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caiman.de 09. ausgabe - köln, september 2001
brasil

Der Magier aus Bahia
Zum Tode des Schriftstellers Jorge Amado


„Unser Väterchen ist tot...“
„...Unser Väterchen...“ stöhnten die anderen.
Die tröstliche Flasche kreiste, die Tränen entquollen den Augen des Negers, sein Schmerz nahm unwiderstehlich zu:
„Ein guter Mensch ist tot...“
„...ein guter Mensch...“


„Denn sagen Sie mir, meine Herren, mit Ihrer Bildung und Erfahrung, wo ist die Wahrheit, die vollständige Wahrheit? Liegt die Wahrheit in dem, was alle Tage vorkommt, in den täglichen Begebenheiten, in der Kleinlichkeit und Dürftigkeit des Lebens, das die Mehrzahl der Menschen führt, oder wohnt die Wahrheit im Traum, der uns geschenkt ist, damit wir unserem traurigen Zustand entfliehen können?

In der engen Wirklichkeit jedes einzelnen oder im grenzenlosen Traum des Menschen? Wer leitet sie durch die Welt, damit sie den Weg des Menschen erhellt? Der hochverdiente Herr Richter oder der bettelarme Dichter?“

„Meine Helden sind arme Bauern, Banditen, Arbeiter, Prostituierte, arabische Einwanderer und Neger, die gerade aus der Sklaverei entlassen worden waren.“ Jorge Amado erzählte die Geschichten dieser Menschen aus Bahia, Brasiliens Kakaoregion, aus dem Sertão, dem trockenen Landesinnern, und von den Fischern und Seefahrern der Hafenstädte.
In seinen ersten Werken klang noch der leidenschaftliche Sozialist und ab den 40er Jahren politisch aktive Kommunist durch. Doch mit dem Alter wurde er versöhnlicher, begegnete den Ungerechtigkeiten der Welt mit Humor und dem Ausblick auf die Schönheiten der sinnlich-körperlichen Lust, was ihm viele Intellektuelle Übel nahmen.

„Aber so ist die Welt,
bevölkert von Zweiflern und Neinsagern,
die, wie der Ochse sein Joch, nichts kennen als Ordnung,
Gesetz und beglaubigte Gutachten.“

Er träumte von einer Revolution ohne Ideologie, die das Recht eines jeden Menschen auf Essen, Arbeit und Liebe, auf die volle Entfaltung seiner Existenz, herstelle. Doch bis dahin erzählte er die Geschichten der einfachen Leute, statt die Revolution zu predigen. Die Proben, die das Leben einem jeden stellt, die ewigen Unzulänglichkeiten und Schwächen, das Scheitern an den Realitäten, das Abtauchen in die cachaça getränkten oder von der Liebe zu dem toten Geliebten erbauten Phantasiewelten unseres Geistes, die Sehnsucht nach der unbekannten und doch so verlockenden Ferne – all dies findet sich in den Romanen Jorge Amados, des „Magiers aus Bahia“, wieder.
Seine Helden lassen sich niemals von ihrem Schicksal besiegen. Sie bewahren ihre Größe, ihre Güte, ihre Freude an den kleinen Dingen, die das Leben lebenswert machen, verstehen es mit Geschick und Einfallsreichtum, aus dem alltäglichen Unglück Momente des Glücks zu ziehen: Das Saufgelage und Kartengezocke mit den Freunden, das rauschhafte Liebesspiel mit einer verführerischen Frau, die Abenteuerreisen über den Horizont hinaus, in unseren Köpfen.

In seiner Heimat Bahia nannten sie ihn den „schwärzesten Weißen“. Er zeichne das Stereotyp des immer guten und unschuldigen Schwarzen, so seine Kritiker. Für andere, wie den Anthropologen, Schriftsteller und Politiker Darcy Ribeiro, hatte diese Vorliebe Amados durchaus pädagogisches Format: „Er lehrte Generationen von Brasilianern, wie toll es ist, mit Schwarzen Sex zu haben.“

Er selber, so schrieb es Amado in einem seiner Romane, wollte mit der Hand im weiblichen Geschlecht sterben.
Ob er sich diesen letzten Wunsch tatsächlich erfüllen konnte, geht jedoch nicht aus den offiziellen Verlautbarungen zu seinem Tode hervor.

Jorge Amado starb am 06. August gegen 19.30 Uhr im Hospital Aliança von Salvador da Bahia an Herzkreislaufversagen. Vier Tage später, an seinem 89. Geburtstag, wurde die Asche im Garten seines Hauses in „Rio Vermelho“ verstreut, wo der bekennende Atheist 50 Jahre lang mit seiner Frau Zélia glücklich gewesen war.

In einer von Amados Geschichten lässt er seinen Helden Quincas Berro Dágua dessen eigenes Begräbnis so kommentieren:

„Ein jeder kümmere sich um sein eigenes Begräbnis, ...
Ich werd mich selbst einbuddeln,
wie und wann mir`s paßt.
Schleppt euren Sarg nach Haus
Für einen anderen Gast.
In die Erde kriegt ihr mich nie,
drum gebt euch keine Müh`!“
Was er sonst noch gesungen,
hat der Wind verschlungen.“

Sein eigenes Resümee brachte er so auf den Punkt:

„Die Wahrheit verbirgt sich im Busen einer schönen Frau.“

Texts:
Tom Milz

Die Zitate stammen aus den Werken „Die Abenteuer des Kapitäns Vasco Moscoso“ und „Die drei Tode des Jochen Wasserbrüller“.
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