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caiman.de 11. ausgabe - köln, november 2000
grenzfall mexico - usa

Die Schande Europäer zu sein

Da steh ich nun an der Grenze zu USA, voller Trauer im Herzen innerhalb der nächsten 48 Stunden meinen 12 monatigen Trip durch Süd- und Mittelamerika beenden zu müssen.

Es ist später Nachmittag und die Grenzstadt
Tijuana gewinnt auch bei Sonnenlicht nicht an Reiz. Mir ist es egal; obwohl ich mich gut meines Entsetzens erinnere, als ich ein Jahr zuvor schon einmal diesen Übergang passierte, auch damals per Bus.

Ich stehe also mit meinem wunderbar roten deutschen Reisepass in einer Schlange mit Dutzenden von Mexikanern und denke mir: "Alles kein Problem". Doch weit gefehlt! Als ich an die Reihe komme, schlägt eine etwas korpulente US-Amerikanern, zunächst noch recht gelangweilt, mein Zaubervisum auf.

Der Blick wird zunehmend schärfer, die Körperhaltung angespannter und dann beginnt der Alptraum.
"In Mexiko geboren, sehe ich?!"

Ja und, denk ich mir, was hat das denn damit zu tun; als ob ich erpicht darauf wäre, in den Vereinigten Staaten der legendären Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär hinterher zu jagen (Zumal ich nicht mal in der Lage bin, eine Spüle anzugucken ohne dass etwas zu Bruch geht).

"Und was machen Sie so beruflich?"
"Tja, Student" und ... falsche Antwort; also heißt es, in die Offensive gehen. "OK, ok, ich will nur bis L.A., um von dort übermorgen Flug Nummer soundso nach Europa zu nehmen. Kann Ihnen das Ticket zeigen und habe außerdem Bekannte in der Stadt, die Sie unter dieser Nummer jederzeit erreichen können."

Ein Zucken mit der linken Augenbraue; nicht nur in der dritten Welt geboren, nein, auch noch Student, und wer kann schon sagen, welches mittellose bis illegale Gesocks sich am anderen Ende der Leitung melden wird (wahrscheinlich auch so ein Akzentbehafteter).

Aber, man soll den Amis ja nicht nachsagen, Sie hätten kein Herz oder wären dermaßen naiv und unerfahren, auf meine "Finten" hereinzufallen. Daher die Frage:
"Wann sind Sie denn in die USA eingereist?" Verwunderung meinerseits, aber pflichtbewußt gebe ich mein Einreisedatum und die Fluglinie an.

Fünf Minuten, zehn Minuten, dreizehn Computerchecks später ein spontaner Stimmungsumschwung meiner "Freundin" gegenüber. Na also, geht doch, Hauptsache weg hier.
"So, mein Lieber (Verwirrung), das war´s (Freude), es wird Ihnen endgültig die Einreise in die USA verwehrt (Stille)!"

Langsames Einsickern der Information in mein Großhirn, setzen, Aufschrei, Rückfall in altbewährte, hier nicht weiter detailliert zu schildernde Ausdrucksweise. Ohne Ergebnis! Dann Androhung diplomatischer Konsequenzen (der Deutsche an sich mag sich hier zu Recht ausschütten vor Lachen, denn wer hätte je davon gehört, dass die deutsche
Botschaft jemals einem ihrer Landsleute zu Hilfe geeilt wäre) mit anschließendem Aufdiekniefallen und verstärktem Druck auf die Tränendrüse (schließlich warten in meiner Sozialwohnung meine todkranken Eltern, zehn hungrige Mäuler, die es zu ernähren gilt von meinem Studentenjob und ein unaufschiebbares Vorstellungsgespräch, von dessen Ausgang das Überleben ganzer Generationen abhängt).

Keine Regung, lediglich ein wissendes Lächeln (man tut halt, was man kann, um seine schwer erarbeiteten Privilegien zu schützen; außerdem, wer weiß schon wirklich, was das für ein Land sein soll "Deutschland", mal abgesehen von einem Kontinent, der sich
"Europa" nennt).

Und dann geschieht es, Ostern und Heiligabend fallen auf denselben Tag; ein nicht ganz so fülliger Kollege (ich frage mich immer, ob es kalorienmäßig eigentlich einen Unterschied zwischen Mc Donalds und Burger King gibt, und was die Amis den ganzen Feierabend in ihren Fitneßstudios treiben) biegt "leichten" Schrittes um die Ecke und klärt sämtliche Missverständnisse auf; genauer gesagt, er bestätigt meine Einreise von "Europa" (schon wieder dieser unbekannte Terminus, ich seh´s ihr an) in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und somit gab es nie ein Problem (der werte Leser muss diese Art Logik jetzt nicht nachvollziehen können, ich war dazu ebensowenig in der Lage; nur
mir war es völlig egal!).

Natürlich gab es im Anschluss noch ein kleines bisschen Ärger mit dem Busfahrer, da ich den hinteren Einstieg benutzte und es selbstverständlich in diesem überaus liberalen Land eine
Busbenutzungsvorschrift gibt, die besagt, der Passagier möge doch bitte vorne einsteigen.


"Viva méxico, cabrones!" (Zitat Molotov)

pa`rriba

Sönke Schönauer

bisher erschienen unter grenzfälle:

- EL Naranjo - Malen nach Zahlen
- Nächtlicher Angriff
- Tropische Fahrerlaubnis
- Tropische Fahrerlaubnis (Teil 2)


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