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Der Schatz der Serra da Capivara

„Corra, corra“, ruft Rafael, unser Guia, als uns die erste Biene umschwirrt. „Lauft, bevor der ganze Schwarm kommt!“ Wir rennen, was das Zeug hält und machen erst Halt, als wir uns in sicherer Entfernung wähnen. Nochmals gut gegangen. Doch da kracht es neben uns im Gebüsch und über den Weg kullert ein faustgroßer Steinbrocken. Wir entfernen uns schnellst möglich von der Gefahrenstelle und schauen die Felswand empor, die neben uns aufragt. Eine Horde Affen, die wir beim Plündern von Bienennestern gestört zu haben scheinen, beäugt uns argwöhnisch, bewaffnet mit Steinen für die nächste Attacke. Also ist geordneter Rückzug angesagt und wir verschieben unseren Besuch der prähistorischen Bildergalerie in der Serra da Capivara auf den nächsten Tag. Kein Vorbeikommen an den einzigen Wächtern der größte Fundstelle von prähistorischen Siedlungen und Felsmalereien in Südamerika.

Die Serra da Capivara liegt im entlegenen Süden des vom Tourismus noch wenig berührten Bundesstaates Piauí im Nordosten Brasiliens, ca. 30 Kilometer entfernt von der verschlafenen Kleinstadt São Raimundo Nonato.

Um dorthin zu gelangen, haben wir die Flugverbindung nach Petrolina im Dreiländereck Piauí, Bahia und Pernambuco gewählt und anschließend mit dem Wagen 300 Kilometer asphaltierte, mit Schlaglöchern übersäte Straße hinter uns gebracht. Ein Erlebnis ganz eigener Art – und nur bei Tage zu empfehlen. Denn die Strasse dient einer Vielzahl von Tieren als Ruheplatz oder Wanderweg.

Hier tummeln sich Rinder, Ziegen, Pferde, Hunde und nicht zu vergessen Urubús (Geier): Gesundheitspolizisten, die sich um die Beseitigung von Unfallopfern kümmern. Und alle diese Verkehrsteilnehmer ahnen nichts von den ohnehin etwas laschen Sitten im brasilianischen Straßenverkehr.

Ausgangspunkt unserer Aktivitäten ist São Raimundo Nonato. Hier befindet sich ein einfaches, aber sauberes Hotel, das auf Parkbesucher eingestellt ist. Gleich daneben liegt das „ Museu do Homem Americano“, wo man einen Führer anheuert, ohne den der Besuch des Nationalparks nicht gestattet ist.

Als die brasilianische Archäologin Niède Guidon in den 50er Jahren zum ersten Mal die Serra da Capivara besuchte, ahnte sie nicht, dass die Erforschung dieses Gebietes zu ihrer Lebensaufgabe werden würde. Mittlerweile zählt man mehr als 400 Siedlungsplätze und mehr als 30.000 Felszeichnungen. Mit unerschöpflicher Energie hat sich Niède Guidon für den Schutz und die Bewahrung dieser prähistorischen Schatzkammer eingesetzt.

Alle bisherigen Forschungsergebnisse, die sich auf relativ wenige Ausgrabungen stützen, haben die hergebrachte Theorie der Besiedlung Amerikas über die Beringstrasse in Frage gestellt. Denn Altersbestimmungen an Kohleresten aus Feuerstellen, die sich zusammen mit steinzeitlichen Werkzeugen in Siedlungsschichten von bis zu 8 Meter Dicke fanden, zeigen ein Alter von mindestens 50.000 Jahren an.

Im Gegensatz zu den prähistorischen Felszeichnungen und Malereien in Europa, die fast ausschließlich Tierdarstellungen enthalten, gilt hier eine Vielzahl der Darstellungen dem Menschen. Bildergalerien zeigen Szenen aus dem Leben der damaligen Bewohner: von der Jagd über den Tanz bis hin zum Gruppensex reicht die Bandbreite. Natürlich findet man auch Bilder der damaligen Tierwelt : Raubkatzen, Hirsche, Faul-, Gürteltiere und Strauße. Der Größenvergleich zwischen Mensch und Tier zeigt, dass es sich um wahre Monster gehandelt haben muss.

Auf unseren Ausflügen in den Nationalpark lernen wir auch die Naturschönheiten des Gebietes kennen. Die Canyons mit ihren Sandsteinwänden in unterschiedlichen Farbtönen, die isolierten Felstürme und - tore, sowie die vielfarbigen Gesteinsschichtungen brauchen einen Vergleich mit Arizona, Utah oder New Mexico nicht zu scheuen.

Die beeindruckendsten, aber auch beschwerlichsten Wege führen auf das Hochplateau der Serra du Gurguéia. Unser Guide führt uns auf einem kaum markierten und ebensowenig gesicherten Weg steil nach oben. Nach gut 2 Stunden Fußmarsch erreichen wir unser Ziel: einen Felsvorsprung, auf der einen Seite mit Blick in unzugängliche Canyons, auf der anderen Seite eine Aussicht über weit gehend unbesiedeltes Land, das fast bis zum Rio Sao Francisco reicht. An solch einer Stelle könnten einem Flügel wachsen.

Am darauf folgenden Tag steigen wir auf zu einem weiteren Höhepunkt in doppeltem Sinne. Von dort aus haben wir einen Ausblick auf das Wahrzeichen des Parks, die Pedra Furada (Durchlöcherter Stein), eine Felswand, in der die Erosion ein gewaltiges Loch hinterlassen hat, und auf die benachbarten verschiedenanrtigen und -farbigen Gesteins- und Felsformationen, die von der bewegten tektonischen Vergangenheit dieser Gegend zeugen.

Die bekannteste und größte Galerie von Felsmalereien liegt nahe am Besucherzentrum. Viele andere Fundstätten, aber auch landschaftliche Sehenswürdigkeiten, sind nur über zum Teil nicht markierte Pfade zugänglich. Auf unseren Wanderungen haben wir oft den ganzen Tag keinen einzigen Menschen zu Gesicht bekommen.

Als Abschluss unserer „Begehungen vor Ort“ haben wir das „Museu do Homem Americano“ besucht. Das Museum stellt die Theorie der Besiedlung Amerikas über die Beringstrasse dar, zeigt aber auch die Forschungsergebnisse von Niède Guidon auf, woraus sich automatisch die Frage nach früheren oder anderen Besiedlungswegen ergibt. Die in der Serra da Capivara gefundenen Siedlungsspuren liegen zeitlich weit vor dem eisfreien Korridor der Beringstrasse.

In der sehenswerten Ausstellung lassen sich die im Nationalpark gesammelten Eindrücke erweitern um Informationen zu anderen Siedlungsstätten Brasiliens und ganz Südamerikas.

In 5 Tagen Aufenthalt konnten wir lediglich einige der Schätze sehen, viele warten noch auf unsere nächsten Besuche.

In unmittelbarer Nähe zur Serra da Capivara ist mittlerweile der Parque Nacional Serra das Confusões eröffnet worden, der mindestens ebenso reich an archäologischen Fundstätten sein soll wie die Serra da Capivara. Zwar ist der Zugang schwierig, aber gerade deswegen reizvoll.

Vielleicht findet sich hier neues Material, das Auskunft gibt über den „Homem Americano“ und seinen Weg nach Brasilien?

Bis dahin überlassen wir die Serra da Capivara ihren heimlichen Wächtern.

Text + Fotos: Dieter Hauguth







 
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