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caiman.de 12. ausgabe - köln, dezember 2001
grenzfall

Anekdoten eines Salvis

Führerschein
- "Bringen Sie uns einen Beweis, dass Sie in Salvador eine gültige Fahrerlaubnis besitzen. Dann, sofern Sie nachweisen können, dass Sie mindestens 13 Jahre Fahrpraxis besitzen, dürfen Sie hier den deutschen Führerschein machen; will sagen: die theoretische und praktische Fahrprüfung."

Hoheit sei gedankt, die Kosten belaufen sich somit nur auf knapp 800 DM (sofern man nicht durchfällt). Nach bestandener theoretischer (wie viel Gramm Marihuana dürfen Sie rauchen, wenn Sie noch fahren möchten?) und praktischer Prüfung (souveränes Einbiegen in eine Seitenstraße, deren Anfang ein Anlieger frei Schild schmückt, gültig Samstags und Sonntags), begibt sich unser Salvi nun zum Amt, um seinen deutschen Führerschein in Empfang zu nehmen. Erforderlich für die Aushändigung ist ein Stempel mit Vermerk auf dem salvadorianischen Führerschein, dass der Besitzer ab sofort mit einer deutschen Fahrerlaubnis unterwegs ist.

- "Nur falls Ihnen der deutsche mal gestohlen wird oder Sie ihn verlieren."

Und was sind wir Deutschen stolz auf unsere moderne Plastikkarte, Europa ist dermaßen fortschrittlich. Unser Salvi zückt sein einheimisches Originaldokument; ein Stück Plastik mit Fingerabdruck, identisch mit der deutschen Neuheit. Schweigen erfüllt die Amtsstube.

P.S.: Natürlich ist es für einen Stempel nicht möglich auf Plastik zu überdauern. Doch der Erfindungsreichtum unserer geistigen Elite kennt keine Grenzen. Schnell wird ein kleiner Zettel mit entsprechender Bestätigung und Tesafilm auf der Rückseite angebracht.

- "Auf keinen Fall verlieren, das muss die nächsten 20 Jahre halten."

Der Zettel ist 3 mal gefaltet.


Bienenvölker
Selbstverständlich hält ein Latino regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie daheim; und so erfährt er, dass das Oberhaupt des Clans in das Imkergeschäft eingestiegen ist. Die Bank hat ihm einen Kredit für die Anschaffung von drei Bienenstöcken bewilligt. Selbst wenn es also schief gehen sollte, treibt es den Kreditnehmer nicht in den Ruin; Freude allenthalben. Eine Woche später das Desaster; von den drei Bienenvölkern erfüllt nur eines seine Pflicht. Das zweite hat nichts besseres zu tun als sich den lieben langen Tag fort zu pflanzen und eine Königin nach der anderen zu produzieren. Das dritte treibt es noch weiter: gearbeitet wird gar nicht, dafür wird das arbeitende Volk von Zeit zu Zeit überfallen. Lösung: Gefäße mit Zuckerwasser werden aufgestellt und das gesamte dritte Volk als Fehlinvestition abgeschrieben. Vier Wochen später erfährt man dann, dass der gesamte Schwarm sich aus dem Staub gemacht hat. Ich nehme an, die Langeweile war Ausschlag gebend oder der Drang nach neuen Herausforderungen. Dieses sympathische Völkchen bezeichne ich als die Gründer und Stellvertreter des lateinamerikanischen Kontinentes.


Deutsche Nachbarn
Nachdem der Vermieter die Wohnung doch an den Salvadorianer vergeben hat, weil sich anscheinend kein anderer Mieter finden ließ, muss dieser feststellen, dass es sich bei seinen direkten Nachbarn um Jurastudenten handelt; eine Spezies, mit der er bis dato nicht allzu viel zu tun hatte. Schnell findet unser Salvi Freunde, deren Muttersprache Spanisch ist. Und so feiern sie des öfteren mehr oder weniger lautstark. Deutsche Studenten nun erfreuen sich unglaublicher Disziplin, joggen morgens so gegen 6 Uhr, um den Körper zu stärken und im Anschluss den Geist zu fordern. Toleriert werden Musik und Sprache in Zimmerlautstärke; deutscher Zimmerlautstärke, nicht wirklich zu vergleichen mit spanischer oder lateinamerikanischer. So ist es denn kein Wunder, dass Jurist sich nach drei Tagen auch einmal bemerkbar machen möchte: er klopft und klingelt, wütet und droht; jedoch nicht laut genug, sondern wie es sich für einen Zivilisierten gehört.

Es dauert vier Wochen bis die Einheimischen kapitulieren. Anlass ist eine Geburtstagsfeier, die um 12 Uhr mittags beginnt. Zwei Stunden später reißt den Nachbarn der Geduldsfaden; diesmal wird mit einem Besenstiel gegen das Fenster geschlagen. Und oh Wunder, ein Latino bemerkt es und öffnet. Schreiend werden Anliegen und Erwiderung ausgetauscht. Ergebnis: der deutsche Nachbar verlässt, die Tasche für das Wochenende geschultert, das Haus und fährt zu seinen Eltern. Da verwundert es nicht, dass juristischer Student und Pflicht bewusster Bürger nur noch die Schultern zuckt, sobald von Drogen die Rede ist, wenn Medikamente gegen Halsschmerzen gemeint sind; oder der Salvi seine Cola-Light-Flasche mit der Kreditkarte bezahlt. Stellt sich die Frage, ob er was für´s Leben gelernt hat oder seinen nächsten Urlaub in Lateinamerika verbringt, um es den dort Ansässigen so richtig zurück zu zahlen.


Krankenhaus
Die deutschen Kollegen sind mit ihrem Latino sichtlich zufrieden. Zwar unterhält er sich ein bisschen viel mit den Patienten und versucht ihnen die Sorgen zu nehmen (was sich für einen Halbgott in Weiß nicht gehört), zudem ist er etwas zu aufgeschlossen und möchte auch nicht gerade unbezahlte Überstunden machen (erstaunlicherweise legt er Wert auf sein Privatleben, was man als anständiger Übermensch nicht ganz nachvollziehen kann), ist ansonsten jedoch sehr umgänglich und sogar kompetent (was eigentlich gar nicht angehen kann, besitzen wir Deutschen doch das beste Ausbildungssystem, wo immer Salvador auch liegen mag). Zudem spricht unser Latino ganz ausgezeichnetes Deutsch, wirft er mal nicht wieder gerade mit „Sprichwendungen“ um sich.

Und so üben die Kollegen auch im Sinne der Völkerverständigung schmunzelnd Nachsicht, wenn der "Neue" hin und wieder Fachtermini nicht fachgerecht anwendet. Wo wären wir denn, wenn wir uns anmaßen würden, jemanden in einer für ihn fremden Sprache zu korrigieren. Und so kommt eines Tages ein achtjähriger Junge in die Notaufnahme; mit einer Verletzung am linken Fuß. Unser Latino übernimmt den Fall und fordert den Patienten auf, die "Finger" ("dedos" bezeichnet im Spanischen sowohl Zehen als auch Finger) zu bewegen. Dieser streckt seine Hand aus und tut wie ihm geheißen.


Hochzeitsämter und Botschaftswichtigkeiten
Und so stand sie da, heiratswillig, bepackt mit Urkunden, Originalen und weiteren Dokumenten, von denen die meisten gar nicht wissen, dass es sie gibt. Vor sich eine spanische Botschaftsangestellte, die sie mit mistrauischem Blick begutachtete. Hatte diese nicht einen lateinamerikanischen Akzent heraus hören können? Das Spiel begann:

- "Wo in Spanien sind Sie denn geboren?"
- "Gar nicht, geboren und aufgewachsen bin ich in El Salvador."

Ein wissendes Aufblitzen in den Augen des Gegenüber.

- "Wo in Spanien hatten Sie denn Ihren letzten Wohnsitz?"
- "Nirgendwo, Spanien kenne ich nur aus Reiseprospekten."
- "Was ist mit Ihren Eltern?"
- "Die kennen Spanien noch nicht einmal aus irgend welchen Medien. Mein Opa war Baske, musste aber aus familiären Gründen das Land verlassen."
- "Aus familiären Gründen?"
- "Ja, spreche ich Spanisch, oder was!"

Der Ton wird rüder.

- Was um alles in der Welt hat das denn mit meinen Papieren zu tun?"

Falsche Frage, falscher Ort, ganz falsche Ansprechpartnerin. Die in diesem Moment auch nicht erkennt, dass es sich um eine rhetorische Frage handelt.

- "Alles! (War klar!) Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir Ihnen selbstverständlich weiter helfen wollen. Doch wie ich sehe, benötigen Sie die Papiere in 4-6 Wochen. Das ist nun wirklich nicht zu machen."

Kurzes Schweigen. Nachdenkliche Stille. Es ist nicht so, als wäre die Antragstellerin vor den Kopf gestoßen; vielmehr sucht sie nach einer schnellen Lösung ihres Problems.

- "Darf ich vielleicht trotzdem mal kurz telefonieren?"

Die Botschaftsangestellte lächelt, der Sieg war errungen, und wie immer in einer solchen Situation ist sie gnädig und gewährt der Tod geweihten eine letzte Bitte.

Die Salvadoreña greift zum Hörer, wählt und spricht:

- " Hallo, ja, arbeitet Señora ... noch bei Ihnen in der salvadorianischen Botschaft. Super! Können Sie mich vielleicht verbinden? Danke! Hallo, ..., alles klar bei Dir?! Ich brauche folgendes Dokument. Du faxst es, genial, heute noch, und schickst das Original direkt an das deutsche Amt? Ich liebe und küsse Dich. Klar, bis später. Adios!"

Was sind wir Europäer doch gnädig gegenüber der so genannten Dritten Welt. Und hilft es ihnen? Oder helfen sie sich doch eher selber?


Text: Sönke Schönauer

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