ed 05/2008 : caiman.de

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[art_2] Peru: Pisco, Guano und die Seelöwen

Wenn man Lust hat zu arbeiten, dann kann man hier auch Geld verdienen. Ich zum Beispiel komme aus Sabadell (bei Barcelona) und besaß noch nie so viel Geld wie hier - wenn man Geld haben jedenfalls in dem bemisst, was man normalerweise so kauft: ein Haus oder eine Wohnung, ein Auto. Ich habe seit fünf Jahren dieses Hotel und konnte nicht nur die angrenzenden Häuser erwerben, sondern mir auch eine Wohnung in Lima leisten. Und demnächst lege ich mir ein zweites Auto zu. (Juan, Hotelier in Pisco)

Nach ein paar kurzen Tagen in Lima haben wir gestern unsere Südtour begonnen. Da hier demnächst die Regenzeit beginnt, haben wir uns entschlossen, zuerst den Süden und danach erst den Norden zu besuchen.

Obwohl wir nur kurz in Lima waren, hatte ich echt Lust auf ein bisschen Sonne, da es in Lima dauerbedeckt ist. Immer grauer Himmel, ohne Niederschlag zwar, aber eben grau. Es hat ein wenig gedauert, bis der Himmel sich aufklarte, nachdem wir Lima endlich hinter uns gelassen hatten.

Koloniale Bauten gibt es auch in gestreift. Der arabische Einfluss bei diesem Rathaus ist mehr als deutlich.

Der Busbahnhof schuf nicht unbedingt Vertrauen. Einer von uns blieb immer ganz dicht beim Gepäck und kontrollierte ständig die Vorübergehenden. Vielleicht etwas übertrieben, aber Vorsicht ist ja bekanntlich die Mutter der Porzellankiste. In dem Bus waren wir die einzigen gringos,  der Rest Peruaner verschiedenster Hautfarbe. Die Busse sind nicht mit unseren Standards zu messen (eine Staubwolke stieg aus einem der Sitze auf, als ich etwas darauf warf), allerdings die Preise auch nicht: sehr preiswert und sie zeigen sogar ein Video (OmU).

Bei der Ausfahrt aus Lima kann man die cerros (Hügel) bewundern, die Lima umgeben und an deren Hängen hausähnliche Konstruktionen sich gen Gipfel schieben. Immerhin noch aus Stein... Die Küstenlandschaft ist wüst; im wahren Sinne des Wortes. Leider keine aufregend schöne Sanddünenwüste beim Sonnenaufgang, sondern sehr grau und einfach: wüst. In Peru -vielleicht als Fortsetzung der Tradition Nazca- wird gerne in / auf die Hänge geschrieben: politische oder kommerzielle Werbung, manchmal auch einfach der Name der Region oder anderes.

Während der Busfahrt steigen ab und zu fliegende Händler ein und verkaufen Essbares: Früchte, Maiskolben (mit einem uns unbekannten, sehr großkörnigen Mais), Kuchen, Gebäck, Erdnüsse und Getränke. Immer wenn der Bus anhält, gilt unser Blick der Gepäckklappe.

Der Busfahrer lässt uns an einer Kreuzung raus, denn er fährt nicht rein nach Pisco. Dort aber überfallen uns schon die Taxis und bald sind wir uns handelseinig. Der Fahrer schließt natürlich die Kofferraumklappe ab. Die Taxis sind klein und halboffiziell und es muss sich auch auf dem Fahrer- und dem Beifahrersitz angeschnallt werden. Der Taxifahrer bringt uns zu der Posada Hispana, einem Hotel der Mittelklasse. Dort treffen wir auf Juan aus Sabadell (bei Barcelona). Leider ist sein Hotel voll belegt, aber er verspricht uns für morgen ein Zimmer. Seine Zimmer, die er uns gerne zeigt, sind wirklich herrlich. Wenn man die Standards von hier anlegt, luxuriös. Und der Preis ist völlig ok. Wir schlafen derweil in einer sehr einfachen Pension (3,5 mal so billig und trotzdem sauber und mit mehr oder weniger warmem Wasser).


An der plaza de armas findet man diese Kirche, die einige erstaunliche Preziosen enthält, die gerne von dem Wächter gezeigt werden. Jedenfalls, wenn die Kinder ihn lassen.

Pisco hat angeblich 90.000 Einwohner, von denen man allerdings nichts merkt. Eher Kleinststadtflair. Der Hauptplatz -der hier häufig la plaza de armas, also der Waffenplatz, genannt wird- hat eine schöne Kirche und ein Rathaus im Kolonialstil. Die Leute (wir sehen auch ein paar Touristen) sitzen auf Bänken und schwatzen.

Außer der plaza de armas gibt es nicht viel zu sehen, wenn man auf "Sehenswürdigkeiten" aus ist. Wir besuchen eine völlig herunter gekommene Kirche mit Führung und ich spiele ein bisschen mit den Kindern, die versuchen, den Führer nervös zu machen.

Wenn man allerdings weniger auf die großen Außergewöhnlichkeiten aus ist, ist ein Gang durch die Straßen mehr als interessant.

Peru ist heute eine Vielvölkergesellschaft: neben autochthonen braunen und weißen, gibt es gelbe und auch schwarze Ursprünge.

Noch traue ich mich nicht, frei mit der Kamera herumzulaufen, sonst hätte ich gestern sicherlich die dreifache Menge an Photos gemacht. Die Farben sind schrill, die Kombinationen sehr ungewohnt, die Gesichter phantastisch! Mal abgesehen von den motorisierten Dreiradtaxis, die sich gestern Abend vor unserer Hoteltür versammelten, als ob sie eine Demonstration abhalten wollten. Es gibt viel Wahlpropaganda, allerdings direkt auf die Häuserwände gemalt. Jeder Kandidat hat, neben seiner Listennummer, auch ein Zeichen. Nicht alle können lesen.

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Das Kuriose und leider so Charakteristische am Pisco ist, dass Pisco tatsächlich ein chilenisches Markenzeichen ist. Irgendein pfiffiger chilenischer Impresario hat sich den Namen registrieren lassen. Tatsächlich ist es nur der Name, der registriert ist und nicht etwa die gesamte Marke, wie etwa in dem Falle von Champagner. Dadurch darf auch weiterhin auf peruanischen Flaschen Pisco stehen, ohne dass das illegal wäre. Aber es ist eine von den tristen Geschichten, die das Blut der Peruaner zum Wallen und unsereins zum Verzweifeln bringt. So häufig sind es die anderen (vor allem natürlich aus Europa oder den USA), die den Peruaner ihre ureigensten Güter, seien es nun der Pisco oder das Gold, nehmen, weil die Peruaner einfach zu langsam sind. Man mag hier von Marktmechanismen sprechen, aber angesichts einer 50%igen Armut der Bevölkerung will mir das als zynisch erscheinen.

Wie gesagt hält Pisco einige kleinere Sehenswürdigkeiten bereit. Aber die eigentliche raison d’être für die vielen kleinen Reisebüros ist die Halbinsel von Parracas und die in der Nähe liegenden Ballesta-Inseln. Letztere werden auch manchmal die "Galapagos des kleinen Mannes" genannt.

Wir wollten die Inseln natürlich auch nicht verpassen. Juan hatte uns empfohlen mit einer der organisierten Touren mitzufahren, denn wir würden kaum Geld sparen, wenn wir versuchen würden, auf eigene Faust zu den Inseln zu kommen.

Pelikane versuchen Fishermen’s friends zu werden.

Schließlich ist das Betreten der Inseln nur alle paar Jahre erlaubt, wenn das Guano, der Vogelkot, dort abgebaut wird. Ansonsten sind die Inseln noch nicht einmal für Einheimische zu begehen.

Bei der Auswahl des Reisebüros trafen wir zum ersten Mal auf ein Phänomen, das wir auch in Zukunft des häufigeren erleben würden: eigentlich klang das Angebot sämtlicher Organisatoren vollkommen identisch, der Preis war auch derselbe. Nur der Name und die Freundlichkeit der Verkäuferin oder des Verkäufers differierten.

Die Halbinsel Parracas liegt ungefähr eine halbe Busstunde vom Zentrum Piscos entfernt. Dort gelangt man zum Hafen, an dem unübersehbar die Hauptbeschäftigung der Tourismus ist. Kaum dem Bus entstiegen, werden einem Mützen, Schals, Filme und sonstige Artikel angeboten, die Touristen eben so brauchen. Die Boote am Landungssteg sind überwiegend dazu gedacht, die gringos zu den Inseln zu transportieren. Aber es gibt immer noch ein paar Fischerboote, die um diese Tageszeit von Pelikanschwärmen umringt sind, die auf Fischreste hoffen. Dort, wo die Fischer solche Reste über Bord werfen, finden sich bis zu hundert Tiere ein. Pelikane (oder zumindest die Art, die wir hier antreffen) sind nicht eigentlich hübsch. Sie haben ein braun-weißes Gefieder, das ein bisschen schmutzig wirkt. Aber wenn sie in der Luft sind und man nur ihre schwarze Silhouette sieht, dann macht sie das zu sehr schönen Vögeln. Ihr Flug ist überaus elegant. Sie fliegen in Schwärmen, und es ist beeindruckend zu sehen, wie koordiniert die einzelnen Tiere hintereinander herfliegen.

Die Reise zu den Inseln dauert eine gute Stunde. Aber bevor wir mit unseren Schwimmwesten bewaffnet auf den offenen Ozean hinausfahren, sehen wir noch links eine hohe Düne auftauchen.

Der Kandelaber oder auch St.-Peter-Kaktus im Licht der Sonne

Und auf der abfallenden Dünenflanke ist ein riesiger Geoglyph, ein übergroßer Kandelaber zu erkennen. Es ist schwer zu schätzen, wie groß er ist, aber er wird 40 Meter hoch und vielleicht 20 Meter breit sein. Keiner weiß so recht, woher dieser Kandelaber kommt, wer ihn in den Sand gegraben hat und wann. Es gibt viele Theorien, von denen eine besagt, dass der Kandelaber zur Zeit der Parracas-Kultur (700 v. Chr. - 200 n. Chr.) entstanden ist. Und dass dieser Kandelaber in Wirklichkeit ein St. Pedro-Kaktus ist. Aus dem Saft dieses Kaktus wird ein halluzinogener Stoff gewonnen, der hier schon immer von Schamanen für die Zukunftsfindung benutzt wurde. Das andere Extrem besagt, dass der Kandelaber Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist.

Die Linien, die diesen Kandelaber bilden, sind ca. 20 Zentimeter in den Boden gegraben. Und - so zumindest behaupten das die Einheimischen - sie werden nicht gepflegt, nie nachgezogen oder sonst wie instand gehalten. Wenn man sich die Wüstenei um den Kandelaber herum ansieht, kommt einem das reichlich mysteriös vor, denn bei dem Wind, der uns fast die Mützen vom Kopf weht, sollte man eigentlich erwarten, dass der Kandelaber binnen kürzester Zeit zugeweht ist.

Dann geht die Reise weiter über den Ozean: ein herrlich blauer Tag reflektiert sich im Wasser und lässt auch dieses tiefblau erscheinen. Der Wind pfeift unablässig, aber wir schauen nur nach vorne und freuen uns an dem herrlichen Wetter. Die Inseln kommen in Sicht und beeindrucken sofort mit einem riesigen Felsbogen, eine Art Durchstich durch die Hauptinsel. Noch bevor wir ganz herankommen liegt links etwas Obskures im Wasser, das der Führer schnell beseitigt. Wir fragen ihn auf Spanisch, was denn das gewesen sei: eine Pinguinhaut. Die Fischer, erzählt er uns, erjagen von Zeit zu Zeit auch einen Pinguin, obwohl das streng verboten ist.

Sobald wir ein bisschen näher an die Inseln gekommen sind, sehen wir sofort Seelöwen. Aufregung macht sich im Boot breit: unsere Kamera ist nicht die einzige, deren Auslöser unaufhörlich geht.

Seelöwen beim Sonnenbad

Das nächste, was wir bemerken, ist der unglaubliche Gestank, den Seelöwen und sonstiges Getier ausströmen. Zuerst sehen wir die Silhouetten der Seelöwen unter dem Felsbogen, etwas später dann fahren wir in kaum 30 Meter Abstand an ihnen vorbei. Sie fläzen sich auf den Felsblöcken herum oder springen ins Wasser und baden. Der Lärm, den sie machen, ist absolut beeindruckend. Etwas später werden wir an eine Art Badestrand kommen, an dem einige tausend Tiere liegen: da muss man sich schon fast die Ohren zuhalten.

Die Seelöwinnen (-löwen gibt es eigentlich nur ein paar) machen den Eindruck eines völlig entspannten Lebens. Nicht einmal dass Geier eine verstorbene Kollegin zerfleischen, hält sie davon ab, kaum ein paar Handbreit daneben in der Sonne zu liegen.

Auf den Inseln gibt es aber nicht nur Seelöwen. Von den seltenen und sehr kleinen Pinguinen, die dort dank des (ziemlich) kalten Humboldtstromes überleben können, sehen wir nur einen Schatten, der sich in die Ecke einer kleinen Grotte drückt. Nur an seinem weißen Brustgefieder ist er zu erkennen. Ansonsten: Vögel, Vögel und noch mal Vögel.

Die Guano-Anlagen stören das Bild ein wenig. Ihre Existenz wird etwas verständlicher, wenn man weiß, dass Peru eine seiner goldenen Phasen der Postkolonialzeit dem Guano verdankt. Das Wort "Guano" kommt sogar aus dem Quechua (einer der beiden einheimischen Sprachen Perus und die Sprache der Inka) und bedeutet genau das, was man auch heute unter Guano versteht: (ein natürlicher Dünger aus) Vogelscheiße. Guano wird in Peru seit vielen hundert Jahren als Dünger benützt. Die Inkas kannten es bereits und es war ihnen so wertvoll, dass ein Guano-Dieb dem sicheren Tod ins Auge sehen musste.

Ende der ersten Hälfte des 19 Jahrhunderts wurde Guano von der westlich-industrialisierten Welt entdeckt, speziell von den USA, Frankreich und England. Die Düngekraft Guanos erwies sich dabei als so stark, dass die Landwirtschaft dieser Länder, sowie später die der anderen europäischen Länder, von Guano abhängig wurde.

Die Ballesta-Inseln sind nicht nur eine ökologisches Paradies, sondern auch Teil der einstmals so wichtigen Guano-Vorkommen.

Die hoch verschuldete peruanische Regierung sah einen möglichen Ausweg aus der Krise und ließ Guano abbauen, was das Zeugs hielt. Dass Guano über Hunderten von Jahren entsteht, war dabei natürlich nicht so entscheidend. Man muss allerdings zugeben, dass die drei wesentlichen Guano-produzierenden Vogelarten erstaunliche Mengen hervorbringen können: auf einer der Inseln leben bis zu einer Millionen Tiere, die wiederum bis zu 11 000 Tonnen jährlich "produzieren". Und vielleicht hinzufügen, dass Peru mit einer horrenden Summe verschuldet war; sie hofften, die gesamten Schulden mit dem natürlichen Dünger bezahlen zu können. Guano wurde so bedeutend, dass es fast zu einem Krieg zwischen Peru und den USA gekommen wäre, als im Jahre 1852 ein großes Vorkommen auf den Lobos-Inseln entdeckt wurde, und die USA die Inseln schlicht annektierten. Man einigte sich letztendlich gütlich: Peru senkte den Preis drastisch und bekam dafür die Inseln zugesprochen, aber die Idee schien den Nordamerikanern gefallen zu haben: 1856 beschloss der amerikanische Kongress, dass seine Staatsbürger jede Insel im Pazifik oder in der karibischen See mit Guano-Vorkommen, die noch nicht "rechtmäßig" zu einem anderen Land gehöre, besetzen könnten und dass diese Insel zu amerikanischem Staatsgebiet erklärt werden könne und schließlich, dass sie keinesfalls "zurückgegeben" würde, bis die Vorkommen erschöpft seien.

Die Vorkommen wurden unter unmenschlichsten Bedingungen abgebaut. Tausende chinesischer Arbeiter - die meisten von ihnen schanghait - arbeiteten unter katastrophalen Umständen: fast nackt, ohne jegliches Recht auf Ruhe oder gar Urlaub. Viele begingen Selbstmord. Zusammen mit den Chinesen arbeiteten Strafgefangene und ein paar Polynesier. John Moresby beschrieb das 1913 mit den Worten, es gäbe kaum eine Parallele hinsichtlich kaltblütiger Grausamkeit.

Ähnlich wie das andere große Zeitalter, das des Kautschuks, wurde der Guano-Reichtum jäh durch die Erfindung eines künstlichen und preiswerteren Ersatzstoffes, in diesem Falle dem Kunstdünger - Justus Liebig ist hier der große Name-, beendet. Und da das meiste Geld aus dem Erlös des Guanos nicht in die Hände der Arbeiter gelangt war, sondern für die Staatsschulden aufgebraucht oder im Missmanagement verdunsten war, hieß das schlicht und einfach mal wieder Misere für die Einheimischen.

Infokasten
Seit 1995 hat Guano wieder einen kleineren Markt. Um die Reserven zu schützen, unterliegt die Verwaltung der Ressourcen der Regierung, was aber auch nicht immer garantiert, dass das daraus generierte Geld im Land bleibt. Guano wird in komplizierter Handarbeit abgebaut. Alle vier oder fünf Jahre kommen Arbeiter hier auf die Inseln und kratzen das Zeug regelrecht von den Felsen. Einzig mit einer Schaufel und einem Eimer bewaffnet, arbeiten sich die Leute durch die Schichten von Vogelkot und hinterlassen die Insel dann mehr oder weniger "kahl". Was die Seelöwen dazu sagen, vermag ich nicht zu beantworten.

Auf jeden Fall war der Anblick, Geruch und das Geräusch der vielen tausend Seelöwen mehr als beeindruckend. Ein wirklich schönes Erlebnis!

Text + Fotos: Nil Thraby

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