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caiman.de 02. ausgabe - köln, februar 2001
brasil

Der König der Banditen – 1. Teil


Virgulino Ferreira da Silva ist in Brasilien ein vielbewunderter Bandit, der Held zahlreicher Telenovelas, Bücher und Filme.
Viele halten ihn für einen zweiten Robin Hood, der von den Reichen stahl, um es den Armen zu geben. Aber die 15 Jahre seiner Herrschaft im Sertão des brasilianischen Nordostens waren voller Grausamkeit, und allein sein Name ließ die Bevölkerung des Nordostens erzittern: Lampião!

"Olê mulher rendeira, Olê mulher rendá,
Tu me ensina a fazer renda, Que eu te ensino a namorar”
"Hei, Spitzenklöpplerin, Hei, ergib Dich, Frau,
Du bringst mir bei, wie man Spitzen macht,
und ich Dir, wie man liebt"

Wer diese Verse in den 20er und 30er Jahren im Sertão, vom Bundesstaat Bahia bis hoch nach Ceará, hörte, der wußte, dass sie die Vorboten eines fürchterlichen Blutvergießens sein konnten.


Lampião und seine Banditen durchtrennten die Telegrafenleitungen und stürmten in die Stadt. Weigerte die Bevölkerung sich , ihren Wünschen nachzukommen, wurde es grausam. Wurden sie dagegen erfüllt , gab es ein Fest. Silva und seine Mannen hatten nichts gemein mit Robin Hood. Für sie waren alle Menschen gut, solange sie ihre Forderungen befriedigten, und Feinde, wenn sie es nicht taten.

Lampião wurde am 07.07.1897 in Vila Bela, dem heutigen Serra Talhada, im Landesinneren des Bundesstaates Pernambuco geboren. "Sei ein Mann!", hörte er seinen Vater sagen, so wie es in der harten Welt des Sertão alle Väter ihren Söhnen predigen. Es war diese unerbittliche Härte seiner Umwelt, die Lampião prägte und ihn mit 22 Jahren zum Verbrecher werden ließ. "Vom heutigen Tage an werde ich töten bis ich sterbe" schwor er, nachdem sein Vater im Verlauf einer Familienfehde von der Polizei erschossen worden war. Der Ehrenkodex des Sertão sieht die von der Rache zum Morden Getriebenen nicht als schuldig an, sondern feiert ihre Taten als Heldenmut.

Und so verwandelte sich Lampião in ein abergläubisches Monstrum. Seine Kleidung war übersät mit Amuletten, die ihn glauben machten, dass er unverwundbar sei, obwohl er im Kampf sieben Kugeln einstecken musste und sein rechtes Auge verlor.

"Er hat nicht geraubt, er hat die Leute um die Sachen gebeten. Gut, wenn sie sie ihm nicht gegeben haben, hat er sie sich halt geholt" erinnert sich Lampiãos Schwester Jahre später.

Aber ganz so war es dann doch nicht: neben seiner Tätigkeit als Brandstifter und Ganze-Herden-Abschlachter auf den Höfen der Großgrundbesitzer, taten er und seine Bande sich als Kindesentführer, Vergewaltiger (es wird von einem Fall berichtet, bei dem er und 25 seiner Männer die Frau eines Polizisten vergewaltigten) und Foltermeister (Lampião war Meister im "Menschen-bluten-lassen", er trieb ihnen lange Klingen zwischen Schlüsselbein und Hals) hervor. Er befahl Massenexekutionen und ließ Frauen, die mit kurzen Haaren oder kurzen Röcken herum liefen, das Gesicht mit glühenden Eisen verbrennen.
Lampião war ein Perverser, der Augen herausriss, Zungen und Ohren abschnitt, sich eine Spaß daraus machte, einen Mann zu kastrieren. Zwischendurch wurde gebetet und man organisierte Feste, bei denen die Pferde mit Fleur d`Amour eingerieben wurden.

Seinen Namen Lampião ("Laterne") verdankt er dem Mündungsfeuer seiner Schrotflinte, die in den Gefechten mit der Polizei Berühmtheit erlangte.



Es existieren verschiedene Gerüchte. So soll er die Dunkelheit mit seinem Gewehr erhellt haben, damit einer seiner Kumpanen eine herunter gefallene Zigarette wiederfinden konnte. Ein anderes besagt, dass er seine Muskete Typ Mauser 1908 so modifizierte, dass sie schneller wurde, und das Rohr gar nicht mehr aufhörte zu leuchten, eben wie eine Laterne.

Lampião galt als der schlauste Bandit des Landes. Seit seiner Kindheit, in der er mit seinem Vater durch den Sertão zog, hatte er gelernt, wie man in der unwirtlichen Caatinga-Region überlebt. Er trug dicke Kleidung und Ledergamaschen, um sich vor den Stacheln der Büsche zu schützen. Alle Schliche, um die Polizei zu verwirren, waren ihm bekannt. Die Bande bewegte sich in "Indianerreihen" vorwärts, alle traten in den selben Fußstapfen, der letzte ging rückwärts, so dass die Spur scheinbar in die andere Richtung führte. Niemals ließen sie ihre Toten zurück, und wenn sie sie einmal nicht mitnehmen konnten, schnitten sie ihnen die Köpfe ab, um die Identifikation unmöglich zu machen. Wenn ein Mitglied der Gruppe starb, wurde sein Name von einem Neuling übernommen. So erschienen die Banditen unbesiegbar, weil unsterblich.

Sein Verbindungsnetz im Sertão war immens, schon deshalb, weil sich niemand traute, ihm Hilfe zu verweigern. Lampião kannte viele Menschen, auch einflussreiche Coronels, und sogar den Gouverneur des Bundesstaates Sergipe, Eronides Carvalho. So war Lampião ständig über die Pläne der Polizei unterrichtet. Mit ihr lieferte sich die Bande zwischen 100 und 200 Gefechte, denen auf beiden Seiten ca. 1000 Menschen zum Opfer fielen. Oft mussten sie Hunger und Durst erleiden, aber niemals fehlte es ihnen an Munition, die in enormen Mengen von Lampiãos Freunden aus den Reihen der Polizei stammte.

Als eine der absurdesten Episoden der brasilianischen Geschichte muss die Tatsache angesehen werden, dass es die brasilianische Regierung selber war, die Lampiãos Truppe mit modernsten Waffen ausstattete:
Um die "Coluna Prestes", einen Trupp revoltierender Soldaten, die unter der Führung von Luís Carlos Prestes jahrelang durch das Landesinnere Brasiliens zogen und eine linke Revolution predigten, zu bekämpfen, schloss die Regierung 1926 ein Abkommen mit Lampião. Dafür erhielten seine 120 Männer Uniformen und automatische Gewehre.

Ab 1928 zersplitterte der Trupp in mehrere kleine Gruppen, die Farmen in Sergipe und Bahia angriffen. Es war zu dieser Zeit, dass Lampiãos Stern zu sinken begann, als sein perverses Herz sich der Liebe einer Frau auslieferte.

Denn die Liebe verwirrt sogar die Köpfe der scheinbar so starken "Helden" und macht diese verwundbar.


Text: Tom Milz
Unterstützung: Lena aus Fortaleza


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