ed 12/2011 : caiman.de

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spanien: La Vera Cruz - die Kirche der Tempelritter in Segovia
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


bolivien: Nach La Paz zum Schutze des TIPNIS-Parks - Teil 1
Tieflandindianer auf Protestmarsch gegen Asphaltierung
THOMAS MILZ
[art. 2]
spanien: Salsa de nadal
Weihnachtliches Hexengebräu aus Ibiza
NORA VEDRA
[art. 3]
kuba: A LETTER TO THE FUTURE
Kubanisches Familienportrait – Dokumentarfilm
ENTERTAINMENT KOMBINAT GMBH
[art. 4]
macht laune: Wer hat den größten Cristo?
Cochabamba, Rio de Janeiro oder ...
THOMAS MILZ
[kol. 1]
pancho: Salsa de nadal – Rezept
NORA VEDRA
[kol. 2]
lauschrausch: Trommeln aus Belize
The Black Caribes of Belize bei Soul Jazz Records
TORSTEN EßER
[kol. 3]
erlesen: Wir töten nicht jeden von Carlos Salem
DIRK KLAIBER
[kol. 4]




[art_1] Spanien: La Vera Cruz - die Kirche der Tempelritter in Segovia
 
Die kastilische Kleinstadt Segovia hat 18 romanische Kirchen, von denen wir die wichtigsten bereits vorgestellt haben (Segovia- rebellisch und romanisch). Bis auf eine!

Diesen interessantesten romanischen Bau sucht man vergebens im Stadtzentrum innerhalb der mittelalterlichen Mauern.

Die Kirche vom Wahren Kreuz steht abseits, nördlich vor der Stadt, als wollte sie durch diese isolierte Lage jedem Besucher oder Pilger schon von weitem signalisieren: "Ich bin etwas Besonderes." Und das ist sie!

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Von allen kleinen romanischen Kirchenbauten Spaniens (die Kathedralen von Salamanca, Santiago, und Zamora also ausgeklammert) bildet dieser Tempel zusammen mit San Isidoro in León und Santa María in Toro das Dreigestirn der schönsten romanischen Kirchen auf der Iberischen Halbinsel. Heute gehört die Kirche Vera Cruz dem Malteserorden. Rechts und links über dem  Hauptportal sieht man leicht verblasst das Malteserkreuz-Wappen. Aber geplant und gebaut wurde sie, wie ihr Name vom "Wahren Kreuz" schon andeutet, von einem anderen Ritterorden: den Templern. Nach kurzer Bauzeit wurde die Kirche im Jahr 1208 vollendet.  Die Reliquie vom Wahren Kreuz wird in einer rechts vom Seiteneingang später angefügten Seitenkapelle der Kirche verehrt.

Wenn man sich ihr vom Stadthügel kommend nähert, macht sie zunächst einen unscheinbaren Eindruck.

Die Größe dieses Sakralbaus ist eher bescheiden, der Turm niedrig - vor allem im Vergleich zu anderen romanischen Kirchtürmen Segovias (San Esteban, San Martin) - und besonderen Prunk sucht man vergebens an ihren schmucklosen Fassaden.

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Einzige äußere Dekoration sind die je drei Säulen rechts und links des Portals mit Kapitellen, von denen halb verwitterte Monster grüßen. Nur die charakteristische zwölfeckige Form des Gebäudes demonstriert, dass hier ein einzigartiges Gotteshaus darauf wartet, alle, die eintreten, in seinen Bann zu ziehen. Wie ihre Erbauer, den Orden der Tempelritter, umgibt die Kirche eine Aura des Geheimnisvollen.

Zwar darf man auch in ihrem Innern keine spektakuläre Prachtentfaltung erwarten, der Tempel ist weitgehend leer. Einsame Schmuckobjekte sind eine kleine romanische Marienstatue (Jungfrau des Friedens), eine Christusskulptur aus dem 13. Jahrhundert in der zentralen Apsis, ein schönes platereskes Wandrelief neben dem Eingang zur Kreuzkapelle und vor allem der Hochaltar (Retablo de la Resurrección) gegenüber dem Seitenportal, ein spätgotischer Gemäldezyklus von 1516 mit Szenen der Passion und Auferstehung Christi.

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Leider sind einige Tafeln der farbenfrohen Altarbilder stark beschädigt. Aber es dominiert Architektur pur. Architektur, die ohne Zweifel inspiriert wurde von den Eindrücken, die im Heiligen Land auf die Tempelritter gewirkt haben.

Es gab zwei noble Vorbilder in Jerusalem für einen zwölfeckigen Zentralbau wie man ihn hier in La Vera Cruz findet: die Grabeskirche (in ihrer ursprünglichen Form), aber auch den (muslimischen) Felsendom auf dem Tempelberg.

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Innerhalb des Zwölfecks von Vera Cruz erhebt sich zentral inmitten eines Rundgangs ein wiederum zwölfeckiger Turmblock, der aus zwei Stockwerken besteht. Zum oberen gelangt man über zwei Treppen mit orientalisch wirkender Reliefdekoration. Entlang des Rundgangs wurden die zehn verschiedenen Banner des Malteserordens aufgehängt, geordnet nach den Sprachen der Länder, in denen die Malteser im Mittelalter vertreten waren.

Das Architekturmodell der Templerkirche Vera Cruz in Segovia ist in seiner Perfektion der "doppelten" Zwölfeckform einzigartig in Spanien; nur im benachbarten Portugal gibt es in Tomar einen sehr ähnlichen Kirchenbau, der ebenfalls von den Tempelrittern errichtet wurde. Mit etwas Phantasie kann man sich vorstellen, wie sie mit ihren Rüstungen und Bannern in diese Kirche marschierten, die Schwerter ablegten, um zu beten, kniend vor der Figur des Gekreuzigten heilige Eide schworen (die sie vielleicht wenig später wieder brachen). Und man mag erleichtert sein, dass in unserem Kulturkreis die Verteidigung des Glaubens mit dem Schwert Gott sei dank nicht mehr salonfähig ist.

Und doch muss man den Tempelrittern dankbar sein. Zum einen, weil sie vom Kampf gegen den Islam abließen, sogar Erzeugnisse und Sitten einer in vielen Punkten überlegenen orientalischen Zivilisation mit nach Europa brachten, und zum anderen, weil sie diese wunderbare Kirche vor den Toren Segovias erbaut haben - nach dem Grundriss eines perfekten islamischen Gotteshauses, des Jerusalemer Felsendoms (den die Kreuzritter nach der Eroberung von Jerusalem vorübergehend in eine Kirche umgewandelt hatten).

In den meisten Sakralbauten gibt es einen konkreten Punkt, an dem sich das Heilige konzentriert, sei es der Mighrab einer Moschee oder der (Hoch-)Altar einer Kirche. Diesem kleinen Tempel des Wahren Kreuzes dagegen fehlt ein solcher Punkt; dabei strahlt er eine solch sakrale Atmosphäre aus, dass er selbst den Ungläubigsten zum Schweigen zwingt. Alles in diesem Zwölfeck ist sandsteinfarbene Heiligkeit. La Vera Cruz hat es nicht nötig, mit einem goldglänzenden Hochaltar zu protzen oder mächtige Madonnen zu präsentieren.

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Fast schüchtern steht die winzige Jungfrau des Friedens einsam in der leeren rechten Apsis; nicht einmal ein Engel steht ihr zur Seite, nur ein roter Blumenstrauß. Und der gotische Hochaltar ist zwar schön, aber keineswegs der Mittelpunkt, wurde er doch erst drei Jahrhunderte nach Fertigstellung der Kirche errichtet und befindet sich nicht mehr in der zentralen Apsis. Das "Allerheiligste" ist in diesem 800-jährigen Tempel nicht auszumachen, es ist überall: in den Gewölben, im stark verblassten Abglanz der ursprünglichen Freskenmalerei rechts von der Apsis, in jeder Fensternische, durch die Licht herein dringt, in jedem erleuchteten Stein. Wenn man in den unteren Kuppelraum eintritt, muss man ihn als niedrig und finster, fast erdrückend empfinden. Doch sobald das Portal geöffnet wird, ergießt sich ein blendender Lichtstrom quer durch den Raum und illuminiert das Kreuzmuster auf dem Boden. In einem solchen Moment entfaltet sich der mystische Zauber des romanischen Zwölfecks.

Im oberen Kuppelsaal befindet sich der Altartisch, der mit sehr interessanten maurischen Bögen geschmückt ist. Auch hier unverkennbar der islamische Einfluss, den die Templer aus Jerusalem mitbrachten.

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Ringsum gibt es nur schmale Mauernischen, durch die das Licht einfallen kann - und die überraschende, wenn auch "eingeengte" Perspektiven von oben auf den Kirchenraum bieten. So leuchtet durch eine der Nischen plötzlich ein kleiner Ausschnitt des Hochaltars, durch eine andere kann man das Hauptportal erahnen. Nur der Blick auf die romanische Christusfigur in der zentralen Apsis wird durch ein großzügiges Fenster gewährt. Insgesamt wirkt der Altarraum im Obergeschoss trotz der kleinen Fenster erstaunlich hell und Bänke laden zum Meditieren ein.

Rings um diesen Altar im zwölfeckigen Kuppelraum knieten damals die Tempelritter und haben sich vielleicht dabei gefühlt wie die zwölf Apostel - bereit, die Botschaft des Lichts in die Welt hinaus zu tragen. Und doch brach 1312, als Ergebnis einer machtpolitischen Intrige des französischen Königs mit dem Papst, die Finsternis herein und der Templerorden wurde von der Inquisition vernichtet. Die meisten der Ordensmitglieder wurden nach ausgiebiger Folterung hingerichtet, ihr reicher Besitz (um den ging es schließlich) konfisziert und neu verteilt. Nicht wenige vermuten, dass die Templer, die das Ende voraus ahnten, einen gewaltigen Schatz versteckt hätten. Überall, wo die geheimnisvollen Ritter Spuren hinterlassen haben, sind Schatzsucher unterwegs.

Im oberen Kuppelsaal befindet sich der Altartisch, der mit sehr interessanten maurischen Bögen geschmückt ist. Auch hier unverkennbar der islamische Einfluss, den die Templer aus Jerusalem mitbrachten.

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Dabei ist der größte Schatz, den die Bewahrer des Tempels hinterließen, in ihren Bauwerken zu finden, in denen christlicher Okzident und islamischer Orient verschmelzen. In ihren zwölfeckigen Tempeln von Tomar oder hier in Segovia.

Text + Fotos: Berthold Volberg



Volberg, Berthold
Sevilla - Stadt der Wunder
Porträt der andalusischen Kunstmetropole mit großem Bild- und Textteil zur Semana Santa

(Nora) ISBN: 978-3-86557-186-1
Paperback
328 S. - 16 x 25 cm

[druckversion ed 12/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]






[art_2] Bolivien: Nach La Paz zum Schutze des TIPNIS-Parks - Teil 1
Tieflandindianer auf Protestmarsch gegen Asphaltierung
 
In Bolivien erreicht man viel durch Wandern. Wandern und Blockieren, um genau zu sein. Straßen werden gesperrt, um Unmut kund zu tun. Oder ein Marsch in Gang gesetzt, aus Protest, versteht sich. Wir stoßen auf die Marschkolonne der Tieflandindios kurz vor Coroico, dem historischen Städtchen am Ende der Todesstraße, die sich von La Paz über den Cumbre-Pass hinab in die Yungas stürzt.

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Die Indios sind in der entgegengesetzten Richtung unterwegs und streben dem bolivianischen Regierungssitz La Paz entgegen. In Coroico, auf 1.200 Höhenmetern, geht es den an gemäßigtes Klima gewöhnten Indios noch gut. Seit fast zwei Monaten sind sie schon unterwegs, um ihre Botschaft vor den Präsidentenpalast zu tragen. Sie kämpfen gegen den Bau einer Fernstraße durch das Indiogebiet TIPNIS, tief im bolivianischen Urwald gelegen. Hier will Präsident Evo Morales mit brasilianischen Krediten eine Asphaltpiste bauen lassen, als Teil des kontinentalen Interoceanica-Projektes, welches den Atlantik mit dem Pazifik verbinden soll.

Nützen würde die Straße besonders den Agrarfirmen Zentralbrasiliens, die endlich ihre Produkte auf direktem Wege an den Pazifik und von dort aus nach Asien, besonders China, transportieren könnten. Nützen würde sie wohl auch den Cocaleros, den Kokabauern, deren Anführer Morales immer noch ist. Ihnen soll er neues Anbauland für ihre Kokapflanzen versprochen haben, und neues Land gibt es im bolivianischen Tiefland nur noch in dem bisher nahezu unberührten TIPNIS-Park. Vor gut 20 Jahren marschierte schon einmal ein Trupp Indios hinauf nach La Paz, wo sie durch ihren spektakulären Protest die Besitzrechte für den Park erhielten.

Damals stand Morales noch auf der Seite der Demonstranten. Jetzt stellt er sich gegen sie. Hartnäckig weigert sich der Präsident, zu den Indios hinab zu kommen und zu diskutieren. Also kommen sie halt zu ihm. Unterwegs wurden sie Ende September von 500 Polizisten angegriffen. Doch die Bevölkerung der umliegenden Dörfer eilte den Indios zur Hilfe. Noch immer tragen einige Verbände, die von den Wunden jener Konfrontation zeugen. Die Indios sind schlecht zu sprechen auf die Regierung.

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In Zweierreihen marschieren sie stumm den Berg hinauf, Richtung Cumbre, dem 4.650 Meter hoch gelegenen Pass. Frauen und Kinder werden auf Autos verteilt, zu schwierig ist der Aufstieg. In den Nebelwänden der Anden halten die Kokablätter die Marschierer bei Kräften, und wer trotzdem schlapp macht, dem eilen Sanitäter mit Sauerstoffflaschen zur Hilfe.

Nach zwei Tagen Aufstieg erreicht der 2.000 Indios starke Zug schließlich den Cumbre-Pass, wo Vertreter der Hochlandindios ihre Brüder aus dem Tiefland begrüßen. Eine Szene, die es so schon lange nicht mehr gab. Jetzt trennt sie nur noch ein Tagesmarsch vom 30 Kilometer entfernten La Paz, dessen Lichter man bei Nacht von hier oben aus bereits sehen kann.

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Am nächsten Morgen halten die Indios dort Einzug. Es wird ein Triumph. Hunderttausende Bewohner begrüßen sie mit Blumen, Fahnen und Sprechchören. El TIPNIS no se toca, Hände weg von TIPNIS, skandieren sie. Man zieht durch die gesamte Stadt, bis man schließlich das Zentrum erreicht. Vor dem Präsidentenpalast wird eine Mahnwache installiert. Dabei kommt es zu Zusammenstößen mit der Polizei.

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Präsident Morales ist nun angeblich bereit, die Indios zu empfangen, doch nun schalten diese zunächst auf stur. Schließlich kommt man doch noch zueinander.

Tagelang wird verhandelt, zäh gerungen. Wir machen uns derweil auf den Weg Richtung TIPNIS, wollen vor Ort sehen, was dort Sache ist. Als wir den Park fast schon erreicht haben, ereilt uns die Nachricht, dass Präsident Morales das Straßenbauprojekt gestoppt und TIPNIS auf ewig für unantastbar erklärt hat. Die Marschierer haben gesiegt!

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Wir ziehen weiter Richtung TIPNIS und was uns dort erwarten wird, erfahrt Ihr in der nächsten caiman-Ausgabe.

Text + Fotos : Thomas Milz

[druckversion ed 12/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: bolivien]






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[art_4] Kuba: A LETTER TO THE FUTURE
Kubanisches Familienportrait – Dokumentarfilm
 
Am 29. Dezember 2011 bringt farbfilm verleih den Dokumentarfilm A LETTER TO THE FUTURE in die Kinos. Regisseur Renato Martins zeigt das emotionale Porträt der kubanischen Familie Torres. Die Familie besteht aus vier Generationen, die die gesamte Entwicklung der sozialen Revolution in den letzten 50 Jahren durchlebt hat.



Was ist aus den Träumen und Hoffnungen geworden? Was wird die Zukunft bringen? Über sieben Jahre wurde die Familie Torres vor Ort auf Kuba begleitet und gefilmt. Der Regisseur lebte mit ihr zusammen, begleitete sie in ihrem Alltag, erlebte sie bei den Herausforderungen des täglichen Lebens, wenn der Strom wieder einmal einfach ausfällt, das Wasser nur mit viel Trickserei fließt. Wenn sich Mutter Torres darüber wundert, dass es auch nach 40 Jahren noch kein gutes Brot zu kaufen gibt oder darüber sinniert wie es ist, wenn der eigene Sohn das Land verlässt und in den USA sein Glück sucht, ist die Kamera stets dabei.



Eine Familie, vier Generationen, fünfzig Jahre Fidel Castro – Regisseur Renato Martins entwickelt ein eindrucksvolles Gesellschaftsporträt und zeigt wie sehr sich die Generationen in ihrer jeweiligen Sicht und Einschätzung des Systems unterscheiden: Gerade die Älteren sind glücklich und zufrieden, sie glauben fest an den Sozialismus. Doch die Jugend stellt sich immer häufiger die Frage, wo denn der "Maximo Lider" ist und sind geteilter Ansicht über die Zukunftsaussichten. Während die einen das Land verlassen, hoffen die anderen auf positive Veränderungen und wieder andere scheinen jegliche Träume verloren zu haben.



Aus historischem Bildmaterial, Super8-Filmen und Amateurvideo-Footage sowie aktuellem, hochwertigen DV- & Super16-Aufnahmen ist ein bewegender Dokumentarfilm entstanden, der über 50 Jahre emotionale Geschichte eines ungewöhnlichen, rätselhaften und mythischen Landes und Systems zeigt. Ein Film über die Kraft von Familien, Freundschaften und die Hoffnung auf ein besseres Leben.

Text + Fotos: Entertainment Kombinat GmbH

[druckversion ed 12/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: kuba]





[kol_1] Macht Laune: Wer hat den größten Cristo?
Cochabamba, Rio de Janeiro oder ...
 
Der größte Cristo der Welt? In Cochabamba? Wir reiben uns Augen und Ohren. Irgendwie liegt Cochabamba am Ende der Welt, auf einem Hochplateau in den Anden. "Stadt des ewigen Frühlings" nennt sich die 600.000 Einwohner zählende "Metropole", wohl aufgrund der stets angenehmen Temperaturen. Alles schön und gut. Aber den größten Cristo der Welt?

Mit dem Taxi fahren wir den 265 Meter über der Stadt aufragenden Berg San Pedro hinauf, auf dem der Jesucristo mit seinen ausgebreiteten Armen thront. Hier erklärt uns ein Schild, dass wir vor "La Imagen Más Grande Del Mundo" stehen. 34,20 Meter ist die Statue hoch, was sich zusammen mit dem 6,24 Meter hohen Podest zu einer Gesamthöhe von 40,44 Metern addiert.

Aber größer als in Rio? Ja klar, meinen unsere bolivianischen Gastgeber und stolz lassen wir uns vor dem Riesending fotografieren.

Tatsächlich ist die Statue auf dem Corcovado in Rio "lediglich" 30 Meter hoch. Selbst wenn man die acht Meter Podest noch hinzu rechnet, kommt der Brasilianer nicht an den Bolivianer heran. Dafür kann man von hier nicht auf den Zuckerhut sehen, denke ich mir im Stillen. Zählt das? Hier sehen wir bei der Runterfahrt in der Gondel nichts als karge Berge um uns herum und die Stadt mit einer sumpfigen Lagune unter uns.

Da fällt mir ein Zeitungsbericht aus dem letzten Jahr ein, der vom Bau einer noch größeren Christusstatue in Polen berichtete. "Nein, auch die ist kleiner als unser Cristo", lautet die Antwort unserer bolivianischen Gastgeber. Das muss später im Hotel nachgegooglet werden, falls denn das Internet mal funktionieren sollte. Es funktioniert, Hurra, was sich als schlecht für die Bolivianer herausstellt.



Denn wir stellen erstaunt fest: 36 Meter ist der Pole groß. Bingo! "Aber wenn Du seine 3 Meter hohe Krone abrechnest, ist er mit nur 33 Metern um über einen Meter kleiner als unser Cristo." Warum sollte man wohl die Krone abrechnen, fragen wir uns… Mitsamt dem Podest ist der polnische Jesucristo sogar stolze 51 Meter hoch, berichten die elektronischen Medien. Immerhin, den Zuckerhut sieht man von ihm aus wohl auch nicht. Oder haben die den etwa auch nachgebaut?

Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 12/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: macht laune]






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[kol_3] Lauschrausch: Trommeln aus Belize
The Black Caribes of Belize bei Soul Jazz Records
 
Mit dem im Januar 2008 verstorbenen belizischen Musiker Andy Palacio verschwand auch die Musik des mittelamerikanischen Volkes der Garifuna wieder vom internationalen Parkett. Er hatte zusammen mit Labelgründer Ivan Duran (Stonetree Records) über einige Jahre dafür gesorgt, dass zumindest in musikinteressierten Kreisen die traditionellen Stile Belizes wie Punta oder Paranda und ihre modernen Versionen wie der Punta-Rock überregional bekannt wurden. Doch nur das "Garifuna Women's Project" erregte Ende 2008 noch einmal kurz Aufmerksamkeit.

The Black Caribes of Belize
Soul Jazz Records
SJR244

Das Volk der Garifuna, das im 17. Jahrhundert aus der Vermischung geflohener afrikanischer Sklaven mit den einheimischen Kariben auf der Insel St. Vincent geboren wurde, wurde hundert Jahre später nach einem verlorenen Krieg von der siegreichen britischen Kolonialmacht auf andere, festlandnahe Inseln – u.a. Roatán - deportiert, von wo viele der Überlebenden (ca. 2.500) später auf das mittelamerikanische Festland flohen. An den Küsten von Guatemala, Nicaragua, Honduras und Belize leben heute rund 600.000 Garifuna, wobei sie in Belize 7% der Bevölkerung stellen. Ihre hybride Kultur – die Sprache, Igñeri, basierend auf dem indigenen Arawak, wird stark beeinflusst durch das Französische, Englische und Spanische; die religiösen und musikalischen Praktiken stammen von den westafrikanischen Yoruba – steht inzwischen auf der UNESCO-Liste des schützenswerten immateriellen Erbes der Menschheit.

Nun setzt das Soul Jazz-Label aus London mit dieser Veröffentlichung den Weg von Stonetree Records fort. Gründer Stuart Baker fuhr im Jahr 2010 nach Dangriga an der belizischen Karibikküste, um mit dortigen Künstlern aufzunehmen. Er stellt allerdings die traditionellen Stile in den Mittelpunkt, Trommeln dominieren die 17 Aufnahmen von Paranda, Chumba u.a. Musikstilen, die die Nähe zu Afrika belegen und für tranceartige Tanzpartys bestens geeignet erscheinen. Aber vor allem Ethnomusikologen werden hier ihre Freude haben. Dazu gibt es ein ausführliches Booklet mit der Geschichte der Garifuna, Fotos von den Aufnahmen und Übersetzungen der Songtexte. Wer eher der modernen Version der Musik Belizes zuneigt, sollte sich die neueren Veröffentlichungen von Aurelio Martinez aus Honduras u.a. Künstlern auf Stonetree Records zulegen.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 12/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





[kol_1] Erlesen: Wir töten nicht jeden von Carlos Salem
 
Der graumäusige Pharmavertreter ist im wahren Leben Berufskiller. In seiner Firma ist er die Nummer drei und damit der höchstgehandelte unter den professionellen Todbringern. Doch dann kommt der Zeitpunkt, zu dem es ihm selbst an den Kragen gehen soll. Das Verwirrspiel, wem er vertrauen kann, wen er beschützen muss und wen er lieben darf, ist gut inszeniert und spannend erzählt. Aber der Weg bis zur Spannung ist lang, schmalztriefend und mit öden Supercharakteren gepflastert, so dass ich mich die ersten 150 Seiten zum Lesen zwingen musste.

Wir töten nicht jeden
Carlos Salem

dtv (Juni 2011), 288 Seiten
ISBN-10: 3423213027
ISBN-13: 978-3423213028

Originaltitel: Matar y guardar la ropa, Madrid 2008

Es gibt vier Supermänner, den Hauptdarsteller Juan Pérez Pérez mit eingerechnet. Sie sind wahre Prachtexemplare, gute Trinker, erfolgreich im Job und Sexgötter. Juan darf dem Leser gefühlte 100 Mal sein erigiertes Glied zur Schau stellen. Ihm zur Seite steht die Frau der Träume aller männlichen Besucher des FKK-Campingplatzes, dem Haupthandlungsort. Mehrfach gratuliert ihm die Begehrenswerte anhimmelnd und erschreckend platt zugleich: Du hast seit fast zwei Stunden einen Ständer [...] Ich nehm’s als Kompliment. Ein ziemlich beachtliches Kompliment. Im Anschluss kommt sie ausführlich, aber wenig prickelnd beschrieben, in den Genuss der bereits erwähnten Fähigkeiten.

Juans Exfrau bewohnt mit ihrem neuen Superlover wie zufällig die Nachbarparzelle. Die Zeltwände sind hörbar dünn, die Familie unfreiwillig vereint, da Juan mit den beiden gemeinsamen Kindern im Auftrag der Firma seinen Urlaub auf besagtem FKK-Gelände zu verbringen hat. Die Ex scheint ihren Juan, den sie sich statt als Pharmavertreter als erfolgreichen Mediziner gewünscht hatte, in dieser Situation neu kennenzulernen. Sie versucht, ihn zurückzuerobern oder zumindest noch einmal zu vernaschen und bringt es für diejenigen Leser, die noch Zweifel an der unbändigen Manneskraft und Liebesperfektion haben auf den Punkt:

Du wärst der denkbar beste Liebhaber, wenn du beim Vögeln auch mal etwas falsch machen würdest: wenn deine Zärtlichkeiten vor lauter überbordender Leidenschaft auch mal unbeholfen sein würden, deine Bewegungen weniger von deinem Perfektionsdrang als von deinem Begehren gelenkt, und dein Stöhnen ein lustvolles Seufzen und nicht nur der Triebstoff für deine Sexmaschine wäre.

Gähn. Im Übrigen kann Juan Pérez Pérez alles, wovon Männer träumen: Kämpfen wie ein Profiboxer, Schießen mit unvergleichlicher Präzision, Tanzen wie Ricky Martin, Charmeversprühen wie Marilyn Monroe und den Rest kennt ihr ja schon. Ein weiterer unglaublich ermüdender Geduldsfaktor sind die Supermännerfreundschaften. Egal, ob schon von Berufswegen in unterschiedlichen Lagern anzusiedeln und damit zu Feinden verdammt, sie lieben und respektieren sich wie nur Supermänner in der Lage sind, abstrahiert wertzuschätzen. Sie haben gemeinsame Geliebte: der Superrichter ist mit Juans Exfrau angereist und der Superkommissar war der verliebte Angetraute einer von Juans’ Exgeliebten, die den Überfall zweier Junkies nicht überlebte. Letzteres ist auch der Grund, warum sich Kommissar und Pharmakiller halb zu Tode prügeln, um im Anschluss Arm in Arm am Tresen Four Roses zu schlürfen und in gemeinsamer Erinnerung an die von beiden so verehrte Frau zu schwelgen. Die Szene gipfelt im Verständnisrausch:

Danke, Juan. Jetzt weiß ich auch, warum sie dich so toll fand.
Und ich, warum sie so verrückt nach dir war [Kommissar].

Vor allem rund um den vierten Superheld, einen alten weisen Schriftsteller und Juans väterlichen Trinkkumpanen an nicht enden wollenden FKK-Tagen und die diversen guten und bösen Nummern der Firma inszeniert Carlos Selema in der zweiten Hälfte seines zweiten Kriminalromans ein interessantes Spiel mit der Spannung. Wer ist Freund, wer Feind? Wer wird wann zuschlagen? Oder sind doch der Superanwalt und der Superkommissar auf ihn angesetzt. Die Firma scheint allwissend und ein jeder könnte der todbringende Killer Nummer x sein.

Fazit: Bei Wir töten nicht jeden handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Spanischen. Möglichweise ist die Sprache des Originals origineller. Vielleicht sind dann auch die Charaktere und Beziehungen der Superhelden spitzfindiger. Trotz guter Story mag ich das hoch gelobte Werk des in Spanien lebenden Argentiniers Carlos Salem in der deutschen Übersetzung nicht empfehlen. Die Sprache ist begrenzt, die Darstellungen von Beziehungsgeflechten sind ermüdend und die Supermänner langweilig eintönig.

Text: Dirk Klaiber
Cover: amazon.de

[druckversion ed 12/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: erlesen]





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