caiman.de 07. ausgabe - köln, juli 2001

Todeschronik eines Joggers

Montag, der 11.06.2001, später Nachmittag an einer vielbefahrenen Avenida in São Paulo. Ein Jogger überquert die Straße. Im gleichen Augenblick erfasst ihn ein Motorrad. Der Läufer fällt und schlägt mit dem Kopf auf den Asphalt. Im Krankenhaus stellen die Ärzte ein schweres Koma fest. Er hat keine Chance zu überleben.

Die Familie gerufen, um ihn zu identifizieren. Eine jüdische Familie, wie so viele in Lateinamerika. Obwohl der jüdische Glauben untersagt, Organe zu spenden, geben sie ihr Einverständnis. Unter anderem werden Nieren, Herz und Leber transplantiert.

In Konsequenz darf der Jogger nicht auf einem jüdischen Friedhof bestattet werden. Seine letzte Ruhestätte findet er auf São Paulos „Friedhof des Friedens“.
Die Wochenzeitschrift „ÉPOCA“ veröffentlicht die Fotos der Organ-Empfänger. Der Jogger wird zum Helden.

Am 13.06.2001 stellten die Ärzte den Hirntod von Marcelo Fromer, 39 Jahre alt, fest.

Als Gitarist der „Titãs“ gab er den Brasilianern einige der berühmtesten Lieder des brasilianischen Rock. Er war es, der die ansonsten eher sozialkritisch-düsteren Stücke der „Titãs“ mit Hoffnung und Freude füllte.



Text + Foto:
Tom Milz

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