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Valparaíso vertikal
Auf und ab über Valparaísos Hügel mit Pablo Neruda

„Treppen! Keine Stadt hat sie in ihrer Geschichte so verschwendet und aufgeblättert, sie in ihrem Angesicht so ausgestreut und vereint wie Valparaíso. Wenn wir alle Treppen Valparaísos begangen haben, sind wir um die Welt gereist“, hat einer der bedeutendsten Dichter Lateinamerikas geschrieben. Pablo Neruda, der sich selbst gern als „Vagabund von Valparaíso“ bezeichnete, besaß ein Haus auf den Hügeln der Stadt und soll es genossen haben, sich stundenlang in Valparaísos Häusermeer zu verlieren.

Allein der Name der Stadt hat schon eine besondere Bedeutung. Valle Paraíso -„Paradiesisches Tal“ nannten die spanischen Eroberer die Bucht, die sie im 16. Jahrhundert entdeckten und in den folgenden Jahrzehnten kolonialisierten. Auf Grund ihres Hafens ist die Stadt, die sie dort entstehen ließen, noch heute das Tor zum Pazifischen Ozean, nachdem sie über Jahrhunderte sogar Chiles Tor zur Welt war. Bis in die 20-er Jahre genoss Valparaíso den Ruf einer Weltstadt. Diplomaten, See- und Handelsleute und ein Teil der lateinamerikanischen Boheme tummelten sich in der Hafenstadt am Pazifik. Erst mit dem Bau des Panamakanals verlor Valparaíso seine internationale Bedeutung.

Wer die Stadt zu Fuß durchstreift, findet sich in einem Flickenteppich bunter Häuser, Ecken und Winkel wieder. Man läuft über Stufen, Treppen und Brücken, die über fünfzig Hügel führen. Hinauf und wieder hinab.

Einen besonderen Reiz verleihen der Stadt die Zahnradbahnen aus dem 19. Jahrhundert. Für ein paar Pesos transportieren sie ihre Fahrgäste über die Hänge Valparaísos. Fast senkrecht geht es entweder nach unten ins kommerzielle Zentrum - oder hinauf in die Wohnviertel, wo Wellblechbaracken und Holzhütten Seite an Seite mit pompösen Villen stehen.

Es gibt einen deutschen, einen italienischen, einen britischen und einen jugoslawischen Hügel, die alle in den Anfängen des 20. Jahrhunderts besiedelt wurden. Sie haben so bedeutende Namen wie Artillería, Mariposa, Florida, Alegre, Panteón oder Barón. Jeder Hügel bildet eine kleine Welt für sich. Und so farbenfroh wie ihre Namen klingen, zeigen sich auch die meist leicht baufälligen Stadtviertel selbst. Je höher man steigt, desto enger werden die Treppen, steiler die Stufen, und plötzlich befindet man sich in einer Sackgasse.

Obwohl Valparaíso durch Erdbeben beschädigt wurde, hat es von seinem Zauber nichts verloren: Das Meer, der Hafen, die Berge und die Aufzüge scheinen den Reiz immer wieder neu entstehen zu lassen.

Rund um den Hafen schlägt das wirtschaftliche Herz Valparaísos. Hier konzentrieren sich auf engem Raum Verwaltungsgebäude, Banken, Kaufhäuser und Industrieanlagen. Auch wenn die Hafenstadt am Pazifik nicht mehr eine so große internationale Bedeutung hat, ist der Hafen auch heute noch ein wichtiger und lebendiger Teil der 300.000 Einwohner zählenden Stadt. Am Strand und in den kleinen Hafenbecken schaukeln neben den großen Frachtern sanft die Boote der Fischer, die teilweise ihren Fang direkt vom Schiff aus verkaufen.

Bedingt durch die geographischen Gegebenheiten sowie die finanziellen Möglichkeiten seiner Bewohner ist in Valparaíso über die Jahrhunderte ein planloses Durcheinander entstanden. Anders als die meisten lateinamerikanischen Städte ist hier kein von Stadtplanern entworfenes Schachbrett entstanden.Die Natur und der Erfindungsreichtum der Bewohner haben der Stadt zu ihrem heutigen Bild verholfen. Unregelmäßig und abwechslungsreich, ohne erkennbare Ordnung, aber mit Poesie.

Und so wie der Hafen Inspiration für viele Maler war, inspirierte die Stadt selbst viele Dichter. Zum Beispiel Pablo Neruda, der sich 1961 auf dem Cerro (Hügel) Florida ein Haus kaufte und nach seinen Vorstellungen um- und ausbauen ließ. "La Sebastiana" nannte er die vierstöckige Villa im Bauhausstil in der Calle Ferrari 692, in der der Literaturnobelpreisträger von 1971 zeitweise die letzten zwölf Jahre seines Lebens verbrachte. Besonders gerne soll er sich zu Sylvester in Valparaiso aufgehalten haben und muss dabei das Feuerwerk vor Augen gehabt haben, dass in der Bucht von den Marine- und den Handelsschiffen aus abgefeuert wurde.

Die Chilenen bezeichnen den Poeten noch heute als besessenen Baumeister. La Sebastiana war das dritte Haus, das Neruda erwarb. Eine Vielzahl an Treppen, Ecken und Farben sollten ihn in seiner "Villa Kunterbunt" umgeben und so gestaltete er sie als Abbild Valparaísos selbst. Er füllte das Haus mit Büchern und Flaschen, Galionsfiguren und Porzellan aus der ganzen Welt.

Trotz ihrer überalterten Technik funktionieren die Standaufzüge Valparaísos noch heute und so konnte auch der beleibte Dichter ohne große Anstrengung vom Cerro Florida aus in das Stadtzentrum und wieder zurück gelangen. Aber auch wenn die Schienen und die blau, gelb oder rot gestrichenen Kabinen an den Hängen leicht zu erkennen sind, haben Fremde Schwierigkeiten, die Stationen zu finden, von denen aus die Fahrt auf die Hügel beginnt. Die Eingänge sind oft hinter den Häusern oder sogar in einem der Hügel selbst versteckt und manchmal bildet eine Haustür den Zugang. Den Ascensor Polanco beispielsweise betritt man unten durch einen Tunnel, um ihn oben über eine Brücke zu verlassen.

Valparaíso gilt auch heute noch als die chilenischste, internationalste und originellste Stadt des Landes, deren baufälliger Charme von den vielen Höhen und Tiefen ihrer Geschichte erzählt. Valparaíso ist chaotisch und bunt, arm und reich. Und wenn man Pablo Neruda glauben will, sind wir einmal um die ganze Welt gereist, sobald wir alle Treppen Valparaísos begangen haben.

Über sein Haus "la Sebastiana" hat Pablo Neruda zur Einweihung 1961 ein Gedicht geschrieben:

Text + Fotos: Ana Conda

Yo construí la casa.

La hice primero de aire.
Luego subí en el aire la bandera
y la dejé colgada
del firmamento, de la estrella, de
la claridad y de la oscuridad.
Cemento, hierro, vidrio,
eran la fábula,
valían más que el trigo y como el oro,
había que buscar y que vender,
y así llegó un camión:
bajaron sacos
y más sacos,

la torre se agarró a la tierra dura
-pero, no basta, dijo el constructor,
falta cemento, vidrio, fierro, puertas-,
y no dormí en la noche.
Pero crecía,
crecían las ventanas
y con poco,
con pegarle al papel y trabajar
y arremeterle con rodilla y hombro
iba a crecer hasta llegar a ser,
hasta poder mirar por la ventana,
y parecía que con tanto saco
pudiera tener techo y subiría
y se agarrara, al fin, de la bandera
que aún colgaba del cielo sus colores.
Me dediqué a las puertas más baratas,
a las que habían muerto
y habían sido echadas de sus casas,
puertas sin muro, rotas,
amontonadas en demoliciones,
puertas ya sin memoria,
sin recuerdo de llave,
y yo dije: "Venid
a mi, puertas perdidas:
os daré casa y muro
y mano que golpea,
oscilaréis de nuevo abriendo el alma,
custodiaréis el sueño de Matilde
con vuestras alas que volaron tanto."
Entonces la pintura
llegó también lamiendo las paredes,
las vistió de celeste y de rosado
para que se pusieran a bailar.
Así la torre baila,
cantan las escaleras y las puertas,
sube la casa hasta tocar el mástil,
pero falta dinero:
faltan clavos,
faltan aldabas, cerraduras, mármol.
Sin embargo, la casa
sigue subiendo
y algo pasa, un latido
circula en sus arterias:
es tal vez un serrucho que navega
como un pez en el agua de los sueños
o un martillo que pica
como alevoso cóndor carpintero
las tablas del pinar que pisaremos.

Algo pasa y la vida continúa.
La casa crece y habla,
se sostiene en sus pies,
tiene ropa colgada en un andamio,
y como por el mar la primavera
nadando como náyade marina
besa la arena de Valparaíso,
ya no pensemos más: ésta es la casa:
ya todo lo que falta será azul,
lo que ya necesita es florecer.
Y eso es trabajo de la primavera.

Pablo Neruda






 
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