wir einen Flug gebucht haben, um die berühmten Linien von Nazca zu bestaunen. Davon jedoch demnächst mehr.

Das Leben auf Reisen ist so dicht: ich habe das Gefühl, so unendlich viel zu erleben. Jede Menge Menschen, die man kennenlernt, viele Orte, die man sieht, eine unendliche Vielzahl an Eindrücken... Ich bin morgen erst eine Woche hier und mir kommt es vor, als wären es schon Monate.

Das Leben kann schon ganz schön schön sein.

Text + Fotos: Nil Thraby

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