ed 05/2008 : caiman.de

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brasilien: Stefan Zweig in Brasilien - Interview mit Alberto Dines
THOMAS MILZ
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


peru: Pisco, Guano und die Seelöwen
NIL THRABY
[art. 2]
mosambik: Praia da Barra, Inhambane – Der perfekte Strand
DIRK KLAIBER
[art. 3]
argentinien: Paris, London, Buenos Aires – Eine Stadt im Wandel
ANDREAS DAUERER
[art. 4]
helden brasiliens: Die Lieder der Verfluchten
"Pecadinho" von Márcia Castro
THOMAS MILZ
[kol. 1]
erlesen: Havanna und die Musikindustrie
2x Kuba im LIT-Verlag
TORSTEN EßER
[kol. 2]
macht laune: Sommersünden eines Dicken
In sieben Tagen zum geliebten Bauch
DIRK KLAIBER
[kol. 3]
lauschrausch: Tribute im Doppelpack
Leonard Cohen / Lluís Llach
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] Brasilien: Stefan Zweig in Brasilien - Interview mit Alberto Dines

Alberto Dines kämpft seit Jahren dafür, Stefan Zweigs Haus in Petrópolis in eine Gedenkstätte für die vor den Nazis geflohenen europäischen Immigranten umzuwandeln.

Der brasilianische Journalist und Autor mehrerer Bücher, darunter eine wunderbare Biografie über Stefan Zweig und seine Zeit in Brasilien, sprach mit dem Caiman über die Verbindung des österreichischen Schriftstellers und dem "Land der Zukunft".


Welche Bedeutung hat Stefan Zweig für die Brasilianer?
Früher einmal ist er der am meisten übersetzte und bekannteste ausländische Autor gewesen. Das war so in den 40ern, 50ern und vielleicht sogar noch bis in die 60er Jahre hinein. Zum Teil lag es daran, dass sein brasilianischer Herausgeber ein sehr dynamischer junger Mann, die Bücher an den Haustüren der Menschen verkaufte. Und er verkaufte sehr viele Bücher. Heute noch findet man in den Antiquariaten die komplette 20 Bände umfassende Werksausgabe.

Zweig wurde sehr geliebt, besonders von den Frauen, speziell wegen Büchern wie "Marie Antoinette" oder "Brief einer Unbekannten". Er war der Feminist unter den Autoren und schrieb über die weibliche Psyche.

Zudem besaß er eine besondere Beziehung zu Brasilien, die vor allem ihren Ausdruck in "Brasilien, Land der Zukunft" fand. Dabei wurde das Buch in Brasilien sehr schlecht aufgenommen. Als es 1941 herauskam, hassten die Intellektuellen es regelrecht. Sie dachten, dass er damit ein Loblied auf die Diktatur von Getulio Vargas anstimme. Dabei ist es in Wirklichkeit ein Lobgesang auf den brasilianischen Menschen und auf das Land Brasilien. Da haben die Intellektuellen Einiges durcheinander gebracht.

Zweig hat diese Reaktion sehr verletzt. Er war ein wohlhabender Mann und hatte es nicht nötig, sich wegen eines Buches zu verkaufen. Wobei es aber natürlich stimmt, dass die brasilianische Regierung ihm und seiner Frau ein Daueraufenthaltsvisum ausgestellt hat. Damals ein Privileg, haben doch in jener Zeit weder Brasilien noch Argentinien jüdischen Flüchtlingen Visa vergeben. Klar war das eine Art Geschäft zwischen Zweig und der brasilianischen Regierung.

Aber trotz allem wurde das Buch in Brasilien ein kommerzieller Erfolg. Und heute kennt jeder den Slogan "Brasilien - Land der Zukunft". Er hat sogar Einzug in die Alltagssprache gehalten, obwohl viele Menschen gar nicht mehr wissen, dass er von Zweig stammt. Heutzutage gehört es zum brasilianischen Selbstverständnis, zu sagen, dass Brasilien das Land der Zukunft ist. Schon alleine aus diesem Grund kommt Zweig eine große Bedeutung zu.

In diesem Zusammenhang darf man auch die Auswirkung von Zweigs Freitod nicht unterschätzen. Einen Monat zuvor, im Januar 1942, hatte Brasilien die diplomatischen Beziehungen zu den Achsenmächten Deutschland, Italien und Japan abgebrochen.

Für Zweig war klar, dass der Krieg Brasilien erreicht hatte. Und sein Freitod traf auf großen Widerhall in der öffentlichen Meinung Brasiliens, besonders bei den einfachen Brasilianern. Er wurde als Opfer des Nationalsozialismus gesehen, und dies erzeugte Druck auf die brasilianische Regierung. Nur wenige Monate später, im August 1942, erklärte dann die Vargas-Regierung den Achsenmächten den Krieg.

Wurde sein Freitod denn als eine Art Protest gegen die Nazis angesehen?
Genauso hat man das gesehen. Zweig war niemals ein Militant, ein Flugblattschreiber. Aber sein Abschiedbrief, die "Declaração", galt als Protest gegen eine Welt, die nicht mehr die seine war. Und es war das Eingeständnis, dass alles anders werden würde, dass alles, was danach geschehen, vollkommen anders und neu sein würde. Natürlich handelte es sich nicht um einen direkten Protest, aber es blieb das Bild eines Opfers im Gedächtnis, eines Mannes der zuerst Widerstand praktizierte und sich dann doch umbrachte.

Ich habe etwas sehr Interessantes herausgefunden, das zuvor noch niemand erwähnt hat: obwohl sich Zweig selber umbrachte, hat der Rabbiner von Rio de Janeiro seinen Tod nicht als Selbstmord eingestuft und erteilte Zweig das Recht, auf dem jüdischen Friedhof in Rio beerdigt zu werden. Der Rabbiner hat ihn demnach nicht als Selbstmörder verdammt. Allerdings verweigerte die brasilianische Regierung ihre Zustimmung, und so wurde Zweig auf dem Friedhof von Petrópolis beigesetzt.

Was hat Zweig eigentlich bewegt, in Petrópolis zu wohnen?
Damals war Rio de Janeiro sehr viel kosmopolitischer als São Paulo. Heute ist das natürlich genau das Gegenteil. Aber aus diesem Grund wollte Zweig in der Umgebung von Rio bleiben, allerdings etwas abseits der Hektik der Hauptstadt. Andererseits war er verletzt von den sehr gnadenlosen Kritiken, die man "Brasilien - Land der Zukunft" entgegen gebracht hatte. Als Konsequenz dessen wollte er sich etwas absetzten. Er dachte zuerst daran, nach Teresópolis zu ziehen. Doch Teresópolis war nicht gerade eine sympathische Stadt.

Und so ging er dann schließlich nach Petrópolis, immerhin eine "kaiserliche" Stadt, die vom brasilianischen Kaiser Dom Pedro II. gegründet worden war. Das ist wichtig, schließlich verehrte Zweig den Habsburger-Nachkömmling. Er war der Meinung, Brasilien trage etwas vom österreichischen Erbe in sich. Und das bestärkte ihn in dem Entschluss, hierher zu kommen. Er mochte die USA nicht besonders, und das hatte nichts damit zu tun, dass er Antikapitalist war. Er war Antimaterialist und als reicher Man konnte er es sich ja auch leisten, Antimaterialist zu sein.

Aber ihm war nicht bewusst, dass Petrópolis so weit ab vom Schuss lag. Nicht, was die reine physische Entfernung betraf - das sind ja nur etwa 90 Kilometer. Aber niemanden verschlug es damals nach Petrópolis.


Die Bibliothek in Petrópolis war ein Witz, während die Nationalbibliothek in Rio eine formidable Institution darstellte. Er sehnte sich nach Büchern und nach seinen Freunden, nach intellektuellen Gesprächen.

Zudem suchte er sich ein recht einfaches Haus, wo er unter nahezu ärmlichen Umständen lebte. Für jemanden, der zwanzig Jahre lang in Salzburg in einem kleinen Schloss gelebt hatte und bereits unter Depressionen litt, müssen die Umstände eines "ärmlichen Lebens" noch zu einer Verschlimmerung der Depression beigetragen haben. Und hinzu kamen dann noch die Nachrichten von den Kriegsfronten, was meiner Meinung nach auch eine große Rolle hinsichtlich seines Allgemeinzustandes spielte.

Alles in allem tat ihm Petrópolis also nicht gut. Und für seine Frau war es noch viel schlimmer. Sie war um einiges jünger als er und litt unter starkem Asthma. Damals war die Luftfeuchtigkeit in Petrópolis um einiges höher als heute, und Zweigs Haus lag an der Passage, über die die von Rio und vom Meer hinauf ziehenden Wolken die Berge erklommen. Für einen Asthmatiker also eine denkbare ungünstige Umgebung. Zudem sprach sie kein Portugiesisch, die Angestellten konnten nicht kochen, und all dies führte zu ernsten Alltagsschwierigkeiten.

Ich denke, Zweig hat eine falsche Entscheidung getroffen. Er wollte dem direkten Dunstkreis der Hauptstadt entfliehen, doch entfernte er sich zu weit.

Wie kam der Mensch Zweig denn mit der brasilianischen Mentalität zurecht?
Zweig empfand eine Art Zärtlichkeit für das brasilianische Volk, für die einfachen Brasilianer. Und was besonders interessant ist: er erkannte im Brasilianer einen traurigen Menschen. - Nicht viele Gelehrte haben sich hierüber jemals ausgelassen. Paulo Prado, der berühmte brasilianische Anthropologe, hat einmal das Bild Brasiliens als Bild vom traurigen Menschen gezeichnet. In der damaligen Zeit erkannte Zweig diese brasilianische Traurigkeit, und sie berührte ihn sehr.

Mit den Intellektuellen verstand er sich gut, zumal es keine Sprachbarriere gab, da sie alle das Französische beherrschten. Aber er hat sich zu sehr von den Intellektuellen der Brasilianischen Schriftstellerakademie vereinnahmen lassen. Heute wie damals war die Academia Brasileira de Letras eine offizielle Institution, und die Intellektuellen standen der Regierung des Diktators Getulio Vargas sehr nahe. Dies entfernte ihn von den wirklichen Schriftstellern wie Jorge Amado und anderen, die in jener Zeit auftauchten. Er hat damit eine sehr radikale Wahl getroffen, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.

Zweig mochte Brasilien und wollte hier Arbeiten realisieren, die eng an die Kultur des Landes angelegt waren. So plante er ein Ballett mit Kompositionen von Vila-Lobos. Zudem hatte er die Absicht einen Film über das Leben der Marquesa de Santos zu drehen, der offiziellen Geliebten des ersten brasilianischen Kaisers Dom Pedro I.. Und ein anderer interessanter Fakt ist, dass Zweig 1940 nach Argentinien reiste, um die Rechte an zwei Filmen zu verkaufen, die auf seinem Werk basierten. Die Projekte wurden jedoch nie realisiert. Zweig war sehr viel daran gelegen, sich Möglichkeiten in Südamerika zu schaffen um an die Kultur angelehnte Projekte durchzuführen.

Die Lektüre von Hermann Graf Keyserlings Buch "Südamerikanische Meditationen" machte ihm klar, dass Südamerika rein gar nichts mit Nordamerika zu tun hatte. Die Lektüre dieses Werkes erweckt sein Interesse an Projekten, die einen Bezug zu Südamerika aufwiesen.

Er hielt zwei Konferenzen ab, eine in Brasilien und eine in Argentinien, die unter dem Motto der "Spirituellen Einheit der Welt" standen. Dort sprach er viel davon, dass Lateinamerika der Kontinent der Zukunft sei. Denn Europa sei vom Hass zerstört, und die USA seien zu materialistisch geprägt. Aber Lateinamerika habe den europäischen Humanismus geerbt. Heutzutage ist das nichts als pure Phantasie, aber damals, in den 30er und 40er Jahren, hat es tatsächlich diese Option gegeben.

Erinnern Sie sich an das Treffen mit ihm?
Ich war damals acht Jahre alt als er 1940 während seines zweiten Brasilienbesuchs in meine Schule kam. Und später hing im Büro meines Vaters ein Bild von Zweig, von ihm eigenhändig meinem Vater gewidmet. Und so trat jener berühmte Autor, der mich besuchte und meinem Vater eine Widmung schrieb, und der sich zwei Jahre später umbrachte, in mein Leben. Mein Vater ist damals sogar auf Zweigs Beerdigung gewesen. Später dann als Jugendlicher las ich seine Bücher.

Im Jahre 1979, also während der Militärdiktatur, schrieb ich eine Satire über Brasilien und mitten im Text schrieb ich: jener Stefan Zweig, der das Paradies erfand, brachte sich im Paradies um. Da dachte ich: hier hast Du einen Ausgangspunkt gefunden! Und da ich ja sowieso immer schon ein Buch über Zweig schreiben wollte, dachte ich mir, dass dies genau der richtige Betrachtungswinkel sei: der Tod im Paradies.

Ich begann mein Vorhaben also bereits mit einem fertigen Titel, der in Wirklichkeit nicht bloß ein Titel ist, sondern eine komplette Anschauung. Und so begann ich eine Biografie über die Zeit Zweigs in Brasilien zu schreiben. Das war etwas, was zuvor noch niemand getan hatte. Aber immerhin hat Zweig Brasilien dreimal besucht, hat ein unglaublich wichtiges Buch über dieses Land geschrieben und entschied sich für dieses Land, um sich das Leben zu nehmen - man kann die Bedeutung Brasiliens für Stefan Zweigs Leben also nicht einfach ignorieren.

Text, Interview + Fotos : Thomas Milz

Mit besonderem Dank an Alberto Dines, der eine vorzügliche Biografie über Stefan Zweig vorgelegt hat.

Tod im Paradies. Die Tragödie des Stefan Zweig
Gebundene Ausgabe: 724 Seiten
Verlag: Edition Büchergilde; Auflage: 1 (1. September 2006)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3936428646
ISBN-13: 978-3936428643

Die Casa Stefan Zweig in Petrópolis: www.casastefanzweig.org.br

[druckversion ed 05/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]





[art_2] Peru: Pisco, Guano und die Seelöwen

Wenn man Lust hat zu arbeiten, dann kann man hier auch Geld verdienen. Ich zum Beispiel komme aus Sabadell (bei Barcelona) und besaß noch nie so viel Geld wie hier - wenn man Geld haben jedenfalls in dem bemisst, was man normalerweise so kauft: ein Haus oder eine Wohnung, ein Auto. Ich habe seit fünf Jahren dieses Hotel und konnte nicht nur die angrenzenden Häuser erwerben, sondern mir auch eine Wohnung in Lima leisten. Und demnächst lege ich mir ein zweites Auto zu. (Juan, Hotelier in Pisco)

Nach ein paar kurzen Tagen in Lima haben wir gestern unsere Südtour begonnen. Da hier demnächst die Regenzeit beginnt, haben wir uns entschlossen, zuerst den Süden und danach erst den Norden zu besuchen.

Obwohl wir nur kurz in Lima waren, hatte ich echt Lust auf ein bisschen Sonne, da es in Lima dauerbedeckt ist. Immer grauer Himmel, ohne Niederschlag zwar, aber eben grau. Es hat ein wenig gedauert, bis der Himmel sich aufklarte, nachdem wir Lima endlich hinter uns gelassen hatten.

Koloniale Bauten gibt es auch in gestreift. Der arabische Einfluss bei diesem Rathaus ist mehr als deutlich.

Der Busbahnhof schuf nicht unbedingt Vertrauen. Einer von uns blieb immer ganz dicht beim Gepäck und kontrollierte ständig die Vorübergehenden. Vielleicht etwas übertrieben, aber Vorsicht ist ja bekanntlich die Mutter der Porzellankiste. In dem Bus waren wir die einzigen gringos,  der Rest Peruaner verschiedenster Hautfarbe. Die Busse sind nicht mit unseren Standards zu messen (eine Staubwolke stieg aus einem der Sitze auf, als ich etwas darauf warf), allerdings die Preise auch nicht: sehr preiswert und sie zeigen sogar ein Video (OmU).

Bei der Ausfahrt aus Lima kann man die cerros (Hügel) bewundern, die Lima umgeben und an deren Hängen hausähnliche Konstruktionen sich gen Gipfel schieben. Immerhin noch aus Stein... Die Küstenlandschaft ist wüst; im wahren Sinne des Wortes. Leider keine aufregend schöne Sanddünenwüste beim Sonnenaufgang, sondern sehr grau und einfach: wüst. In Peru -vielleicht als Fortsetzung der Tradition Nazca- wird gerne in / auf die Hänge geschrieben: politische oder kommerzielle Werbung, manchmal auch einfach der Name der Region oder anderes.

Während der Busfahrt steigen ab und zu fliegende Händler ein und verkaufen Essbares: Früchte, Maiskolben (mit einem uns unbekannten, sehr großkörnigen Mais), Kuchen, Gebäck, Erdnüsse und Getränke. Immer wenn der Bus anhält, gilt unser Blick der Gepäckklappe.

Der Busfahrer lässt uns an einer Kreuzung raus, denn er fährt nicht rein nach Pisco. Dort aber überfallen uns schon die Taxis und bald sind wir uns handelseinig. Der Fahrer schließt natürlich die Kofferraumklappe ab. Die Taxis sind klein und halboffiziell und es muss sich auch auf dem Fahrer- und dem Beifahrersitz angeschnallt werden. Der Taxifahrer bringt uns zu der Posada Hispana, einem Hotel der Mittelklasse. Dort treffen wir auf Juan aus Sabadell (bei Barcelona). Leider ist sein Hotel voll belegt, aber er verspricht uns für morgen ein Zimmer. Seine Zimmer, die er uns gerne zeigt, sind wirklich herrlich. Wenn man die Standards von hier anlegt, luxuriös. Und der Preis ist völlig ok. Wir schlafen derweil in einer sehr einfachen Pension (3,5 mal so billig und trotzdem sauber und mit mehr oder weniger warmem Wasser).


An der plaza de armas findet man diese Kirche, die einige erstaunliche Preziosen enthält, die gerne von dem Wächter gezeigt werden. Jedenfalls, wenn die Kinder ihn lassen.

Pisco hat angeblich 90.000 Einwohner, von denen man allerdings nichts merkt. Eher Kleinststadtflair. Der Hauptplatz -der hier häufig la plaza de armas, also der Waffenplatz, genannt wird- hat eine schöne Kirche und ein Rathaus im Kolonialstil. Die Leute (wir sehen auch ein paar Touristen) sitzen auf Bänken und schwatzen.

Außer der plaza de armas gibt es nicht viel zu sehen, wenn man auf "Sehenswürdigkeiten" aus ist. Wir besuchen eine völlig herunter gekommene Kirche mit Führung und ich spiele ein bisschen mit den Kindern, die versuchen, den Führer nervös zu machen.

Wenn man allerdings weniger auf die großen Außergewöhnlichkeiten aus ist, ist ein Gang durch die Straßen mehr als interessant.

Peru ist heute eine Vielvölkergesellschaft: neben autochthonen braunen und weißen, gibt es gelbe und auch schwarze Ursprünge.

Noch traue ich mich nicht, frei mit der Kamera herumzulaufen, sonst hätte ich gestern sicherlich die dreifache Menge an Photos gemacht. Die Farben sind schrill, die Kombinationen sehr ungewohnt, die Gesichter phantastisch! Mal abgesehen von den motorisierten Dreiradtaxis, die sich gestern Abend vor unserer Hoteltür versammelten, als ob sie eine Demonstration abhalten wollten. Es gibt viel Wahlpropaganda, allerdings direkt auf die Häuserwände gemalt. Jeder Kandidat hat, neben seiner Listennummer, auch ein Zeichen. Nicht alle können lesen.

Infokasten
Das Kuriose und leider so Charakteristische am Pisco ist, dass Pisco tatsächlich ein chilenisches Markenzeichen ist. Irgendein pfiffiger chilenischer Impresario hat sich den Namen registrieren lassen. Tatsächlich ist es nur der Name, der registriert ist und nicht etwa die gesamte Marke, wie etwa in dem Falle von Champagner. Dadurch darf auch weiterhin auf peruanischen Flaschen Pisco stehen, ohne dass das illegal wäre. Aber es ist eine von den tristen Geschichten, die das Blut der Peruaner zum Wallen und unsereins zum Verzweifeln bringt. So häufig sind es die anderen (vor allem natürlich aus Europa oder den USA), die den Peruaner ihre ureigensten Güter, seien es nun der Pisco oder das Gold, nehmen, weil die Peruaner einfach zu langsam sind. Man mag hier von Marktmechanismen sprechen, aber angesichts einer 50%igen Armut der Bevölkerung will mir das als zynisch erscheinen.

Wie gesagt hält Pisco einige kleinere Sehenswürdigkeiten bereit. Aber die eigentliche raison d’être für die vielen kleinen Reisebüros ist die Halbinsel von Parracas und die in der Nähe liegenden Ballesta-Inseln. Letztere werden auch manchmal die "Galapagos des kleinen Mannes" genannt.

Wir wollten die Inseln natürlich auch nicht verpassen. Juan hatte uns empfohlen mit einer der organisierten Touren mitzufahren, denn wir würden kaum Geld sparen, wenn wir versuchen würden, auf eigene Faust zu den Inseln zu kommen.

Pelikane versuchen Fishermen’s friends zu werden.

Schließlich ist das Betreten der Inseln nur alle paar Jahre erlaubt, wenn das Guano, der Vogelkot, dort abgebaut wird. Ansonsten sind die Inseln noch nicht einmal für Einheimische zu begehen.

Bei der Auswahl des Reisebüros trafen wir zum ersten Mal auf ein Phänomen, das wir auch in Zukunft des häufigeren erleben würden: eigentlich klang das Angebot sämtlicher Organisatoren vollkommen identisch, der Preis war auch derselbe. Nur der Name und die Freundlichkeit der Verkäuferin oder des Verkäufers differierten.

Die Halbinsel Parracas liegt ungefähr eine halbe Busstunde vom Zentrum Piscos entfernt. Dort gelangt man zum Hafen, an dem unübersehbar die Hauptbeschäftigung der Tourismus ist. Kaum dem Bus entstiegen, werden einem Mützen, Schals, Filme und sonstige Artikel angeboten, die Touristen eben so brauchen. Die Boote am Landungssteg sind überwiegend dazu gedacht, die gringos zu den Inseln zu transportieren. Aber es gibt immer noch ein paar Fischerboote, die um diese Tageszeit von Pelikanschwärmen umringt sind, die auf Fischreste hoffen. Dort, wo die Fischer solche Reste über Bord werfen, finden sich bis zu hundert Tiere ein. Pelikane (oder zumindest die Art, die wir hier antreffen) sind nicht eigentlich hübsch. Sie haben ein braun-weißes Gefieder, das ein bisschen schmutzig wirkt. Aber wenn sie in der Luft sind und man nur ihre schwarze Silhouette sieht, dann macht sie das zu sehr schönen Vögeln. Ihr Flug ist überaus elegant. Sie fliegen in Schwärmen, und es ist beeindruckend zu sehen, wie koordiniert die einzelnen Tiere hintereinander herfliegen.

Die Reise zu den Inseln dauert eine gute Stunde. Aber bevor wir mit unseren Schwimmwesten bewaffnet auf den offenen Ozean hinausfahren, sehen wir noch links eine hohe Düne auftauchen.

Der Kandelaber oder auch St.-Peter-Kaktus im Licht der Sonne

Und auf der abfallenden Dünenflanke ist ein riesiger Geoglyph, ein übergroßer Kandelaber zu erkennen. Es ist schwer zu schätzen, wie groß er ist, aber er wird 40 Meter hoch und vielleicht 20 Meter breit sein. Keiner weiß so recht, woher dieser Kandelaber kommt, wer ihn in den Sand gegraben hat und wann. Es gibt viele Theorien, von denen eine besagt, dass der Kandelaber zur Zeit der Parracas-Kultur (700 v. Chr. - 200 n. Chr.) entstanden ist. Und dass dieser Kandelaber in Wirklichkeit ein St. Pedro-Kaktus ist. Aus dem Saft dieses Kaktus wird ein halluzinogener Stoff gewonnen, der hier schon immer von Schamanen für die Zukunftsfindung benutzt wurde. Das andere Extrem besagt, dass der Kandelaber Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist.

Die Linien, die diesen Kandelaber bilden, sind ca. 20 Zentimeter in den Boden gegraben. Und - so zumindest behaupten das die Einheimischen - sie werden nicht gepflegt, nie nachgezogen oder sonst wie instand gehalten. Wenn man sich die Wüstenei um den Kandelaber herum ansieht, kommt einem das reichlich mysteriös vor, denn bei dem Wind, der uns fast die Mützen vom Kopf weht, sollte man eigentlich erwarten, dass der Kandelaber binnen kürzester Zeit zugeweht ist.

Dann geht die Reise weiter über den Ozean: ein herrlich blauer Tag reflektiert sich im Wasser und lässt auch dieses tiefblau erscheinen. Der Wind pfeift unablässig, aber wir schauen nur nach vorne und freuen uns an dem herrlichen Wetter. Die Inseln kommen in Sicht und beeindrucken sofort mit einem riesigen Felsbogen, eine Art Durchstich durch die Hauptinsel. Noch bevor wir ganz herankommen liegt links etwas Obskures im Wasser, das der Führer schnell beseitigt. Wir fragen ihn auf Spanisch, was denn das gewesen sei: eine Pinguinhaut. Die Fischer, erzählt er uns, erjagen von Zeit zu Zeit auch einen Pinguin, obwohl das streng verboten ist.

Sobald wir ein bisschen näher an die Inseln gekommen sind, sehen wir sofort Seelöwen. Aufregung macht sich im Boot breit: unsere Kamera ist nicht die einzige, deren Auslöser unaufhörlich geht.

Seelöwen beim Sonnenbad

Das nächste, was wir bemerken, ist der unglaubliche Gestank, den Seelöwen und sonstiges Getier ausströmen. Zuerst sehen wir die Silhouetten der Seelöwen unter dem Felsbogen, etwas später dann fahren wir in kaum 30 Meter Abstand an ihnen vorbei. Sie fläzen sich auf den Felsblöcken herum oder springen ins Wasser und baden. Der Lärm, den sie machen, ist absolut beeindruckend. Etwas später werden wir an eine Art Badestrand kommen, an dem einige tausend Tiere liegen: da muss man sich schon fast die Ohren zuhalten.

Die Seelöwinnen (-löwen gibt es eigentlich nur ein paar) machen den Eindruck eines völlig entspannten Lebens. Nicht einmal dass Geier eine verstorbene Kollegin zerfleischen, hält sie davon ab, kaum ein paar Handbreit daneben in der Sonne zu liegen.

Auf den Inseln gibt es aber nicht nur Seelöwen. Von den seltenen und sehr kleinen Pinguinen, die dort dank des (ziemlich) kalten Humboldtstromes überleben können, sehen wir nur einen Schatten, der sich in die Ecke einer kleinen Grotte drückt. Nur an seinem weißen Brustgefieder ist er zu erkennen. Ansonsten: Vögel, Vögel und noch mal Vögel.

Die Guano-Anlagen stören das Bild ein wenig. Ihre Existenz wird etwas verständlicher, wenn man weiß, dass Peru eine seiner goldenen Phasen der Postkolonialzeit dem Guano verdankt. Das Wort "Guano" kommt sogar aus dem Quechua (einer der beiden einheimischen Sprachen Perus und die Sprache der Inka) und bedeutet genau das, was man auch heute unter Guano versteht: (ein natürlicher Dünger aus) Vogelscheiße. Guano wird in Peru seit vielen hundert Jahren als Dünger benützt. Die Inkas kannten es bereits und es war ihnen so wertvoll, dass ein Guano-Dieb dem sicheren Tod ins Auge sehen musste.

Ende der ersten Hälfte des 19 Jahrhunderts wurde Guano von der westlich-industrialisierten Welt entdeckt, speziell von den USA, Frankreich und England. Die Düngekraft Guanos erwies sich dabei als so stark, dass die Landwirtschaft dieser Länder, sowie später die der anderen europäischen Länder, von Guano abhängig wurde.

Die Ballesta-Inseln sind nicht nur eine ökologisches Paradies, sondern auch Teil der einstmals so wichtigen Guano-Vorkommen.

Die hoch verschuldete peruanische Regierung sah einen möglichen Ausweg aus der Krise und ließ Guano abbauen, was das Zeugs hielt. Dass Guano über Hunderten von Jahren entsteht, war dabei natürlich nicht so entscheidend. Man muss allerdings zugeben, dass die drei wesentlichen Guano-produzierenden Vogelarten erstaunliche Mengen hervorbringen können: auf einer der Inseln leben bis zu einer Millionen Tiere, die wiederum bis zu 11 000 Tonnen jährlich "produzieren". Und vielleicht hinzufügen, dass Peru mit einer horrenden Summe verschuldet war; sie hofften, die gesamten Schulden mit dem natürlichen Dünger bezahlen zu können. Guano wurde so bedeutend, dass es fast zu einem Krieg zwischen Peru und den USA gekommen wäre, als im Jahre 1852 ein großes Vorkommen auf den Lobos-Inseln entdeckt wurde, und die USA die Inseln schlicht annektierten. Man einigte sich letztendlich gütlich: Peru senkte den Preis drastisch und bekam dafür die Inseln zugesprochen, aber die Idee schien den Nordamerikanern gefallen zu haben: 1856 beschloss der amerikanische Kongress, dass seine Staatsbürger jede Insel im Pazifik oder in der karibischen See mit Guano-Vorkommen, die noch nicht "rechtmäßig" zu einem anderen Land gehöre, besetzen könnten und dass diese Insel zu amerikanischem Staatsgebiet erklärt werden könne und schließlich, dass sie keinesfalls "zurückgegeben" würde, bis die Vorkommen erschöpft seien.

Die Vorkommen wurden unter unmenschlichsten Bedingungen abgebaut. Tausende chinesischer Arbeiter - die meisten von ihnen schanghait - arbeiteten unter katastrophalen Umständen: fast nackt, ohne jegliches Recht auf Ruhe oder gar Urlaub. Viele begingen Selbstmord. Zusammen mit den Chinesen arbeiteten Strafgefangene und ein paar Polynesier. John Moresby beschrieb das 1913 mit den Worten, es gäbe kaum eine Parallele hinsichtlich kaltblütiger Grausamkeit.

Ähnlich wie das andere große Zeitalter, das des Kautschuks, wurde der Guano-Reichtum jäh durch die Erfindung eines künstlichen und preiswerteren Ersatzstoffes, in diesem Falle dem Kunstdünger - Justus Liebig ist hier der große Name-, beendet. Und da das meiste Geld aus dem Erlös des Guanos nicht in die Hände der Arbeiter gelangt war, sondern für die Staatsschulden aufgebraucht oder im Missmanagement verdunsten war, hieß das schlicht und einfach mal wieder Misere für die Einheimischen.

Infokasten
Seit 1995 hat Guano wieder einen kleineren Markt. Um die Reserven zu schützen, unterliegt die Verwaltung der Ressourcen der Regierung, was aber auch nicht immer garantiert, dass das daraus generierte Geld im Land bleibt. Guano wird in komplizierter Handarbeit abgebaut. Alle vier oder fünf Jahre kommen Arbeiter hier auf die Inseln und kratzen das Zeug regelrecht von den Felsen. Einzig mit einer Schaufel und einem Eimer bewaffnet, arbeiten sich die Leute durch die Schichten von Vogelkot und hinterlassen die Insel dann mehr oder weniger "kahl". Was die Seelöwen dazu sagen, vermag ich nicht zu beantworten.

Auf jeden Fall war der Anblick, Geruch und das Geräusch der vielen tausend Seelöwen mehr als beeindruckend. Ein wirklich schönes Erlebnis!

Text + Fotos: Nil Thraby

[druckversion ed 05/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: peru]





[art_3] Mosambik: Praia da Barra, Inhambane - der perfekt Strand

Von Maputo aus fahren wir ab dem Backpacker Hostel The Base in einem Kleinbus nach Inhambane. Es ist zwar geringfügig teurer sich am Hotel abholen zu lassen, aber es besteht Sitzplatz- und Mitnahmegarantie. Und es wird der Bus mit dem meisten Platz pro Passagier für den Rest unserer Reise durch Mosambik (Mozambique, Moçambique) sein. Nach sieben Stunden Fahrt erreichen wir die Kleinstadt Inhambane, die vom Bürgerkrieg weitestgehend verschont wurde und sich zurzeit anschickt, sich zu einem Musterstädtchen zu mausern. Viele der Kolonialbauten - hierzu zählen alle Bauten, die unter der Fremdherrschaft der Portugiesen zwischen dem frühen 16. Jahrhundert und 1975 errichtet wurden - sind bereits wieder in Takt oder werden gerade hergerichtet.

Inhambane Hafen [zoom]
Inhambane Kathedrale [zoom]

Nach kurzem Aufenthalt fährt unser Bus weiter nach Tofo. Der Strand von Tofo war bekannt dafür, Domizil reicher Mosambikaner und Südafrikaner zu sein, heute beherbergt die schöne Bucht ein paar Posadas für Rucksacktouristen, die meist als Entwicklungshelfer in Mosambik arbeiten. "Echte" Traveler, die das südliche Afrika bereisen und dabei Mosambik einbeziehen, trifft man kaum. Mosambiks Tourismusindustrie ist nahezu zu 100 Prozent auf die Nachbarn aus Südafrika ausgerichtet, die in den Ferienzeiten die Strände des Südens bis hoch zum Bazarruto-Archipel bereisen.

In Tofo steigen wir um in den Jeep und erreichen, nachdem wir an einer Tankstelle Bargeld eingekauft haben - man bezahlt mit Visakarte und Unterschrift und erhält dafür mosambikanische Meticais -, das Barra Reef. Dort beziehen wir eine Strandhütte aus Holz, ausgerichtet für bis zu sechs Personen mit Gasherd, Kühlschrank, Eisschrank und fließend Warmwasser.

Casitas 8 + 9 Barra Reef Resort [zoom]
Feuerstelle mit Arbeitsplatte [zoom]

Ein Balkon, der zum separierten oberen Bereich gehört, spendet der Porch, die in den feinen Sand des Palmenstrandes hinausführt, Schatten. Begrenzt wir der zementierte Bereich durch eine Grill-, Feuerstelle, die für die nächsten Tage zum zentralen Punkt der Nachmittage bzw. Abende avanciert.

Unsere einzigen Besucher sind Fischer, die ihren Fang des Tages in Form von Fischen, wie Barracuda, Zander oder Thunfisch, oder Krustentieren wie Krabben, Langostinos oder Langusten anbieten und zwei Schwestern, die uns mit Avocado, Piri-Piri (Chili), Knoblauch, Limone, Papaya und Ananas versorgen.

Blick von Makolo Bay Bar [zoom]
Barracuda-Fischer, Guard Barra Reef [zoom]

Tagsüber verköstigen wir uns meist auswärts in einem der beiden Restaurants bzw. Bars am Strand. Das eine gehört zum Barra Reef und bietet einen Blick über die weite Bucht, das zweite zum Makolo Bay. Letzteres liegt auf Höhe der Netzfischer, die in Zusammenarbeit mit zwei Dhaus - Holzboote mit einem Mast, der vertikal wie horizontal ausgerichtet werde kann - vom Strand aus fischen. Die Netzte hängen an zwei bis zu hundert Metern langen Seilen, an denen jeweils fünf bis acht Männer die Fische an den Strand befördern.

Auf diesen Moment warten die Frauen, die sich im Schatten der Bäume in den Dünen aufgehalten haben. Sie eilen herbei und es entsteht eine geschäftige Marktsituation. Nach Abschluss der Geschäfte wird der Fisch in Körben abtransportiert, die die Frauen auf den Köpfen balancieren. An der Bar des Makolo Bay kommen wir an keinem Tag vorbei ohne uns nach dem morgendlichen Strandspaziergang mit Cocktail da Camarão und Weißwein zu verwöhnen.

Markt [zoom]
Netzfischer [zoom]

Abgesehen von dem feinen Sand, der mit einer hauchdünnen Salzkruste überzogen ist und betörend schöne Knirschlaute von sich gibt, wenn man ihn begeht und dem glasklaren Wasser des Indischen Ozeans besticht der Strand durch seine Wannenbildung. Je nach Gezeitenstand formen Sandbänke flache oder etwas tiefere Becken, die als natürliche Pools dem Wohlbefinden zu Höhenflügen verhelfen. Ein beliebtes Spiel ist es etwa, sich von einer Welle 30-40 Meter zum Strand tragen zu lassen, auf die Sandbank aufzulaufen, auf allen Vieren robbend die wenigen Zwischenmeter zu überwinden und sich dann sanft in eines der Becken gleiten zu lassen.

Planschbecken I [zoom]
Planschbecken II [zoom]

Spielen macht durstig und so statten wir der Wirtin der Bar des Barra Reef einen kurzen Besuch ab, um uns mit Getränken einzudecken. Danach auf der Terrasse erfrischen wir uns mit Savanna (Cider) oder 2 M (Bier), während Sonne und Meersalz auf der Haut dem Bauch signalisieren: Meeresfrüchte. Das Feuer ist entfacht und die Nacht bricht herein. Kurz nach 18 Uhr besteht der Himmel nur noch aus Sternen.

Text + Fotos: Dirk Klaiber

Unterkunft in Barra
Barra Reef, Beste Lage haben die Casitas 7, 8, 9. Mit Tauchbasis, die auch Schnorcheln mit Walhaien anbietet. www.barrareefresort.co.za, bookings@barrareefresort.co.za, Telefon Oris (00258) 824118388

Barra Reef Tauchbasis [zoom]
Terrasse Barra Reef Restaurant [zoom]

Makolo Bay, www.makolobay.com, makolobaybeach@hotmail.com, Telefon Ronelle (00258) 825693691

Terrasse Makolo Bay Bar [zoom]
Blick von Makolo Bay Bar [zoom]

Beide Camps stehen unter sehr netter südafrikanischer Leitung und bestechen durch ihre Lage. Kartenzahlung funktioniert noch (April 2008) nicht.

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[art_4] Argentinien: Paris, London, Buenos Aires - Eine Stadt im Wandel

Eigentlich haben wir es alle immer geahnt, jetzt endlich haben wir Gewissheit: In Zukunft wird Buenos Aires in einem Atemzug mit Paris und London genannt werden. Immer! - Und das nicht zu unrecht. Die Porteños selbst haben es ja schon seit jeher gewusst, dass ihre pulsierende Metropole ganz oben auf der Liste der schönsten Städte dieses Erdballs steht. Zumindest diejenigen, die die ganz alten Zeiten miterlebt haben. Damals, als die Stadt in den 20er und 30er Jahren den Tango für sich entdeckte und gleichzeitig die Boheme der Welt anzog, die Geschäfte florierten und die goldenen Zeiten wirklich golden waren.



Inzwischen bahnt sich ein Generationswechsel an. Kinder, die eine Militärdiktatur überstanden haben, sind inzwischen groß geworden. Sie mussten zusehen, wie die Weltmeisterschaft 1990 verloren ging und durften schließlich den großen wirtschaftlichen Crash 2001 am eigenen Leib erfahren. Viele von ihnen würden liebend gerne die Stadt eher heute denn morgen verlassen, wenn sie nur könnten.

Buenos Aires ist eine Stadt der Gegensätze geworden. Die alten, wundervollen Häuser und Villen aus den tiempos dorados, die gibt es noch immer. Sie glänzen zwar nicht mehr ganz so, ziehen jährlich aber dennoch Tausende Touristen an, die vermehrt den starken Euro im Gepäck haben. Die Inflation ist hoch wie nie. Beim Spaziergang durch die von Verkehr verstopfte Innenstadt - die Fußgängerzone einmal ausgenommen - fällt diese jedoch nicht weiter auf. Aber es leben nun mal über 50 Prozent der Bevölkerung unterhalb der berühmten Armutsgrenze. Und die liegt deutlich unter 500 argentinischen Pesos. Beim derzeitigen Wechselkurs also unterhalb 100 Euro. Pro Monat. Der gewöhnliche Tourist bekommt diese Armut in der Regel selten bis gar nicht zu Gesicht.

Gut lebt der, der Geld hat in der großen Stadt. Wie überall sonst auch auf dieser Welt. Buenos Aires macht es dem Touristen so herrlich einfach, die Tage zu genießen. Ein bisschen Tango in La Boca, ein kurzes Flanieren auf dem Cementerio de Ricoleta mit einem Anstandsbesuch bei Evita - nach wie vor in Grab 57 - schließlich auf ein saftiges Steak im Puerto Madero. Dann kann sie kommen die Nacht der tausend Möglichkeiten.

Ich mag die Stadt. Ich mochte sie vom ersten Moment an und werde sie weiter lieben. Aber diese Liebe durchlebt gerade eine harte Phase. Nein, keine Trennung auf Probe, aber die Sache mit uneingeschränkter Zuneigung steht auf dem Prüfstand. Wir kennen uns vielleicht doch schon zu lange und zu intensiv.

Jetzt soll es Paris und London sein. Vor einem Jahr hat dieses unsägliche Gerede begonnen. Verständlich, man muss sich ablenken und die schönen Tage sind wichtig für die Moral der Gesellschaft, die, ganz im Gegensatz zu manch hochrangigem Politiker, noch welche zu haben scheint. Der einfache Grund: es hat im vergangenen Juli in der Stadt der guten Lüfte geschneit. Ein Drama war das, zumal viele der Bewohner noch nie Schnee zu Gesicht bekommen haben. Denn der fällt in der Stadt normalerweise nicht. In Mar de Plata oder im benachbarten La Plata kann das schon mal vorkommen. Aber in der 14 Millionen Einwohner Metropole?

Bizarre Momente ließen sich auf den Straßen beobachten. Frauen wie Männer standen einfach nur da und beobachteten die Schneeflöckchen. Busfahrer stiegen aus und reckten ihre Handflächen nach oben, um das kalte Nass auf der Haut spüren zu können. Jubel, Trubel, Heiterkeit - wir sind Paris. Dabei fällt es auch nicht ins Gewicht, dass wieder zig Menschen an einer Kohlenmonoxidvergiftung starben, weil die Holz- und Gasheizungen nicht ordnungsgemäß funktionierten. Wir sind immerhin Paris.

Von London wusste zu dieser Zeit noch niemand. Erst als die Stadtkulisse jüngst im April in einen tiefen Nebelschleier gehüllt war, kam es zu dem Vergleich. Dumm nur, dass dieser Nebel weitgehend von Menschen gemacht und mit einem englischen Fog so gar nicht zu vergleichen war: doch über brennende Augen, schweres Atmen und kratzende Kehlen konnte man sich in der Stadt der guten Lüfte unterhalten.

Schuld waren die Bauern, die in geradezu anachronistische Verhaltensmuster zurückfielen. Sie fackelten ihre Felder ab, um sie für die nächste Saat fruchtbar zu machen. Das ist in Argentinien nicht einmal verboten. Problematisch wurde es nur deshalb, da es ein paar Bauern gleichzeitig versuchten, es außer Kontrolle geriet und schließlich - zaghaften Schätzungen zufolge - 140 Hektar in Flammen standen.

"Pastizales" nennt man das Abbrennen des Bodens, was eine Rauchentwicklung nach sich zieht, die ihresgleichen sucht. Kritische Stimmen behaupten, dass nicht nur die abgeernteten Felder als Feuerfutter dienten, sondern auch anderer unliebsamer Tand seinen Weg in die Flammen fand. Das immerhin würde den beißenden Geruch und das Brennen in den Augen des "humo" irgendwie erklären. "No es toxico", ließ die Stadt verkünden. Macht weiter wie bisher, verkürzt einfach die Zeit auf der Straße, schließt die Fenster; es sieht doch immerhin nett aus. Wie in London eben. In einer Stadt mit 14 Millionen Einwohnern haben aber leider viele nicht die Möglichkeit, mal eben zu Hause zu bleiben, um sich nicht hölzernem Smog auszusetzen. Zwischenzeitlich hat man den vor allem für nationale Verbindungen zuständigen Flughafen Aeroparque gesperrt und auch vom zentralen Busbahnhof befuhren keine Busse mehr die nördlichen Routen. Auf den Straßen war die Sicht vielerorts deutlich unter 50 Meter. Kein Wunder also, dass die Zahl der Verkehrsunfälle noch einmal über der ohnehin schon erschreckenden Quote lag.

Verwundert reibt der Beobachter seine Augen, doch nicht nur ob des Rauches, sondern vor allem, weil die Regierung weitgehend tatenlos alles geschehen ließ. Mauricio Macri, neuer Bürgermeister und Ex-Präsident von Boca Juniors, beschloss, erstmal nichts zu unternehmen. Nach drei Tagen dann wurden 80 Feuerwehrleute organisiert, die peu a peu auf 240 anwuchsen. Genützt hat es dem Krieg gegen die Flammen wenig. Die brennen teilweise noch immer, wenngleich man die einzelnen Herde nach knapp 20 Tagen in den Griff bekommen hat und der Wind den Rauch aus der Stadt vertreibt.

Weil aber irgendjemand dann doch zur Verantwortung gezogen werden muss, wurde jetzt ganz formal die Umweltministerin Romina Picolotti angeklagt. Fahrlässiger Sachschaden und Körperverletzung sowie Nichterfüllung ihrer ministerialen Aufgaben lautet der Vorwurf. Es könnte gut sein, dass sie ihren Hut nehmen muss.

Der Zeitpunkt der Anklage hätte auch nicht besser gewählt sein können. Wer jetzt nämlich in Buenos Aires aus seiner Haustür tritt, der hat zwar noch immer den Russgeruch in den Nasenschleimhäuten, aber weitgehend freie Sicht und keine roten Augen mehr. Und die Prognosen für den Wonnemonat Mai sind sogar soweit, dass sich der Rauch tatsächlich vollkommen aus der Stadt verabschieden wird. Vielleicht wird Buenos Aires ja dann in Zukunft jahreszeitenweise abwechselnd einmal Paris und einmal London sein dürfen. Wenn auch nur für ein paar Tage oder Wochen.

Text + Fotos: Andreas Dauerer

[druckversion ed 05/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: argentinien]





[kol_1] Helden Brasiliens: Die Lieder der Verfluchten
"Pecadinho" von Márcia Castro

Hören: 1_Frevo.mp3 (Erster Song des Albums Pecadinho)

Heutzutage fällt einem leider sehr selten eine wirklich überraschende Musikproduktion in die Hände; vor allem nicht, wenn es sich um ein Erstlingswerk handelt. Meist wird versucht, den Geschmack der breiten Masse zu treffen und das Ganze wirkt dann übertrieben quadratisch-angepasst.

Wie gut, dass es da immer noch Ausnahmen gibt, dass Musiker etwas Ausgefallenes wagen. Wie zum Beispiel Lieder von Komponisten aufzunehmen, die gerade nicht in Mode sind. Márcia Castro, eine 29-jährige Sängerin aus Bahia, ist mit ihrer CD "Pecadinho" solch ein Fall.

Auf dieser sehr eklektischen CD singt Márcia Lieder von Tom Zé, Jorge Mautner, Sérgio Sampaio und Itamar Assumpção, um nur einige der "malditos", der Verfluchten der brasilianischen Musikszene, zu nennen. Und man bekommt sogar ein bisher unveröffentlichtes Stück von Zeca Baleiro zu hören, "Nega Neguinha".


"Aber man hat mir erzählt, dass Zeca das Stück für seine nächste CD gerade aufnimmt", weiß Márcia zu berichten.

"Ich liebe Chico Buarque, Caetano und Gil. Aber man hat ihre Stücke schon so oft aufgenommen und ich wollte unbedingt bisher unbekanntere Lieder singen; Lieder, die mich bewegen. Deshalb bin ich hinter den als 'Verfluchte' bezeichneten Komponisten her gewesen, den 'Außenseitern', die wunderbare Sachen gemacht haben, leider aber niemals den Durchbruch bei der breiten Masse hier in Brasilien schafften."

Die CD ist eine wahrhafte Achterbahnfahrt zwischen Frevo ("Pecadinho"), elektronischer Musik, Reggae, Blues ("Nega Neguinha"), Rhythmen aus Bahia und sogar einer Ballade mit Orchester ("Rainha do Egito" von Jorge Mautner). "Diese Auswahl spiegelt meine Persönlichkeit wider – eine Mischung, die ich in mir trage. Mein Vater war Musiker, Trompeter; er spielte vor allem Jazz, Bossa Nova und Musica Popular Brasileira. Das hat meine musikalische Basis geprägt. In meiner Jugend kam dann noch brasilianischer Rock und Pop dazu.

Ich liebe die brasilianische Poesie, die Wörter, und deshalb bewegt mich das brasilianische Lied sehr. Danach habe ich ein Musikstudium absolviert und bin mit der „musica erudita" in Berührung gekommen, die nichts mit der Identität von Bahia zu tun hat, wie Samba-Reggae und Samba."

Dank der sorgsamen Produktion von Luciano Salvador Bahia, unter "der wertvollen Mithilfe von Márcia Castro" (so steht es im CD-Beiheft), balanciert die CD derart unterschiedliche Stile gekonnt aus. Luciano Salvador Bahia ist auch für die an einen bunten Jahrmarktzirkus erinnernde Grundstimmung und die Theatersounds der CD verantwortlich. "Im Leben ist ja irgendwie alles ein großes Theater, das Leben an sich ist eine Bühne. Und Luciano ist zudem auch Theaterregisseur. Er erarbeitet die Musik zu den an der Universität von Bahia aufgeführten Stücken. Ich selber habe auch schon Musik fürs Theater aufgenommen und sogar als "cantriz", einer Mischung aus Schauspielerin und Sängerin, in einem Stück mitgewirkt. Deshalb verstehen wir beide uns in diesem Bereich sehr gut, sind uns nahe. Und das bereichert unsere gemeinsame Arbeit ungemein."

Zurzeit reist Márcia hin und her zwischen Salvador und São Paulo, wo sie eine Reihe von Auftritten hat, um "Pecadinho" dem Publikum vorzustellen.


"Es ist sehr schwierig, sich von Salvador oder irgendeiner anderen Stadt des Nordostens aus auf die nationale Bühne zu katapultieren. Die wirtschaftliche Achse ist nun einmal hier im Süden, und hier gibt es das Geld, um sich eine Karriere aufzubauen. Heute geht nichts ohne Geld – Du machst kein Konzert, keine Tournee oder Platte ohne Geld. Und dies sitzt vor allem hier in São Paulo." Márcia kam auf eigenes Risiko nach São Paulo und ging von Tür zu Tür, um einen Produzenten zu finden. Und hat es geschafft.


Wir trafen Márcia an einem sonnigen Tag in São Paulo zum Interview.

Warum musstest Du nach São Paulo kommen um Deine CD vorzustellen? Die Musikszene in Salvador ist doch eigentlich national sehr stark?
Márcia: Aber in Salvador gibt es die Tradition der Axé Musik, die alles andere unterdrückt. Ich glaube nicht, dass es sich dabei um einen bewussten Prozess handelt oder eine Art System, aber die Leute interessieren sich einfach nicht für Dinge, die nicht Axé Musik sind. Alle sind derart in diesem Axé-Ding involviert und verdienen damit sehr viel Geld.

Natürlich gibt es immer noch interessante Sachen wie die Arbeit des Cortejo Afro und selbst Daniela Mercury und Carlinhos Brown versuchen ja, ein bisschen Innovation in die Axé Musik hineinzubringen.

Aber ganz allgemein gesehen hat in Salvador eine totale Vermassung des Axé stattgefunden. Und Axé verschließt den Markt vollkommen für jegliche andere Form von musikalischer Äußerung. Noch schlimmer ist allerdings, dass es in allen Bereichen der Kultur in Bahia zu einer Vergnügungskultur gekommen ist, sei es im Theater oder beim Tanz. Kunst zählt nur, wenn man sich dabei vergnügen kann.

Wenn wir auf einem öffentlichen Platz in Salvador auftreten, müssen wir unser Repertoire anpassen und seichtere und fröhlichere Stücke spielen. Sonst hört einfach niemand zu. Diese totale Vermassung hat sich in Salvador über die letzten 20 Jahre entwickelt, und was die Qualität angeht, ging dabei Einiges verloren.

Ich bin ein Fan der frühen Jahre der brasilianischen Musik als man noch wunderbare Texte finden konnte und besonders sorgsam mit der Musik umgegangen ist. Heute gibt es das nicht mehr. Zwar spielen die besten Musiker in den Axé-Gruppen, und die CDs sind ja auch sehr gut produziert und arrangiert. Aber es ist so als ob man eine musikalische Einheitsnorm eingeführt hätte mit immer den gleichen musikalischen und textlichen Themen, den gleichen Rhythmen. Der diesjährige Carnaval erinnerte mich eher an einen Rave – alles genau gleich. Alles Einheitsware, Einwegware.


Natürlich ist das überall auf der Welt so. Aber im Fall von Salvador passiert dies auf eine besonders grausame Art. Und es infiziert andere Kulturbereiche wie zum Beispiel das Theater – hier hat ein Stück nur Erfolg, wenn rumgeblödelt wird.

Passiert das auch in anderen Kulturzentren des Nordostens?
Márcia: In Recife geht man ganz andere Wege. Dort gibt es den Frevo, Maracatu, aber auf nationaler Ebene wird Recife nicht als bedeutendes Kulturzentrum angesehen. Die dortige Bewegung ist sehr langsam entstanden, aber man ist dabei vorsichtig vorgegangen. Man beschützt die Populärkultur und überrollt deren Manifestationen nicht einfach. Ich halte das für eine sehr interessante Entwicklung.

Axé fällt jetzt ja sogar in den Carnaval Rios ein, der traditionell stets am Samba festgemacht wurde...
Márcia: Ich will nicht sagen, dass die Ikonen der verschiedenen Musikrichtungen nicht eine gewisse Qualität aufzuweisen hätten. Aber die Sertaneja-Musik [brasilianische Countrymusik mit mexikanischem Einschlag] und Axé haben heutzutage diesen Plagen-Effekt; sie infizieren einfach alles und legen eine musikalische Norm über alles. Und dies geschieht nicht nur in den Medien, sondern generell bei allen Manifestationen. Axé überdeckt sogar den Samba in Bahia, den es praktisch kaum noch gibt.


Stets hat man sich darüber gestritten, ob der Samba in Rio oder in Bahia geboren wurde. Roque Ferreira hat einmal gesagt: wenn er tatsächlich in Bahia geboren wurde, so hat er eine Rabenmutter. Will man Samba in Bahia hören, muss man nach Cachoeira oder Santo Amaro gehen. In Salvador selbst findet man ihn nicht mehr. Aber daran sind nicht die Axé-Musiker schuld – da steckt eine komplette Produktionskaskade dahinter.

Willst Du mit deiner Musik denn nicht die Massen ansprechen?
Márcia: Nicht, dass ich das nicht will. Es ist ja immer gut, wenn man die Masse anspricht, und es wäre ja sehr anmaßend von mir, das nicht zu wollen. Wie es auch eine Anmaßung wäre, dies zu wollen. Aber ich mache das alles zuerst einmal für mich, und erst danach schaue ich, ob es jemandem gefällt.

Text, Interview: Thomas Milz
Fotos: Virgínia de Medeiros (Fließtext) und Thomas Milz (Interview)

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[kol_2] Erlesen: Havanna und die Musikindustrie
2x Kuba im LIT-Verlag

Cornelius Schlicke
Tonträgerindustrie und Vermittlung von Livemusik in Kuba.
Populäre Musik im Kontext ökonomischer Organisationsformen und kulturpolitischer Ideologien


Die Länge des Titels von Cornelius Schlickes Studie über die kubanische Musikindustrie deutet schon darauf hin, dass es sich um eine Dissertationsschrift handelt. Aber das bedeutet nicht, dass sie trocken geschrieben wäre. Im Gegenteil, wer sich für das Thema interessiert, wird nicht nur mit einem detail- und kenntnisreichen Text belohnt, er erfährt auch Vieles über Kuba, dass auf den ersten Blick wenig mit Musik zu tun hat. Denn die Musikindustrie ist - wie vieles andere dort - wesentlich stärker in die staatliche (Kultur-)Politik einbezogen als in demokratischen Ländern. Hat doch die Regierung schon früh erkannt, wie wichtig eine Steuerung der kulturellen Inhalte ist, und heute außerdem, wie ertragreich Kultur/Musik sein kann. Deshalb regelt die Politik von der Ausbildung der Musiker über die Produktion und den Vertrieb von Tonträgern bis zum Konzert im Musikbereich alles. Wie und warum sich dieser Sektor entwickelt hat und auf welche Weise er funktioniert, schildert Schlicke ausführlich und unter Einbeziehung von Aussagen einer großen Anzahl Zeitzeugen.


Sehr interessant ist zum Beispiel das Kapitel über die Bedeutung des Buena Vista Social Club (BVSC) für die kubanische Musikindustrie generell, in dem der Autor detailliert die steigende Anzahl an Produktionen und internationalen Lizensierungen kubanischer Musik nach dem Erfolg des Projektes belegt. Oder auch die Passage über die Transformation der kubanischen Musikindustrie während der Krise zu Beginn der 90er Jahre, als es ausländischen Firmen gestattet wurde, dem Monopol des staatlichen Unternehmens EGREM Konkurrenz zu machen, mit schwerwiegenden Folgen für Letzteres. Die Kommerzialisierung führte nicht nur zu einer Abwanderung bekannter Interpreten zur internationalen Konkurrenz, sondern auch zu einer Verringerung von Projekten, die nur geringen ökonomischen Erfolg versprachen. Das Pendel schlug ins andere Extrem um: nun stand Kommerz zumeist vor künstlerischem Anspruch. In vielen Exkursen bringt der Autor uns aber auch Details aus dem Leben der Musiker näher - z.B. in der Darstellung eines Musikerwerdegangs (S. 374ff) -, beleuchtet das Publikum und seine Vorlieben oder die Rolle der (staatlichen) Medien für die Musik. Eine lesenswerte Arbeit, nicht nur für Musikinteressierte und Kubafans.


Gerhard Drekonja-Kornat (Hg.)
Havanna. Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft


Letztere können sich über ein zweites, im LIT-Verlag erschienenes Buch freuen. Der Wiener Historiker und Lateinamerika-Experte Gerhard Drekonja-Kornat hat einen Band über seine Lieblingsstadt Havanna herausgegeben. In der wunderbar zu lesenden Einführung schildert er mal ironisch, mal spannend die rund 40-jährige Entwicklung seiner Beziehung zur "Perle der Karibik", geprägt von Neugier, Freude und Hilfsbereitschaft, aber auch von Unverständnis und Ablehnung gegenüber vielen Ideen und Taten des Regimes. Er bindet weltgeschichtliche Ereignisse (Raketenkrise etc.) genauso in seine persönliche Geschichte ein wie Schicksale von Menschen, die er während seiner Besuche kennen gelernt hat.

Gerhard Drekonja-Kornat (Hg.)
Havanna. Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft
LIT-Verlag Wien, 2007, 176 S., 14,90 Euro

Doch natürlich bietet der Band über die trotz des Verfalls "vor Lebenslust, Talent, Kreativität und Schönheit" berstende Stadt noch mehr. Neun weitere Autoren widmen sich eng oder weit gefasst Themen wie der Architektur (3), Musik (3) oder dem Alltag der Bewohner, den Kurt Tschmelitsch in seinem Beitrag über das Barrio Colón eher literarisch verarbeitet. Sehr lesenswert: Adelheid Pichlers wissenschaftlicher Artikel über die Geschichte der (Alt)Stadt und ihren Verfall, Havannas Verhältnis zum Rest der Insel und die religiösen Praktiken seiner Bewohner, verknüpft mit persönlichen Erfahrungen und Zitaten aus der Literatur. Und auch Johanna Abels Beitrag über ein (inzwischen wieder geschlossenes) Kulturcafé eröffnet dem Besucher neue Perspektiven auf die Stadt und ihre Menschen. Christof Spörks Beitrag über das Verhältnis von Musik und Revolution gleicht einer Mini-Zusammenfassung der Dissertation von Schlicke, womit sich für den Rezensenten der Kreis schließt und er sich voller neuer Eindrücke, Fakten und Geschichten über Kuba zufrieden zurücklehnen kann.

Text: Torsten Eßer
Fotos: amazon

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[kol_3] Macht Laune: Sommersünden eines Dicken
In sieben Tagen zum geliebten Bauch

Spundekäs, Spundekäs, wer ist der Hässlichste im ganzen Land?*
Du natürlich! Sieh dich doch an, wie dir der Hüftspeck übers Handtuch quillt, der widerwärtige weiße Bauch formlos herabhängt und die Brüste fallenden Dreiecken gleichen, deren Sprungfedern leiern. Aber - die vom Diätwahn ergriffenen, denen das letzte Fünkchen Freude enteilt - die mag ich auch nicht. Und doch bedenke: Obwohl es noch hässlichere gibt als dich mein dicker Prinz, wäre es mal wieder an der Zeit mit deinem Wams in Klausur zu gehen.


Strand, Barra, Inhambane, Moçambique.
Tag 1: Entmutigt ob der enthaltsamen Zeit, die ihm bevorsteht, fällt dem Prinzen das Aufstehen schwer. Weiß er doch, dass ihn der Hunger einholen und der Kühlschrank sich nicht füllen wird. Trübsal blasend überbrückt er die ersten Stunden des Tages. Runde um Runde schleicht er um den kalten Grill und träumt von T-Bone und Rump. Auch das T-Shirt traut er sich nicht zu liften. "Hässlich", hatte der Spundekäs gesagt und so wollte er sich nicht der Öffentlichkeit zeigen.

Am Nachmittag jedoch treten drei Jungs an ihn heran und heben den Deckel ihrer Kühlbox: "Camarão?" Der Einsame ist gerettet. Satt entkleidet er sich und schläft zufrieden in der Sonne.

Tag 2: Diebisch äugt der Prinz nach rechts und links. Und auch weit hinaus auf See wandert sein suchender Blick, doch weder die drei Jungs noch ein Krabbenkutter lassen sich erspähen.

Und doch verheißt ihm eine innere Stimme: Entzünde das Feuer. Als die Glut am schönsten ist, nähert sich ein Fischer, der sein mit einem Korb bestücktes Fahrrad über den Strand schiebt, stoppt und präsentierend einen Barracuda in die Sonne hält. Welch ein Hochgefühl, den befriedeten Bauch zu bräunen.

Tag 3: Eine Frau, die Avocados und Brot auf ihrem Kopf balanciert, erwartet den noch schlaftrunkenen Prinzen und auch die Krabben-Jungs eilen herbei. Sonne und Bauch besiegeln an diesem Tag die Blutsbruderschaft.

Tag 4: Ein Südafrikaner, der sich für eine Nacht in der angrenzenden Bretterburg einquartiert, zeigt dem Prinzen nach Smalltalk seine bis zum Anschlag mit Fleisch und Wurst gefüllte Gefrierbox und lädt ihn ein, sich hemmungslos zu laben. Bauch glänzt im gleißenden Licht.


Tag 5: Wegen Überfüllung geschlossen! Der Bauch wird braun.

Tag 6: Gut erholt zeigt sich der Prinz entzückt ob der schweren Langusten, die zwei Fischer auf seinen Grill hieven. Das Braun wird satter.

Tag 7: Mit einem in Olivenöl und Knoblauch gebratenen Langostino schreibt der Prinz "vollbracht" auf seinen schwarzen Bauch.



Spundekäs, Spundekäs, was sagst du nun?
So schnell zurück, mein Prinz? Lass dich mal anschauen. Dein Bauch, mein Prinz - entschuldige meine anzügliche Ausdrucksweise - erotisch! Am Liebsten würde ich mich in deinen gerösteten Speckfalten suhlen. Dein Bauch, der kein Gramm eingebüsst hat, mein Prinz, ist der schönste Bauch der Welt. Gehe hinaus und trage ihn stolz zur Schau. Reiße dir auf allen Tanzflächen dieser Welt das Hemd vom Leib und lasse dein Volk an den vollendeten Rundungen eines Dicken teilhaben.

Text + Fotos: Dirk Klaiber

*Im Spundekäs lasen die Rheingauer dem Prinzregenten des portugiesischen Weltreichs Dom Joao VI., hinter vorgehaltener Hand auch der Dicke genannt, im Jahre 1807 die Zukunft, woraufhin dieser sich unverzüglich mit seinem Hofstab nach Brasilien einschiffte.

[
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[kol_4] Lauschrausch: Tribute im Doppelpack

V.A.
Acordes con Leonard Cohen
Discmedi/ galileo mc
Der kanadische Sänger Leonard Cohen hat mit seinen lyrischen Texten und eigenwilligen Melodien seit Mitte der 60er Jahre nicht nur die Beat- und Hippiegeneration begeistert, sondern auch ein riesiges Publikum jenseits davon. So wurde er, der bis heute den Musikmarkt mit seiner vertonten Poesie bereichert, zu einem Vorbild für viele Musiker, was sich in diversen Tribute-Alben niederschlägt. Nun ist ein weiteres, ganz besonders gelungenes erschienen. Auf der Doppel-CD (+ DVD) "Acordes con Leonard Cohen" finden sich zwar auch wunderbare englischsprachige Tributes von Künstlern wie Jackson Browne, Elliott Murphy oder Adam Cohen (Leonards Sohn), aber der größte Teil sind spanische und katalanische Interpretationen seiner Lieder, aufgenommen im Januar 2007 während dreier Konzerte in Katalonien. Denn entwickelt und realisiert hat diese Idee der Cohen-Biograph Alberto Manzano.

V.A.
Acordes con Leonard Cohen
Discmedi/ galileo mc

Und so erklingt Duquendes Flamencogesang in "Mi gitana" ("My Gypsy Woman") ebenso wie die Stimmen des Basken Jabier Muguruza, der "Chelsea Hotel" und – auf Baskisch – "So long Marianne" singt, oder des Ex-Radio-Futura-Sängers Santiago Auserón ("Tú sabes quien soy"). Cohens berühmtestes Lied, "Suzanne", wird gleich zweimal gecovert, vom katalanischen Gitarristen Toti Soler und der Sängerin Perla Batalla. Für Cohens "Hit" "Hallelujah" aus dem Jahre 1988 hat sich der Katalane Gerard Quintana entschieden, während Javier Solis und Javier Mas sich durch "The Butcher" rocken. Der Wortmagier Constantino Romero vertont schließlich drei Gedichte aus dem reichhaltigen lyrischen Werk Cohens. Wenn man Cohens Musik mag, ist dieses Werk eine Offenbarung, denn die meisten Interpretationen eröffnen eine neue Sicht auf seine Lieder.

V.A.
Homenatge a Lluís Llach
Picap/ galileo mc
Einem weiteren großen "Liedermacher" ist das zweite Tribute-Album gewidmet: dem Katalanen Lluís Llach, der in Spanien berühmter ist als Leonard Cohen. Auf dieser Doppel-CD kehrt sich das Verhältnis um: seine Lieder werden von vielen Landsleuten neu interpretiert, aber nur von einigen Ausländern. Darunter jedoch die US-Folkrocker The Walkabouts, der Kubaner Sílvio Rodríguez (auf Katalanisch) und der Elektronikpapst Jean-Michel Jarre, der Llachs Hymne "L'estaca" – sehr kitschig - zu sphärischen Klängen von einem Opernchor singen läßt.

V.A.
Homenatge a Lluís Llach
Picap/ galileo mc

Während viele Sänger – Maria del Mar Bonet, Joan Isaac, Manu Guix etc. – nahe an den Originalinterpretation bleiben, präsentieren uns Miquel Gil und die Inadaptats (Punk) sehr rockige Versionen von "La casa que vull" bzw. "La gallineta". Die Gruppe Mesclat macht aus "No és això, companys" sogar einen Reggae, gemischt mit den Klängen der katalanischen Tenores. Insgesamt ein spannender und humorvoller Blick auf das Lebenswerk eines wichtigen Sängers.

Text: Torsten Eßer
Fotos: amazon

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