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[art_1] Spanien: La Vera Cruz - die Kirche der Tempelritter in Segovia
 
Die kastilische Kleinstadt Segovia hat 18 romanische Kirchen, von denen wir die wichtigsten bereits vorgestellt haben (Segovia- rebellisch und romanisch). Bis auf eine!

Diesen interessantesten romanischen Bau sucht man vergebens im Stadtzentrum innerhalb der mittelalterlichen Mauern.

Die Kirche vom Wahren Kreuz steht abseits, nördlich vor der Stadt, als wollte sie durch diese isolierte Lage jedem Besucher oder Pilger schon von weitem signalisieren: "Ich bin etwas Besonderes." Und das ist sie!

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Von allen kleinen romanischen Kirchenbauten Spaniens (die Kathedralen von Salamanca, Santiago, und Zamora also ausgeklammert) bildet dieser Tempel zusammen mit San Isidoro in León und Santa María in Toro das Dreigestirn der schönsten romanischen Kirchen auf der Iberischen Halbinsel. Heute gehört die Kirche Vera Cruz dem Malteserorden. Rechts und links über dem  Hauptportal sieht man leicht verblasst das Malteserkreuz-Wappen. Aber geplant und gebaut wurde sie, wie ihr Name vom "Wahren Kreuz" schon andeutet, von einem anderen Ritterorden: den Templern. Nach kurzer Bauzeit wurde die Kirche im Jahr 1208 vollendet.  Die Reliquie vom Wahren Kreuz wird in einer rechts vom Seiteneingang später angefügten Seitenkapelle der Kirche verehrt.

Wenn man sich ihr vom Stadthügel kommend nähert, macht sie zunächst einen unscheinbaren Eindruck.

Die Größe dieses Sakralbaus ist eher bescheiden, der Turm niedrig - vor allem im Vergleich zu anderen romanischen Kirchtürmen Segovias (San Esteban, San Martin) - und besonderen Prunk sucht man vergebens an ihren schmucklosen Fassaden.

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Einzige äußere Dekoration sind die je drei Säulen rechts und links des Portals mit Kapitellen, von denen halb verwitterte Monster grüßen. Nur die charakteristische zwölfeckige Form des Gebäudes demonstriert, dass hier ein einzigartiges Gotteshaus darauf wartet, alle, die eintreten, in seinen Bann zu ziehen. Wie ihre Erbauer, den Orden der Tempelritter, umgibt die Kirche eine Aura des Geheimnisvollen.

Zwar darf man auch in ihrem Innern keine spektakuläre Prachtentfaltung erwarten, der Tempel ist weitgehend leer. Einsame Schmuckobjekte sind eine kleine romanische Marienstatue (Jungfrau des Friedens), eine Christusskulptur aus dem 13. Jahrhundert in der zentralen Apsis, ein schönes platereskes Wandrelief neben dem Eingang zur Kreuzkapelle und vor allem der Hochaltar (Retablo de la Resurrección) gegenüber dem Seitenportal, ein spätgotischer Gemäldezyklus von 1516 mit Szenen der Passion und Auferstehung Christi.

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Leider sind einige Tafeln der farbenfrohen Altarbilder stark beschädigt. Aber es dominiert Architektur pur. Architektur, die ohne Zweifel inspiriert wurde von den Eindrücken, die im Heiligen Land auf die Tempelritter gewirkt haben.

Es gab zwei noble Vorbilder in Jerusalem für einen zwölfeckigen Zentralbau wie man ihn hier in La Vera Cruz findet: die Grabeskirche (in ihrer ursprünglichen Form), aber auch den (muslimischen) Felsendom auf dem Tempelberg.

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Innerhalb des Zwölfecks von Vera Cruz erhebt sich zentral inmitten eines Rundgangs ein wiederum zwölfeckiger Turmblock, der aus zwei Stockwerken besteht. Zum oberen gelangt man über zwei Treppen mit orientalisch wirkender Reliefdekoration. Entlang des Rundgangs wurden die zehn verschiedenen Banner des Malteserordens aufgehängt, geordnet nach den Sprachen der Länder, in denen die Malteser im Mittelalter vertreten waren.

Das Architekturmodell der Templerkirche Vera Cruz in Segovia ist in seiner Perfektion der "doppelten" Zwölfeckform einzigartig in Spanien; nur im benachbarten Portugal gibt es in Tomar einen sehr ähnlichen Kirchenbau, der ebenfalls von den Tempelrittern errichtet wurde. Mit etwas Phantasie kann man sich vorstellen, wie sie mit ihren Rüstungen und Bannern in diese Kirche marschierten, die Schwerter ablegten, um zu beten, kniend vor der Figur des Gekreuzigten heilige Eide schworen (die sie vielleicht wenig später wieder brachen). Und man mag erleichtert sein, dass in unserem Kulturkreis die Verteidigung des Glaubens mit dem Schwert Gott sei dank nicht mehr salonfähig ist.

Und doch muss man den Tempelrittern dankbar sein. Zum einen, weil sie vom Kampf gegen den Islam abließen, sogar Erzeugnisse und Sitten einer in vielen Punkten überlegenen orientalischen Zivilisation mit nach Europa brachten, und zum anderen, weil sie diese wunderbare Kirche vor den Toren Segovias erbaut haben - nach dem Grundriss eines perfekten islamischen Gotteshauses, des Jerusalemer Felsendoms (den die Kreuzritter nach der Eroberung von Jerusalem vorübergehend in eine Kirche umgewandelt hatten).

In den meisten Sakralbauten gibt es einen konkreten Punkt, an dem sich das Heilige konzentriert, sei es der Mighrab einer Moschee oder der (Hoch-)Altar einer Kirche. Diesem kleinen Tempel des Wahren Kreuzes dagegen fehlt ein solcher Punkt; dabei strahlt er eine solch sakrale Atmosphäre aus, dass er selbst den Ungläubigsten zum Schweigen zwingt. Alles in diesem Zwölfeck ist sandsteinfarbene Heiligkeit. La Vera Cruz hat es nicht nötig, mit einem goldglänzenden Hochaltar zu protzen oder mächtige Madonnen zu präsentieren.

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Fast schüchtern steht die winzige Jungfrau des Friedens einsam in der leeren rechten Apsis; nicht einmal ein Engel steht ihr zur Seite, nur ein roter Blumenstrauß. Und der gotische Hochaltar ist zwar schön, aber keineswegs der Mittelpunkt, wurde er doch erst drei Jahrhunderte nach Fertigstellung der Kirche errichtet und befindet sich nicht mehr in der zentralen Apsis. Das "Allerheiligste" ist in diesem 800-jährigen Tempel nicht auszumachen, es ist überall: in den Gewölben, im stark verblassten Abglanz der ursprünglichen Freskenmalerei rechts von der Apsis, in jeder Fensternische, durch die Licht herein dringt, in jedem erleuchteten Stein. Wenn man in den unteren Kuppelraum eintritt, muss man ihn als niedrig und finster, fast erdrückend empfinden. Doch sobald das Portal geöffnet wird, ergießt sich ein blendender Lichtstrom quer durch den Raum und illuminiert das Kreuzmuster auf dem Boden. In einem solchen Moment entfaltet sich der mystische Zauber des romanischen Zwölfecks.

Im oberen Kuppelsaal befindet sich der Altartisch, der mit sehr interessanten maurischen Bögen geschmückt ist. Auch hier unverkennbar der islamische Einfluss, den die Templer aus Jerusalem mitbrachten.

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Ringsum gibt es nur schmale Mauernischen, durch die das Licht einfallen kann - und die überraschende, wenn auch "eingeengte" Perspektiven von oben auf den Kirchenraum bieten. So leuchtet durch eine der Nischen plötzlich ein kleiner Ausschnitt des Hochaltars, durch eine andere kann man das Hauptportal erahnen. Nur der Blick auf die romanische Christusfigur in der zentralen Apsis wird durch ein großzügiges Fenster gewährt. Insgesamt wirkt der Altarraum im Obergeschoss trotz der kleinen Fenster erstaunlich hell und Bänke laden zum Meditieren ein.

Rings um diesen Altar im zwölfeckigen Kuppelraum knieten damals die Tempelritter und haben sich vielleicht dabei gefühlt wie die zwölf Apostel - bereit, die Botschaft des Lichts in die Welt hinaus zu tragen. Und doch brach 1312, als Ergebnis einer machtpolitischen Intrige des französischen Königs mit dem Papst, die Finsternis herein und der Templerorden wurde von der Inquisition vernichtet. Die meisten der Ordensmitglieder wurden nach ausgiebiger Folterung hingerichtet, ihr reicher Besitz (um den ging es schließlich) konfisziert und neu verteilt. Nicht wenige vermuten, dass die Templer, die das Ende voraus ahnten, einen gewaltigen Schatz versteckt hätten. Überall, wo die geheimnisvollen Ritter Spuren hinterlassen haben, sind Schatzsucher unterwegs.

Im oberen Kuppelsaal befindet sich der Altartisch, der mit sehr interessanten maurischen Bögen geschmückt ist. Auch hier unverkennbar der islamische Einfluss, den die Templer aus Jerusalem mitbrachten.

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Dabei ist der größte Schatz, den die Bewahrer des Tempels hinterließen, in ihren Bauwerken zu finden, in denen christlicher Okzident und islamischer Orient verschmelzen. In ihren zwölfeckigen Tempeln von Tomar oder hier in Segovia.

Text + Fotos: Berthold Volberg



Volberg, Berthold
Sevilla - Stadt der Wunder
Porträt der andalusischen Kunstmetropole mit großem Bild- und Textteil zur Semana Santa

(Nora) ISBN: 978-3-86557-186-1
Paperback
328 S. - 16 x 25 cm

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