ed 09/2014 : caiman.de

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spanien: Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana
Zweiundzwanzigste Etappe: Melancholie und Mandelschokolade in Astorga
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


brasilien: Minha Saudade
Das Musikgenie João Donato wird 80
THOMAS MILZ
[art. 2]
spanien: Die vergessenen Kämpfer
70 Jahre Befreiung von Paris
WOLFGANG HÄNISCH
[art. 3]
spanien: Queralbs – zwischen Mythos und Wirklichkeit
NIL THRABY
[art. 4]
macht laune: Zu Besuch im noblen Rio
Urca – Rio de Janeiros charmantester Stadtteil
THOMAS MILZ
[kol. 1]
traubiges: So schmeckt der Sommer
Álvarez y Díez Sauvignon Blanc 'Gorrión' Rueda 2013
LARS BORCHERT
[kol. 2]
hopfiges: Cruzcampo mit dem G-Punkt
MARIA JOSEFA HAUSMEISTER
[kol. 3]
erlesen: Brasilien für Kinder - Brasilien bewegt uns
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] Spanien: Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana
Etappen [22] [21] [20] [19] [18] [17] [16] [15] [14] [13] [12] [11] [10] [9] [8] [7] [6] [5] [4] [3] [2] [1]
Zweiundzwanzigste Etappe: Melancholie und Mandelschokolade in Astorga
 
Am 20. Juni 2013 um 7 Uhr 30 brechen wir spät und zögernd von Hospital de Órbigo auf, noch erschöpft von der gestrigen Etappe des Grauens. Allerdings ist unsere heutige Etappe weniger als halb so lang, das sollte also spielend zu schaffen sein. Sogar die Sonne, die sich zwei Tage nicht hat blicken lassen, erleuchtet wieder unseren Weg. Es bleibt allerdings kühl und der flache, schneebedeckte Gipfel des 2.288 Meter hohen Teleno, südlichster Punkt der Montes de León, ist plötzlich recht nahe und sein Anblick begleitet uns die nächsten zwei Tage.

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Nachdem Cayetanas Blase am linken Fuß gestern abend optimal behandelt wurde, kann sie nun wieder fast normal marschieren. Ohne Pause kommen wir zügig voran durch eine Landschaft, die an steppenhafter Ödnis verliert und mit jedem Kilometer nach Westen grüner wird. Üppig blühender Ginster und zahlreiche Bäume lockern das Landschaftsbild auf. Schon gegen 11 Uhr taucht die alte Römerstadt Astorga am Horizont auf. Römisch ist heute nur noch ein Torso ihrer Stadtmauern. Von weitem wird diese nur 10.000 Einwohner zählende Kleinstadt im äußersten Westen Kastiliens dominiert von einem ungleichen Gebäudepaar: der mächtigen, doppeltürmigen Kathedrale und dem merkwürdigen Märchenschloss des berühmten Antonio Gaudí. Astorga ist eine "doppelte" Camino-Stadt, denn hier treffen der Hauptweg, der sogenannte Camino Francés, und der längste Jakobsweg, die in Sevilla beginnende Vía de la Plata, zusammen. Bevor man als Pilger das schöne Astorga betreten darf, muss man noch eine letzte kuriose Hürde überwinden. Es gilt eine turmhohe Fußgängerbrücke zu erklimmen, die über die Eisenbahngleise führt und wahrscheinlich erst vor kurzem hier errichtet wurde (sieht sehr neu aus), um die immer noch weiter wachsenden Pilgerströme sicher und ohne großen Umweg über die Bahnlinie zu leiten.

Dann stehen wir vor dem "Mini-Neuschwanstein" – Gaudís mit zahlreichen Türmchen und Gesimsen verziertem Bischofspalast, der am Ende nie von einem Bischof bewohnt wurde und heute als Jakobsweg-Museum dient. Wie kam der gefeierte Architekt Gaudí, der als patriotischer Katalane 98% seiner Werke nur in Barcelona und Umgebung realisierte, dazu, hier in diesem entlegenen kastilischen Kleinstädtchen einen Auftrag anzunehmen? Der Grund war katalanischer Klüngel, denn der Bischof Grau Vallespinós, der ihm 1886 den Auftrag zuteilte, war selbst Katalane und wollte mitten im mittelalterlichen Provinznest eine mondäne Behausung haben, die moderne Vorzüge mit historischem Erscheinungsbild vereinte. So schuf Gaudí  direkt neben der Kathedrale diese kleine Granitburg in einem gotischen Fantasy-Stil, ein Frühwerk, das im Vergleich zu seinen bekanntesten Schöpfungen in Barcelona allerdings (zumindest von außen) noch etwas bieder und unentschlossen wirkt. Der Bischof erlebte die Fertigstellung seiner Prachtvilla nicht mehr und sein Nachfolger wollte hier nicht wohnen, der Bau war ihm "zu modern".

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Weil wir unsere Pilgerherberge nicht auf Anhieb finden, wenden wir uns jetzt noch nicht der Kathedrale zu, sondern lassen uns zuerst von ein paar eifrigen Damen im Tourismus-Büro den Weg dorthin erklären. Es ist zwar keine Eile geboten, denn die Herberge "San Javier" wartet mit immerhin 100 Betten auf müde Pilger, die sollten zu dieser frühen Stunde um 12 Uhr mittags noch nicht alle belegt sein. Aber wir wollen bei der Stadterkundung lieber ohne schwere Rucksäcke unterwegs sein. Die Herberge befindet sich in einem ca. 450 Jahre alten Renaissancepalast, der mühsam an seine neue Funktion angepasst wurde. Eines wird uns schon beim Hinaufsteigen in die zweite Etage klar: die Jahrhunderte alte Holztreppe ist zwar romantisch, gibt aber bei jedem Schritt Geräusche von sich, die jedem Soundspezialisten von Gruselfilmen zur Ehre gereichen würden. Bei hundert Mitbewohnern, von denen zwei Drittel irgendwann nachts die Toiletten eine Etage tiefer benutzen müssen, bleibt es wohl eine vergebliche Hoffnung, hier Schlaf zu finden. Zudem gibt es in diesem alten Gemäuer keine Heizung – bei der noch immer herrschenden Kälte könnten wir in der nächsten Nacht zwei Schlafsäcke übereinander gebrauchen.

Also zurück in die Sonne, die zumindest mittags die Höhenluft erwärmt. Und die grandiose Barockfassade der eigentlich spätgotischen Kathedrale Santa María ins beste Licht rückt.

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Staunend verweilen wir vor diesem Wunderwerk, das alle Register barocker Effekte zieht: tanzende und musizierende Engel beleben die Fassade ebenso wie ein ganzer Wald von himmelwärts strebenden Fialen, kleine, verschnörkelte Brücken, die sie mit den Türmen verbinden, zerbrechlich wirkende Balkongeländer, die aus unzähligen Engeln, Nymphen und Fabelwesen bestehen. Das Ganze wird gekrönt von einer durchbrochenen Fensterrose zwischen eleganten, von Säulchen getragenen Baldachinen. Gegen diesen Phantasiereichtum des Barocks verblasst Gaudís Granitpalast nebenan. Und auf der rechten Seite des gewaltigen Portalbogens der Kathedrale entdeckt Cayetana zwei halbnackte, sich lässig räkelnde Engelsgestalten als Eskorte für ein fliegendes Jesuskind, dem ein Spruchband aus dem Mund wächst. Natürlich versteht meine jugendliche Begleiterin die lateinische Inschrift auf diesem Spruchband nicht (was lernen die Kinder eigentlich überhaupt noch in der Schule?). Ich muss also übersetzen: "Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein…" So lauteten die berühmten Worte von Jesus an die Adresse der selbsternannten Richter, die eine Ehebrecherin steinigen wollten (und nach diesen Worten die Steine fallen ließen).

Dieses Motto gefällt Cayetana und angesichts der erotischen Barockengel auf der Fassade redet sie sich in Rage, weil sie sich über die Doppelmoral der Kirche aufregt. "Das ist wieder typisch – jetzt guck Dir nur diese Fassade an – mit so viel Sex hat die Kirche Werbung für sich gemacht: schon in der Renaissance hat nicht nur Michelangelo Christus als nackten olympischen Muskelprotz dargestellt und im Barock so wie hier wirken die Engel wie aus einem Dolce & Gabbana Werbespot gefallen. Und dann geht dieselbe Kirche seit Jahrhunderten hin und redet uns ein, wie böse und schlecht alles sei, was mit dem Körper zu tun hat und auf den Körper blickt – und das alles nur weil die Pfaffen neidisch sind, weil sie ja selbst Körper nicht genießen dürfen!" "Nicht so laut!", mahne ich und werfe einen besorgten Blick auf das Fenster wo die Eintrittskarten verkauft werden. Ich habe Angst, dass man uns wegen ihrer aufrührerischen Reden am Ende den Eintritt ins Allerheiligste verweigern könnte.

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Pünktlich als die Kathedrale um 16 Uhr nach der Mittagspause wieder öffnet, treten wir ein. Und da noch Siesta ist, genießen wir das seltene Privileg, in diesem riesigen Tempel fast eine halbe Stunde ganz allein umher wandeln zu dürfen.

Eine viertelstündige Meditation widmen wir allein dem gigantischen, ca. 20 Meter hohen Renaissance-Hauptaltar (1553 – 1558) von Gaspar Becerra, nachdem Cayetana einen Euro geopfert hat, um die Beleuchtungsmaschinerie anzuwerfen, die diese Altarwand mit goldenem Glanz anstrahlt.

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Dann lassen wir uns von allen Seiten von sakraler Kunst berieseln. Über uns die filigranen gotischen Sterngewölbe, darunter wetteifert die berühmte Inmaculada im Strahlenkranz von Gregorio Fernández (1626) mit der kunsthistorisch eher unbedeutenden, aber auch entzückenden Madonna, die über einen Dschungel von Lilien hinweg Strahlen aus ihren Händen sendet. Ein magischer Sonnenstrahl erleuchtet die Figur des auferstandenen Christus in einem Seitenaltar und irgendwo versteckt auf dem Sockel eines Altars entdecken wir die minimalistische Darstellung eines einsamen Segelbootes, das dem Morgenstern entgegen steuert. Nur unsere Schritte hallen im riesigen Raum und wir geben uns in einem meditativen Rundgang vielen erstaunlichen Entdeckungen hin, bis plötzlich eine Invasion von drei spanischen Schulklassen die heilige Stille gründlich beendet. Aber bis dahin haben wir schon alles gesehen.

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Als wir von der Kathedrale hinüber zum Gaudí-Palast marschieren, hat der Himmel schon wieder düstere Gewitter-Wolkenberge aufgetürmt. Mit einem Schlag wirkt die ganze Stadt wie die Kulisse für einen Vampirfilm und Gaudís Schloss wie eine Dracula-Burg. Aber die beiden schönen Bronze-Engel vor dem Portal scheinen alle bösen Kreaturen abzuwehren. Wir treten ein in Gaudís Zauberwelt – und sind schon nach ein paar Augenblicken tief beeindruckt. Die Raumwirkung ist magisch. Genial die Lichtführung durch die Säle, die hohen, farbigen Fenster schaffen eine geheimnisvolle Atmosphäre und dadurch, dass die Räume nicht voneinander abgetrennt sind, eröffnen sich immer neue Perspektiven des Schauens, auch über mehrere Etagen von der Balustrade hinunter in die Kapelle. Besonders beeindruckend sind die "Menschenfenster" (so nennt Cayetana Gaudís farbige Jugendstil-Fenster in stilisierter Menschengestalt).

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Plötzlich lässt ein heftiges Donnergrollen den Phantasiepalast Gaudís erzittern. Das Gewitter ist kurz, aber es regnet noch, als wir uns wieder hinaus in die Kälte wagen. Die Plaza Mayor mit dem prächtigen Barock-Rathaus wird vom Regen überflutet, wir flüchten uns unter die Arkaden und Cayetana flucht. Der abendliche Regen lässt Temperatur und Stimmung sinken, auf dem Weg zurück zur Herberge breitet sich Melancholie aus über dem Städtchen am Fuße der Montes de León. Wenig später sitzt Cayetana missmutig mit angewinkelten Beinen auf ihrem Schlafsack, unschlüssig, ob sie da schon vor Sonnenuntergang hinein schlüpfen soll. Mir fällt nur eine Möglichkeit ein, um sie aufzuheitern. "Schokolade?" flüstere ich ihr zu, erkläre ihr, dass Astorga früher Spaniens Schokoladen-Hauptstadt war und biete ihr an, sofort in dem alten Laden hinter der Kathedrale ein paar Tafeln zu kaufen. Sie gibt zwar keine Antwort, aber ihr Gesichtsausdruck erhellt sich gnädig bis zu einem kaum angedeuteten Lächeln. Dies ist mir Befehl genug und so spurte ich zu Álvarez Benedi und kaufe die klassische Vollmilchschokolade mit ganzen Mandeln, für die Astorga berühmt war. Der Name dieser Mandelschokoladentafeln von erfreulicher XXL-Größe ist "Angélicas" (die Engelshaften).

Bei ihrem Anblick löst sich Cayetana sofort aus ihrem Zustand lethargischer Depressivität und greift zu. Die köstlichste und gesündeste Droge der Welt, für die wir Mexiko auf ewig dankbar sein müssen, wirkt wahre Wunder.

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Noch bevor die erste Tafel ganz aufgegessen ist, lacht Cayetana schon wieder und als wir durchs Fenster blicken, wird uns ein größeres Wunder präsentiert. Die Gewitterwolken sind weiter gezogen und ungefähr zehn Minuten, bevor sie hinter den Berggipfeln im Westen versinkt, überflutet die Abendsonne Astorga mit einem überirdisch wirkenden Licht. Wir packen unsere Kameras und stürmen hinaus. Die Gassen, das alte Kloster des Heiligen Geistes neben unserer Herberge, die Türmchen und Engel der Kathedralfassade – alles wird angestrahlt von rotgoldenem Licht. Ein Versprechen für den morgigen Tag?

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Cayetana träumt in dieser Nacht gar nichts, weil sie nämlich überhaupt nicht schläft. Das knarzende Konzert der dreihundertjährigen Holztreppe reißt sie immer wieder aus verzweifelten Bemühungen des Einschlummerns, bevor sie auch nur die erste Traumphase erreichen kann.

Text und Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links: Etappe von Hospital de Órbigo nach Astorga: 17,5 Kilometer

www.aytoastorga.es/turismo-y-ocio/
www.arteguias.com/catedral/astorga.htm
www.redalberguessantiago.com
www.turismocastillayleon.com

Unterkunft und Verpflegung:
Private Pilgerherberge  "San Javier", in einem Renaissancepalast aus dem frühen 16. Jahrhundert installiert, Calla Portería 6, Tel. 987-618532, Waschmaschine, Trockner, Küche, Internet, Frühstück. Zu empfehlen nur im Sommer, da keine Heizung. Massenherberge, aber im Ambiente eines historischen Monumentalbaus, der nur einen Steinwurf von der Kathedrale entfernt ist. Übernachtung: 8 Euro

Restaurant "El Capricho", C. Santiago (Ecke C. Santiago Crespo): Pilgermenü (3 Gänge inkl. Wein) – es gibt verschiedene Varianten 12 - 18 Euro, zu empfehlen ist die teurere, z.B. Kichererbsensuppe, Kalbsfilet mit Käsesoße, Trüffeltorte.

Schokoladengeschäft Álvarez Benedi (hinter der Kathedrale, C. Doctor Mendo Perez): ein Laden wie vor hundert Jahren, überhaupt nicht chic, eher Lagerhallen-Flair, dafür sehr authentisch und die XL-Schokoladentafeln mit oder ohne Mandeln sowie andere Süßwaren sind hier preiswert und in zumeist großen Packungen erhältlich.

Kirchen und Monumente:
Kathedrale Santa María von Astorga: ein das ganze Städtchen beherrschender spektakulärer Monumentalbau, in den Grundformen ein spätgotischer Tempel (Baubeginn 1471), bei der Innenausstattung überwiegt neben dem gotischen Chorgestühl von Johann von Köln der Renaissancestil (grandioser Hochaltar von Gaspar de Becerra; 1553 - 1558 und Inmaculada von Gregorio Fernández, 1626). Barocke Doppelturm-Fassade mit ultrabarockem Mittelteil voller tanzender Engel. Im erstaunlich großen Kathedralmuseum gibt es von frühchristlichen Sarkophagen aus dem 3. Jahrhundert über gotische Passionsgemälde bis hin zu Goldschmiedearbeiten des 19. Jahrhunderts so ziemlich alles. Öffnungszeiten (Kathedrale und Museum): Dienstag – Samstag 11.00 – 14.00 Uhr (Sommer ab 10.00 Uhr) und 16.00 – 18.00 Uhr (Sommer bis 20.00 Uhr), Sonntag nur vormittags 11.00 – 13.00 Uhr geöffnet, Montag geschlossen. Eintritt 3 Euro (Kathedrale/Museum). Sehr empfehlenswert das "Kombi-Ticket": Kathedrale + Bischofspalast + beide Museen (Kathedrale und Camino): 5 Euro

Bischofspalast von Antonio Gaudí (mit Museum des Jakobswegs im Innern): eines der wenigen Werke des großen katalanischen Architekten hier im Westen Spaniens, Baubeginn 1889. Von außen vielleicht nicht restlos überzeugend (wirkt wie eine spanische Mini-Version von Neuschwanstein), ist die Raumwirkung im Inneren phänomenal, vor allem beeindrucken die "Fenster mit Menschengestalt" und die Gesamtkomposition, die immer wieder schöne Perspektiven eröffnet (z.B. von der Balustrade hinunter in die Kapelle). Eines der schönsten Profangebäude am Camino. Im Untergeschoss Sarkophage und archäologische Fundstücke, im Erdgeschoss Exposé der Geschichte des Jakobsweges und historische Kunstwerke, im Obergeschoss moderne Kunstwerke, die sich auf den Camino beziehen. Öffnungszeiten: Dienstag – Samstag: 10.00 – 14.00 Uhr und 16.00 – 20.00 Uhr, Sonntag nur vormittags geöffnet, Montag geschlossen. Eintritt: 3 Euro. Empfehlenswert das "Kombi-Ticket": Kathedrale + Bischofspalast + beide Museen: 5 Euro

Kirche San Bartolomé: romanisch-gotischer Bau (11. – 13. Jahrhundert) mit teils barocker Innenausstattung

Schokoladenmuseum (C. José María): Öffnungszeiten: 10.30 – 14.00 Uhr und 16.30 – 19.00 Uhr. Sonntag nur vormittags geöffnet, Montag geschlossen. Eintritt: 2,50 Euro

[druckversion ed 09/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]






[art_2] Brasil: Minha Saudade
Das Musikgenie João Donato wird 80
 
Von dem Fenster seines Hauses in Urca aus schaut João Donato auf die Guanabara-Bucht. Was denn die schönste Erinnerung dieser ganzen 80 Jahre für ihn sei? Er lächelt. "Meine erste Freundin und meine erste Komposition – ich schrieb damals einen Walzer für sie – Nini."

João setzt sich an sein Klavier und stimmt den kleinen Walzer an. Danach schweift er in Improvisationen ab, ein Jazz mit brasilianischen Einschlägen. Na klar.

Mit 80 Jahren, die er am 17. August erreichte, denkt er immer noch nicht ans Aufhören. Inmitten zahlreicher Shows in Brasilien und im Ausland, neuen CD-Projekten („Live Jazz in Rio") und einem anstehenden Dokumentarfilm über ihn, ist João an allen Fronten aktiv.

Lediglich die langen Interviews ermüden ihn, die er zum Geburtstag geben muss. In ihnen erinnert er sich an die guten und alten Zeiten, die Zusammenarbeit mit den Bossa Nova Stars wie Tom Jobim und João Gilberto, damals im Rio de Janeiro der ausgehenden 50er Jahre.

Im Jahre 1959 macht er sich in die USA auf, wo er tief in den Afro-kubanischen Jazz eintaucht. Und mit Größen wie Chet Baker und Tito Puente aufnimmt und auftritt.

Zurück in Brasilien, ab 1972, arbeitet er mit den Großen der MPB zusammen, hauptsächlich um seinen Liedern Texte zu verpassen. Ein großartiger Komponist wundervoller Melodien, er überließ es Freunden wie Caetano Veloso, die Texte dazu zu schreiben.

Eine lange Liste eingespielter Alben, viele Freundschaften ("die meisten meiner Freunde sind schon tot"), viele Abenteuer. Hatte er sich so sein Leben vorgestellt, damals als er klein war?

"Ich wollte eigentlich Pilot werden, wie mein Vater. Aber beim Augentest bei der Luftwaffe bin ich leider durchgefallen. Da entschloss ich mich halt, mit der Musik weiter zu machen, und dabei bin ich bis heute geblieben."

"Aber die tiefsten Erinnerungen, die prägendsten dieser achtzig Jahre, sind und bleiben die Zeiten meiner Jugend daheim, in der Stadt Rio Branco in Acre. Immer denke ich daran wie ich dort im Fluss schwimmen lernte, den Bauch vollgestopft mit Melone. Und dann waren da die Flüge über den Dschungel, mit meinem Vater, dem Piloten. Das sind die Dinge an die ich mich mit der größten Freude erinnere."

Ein Leben voller Sehnsucht, "saudades". Passend dazu eines seiner ersten Stücke, "Minha Saudade". Herzlichen Glückwunsch João Donato!
https://www.youtube.com/watch?v=IswE2E4q1KY

Texto + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 09/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]





[art_3] Spanien: Die vergessenen Kämpfer - 70 Jahre Befreiung von Paris
 
24. August 1944, gegen 20.40 Uhr: Drei Shermanpanzer und zwölf gepanzerte Kettenfahrzeuge, die zwei Abteilungen Infanterie transportieren, bewegen sich über die Place d'Italie zügig in Richtung der äußeren Boulevards. Auf den Shermanpanzern sind die  Namen siegreicher, aber relativ unbedeutender Schlachten Napoleons mit weißer Farbe aufgemalt: "Montmirail", "Romilly", "Champaubert". Die Kettenfahrzeuge (half-truck) tragen andere Namen: "Guadalajara", "Belchite", "Ebro", "Madrid", "Brunete", "Teruel", "Santander", "Guernica" nach den großen Schlachten des Spanischen Bürgerkriegs. Amado Granell, Bamba, Martin Bernal, Mantoyo, Morena heißen die Männer, die in diesen Fahrzeugen sitzen – es sind Spanienkämpfer, jetzt Angehörige der neunten Kompanie der zweiten französischen Panzerdivision, der "Nueve", der spanischen Kompanie.

Als General Leclerc 1943 die berühmte zweite Panzerdivision aufstellte, waren 20 Prozent der 16.000 Soldaten spanische Republikaner, die in den Internierungslagern Südfrankreichs für die Fremdenlegion angeworben worden waren und dann zu Leclerc desertierten. Sie kämpften in Nord- und Zentralafrika und landeten Anfang August 1944 im Rahmen der Invasion der Alliierten in der Normandie. In der "Nueve" waren von 160 Soldaten 146 spanische Staatsbürger oder hatten spanische Wurzeln, die offizielle Sprache war spanisch und die Befehlsgewalt hatten Spanier inne.

Diese Nacht ist eine ganze Welt wert – es ist die Nacht der Wahrheit. Der  bewaffneten, kämpfenden Wahrheit, der starken Wahrheit, die so lange mit leeren Händen und entblößter Brust dagestanden hat. Überall ist sie in dieser Nacht gegenwärtig, da das Volk und die Kanonen gleichzeitig grollen. Ist sie doch die Stimme dieses Volkes und dieser Kanonen; sie trägt die triumphierenden und erschöpften Züge der Straßenkämpfer mit ihren Narben und ihrem Schweiß. Ja, es ist in der Tat die Nacht der  Wahrheit, der einzigen Wahrheit, die Gültigkeit besitzt: jener, die bereit ist, zu kämpfen und zu siegen. (Albert Camus)

Der half-truck "Guadalajara" ist das Führungsfahrzeug. Vor der Place d'Italie fährt der Konvoi einen Umweg über Nebenstraßen, um deutsche Stellungen zu umfahren. Auf der Höhe des Universitätskrankenhauses biegen sie in den Boulevard de l'Hopital ein. Am Gare d'Austerlitz dann Beschuss durch die Deutschen, sie erwidern das Feuer nicht, sondern geben Gas und erreichen über die Pont d'Austerlitz das andere Seine-Ufer. Ihr Auftrag: die Widerstandskämpfer, darunter der Nationalrat der Resistance, die das Hotel de Ville besetzt haben, gegen die Angriffe der deutschen Besatzer zu unterstützen und die Ankunft der zweiten französischen Panzerdivision anzukündigen und vorzubereiten.

21.15 Uhr, Hotel de Ville: Im Speisesaal des Rathauses Abendessen der Anführer des Aufstandes: Nudeln mit Linsen. Ein anschwellendes Geräusch lässt sie aufhorchen: das Rasseln von Panzerketten auf Pflastersteinen – ein infernalischer Lärm, die Fensterscheiben vibrieren. Es ist 21.22 Uhr am 24. August 1944.

Das Kettenfahrzeug "Guadalajara" vor dem Hotel de Ville

Auf dem Platz vor dem Hotel de Ville angekommen, fährt der half-truck  "Guadalajara" auf den Gehsteig der Rue de Rivoli, vor den Juwelier "Les Ciseaux d'Argent" und das Luxus-Schuhgeschäft "Chaussures Mansfield". Zubieta, Abenza, Luis Ortez, Daniel Hernandez, Argueso, Luis Cortes, Ramon Patricio springen von ihrem Fahrzeug und nehmen Verteidigungspositionen ein, mit der Waffe in der Hand. Leutnant Amado Granell, der Führer der Abteilung, wird auf den Treppen des Hotel de Ville von Georges Bidault, dem Präsidenten des Nationalrats der Resistance, empfangen. Amado Granell ist in Valencia geboren und war während des Spanischen Bürgerkriegs Kommandeur der 49. Brigade.

Amado Granell im Spanischen Bürgerkrieg

25. August 1944: Die Kämpfe um das Hotel Meurice, den Sitz des Oberbefehlshabers für den Raum Groß-Paris, General von Choltitz, halten jetzt schon seit anderthalb Stunden an. Da der Angriff nur von der Vorderseite möglich ist, wird ein Stoßtrupp, angeführt von Leutnant de la Horie, gebildet. Von den Spaniern nehmen Antonio Gutierrez, Antonio Navarro und Francisco Sanchez teil. Ihnen gelingt es, den deutschen Verteidigungsring zu durchbrechen und in die erste Etage des Hotels vorzudringen, wo sich die Kommandozentrale des Generals von Choltitz und seines Generalstabs befindet. Von Choltitz und seine Offiziere werden mit vorgehaltener Maschinenpistole entwaffnet. Die Regeln des Kriegsrechts verlangen, dass sich ein Offizier nur einem Offizier des Gegners ergeben darf. Von Choltitz verlangt deshalb, einen französischen Offizier herbeizurufen. Die Waffe weiter auf von Choltitz gerichtet, ruft Antonio Gutierrez von der Tür aus in den Gang nach einem Offizier. Nacheinander kommen die Leutnants Franjoux und Karcher, sowie als letzter der Oberleutnant de la Horie. Diesem ergibt sich von Choltitz schließlich.

Nazi-Generalstäbler haben sich der Resistance ergeben

Bevor er sein Büro verlässt, nimmt er seine Armbanduhr ab und bietet sie Gutierrez an, um ihm dafür zu danken, dass er sich an die Regeln des Kriegsrechts gehalten hat. Gutierrez lehnt ab.

Die zugegebenermaßen etwas ausführliche Darstellung dieser beiden Schlüsselereignisse bei der Befreiung von Paris ist der Tatsache geschuldet, dass die spanischen Akteure dieser Ereignisse aus der offiziellen französischen Geschichtsschreibung über 65 Jahr lang komplett "verschwunden" waren. Amado Granell und seine 140 spanischen Kameraden verschwanden aus der Geschichte, übrig blieb sein Chef Raymond Dronne – natürlich Franzose. Dasselbe gilt für den spanischen Stoßtrupp vom Hotel Meurice, übrig blieben die französischen Offiziere de la Horie, Karcher und Franjoux.

All diese Bemühungen entbehren indes nicht einer gewissen Komik: So erzählt die offizielle Darstellung der Ereignisse vor dem Hotel de Ville von dem Rundfunkreporter Pierre Ceresse, der einem verdutzten Soldaten der "Nueve" mit Namen Firmin Pillan das Mikrofon vor die Nase hielt und ihn fragte: "Woher stammen sie?" - "Aus Istanbul" so die angebliche Antwort. Dreißig Jahre später erzählt der Historiker Pascal Ory, Professor an der Sorbonne, spezialisiert auf die Periode 1940-44, dieselbe Geschichte, nur etwas anders: Aus dem Rundfunkreporter Pierre Ceresse wird der Rundfunkreporter Jean Guignebert, aus dem Soldaten Firmin Pillan wird die armenische Ordonanz Krikor, und aus dem angeblichen Geburtsort wird: "Konstantinopel".

Seit 2011 wissen wir nun dank der verdienstvollen Recherchen von Evelyn Merquida in ihrem Buch: "La Nueve 24. Aout 1944", dass an diesen offiziellen Darstellungen so ziemlich alles falsch ist. Firmin Pillon hieß in Wirklichkeit Fermin Pujol und wurde nicht in Istanbul geboren, sondern in Barcelona. Im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte er in der Kolonne Durutti. Es gab tatsächlich eine armenische Ordonanz in der Nueve. Er hieß aber nicht Krikor sondern Pirlian. Und ob die beiden Rundfunkreporter überhaupt am Ort des Geschehens waren, darf bezweifelt werden. Fermin Pujol erzählt die Begebenheit jedenfalls so: Er wurde an jenem Augustabend 1944 von vielen Parisern, die inzwischen in Massen auf den Platz vor dem Hotel de Ville geströmt waren, gefragt, woher er komme. Sie glaubten ihm aber nicht, dass er Spanier sei. Daraufhin schaltete sich ein Polizist ein und es entwickelte sich folgender Dialog: "Monsieur. Sind Sie Spanier?" - "Ja, und Sie?" - "Ich bin Polizist." - "Aha, Polizist". Für den Anarchisten Pujol ein höchst befremdlicher Dialog.

Tatsächlich war der Beitrag der spanischen Republikaner an der Befreiung von Paris beträchtlich: Man schätzt, dass am Aufstand mehr als 4000 Spanier teilgenommen haben. An allen ausschlaggebenden militärischen Auseinandersetzungen in Paris waren sie in großer Zahl beteiligt und spielten oft eine entscheidende Rolle. Nicht zuletzt war Henry Rol-Tanguy, dem alle bewaffneten Einheiten der Resistance in Paris zur Zeit des Aufstands unterstanden, Teilnehmer des Spanischen Bürgerkriegs und Politkommissar der 11.Internationalen Brigade. Dies, ihre militärische Erfahrung und die "doppelte" Motivation, die Scharte der Niederlage in Spanien auszuwetzen und die -  trügerische - Hoffnung, die Alliierten würden nach der Niederschlagung des Hitlerfaschismus auch Spanien von der Franco-Diktatur befreien, war die Grundlage für die herausragenden Leistungen der spanischen Republikaner und der französischen Spanienkämpfer bei der Befreiung von Paris.

Bleibt die Frage, warum das von der offiziellen französischen Geschichtsschreibung so beharrlich – im übrigen bis heute (siehe Nachtrag) - ignoriert wird. Sicherlich hat es mit dem französischen Nationalismus und dessen Mythos von der "Grande Nation" zu tun, nachdem Paris "natürlich" nur von Franzosen befreit werden durfte und "natürlich" auch damit, dass diese Spanier in ihrer großen Mehrheit der Linken angehörten. Weniger wahrscheinlich ist, dass es die Scham darüber ist, dass sehr unterschiedliche französische Regierungen dieses wundervolle Volk der Spanier in einem knappen Jahrzehnt zweimal verraten hatten: Das erste Mal während des Spanischen Bürgerkriegs, als Frankreich im Rahmen der unseligen Nichteinmischungspolitik Waffenlieferungen nach Spanien verhindert hatte. Das zweite Mal, als De Gaulle, kaum dass er mit Hilfe eben jener Spanier an die Regierung gekommen war, nichts besseres zu tun hatte, als die Franco-Diktatur anzuerkennen.

Nachtrag: Nachdem Evelyn Merquida 2011 die spanischen Republikaner aus dem Dunkel der Geschichte wieder ans Licht geholt hatte, konnte die offizielle Geschichtsschreibung sie zumindest nicht mehr totschweigen. Seither finden sie also "Erwähnung" - mehr aber auch nicht. Im Musee Carnavalet, dem Pariser Stadtmuseum, findet derzeit eine Fotoausstellung über die Befreiung von Paris  statt. Fotos der Spanier oder überhaupt von Ausländern sucht man vergeblich.

Wissenschaftliche Beraterin der Ausstellung ist Christine Levisse-Touze, die Direktorin des Museums Leclerc/Jean Moulin, eine – und das macht die Sache besonders traurig – ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet der Resistance. In den Archiven ihres Museums finden sich nämlich sehr viele Fotos, z.B. von der neunten spanischen Kompanie, der Nueve, bei der Befreiung von Paris.

Text: Wolfgang Hänisch
Fotos: Musee Carnavalet Paris/ Musee de Resistance/Deportation Lyon

[druckversion ed 09/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_4] Spanien: Queralbs – zwischen Mythos und Wirklichkeit

Es ist vielleicht nicht gerade offensichtlich, dass man auch in Spanien romantische Begegnungen mit Bergwelten haben kann.

Wer nun neugierig geworden ist und meinen Schritten folgen möchte, sollte mit der Bummelbahn von Barcelona aus über Vic und Ripoll (mit einem sehr sehenswerten Kloster) bis in das verschlafene Ribes de Freser fahren. In der dortigen Bahnhofskneipe werden hervorragende bocadillos serviert, also vormerken! Von hier aus nimmt man die Zahnradbahn (angeblich die einzige Spaniens) Richtung Vall de Núria. Eine Fahrkarte ist vorher zu lösen, aber heute nur bis Queralbs (Kerralps ausgesprochen), obwohl zugegebenermaßen der aufregende Teil der Strecke erst hinter Queralbs beginnt und Freunden aufregender Aussichten eine Fahrt bis nach Núria dringend ans Herz gelegt sei. Die Tiefe der sich direkt neben der Bahnlinie auftuenden Schluchten ist Atem beraubend.


Mein Ziel Queralbs auf halber Strecke aber ist unvergleichlich schöner als Núria, ein typisches Skigebiet mit dem Spitzenreiter auf meiner persönlichen Liste der hässlichsten Hotels der Welt.

Queralbs ist genau das, was ein Reisender sich unter einem versteckten Dorf in den Pyrenäen vorstellt. Vor dem Hintergrund einer aufregend dreidimensionalen Landschaft sieht man davon allerdings zunächst nur einen Parkplatz. Der ist für diejenigen erwähnenswert, die mit dem Auto unterwegs sind, da in Queralbs die Landstraße endet. Von hier aus geht es nur noch zu Fuß (der Weg beginnt dort, wo die Straße endet) oder mit besagter Zahnradbahn weiter. Wunderbar romantisch!

Zugegebenermaßen sieht man von dieser Stelle aus auch ein paar Neubauten, die sich aber recht annehmbar in die bestehenden Strukturen eingliedern, so dass wir sie getrost ignorieren können.

Man betritt das Dorf über eine kleine Steinbrücke. Wer sie überschreitet, befindet sich sofort auf dem, was üblicherweise "carrer major" (Hauptgasse) heißen würde, hier aber den Namen "carrer pla" (Ebene Gasse) trägt. Der Besucher, der links und rechts in die sich abzweigenden Gässchen blickt, zweifelt nicht einen Moment an dem Sinngehalt der Namensgebung. Das Material, mit dem die "Ebene Gasse" gepflastert ist, ist prä-Kopfstein: runde Steine sind hier in den Boden gesteckt. Das ergibt ein wunderbar mittelalterliches Flair und den Kühen ausreichend Gelegenheit, gefährlich mit den Hufen rudernd um die Ecken zu rutschen.

Die Häuser sind mit Schieferplatten verkleidet, was den altertümlichen Eindruck noch verstärkt. Die einzige, aber sehr gelungene Ausnahme stellt das Rathaus dar: ein diskretgelber Bau mit einem Glockenturm. Ich will glauben, dass (a) die Glocke nur im Brandfall geläutet wird und dass (b) die Leute dann "Feurio! Feurio!" schreien. Respektive natürlich das, was immer das katalanische Äquivalent davon sein mag.

Auf dem Spaziergang von der Brücke bis zum Rathaus hat man schon zwei erwähnenswerte Stationen verpasst, denn Queralbs ist vor allem eins: klein.

Das wird offensichtlich, wenn man dem carrer pla folgend nach wenigen Metern bei der romanischen Kapelle und damit dem Ende des Dorfes ankommt. Aber was für einem Ende! Ein beeindruckender, unaufdringlicher Bau aus dem 12. Jahrhundert, in dessen Details ich stundenlang schwelgen könnte.

Wer das Glück hat, auch den Innenraum besichtigen zu können, sollte sich nicht davon abhalten lassen, dass die Originalfresken in Barcelona im Museu d’Art de Catalunya aufbewahrt werden: dort wirken sie fremd und beinahe langweilig, während die Kopie hier vor Ort eine unvergleichliche Magie ausstrahlt.

Hinter der Kirche und dem leider unspektakulären Friedhof endet das Dorf und beginnt die in den Pyrenäen recht karg ausfallende Natur. Wer mag, kann von hier aus zu endlosen Spaziergängen aufbrechen. Ich allerdings schlage vor, umzudrehen und einen Wermut in einer der beiden Dorfkneipen zu trinken.

Die Bar, die ich aus unerfindlichen Gründen der anderen vorziehe, liegt hinter dem Rathaus auf der rechten Seite. Einer ihrer wichtigsten Vorzüge ist der dazugehörige Laden, in dem man exzellenten Käse und sehr gute Wurstwaren aus der Region kaufen kann. Nicht zu verachten ist auch der Jogurt, der zugegebenermaßen alles andere als fettarm ist. Aber wie sagt doch die Volksweisheit so schön: Fett schmeckt eben.

Wo wir schon beim Essen sind: wer schlau genug war, vorab einen Tisch zu bestellen oder wer einfach unverschämtes Glück hat, der isst nach dem obligatorischen Wermut in Mas Constans. Nicht, dass dieses gutbürgerliche Lokal aufgrund irgendwelcher lustigen Sternchen auf ewig ausgebucht wäre; es ist die Qualität, die eben ihre Freunde hat. Den Salat mit lauwarmem Ziegenkäse sollte man auf gar keinen Fall verpassen. Wer danach ein Fleischgericht bestellt, sollte auf einer ordentlichen Portion allioli bestehen, die hier mit geriebenem Apfel zubereitet wird. Das schmeckt man zwar nicht, weiß es aber. Und so fügt sich dem kulinarischen noch der intellektuelle Genuss hinzu.

Mas Constans verfügt übrigens auch über einige wenige Apartments mit Kamin, die ich nur empfehlen kann. Beim lodernden Feuer zu sitzen und der untergehenden Sonne zuzusehen, wie sie einen Gipfel nach dem anderen entzündet, ist schon ein ganz besonderes Spektakel.

Text + Fotos: Nil Thraby

Links:
Offizielle Seite Queralbs (auf Katalanisch) http://www.ajqueralbs.cat/
Information Bahnlinie von RIBES-ENLLAÇ nach NÚRIA (auf Englisch) http://www.valldenuria.com/website_valldenuria/eng/cremallera.asp
Mas Constans (Unterkunft/Restaurant; auf Englisch, Spanisch und Katalanisch) http://www.canconstans.com/index.php/ca/

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[kol_1] Macht Laune: Zu Besuch im noblen Rio
Urca – Rio de Janeiros charmantester Stadtteil

Herzlich willkommen in Rios charmantestem Stadtteil. Die Nächte hier waren unvergessen, mit wundervollen Frauen, Alkohol und viel Vergnügen. Wenigstens war es das, was mein Vater mir erzählte über das Nachtleben im Kasino von Urca, in den 50er Jahren.

Erst später stellte ich fest, dass das Kasino bereits 1946 seine Tore schloss, zehn Jahre bevor mein Vater überhaupt nach Rio kam. Ich hatte wohl etwa falsch verstanden, denke ich heute...

Aber jener Strand von Urca, mit dem Kasino und der einzigartigen Sicht auf die Stadtteile Botafogo und Flamengo, dort drüben auf der anderen Seite der Bucht: phantastisch. Mit nur einer Zufahrtsstraße und einer die herausführt, hat Urca beinahe eine peripherische Stellung und das inmitten der Stadt. Und, da am Fuße des Zuckerhuts gelegen, eine einzigartige Lage.

Unter der Woche kommen wenige Menschen hierher. Man trifft fast ausschließlich auf die Anwohner. Und mit einem der höchsten Quadratmeterpreise der Stadt, gehören die Anwohner mindestens zur gehobenen Mittelklasse. Oder darüber. Am Wochenende verirren sich Strandbesucher hierher, aber nicht zu viele.

Nachts verwandelt sich die lange Promenadenmauer zur längsten Theke der Stadt, an der die Vergnügungssüchtigen zur Meeresbrise ihr Bierchen genießen. Gespräche bis tief in die Nacht hinein, dazu Brasiliens berühmtes Fleischgericht "picanha" im Restaurant "Garota da Urca", mit seinem tollen Blick über die Bucht.

Das Kasino, das über Jahre den TV-Studios des Senders Tupi diente, beherbergt heute das Europäische Design-Institut IED, in dem Design- und Kunst-Kurse angeboten werden (http://rio.ied.edu.br).

Wir nehmen Euch mit auf eine kleine Tour durch Urca, einem absoluten Muss, solltet ihr einmal in Rio sein:

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Text + Fotos: Thomas Milz

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[kol_2] Traubiges: So schmeckt der Sommer
Álvarez y Díez Sauvignon Blanc 'Gorrión' Rueda 2013
 
Der Sommer ist vorbei. Seit Tagen regnet es (selbst in meiner Freizeit laufe ich in langer Hose herum) und nachts fällt das Thermometer auf unter zehn Grad. Unter zehn Grad – im August! Aber wenn mir jetzt schon die kurzen Hosen oder das Grillen im Park fehlen, bleibt mir wenigstens eins: der Geschmack des Sommers. Auf meiner Zunge schmecke ich noch immer die Frische eines Gebirgsbachs, das Aroma reifer Stachelbeeren und frisch gemähten Grases und den süß-säuerlichen Saft praller, leuchtendgrüner Äpfel. Ach, Sommer...

Was mir trotz Temperatursturz dieses anhaltende Vergnügen verschafft? Der Spatz. Der Spatz? Ja, der Spatz: El gorrión. So heißt ein Wein, den ich zum ersten Mal Anfang Juni getrunken habe und seitdem immer wieder genieße: ein Sauvignon Blanc von der Bodega Álvarez y Díez aus dem Anbaugebiet Rueda. Dort, in den 600 bis 800 Meter hohen Lagen von Nava del Rey, gut 50 Kilometer südwestlich von Valladolid, sind die Böden kalkstein- und kieshaltig. Dort fühlen sich Rebsorten wie Verdejo, Viura und Sauvignon Blanc besonders wohl. Die Weine aus diesem Anbaugebiet haben in den letzten Jahren einen beispiellosen Siegeszug angetreten. Es gibt kaum noch Tapasbars in Spanien, die keinen weißen Rueda anbieten.

Álvarez y Díez ist eine der bekanntesten der mehr als 50 Bodegas in Rueda. Der "Gorrión" stammt aus verschiedenen Lagen des Weinguts, die von den hohen Tag- und Nacht-Temperaturunterschieden geprägt sind. Diese Schwankungen verleihen den Trauben die einzigartige Frische eines Gebirgsbachs an einem lauen Sommermorgen. Aber der Reihe nach.

Der Wein fasziniert schon allein durch sein leuchtendklares Gelbgrün, das Sonnenstrahlen gleich in das Glas fließt. Hier entwickelt sich nicht nur irgendein Bouquet, sondern ein vibrierendes Potpourri mit Noten von reifen Zitrusfrüchten, die sich mit Stachelbeere, grünem Apfel und einem Anklang an Cassis und Papaya paaren – nicht zu vergessen den weißen Pfeffer. Kenner vergleichen diesen Rueda auch gerne mit einem Sancerre (obwohl der in der Regel deutlich teurer ist). Am Gaumen wird diese pralle, dichte Frucht noch von einer leichten Mineralik und einer kühlen Säure ergänzt – und eben den leichten Noten von frisch gemähtem Gras. Dabei ist diese Melange herrlich ausgewogen, überhaupt nicht aufdringlich, fast schon fein. Aber damit nicht genug: Zum Abschluss beschwingt dieser Wein noch einmal durch seinen jugendlich animierenden Nachhall, den würzig-salzigen Abgang und die überraschende Länge dieses furiosen Finales.

Eine überraschende Länge kann man dem deutschen Sommer zwar nicht bescheinigen, aber dafür waren seine Tage und Nächte – begleitet von diesem Wein – umso schöner. Und jetzt, da ich ihn an einem allzu herbstlichen Spätsommerabend trinke, lässt er mich zumindest fest daran glauben, dass bald der nächste Sommer kommt. Bestimmt!

Text + Foto: Lars Borchert

Über den Autor: Lars Borchert ist Journalist und schreibt seit einigen Jahren über Weine aus Ländern und Anbauregionen, die in Deutschland weitestgehend unbekannt sind. Diese Nische würdigt er mit seinem Webjournal wein-vagabund.net. Auf caiman.de berichtet er jeden Monat über unbekannte Weine aus der Iberischen Halbinsel und Lateinamerika.

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[kol_3] Hopfiges: Cruzcampo mit dem G-Punkt
 
Seit Jahren schon zaubern die Spanier in ihren Bierregalen: Sorten neuer und neue Sorten gestandener Brauereien bieten sie in Supermärkten und Discountern feil. Edles, mit Koriander und Lakritze verfeinertes Bier als Alternativ-Getränk zum Fisch preist die DAMM-Brauerei aus Barcelona. Niemand geringeres als der weltbeste Koch Ferran Adrià war an der Kreation maßgeblich beteiligt. Dieses Jahr überrascht Cruzcampo aus Sevilla mit einem andalusischen G-Punkt auf Flaschen und Dosen.

Der G-Punkt ist der Punto Glacial. Jede Flasche trägt ihn auf dem Etikett. In der Kühlung verfärbt er sich blau. Die Flasche oder Dose signalisiert dann: Die perfekte Trinktemperatur ist erreicht. Konsumier mich.

Der G-Punkt ist also eine Art Trinkhilfe. – Braucht’s das? Aber absolut!

Ich liebe es, morgens ein Fläschchen Bier zum Frühstück ans Bett geliefert zu bekommen. Nur perfekt temperiert muss es sein. – Zumindest träume ich davon. Leider ist in den Träumen die Temperatur immer zu warm und ich höre beim Aufwachen mein schlafendes ich sagen: "Jupp, dat is mich schon wieder ens ze wärm. Da komm ich nit op de Fööss mit."

Oder nehmen wir mein Lieblingsrestaurant. Vietnamesisch. Das Essen ist ganz großes Kino, nur leider scheitert das Personal an der Wissenschaft des Bierkühlens. Vielleicht ist der Kühlschrank zu warm eingestellt, jedenfalls schreit das Bier bei jedem Besuch nach Eiswürfeln. – Mit dem Punto Glacial auf der Flasche wäre das anders: "Kellnerin oder Kellner, komm mal her du. Siehst du nicht, dass der G-Punkt noch ganz unbefleckt weiß ist", würde ich dann sagen. "So nicht meine Liebe bzw. mein Lieber, ich möchte einen schönen blauen Punto Glacial sehen, wenn du mir ein neues Fläschchen bringst."


Cruzcampo aus Sevilla gehört neben Estrella DAMM zu den spanischen Klassikern. Mit dem Punto Glacial hat die Kreativabteilung Cruzcampos ein echtes Meisterstück geliefert. Ähnlich dem der die Hand umschmeichelnden Dose der Konkurrenz aus Barcelona, die vor knapp drei Jahren nur durch die Veränderung der Dosenoberfläche ein komplett neues Trinkerlebnis aus ein und demselben Stoff kreierte.

Mit dem Punto Glacial wirft Cruzcampo geschmacklich ein völlig neues Bier auf den Markt – oder auch gerade nicht? Allein das Design signalisiert: Da ist Frische drin! Kühle Frische. Eisiger Eingang, eisiger Abgang.

Der silberne Streifen auf dem Flaschenhals-Etikett mit dem blauen Punkt lenkt komplett ab von dem rustikalen, farblich im Blute des Stiers gehaltenen, prostenden Cruzcampo-Brauern. Es wirkt frischer, wie ein komplett neuer Stoff. Das Augenmerk gilt dem alle Harmonie der Komposition sprengenden Punkt. Schon stellt sich die Frage: Ja, was ist es denn jetzt? Handelt es sich beim Flaschen-Inhalt wirklich um Cruzcampo? Das Cruzcampo, das schon seit 1904 gebraut wird? Oder ist es vielleicht doch etwas Neues?

Schmecken jedenfalls tut es komplett anders! Unglaublich, wie die Wahrnehmung auf den Geschmack wirkt. Gut, süffig, dem Kölsch verblüffend ähnlich. Und mit einer wunderbar stetigen kühlen Frische. Das Eis lässt sich förmlich schmecken.

Auf der Website gibt es ein Anleitungsvideo: Den Kühlschrank auf 5°C einstellen und das Bier über dem Gemüsefach platzieren, der kältesten Stelle scheinbar. Dann warten und zuschauen wie sich der G-Punkt verfärbt. Trinken.



Den Punto Glacial verfärbt sich bei 3-4 Grad. Das ist genau der Zustand, von dem ich in der Aufwachfase träume. – Und während ich noch schlaftrunken an das perfekt temperierte Steh-auf-Bier denke, fällt mir mein Frankreich-Urlaub 2004 ein. Kronenburg hatte genau die gleiche Kältegradanzeige… So ganz neu schein die Idee des G-Punkts der Cruzcampo-Kreativen nicht zu sein. Aber sinnvoll unbestritten.


Bewertung Cruzcampo mit dem Punto Glacial

1. Hang over Faktor
(4 = kein Kopfschmerz):
2. Wohlfühlfaktor (Hängematte)
(4 = Sauwohl):
3. Etikett/Layout/Flaschenform
(4 = zum Reinbeißen):
4. Tageszeit Unabhängigkeit
(4 = 26 Stunden am Tag):
5. Völkerverständigung
(4 = Verhandlungssicher):

Text + Fotos: Maria Josefa Hausmeister

[druckversion ed 09/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: hopfiges]





[kol_4] Erlesen: Brasilien für Kinder - Brasilien bewegt uns
 
Brasilien ist auch für Kinder ein spannendes Land. Das zeigt uns das Buch "Brasilien bewegt uns" mit seiner Begleit-CD. Die Einführung ins Land im 1. Kapitel bleibt, trotz Detailreichtum, kindgerecht und bietet eine gute Zusammenfassung der wichtigsten Regionen und Eigenheiten dieses riesigen Landes. Ein landestypischer Vogel, der Bem-te-vi, wird uns zur Seite gestellt und führt in gesondert markierten Kästen durch das Buch.

Brasilien bewegt uns
Mathilda F. Hohberger / Ralf Kiwit
Ökotopia Verlag 2013

Seine Texte finden sich auch auf der CD wieder. In den weiteren Kapiteln, u.a. zur Musik, zum Tanz und zum Fußball, werden den Kindern oft Mitmachspiele angeboten (Malen, Schnitzen, Tanzen, Bauen etc.), die, wenn musikalisch, mit der Musik auf der CD verknüpft sind. So gibt es zum Beispiel Anleitungen zum Bau von einfachen Musikinstrumenten. Die Lieder auf der CD sind entweder Eigenkompositionen oder traditionelle Lieder, mit kindgerechten Texten, die lustig sind und häufig etwas zum Lernen bieten, z.B. Tiere des Landes in "Wenn der Brüllaffe trommelt" oder die Früchte in "Ein Kanu kentert" (die Kiwi ist hier allerdings deplatziert).

Zu den Liedern bietet das Buch Noten, Fotos und für die wichtigsten brasilianischen Tänze Choreographien an, so dass das Lernen leicht fällt. Mit Bem-te-vi reisen wir durch Rio de Janeiro und durch die Götterwelt, wir lernen Capoeira kennen und die Geschichte des Landes.

Brasilien bewegt uns
Mathilda F. Hohberger
Ökotopia Verlag 2013

Die Sprache wird den Kindern nahegebracht indem z.B. in den Liedern "Oxum" oder "Ciranda" zunächst eine Strophe auf Brasilianisch gesungen wird, bevor der deutsche Text einsetzt. Das Besondere an "Brasilien bewegt uns" ist die Kombination aus Musik, Bild und Text, die optimal Spaß und Lerneffekte bei den Kindern verbindet. Und zum Schluß gibt es als "Belohnung" dann die Anleitung für ein brasilianisches Fest, inkl. Dekoration und Rezepten für das Buffet.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

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