ed 09/2012 : caiman.de

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brasilien: Rapte-me camaleão! – Caetano Veloso zum 70.
Teil 5: Tudo Jóia?
THOMAS MILZ
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


argentinien: Paukenschläge für Gerechtigkeit
Das Centro Particular Angelelli in Buenos Aires
KATHARINA NICKOLEIT
[art. 2]
venezuela: Anden-Tour Los Nevados (Bildergalerie)
FRANK SIPPACH
[art. 3]
peru: Paracas und Islas Ballestas (Bildergalerie)
ALEJANDRA HUAYNALAYA
[art. 4]
argentinien: Einfach nur da zu sein ist das Wichtigste
Als Freiwillige unterwegs für Brot für die Welt
KATHARINA NICKOLEIT
[art. 5]
hopfiges: Alhambra Especial
DIRK KLAIBER
[kol. 1]
amor: Wortspiele und Lebensweisheiten (Teil 9)
CAMILA UZQUIANO
[kol. 2]
macht laune: Nur zwei Stunden
Tagesausflug mit Salvadoreños
SÖNKE SCHÖNAUER
[kol. 3]


[art_1] Brasilien: Caetano Veloso zum 70. (Teil 5)
Tudo Jóia?
 
"Jóia" und sein Zwillingsalbum "Qualquer coisa" – mit zwei neuen Alben, die Caetano 1975 gleichzeitig veröffentlicht, ist er plötzlich wieder da. Während "Jóia" noch Erinnerungen an seine experimentelle Phase weckt oder wie Caetano selber sagt, "etwas puristischer" ist, zeigt "Qualquer coisa" den Musiker aus Bahia zurück in alter Form.


"Jorge de Capadocia" und "Qualquer coisa" sind dabei die herausragenden Lieder. Sogar der "Rei" Roberto Carlos gestand später offen ein, dass er neidisch auf Caetano gewesen sei - hätte er doch gerne "Qualquer coisa" selber geschrieben. "Jóia" dagegen weist eine Vielzahl schöner Melodien auf, doch nur das Stück "Minha mulher" ist ein echter Ohrwurm.


Bemerkenswert ist, dass beide Alben zusammen nicht weniger als vier Lieder der Beatles covern - drei auf "Qualquer coisa" (mit einem Cover, das sowohl die Beatles als auch Andy Warhol würdigt) und ein Stück der fab Four auf "Jóia", nämlich "Help".

1976 bringt Caetano "die Band zusammen" - Kumpel Gilberto Gil, Sängerin Gal Costa und Schwester Maria Bethânia. Zusammen bilden sie die erste Superband der brasilianischen Musikgeschichte, "Os Doces Bárbaros". Die vier gehen auf eine von Fans und Kritikern gefeierte Tour durch Brasilien, bis Gilberto Gil wegen Haschbesitzes in Florianópolis verhaftet und das ganze Abenteuer damit beendet wird. Die Liveplatte zur Tour enthält Caetanos "Um índio" und Gils "Esotérico", ein Stück, was Bethania und Gal Costa gemeinsam in einem tollen Duett darbieten.



Danach verbringen Caetano und Gil einen Monat in Afrika. Vor Inspiration berstend, nimmt Caetano 1977 das wundervolle Album "Bicho" auf. Höhepunkte inmitten vieler anderer toller Stücke sind "A tigresa", "Odara", "Gente", "Alguém cantando" (gesungen von Schwester Nicinha) und eine neue Version von "Um índio". Der große Hit ist jedoch "O Leãozinho", eines seiner bis heute berühmtesten Lieder.


Im selben Jahr, 1977, veröffentlicht er noch "Muitos carnavais", eine Sammlung seiner für den Carnaval in Salvador geschriebenen Songs. 1978 erscheint die Platte "Muito", zusammen mit der neuen Begleitband "A outra banda da terra". Jahre später gesteht Caetano, dass diese Zusammenarbeit die glücklichste seiner ganzen Karriere gewesen sei. Eine anscheinend glückliche Zeit, die bis zum Album "Uns" von 1983 andauert.



Das Cover von "Muito" zeigt Caetano mit seiner Mutter Dona Canô, die ihrem Sohnemann eine Streicheleinheit verabreicht. Absoluter Höhepunkt ist die Hymne "Terra". "Tempo de estio" bringt einen direkt an die Stadtstrände Rio de Janeiros, "Muito romântico" ist einfach göttlich (dank eines perfekten Hintergrundchors, der als Basis des Stückes dient). Auf der Platte findet man zudem "Eu sei que vou te amar" von Tom Jobim und Vinicius de Moraes und "Sampa", eine kleine und ungewöhnliche Ode an São Paulo und dessen unelegante Frauen…



Nach einem weiteren Livealbum, "Maria Bethânia e Caetano Veloso ao vivo", verabschiedet sich Caetano auf perfekte Art und Weise von einem schwierigen Jahrzehnt. 1979 kommt "Cinema transcendental" auf den Markt. Sie klingt wie eine Greatest-Hits-Platte, obwohl sie ausschließlich neue Stücke umfasst: "Lua de São Jorge", "Oração ao tempo" (das als Novel-Song 2011 zum Hit wird), "Beleza pura", "Menino do Rio"...



In "Trilhos urbanos" erinnert sich Caetano an seine Kindheit in Santo Amaro, während "Cajuína" sich wie die offizielle Hymne des Nordostens anhört.

Voilá! So enden für Caetano die durchwachsenen und schwierigen 70er Jahre! Bald schon wird er mit "Outras palavras" das Tanzbein schwingen lassen. Até! Bis bald!

Text + Fotos: Thomas Milz

Hier kommt ihr zu:
Teil 1: Vom Bossa zum Tropicalismo
Teil 2: London, London
Teil 3: Ergrautes Chamäleon, ewig junger Romantiker
Teil 4: Araçá Azul und die Frustrationen eines verwöhnten Jungen

[druckversion ed 09/2012] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]




[art_2] Argentinien: Paukenschläge für Gerechtigkeit
 
Über eines der Jugendzentren in den von Gewalt geprägten Vorstädten Buenos Aires, das Jugendlichen einen geschützten Ort und Perspektiven für die Zukunft gibt.

"Ihr wollt etwas über unsere Rechte wissen?" Bum. "Wir sagen Euch, welche es sind." Bum. "Keine Misshandlung, keine Verachtung." Bum. "Und keine Diskriminierung." Bum. Mit jedem Bum haut Marcelo kräftig mit dem Schlägel auf die große Trommel, die er sich umgeschnallt hat. Marcelo ist ein schmaler, ernster junger Mann, hinter dessen zurückhaltender Höflichkeit ein eiserner Wille steckt. "Murga stammt von den Sklaven, die nach Südamerika verschleppt wurden. Immer zum Karneval gingen sie auf die Straße und schrien mit den Trommelschlägen ihren Protest heraus. So machen wir es auch: Wir verlangen Gerechtigkeit und prangern laut an, was bei uns alles nicht stimmt."  Marcelos Augen glänzen als er das erzählt. Dann hebt er wieder die Schlägel und ruft die anderen Besucher des Jugendzentrums zusammen. Sie proben für den nächsten Protestumzug: Vorneweg Marcelo mit der großen Trommel, hinten dran die Sänger und Tänzer.

Marcelo ist 19 Jahre alt und lebt in Florencio Varela. Es ist einer der vielen tristen Vororte des reichen Buenos Aires. Die Hauptstadt Argentiniens hat keinen Platz für die Jugendlichen aus den Vorstädten. Während ihre Eltern desillusioniert vor dem Fernseher sitzen oder sich mit Tagelöhnerjobs in der Metropole durchschlagen, sind ihre Kinder sich selber überlassen. Ohne Eltern, die ansprechbar sind, ohne familiäres Netzwerk, das diese Lücke füllen würde, ohne Lehrer, die Zeit haben, sich über die Vermittlung von Lehrstoff hinaus mit ihren Schülern zu beschäftigen, suchen die Kinder und Jugendlichen Halt. Und vermeintlichen Halt finden sie meistens bei Gleichaltrigen, mit denen zusammen sie Drogen nehmen, die die immer gleiche Tristesse ihres Lebens erträglicher machen. Marcelo hatte Glück. Er fand in seinem Viertel einen Ort, an dem er willkommen war und wo es statt Drogen etwas anderes gab um der Trostlosigkeit zu entfliehen: die Murga. "Ich hörte die Trommeln und kam näher und wusste, dass ich das lernen wollte", erinnert sich Marcelo an den Tag, an dem er das Jugendzentrum für sich entdeckte.

Solche Jugendzentren wie das Centro Particular Angelelli sind in den Vorstädten von Buenos Aires rar. Die wenigen, die es gibt, werden von Kirchen und mit Hilfe von Spenden über Hilfsorganisationen wie Brot für die Welt finanziert. Für Kinder, wie Marcelo eines war, sind diese geschützten Orte unendlich wichtig. "Hier gibt es etwas zu essen, jemand, der dir zuhört, der dir Rat gibt", zählt Marcelo auf. Ein Jugendzentrum in einer argentinischen Vorstadt hat keinen Garten mit Blumen, keinen Spielplatz und keine freundlich gestrichenen Räume. Das alles wäre natürlich schön, aber es ist verzichtbarer Luxus, der viel zu teuer wäre. Nein, das Jugendzentrum ist ein zweckmäßiger, roh errichteter und innen wie außen unverputzter Ziegelbau; drinnen von einer Neonröhre erleuchtet und draußen von einem Rasen umgeben, der so platt getreten ist, dass das Gras kaum mehr zu erkennen ist. Aber das reicht aus, um die wichtigste Aufgabe in der Jugendarbeit zu erfüllen: einen Ort zu schaffen, an dem die Jugendlichen Menschen finden, die ihnen zuhören und für sie da sind. Und das sind die Mitarbeiter von Angelelli. "Wir nehmen die Jugendlichen mit all ihren Sorgen ernst. Wir haben Zeit für sie und versuchen, Lösungen für ihre Probleme zu finden", erklärt Karina Raimondo, die Leiterin des Jugendzentrums.

Die Probleme der Jugendlichen haben fast immer mit Gewalt zu tun. "Die Kids hier in der Gegend erleben ständig Gewalt, entweder zu Hause oder auf der Straße. Selbst in der Schule gibt es viel Gewalt", erzählt Marcelo. Genau so ein Kind war Marcelo früher auch, als er mit 12 Jahren das damals gerade neu eröffnete Zentrum entdeckte. Was er als Kinder erlebt und gefühlt hat, das sagt er Fremden nicht direkt. Aber er verarbeitet es in den Murgatexten, die er selber schreibt: "Die Erwachsenen müssen respektieren." Bum. "Unser Recht zu studieren." Bum. "Und auch das zu spielen." Bum.

"Mit dem Tanz und den Trommelschlägen können wir unsere Wut hinaus schreien und ausdrücken, was wir fühlen. Wir tun das gemeinsam und erleben in diesem Moment Freundschaft und Verbundenheit", versucht Marcelo zu beschreiben, warum die Murga so wichtig ist.

Viele der Jugendlichen, die in das Jugendzentrum Angelelli kommen, sind verschlossen und verstecken sich und ihre Gefühle hinter einer Fassade der Coolness. "Zunächst einmal ist es wichtig, dass die Kids nicht alles in sich hineinfressen, sondern lernen auszudrücken, was ihnen nicht passt, was sie in ihrem Leben ändern wollen. Dafür ist Musik und Malen eine sehr gute Möglichkeit", erklärt Karina Raimondo den ersten Schritt in der Jugendarbeit. Um die Probleme in den Familien aufzuarbeiten, stehen den Jugendlichen nicht nur Sozialarbeiter, sondern auch Psychologen zur Seite. Um Zukunftsperspektiven zu schaffen, bietet das Zentrum wöchentliche Kurse an, in denen die Jugendlichen die Grundzüge eines Handwerks erlernen können. So bekommen sie etwas an die Hand, das ihnen helfen kann, später einmal ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Marcelo hat sich für Elektrik entschieden. Einmal pro Woche lernt er Kabel zu verlegen, Steckdosen anzuschließen und Schaltpläne zu zeichnen. In den ständig weiter wachsenden Elendsvierteln mit ihren immer neuen Häuschen sind das gefragte Fähigkeiten. Mit seinen gerade einmal 19 Jahren hat er es geschafft, so viel Geld zu sparen, dass er bei seiner Mutter ausziehen und sich in einem erst vor ein paar Monaten neu entstandenen Slum seine erste eigene Unterkunft bauen konnte: Eine zwei Mal drei Meter große Hütte aus Sperrholz und Plastikfolie. Doch das soll erst der Anfang sein – Marcelo spart eisern auf Ziegelsteine, mit denen er spätestens nächstes Jahr ein festes Haus errichten will. Sein größter Traum aber ist es, eines Tages allein von der Musik leben zu können. Die Chancen dafür stehen gar nicht so schlecht: Marcelo hat fast jedes Wochenende zusammen mit anderen Murgueros kleinere Auftritte bei Geburtstagen und Hochzeiten und verdient inzwischen mit seiner Musik ganz gut. Was wohl aus seinem Leben geworden wäre, wenn er ohne das Jugendzentrum groß geworden wäre? "Ich würde auf der Straße rumhängen, Drogen nehmen und Leute ausrauben um mehr Drogen nehmen zu können", ist Marcelo überzeugt.

Das Jugendzentrum ist auch heute noch ein sehr wichtiger Ort für Marcelo, an dem er in allen Lebenslagen Rat und Hilfe findet. Doch inzwischen gibt er an die nächste Generation Jugendlicher das weiter, was er selber bei Angelelli gelernt hat: Sich über die Musik Luft zu machen. Wer die Kids fragt, welche Aktivität des Zentrums ihnen am besten gefällt, dann ist die Antwort fast immer "Murga". Und die Murgaabende, die werden inzwischen von Marcelo geleitet. "Los geht’s, Jungs", ruft er und die Tänzer nehmen Aufstellung. Dann haut Marcelo auf die Pauke. "Ich möchte Leben, ich möchte nicht Leiden!" Bum. "Ich habe das Recht auf Gesundheit." Bum. "Und darauf glücklich zu sein!" Bum.

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

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[art_3] Venezuela: Anden-Tour Los Nevados (Bildergalerie)
 
Eine Anden-Tour Los Nevados dauert drei Tage: Ab Mérida geht’s mit dem Jeep nach Los Nevados (2700m). Am nächsten Morgen per Maulesel zum Alto de la Cruz (4200m). Und von da an zu Fuß bergab bis in das Valle de los Calderones. Auf dem Weg passiert man die die höchste und längste Seilbahn der Welt – leider ist sie zurzeit stillgelegt. Am dritten Tag weiter, ebenfalls zu Fuß, durch die Páramo-Vegetation und den subtropischen Nebelwald bis nach Mucunután:

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Fotos: Frank Sippach

Tipp:
Detaillierte Informationen zu Reisen in Venezuela:
Posada Casa Vieja Mérida



[druckversion ed 09/2012] / [druckversion artikel] / [archiv: venezuela]





[art_4] Peru: Paracas und Islas Ballestas (Bildergalerie)
 
Bootsausflug zu den Islas Ballestas im Nationalreservat Paracas. Dort könnt ihr Mähnenrobben, Inkaseeschwalben, Guanotölpel, Guanoscharben, Perupelikane, Humboldtpinguine und vieles mehr entdecken:

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Fotos: Alejandra Huaynalaya

[druckversion ed 09/2012] / [druckversion artikel] / [archiv: peru]





[art_5] Argentinien: Einfach nur da zu sein ist das Wichtigste
 
Elisabeth Löffler wurde von Brot für die Welt als Freiwillige nach Argentinien entsendet. Hier kümmert sie sich um vernachlässigte Kinder und Jugendliche.

Inmitten der Traube dunkelhaariger Kinder steckt ein aschblonder Kopf. Er gehört Elisabeth Löffler aus Kassel, an der gerade viele kleine Hände ziehen. Die 19-jährige absolviert bei Arcángel Gabriel ihr freiwilliges soziales Jahr in Buenos Aires, Argentinien. In dem von Brot für die Welt unterstützen Jugendzentrum befinden sich rund 25 Kinder und Jugendliche aus einem der vielen Elendsquartiere der Megacity. Für die zu Hause vernachlässigten Kinder ist das Zentrum eine Anlaufstelle, in der sie etwas zu Essen bekommen und an verschiedenen Bastel- und sonstigen Projekten teilnehmen können. Das wichtigste aber ist, dass sie bei Arcángel Gabriel immer jemanden finden, mit dem sie reden können, der ihnen zuhört, sie in den Arm nimmt – kurz, einfach für sie da ist. Einfach da zu sein, das umschreibt Elisabeths Aufgabe ganz gut. "Ich helfe natürlich auch bei den Projekten mit oder beim Kochen und gebe Englischunterricht, aber das Wichtigste für die Kinder ist Spielen und Kuscheln", erzählt Elisabeth und legt den Arm um die neunjährige Micaela, die ihr nicht von der Seite weicht. "Vor allem die Kleinen sind sehr anhänglich. Man merkt richtig, wie ausgehungert sie nach Liebe und Zuneigung sind."

Elisabeth wollte nach 13 Jahren Schule nicht nahtlos an der Uni einschreiben, sondern für eine Weile etwas ganz anderes machen. Lateinamerika hat sie schon immer gereizt, ein wenig Spanisch an der Volkshochschule gelernt und so fiel die Wahl auf das Jugendzentrum in einer der tristen Vorstädte von Buenos Aires. An ihren ersten Rundgang durch das Barrio, aus dem die von ihr betreuten Kinder und Jugendlichen kommen, kann sie sich noch gut erinnern: "Am krassesten fand ich, dass es keine Privatsphäre gibt. Die Häuschen sind winzig und stehen dicht an dicht und man bekommt alles mit." Elisabeth selber hat es allerdings besser – sie wohnt zusammen mit zwei anderen Freiwilligen in einer Wohnung, die die Deutsche Kirchengemeinde zur Verfügung gestellt hat, und die liegt in einem deutlich besseren Viertel. Alleine in die Elendsquartiere zu gehen, das ist den Freiwilligen streng verboten, es ist einfach zu gefährlich, denn man weiß nie, ob es nicht gerade mal wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Banden kommt.

Inzwischen sind seit Elisabeths Ankunft einige Monate vergangen. Sie hat sich gut eingelebt und ihr Spanisch ist viel besser geworden. Dabei waren mangelnde Sprachkenntnisse auch ganz am Anfang kein Problem – "die Kinder sehen lachend über Sprachbarrieren hinweg und freuen sich einfach, dass ich da bin. Dabei mache ich doch eigentlich gar nicht viel!", meint sie. Die Kinder, das merkt Elisabeth oft, haben viel Schlimmes erlebt. Wenn es beim Essen mal Streit gibt, dann hebt schnell einer drohend das Tafelmesser. Und auch beim Toben und Spielen kann die Stimmung schnell kippen. "Wir müssen immer ein Gespür dafür haben, ob das jetzt noch Spaß ist oder ob die Fröhlichkeit gleich in Aggressivität umschlagen wird." Wie sehr das Leben der Kinder und Jugendlichen von Gewalt geprägt ist, bekommt Elisabeth in ihrem Arbeitsalltag zu sehen. Nicht selten kommt eines von ihnen mit einem tiefblauen Auge ins Zentrum oder die Gespräche der Kinder drehen sich darum, mit was für Gegenständen sie schon geschlagen wurden. Am meisten hat die junge Frau schockiert, als sie mitbekam wie eine 13jährige bei einer Fehlgeburt das Kind ihres eigenen Vaters verlor. "Missbrauch ist hier in den Familien fast schon normal, das ist manchmal schwer auszuhalten", sagt sie nachdenklich.

Elisabeth weiß, dass sie an der Situation der Kinder nicht viel ändern kann, doch das ist auch nicht ihr Anspruch. "Aber ich kann ihnen für ein paar Stunden am Tag eine schöne Zeit bereiten, das ist möglich und wichtig." Und aus genau diesem Grund ist sie hier.

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

[druckversion ed 09/2012] / [druckversion artikel] / [archiv: argentinien]





[kol_1] Hopfiges: Alhambra Especial
 
Die Sonne geht unter im Rücken der Verkostenden. Der Blick ist gebannt auf die Alhambra, von der spätestens allabendlich klar wird, warum sie übersetzt Die Rote heißt. Im Hintergrund die schneebedeckten Gipfel der Sierras de Huétor y la Alfaguara. Und natürlich darf zu diesem Szenarium die Alhambra Especial gereicht in Dosen oder Flaschen nicht fehlen.



Ganz so einfach wollen wir es uns aber nicht machen. Wir entführen ein Alhambra Especial 2000 Kilometer gen Norden nach Berlin. Hier ist es egal, wo die Sonne steht, denn sie scheint nicht. Der Blick auf den Alex ist getrübt durch graue Wolkensuppe. Die Aussichtsplattform gar ist komplett eingetaucht und versteckt sich. Ein Betonstrich, der sich im Nichts verliert.

Aufgrund der sich schon am Abend zuvor anbahnenden Trostlosigkeit schicken wir die klassisch rustikale 0,33 l Dose auf die Piste. Aber sie weigert sich. Und auch zum Fototermin am Folgetag reden wir mit Engelszungen auf sie ein, um sie zum Aufbruch zu bewegen. Und erst als sich die 1906 Reserva Especial aus La Coruña bereit erklärt, zu flankieren, können wir los. Wir besteigen eine Touriaussichtsplattform, an diesem Morgen frei von Touris, und es gelingt die fiese Stimmung aufs Foto zu bannen.

Einmal vor der Kamera platziert, ist die Tristesse der Alhambra Especial schnell verflogen. Sie zeigt sich von ihrer Schokoladenseite, rückt gekonnt das Tattoo zur 1000 Jahrfeier Granadas als Königssitz ins Bild und präsentiert ihre Hygieneabdeckung mit dem verlockenden Verweis auf die Entdeckung der wahren Natürlichkeit als Regencape.

So viel Einsatz will umgehend belohnt werden und wir öffnen die Dose noch an Ort und Stelle. Ein trotziges Salut gen Fernsehturm und der erste Schluck unterstreicht die Geschmeidigkeit der Shooting-Performance.

Eine leichte Süße, dabei aber wohltuend abgerundet, ist das Alhambra Especial trotz seiner 5,4% Alkohol süffig und gefällig. Der metallene Geschmack nach Dose fehlt gänzlich und so lassen wir das rote Gold, gebraut am Fuße Der Roten, in der granat (rot) Stadt, durch den Mundraum wirbeln und erfreuen uns am sanften Abgang.



Fazit: In Anbetracht des Wetters hatten wir einen Beamerabend mit Fotos vom eingangs beschriebenen Szenario in Betracht gezogen. Die allabendliche Stimmung Granadas ins Wohnzimmer projizierend, hätte die Verkostung unter fast Idealbedingungen stattfinden sollen, um den Wohlfühl-Faktor zu simulieren. All dem bedurfte es aber letztendlich gar nicht: Alhambra Especial weiß sich auch in unwürdigem Ambiente durchzusetzen und Aufmerksamkeit zu erregen.


Bewertung Alhambra Especial:

1. Hang over Faktor
(4 = kein Kopfschmerz):
2. Wohlfühlfaktor (Hängematte)
(4 = Sauwohl):
3. Etikett/Layout/Flaschenform
(4 = zum Reinbeißen):
4. Tageszeit Unabhängigkeit
(4 = 26 Stunden am Tag):
5. Völkerverständigung
(4 = Verhandlungssicher):


Text + Fotos: Dirk Klaiber

[druckversion ed 09/2012] / [druckversion artikel] / [archiv: hopfiges]





[kol_2] Amor: Wortspiele und Lebensweisheiten (Teil 9)
 
Original: A caballo regalado no se miran los dientes.
Wortwörtlich: Einem geschenkten Pferd sieht man nicht auf die Zähne.
Sinngemäß: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.

Original: A rey muerto, rey puesto.
Wortwörtlich: Für einen toten König, ein eingesetzter König.
Sinngemäß: Der König ist tot, es lebe der König.

Original: Matar dos pájaros de un tiro.
Wortwörtlich: Zwei Vögel mit einem Schuss töten.
Sinngemäß: Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Original: Los muertos que vos matáis gozan de buena salud.
Wortwörtlich: Die Toten, die du umbringst, erfreuen sich bester Gesundheit.
Sinngemäß: Totgesagte leben länger.

Original: La última gota hace rebasar el vaso.
Wortwörtlich: Der letzte Tropfen bringt das Glas zum Überlaufen .
Sinngemäß: Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Original: En el país de los ciegos, el tuerto es el rey.
Wortwörtlich: Im Land der Blinden der Einäugige der König ist.
Sinngemäß: Unter den Blinden ist der Einäugige König.

Original: Empezado el queso hay que comerlo.
Wortwörtlich: Den Käse angebrochen, muss man ihn essen.
Sinngemäß: Wer A sagt, muss auch B sagen.

Original: El hijo del gato, ratones mata.
Wortwörtlich: Der Sohn der Katze tötet Ratten.
Sinngemäß: Wie der Vater, so der Sohn.

Original: Dime con quien andas y te diré quien eres.
Wortwörtlich: Sage mir, mit wem Du gehst und ich sage Dir, wer Du bist.
Sinngemäß: Sage mir, wer deine Freunde sind und ich sage Dir, wer Du bist.

Text: Camila Uzquiano
Foto: Frank Sippach

Und weitere Wortspiele und Weisheiten:
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 1
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 2
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 3
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 4
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 5
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 6
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 7
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 8

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[kol_3] Macht Laune: Nur zwei Stunden

Montagmorgen und ich habe mich gerade aus dem Bett gequält und an den Frühstückstisch geschleppt als mich die Frage aus dem Nichts  trifft: "Wie wäre es? Sollen wir nicht heute auf eine Insel fahren, an einen Strand, den Du noch nicht kennst und der genauso sein wird wie Du Dir einen Strand immer vorgestellt hast?" Na, was für eine Frage, denke ich noch, da überkommt mich die Erkenntnis, dass ich seit zwei Wochen meine Tage in der Hauptstadt San Salvador friste. Abrupt werde ich misstrauisch: Heute noch an einen Strand, die Uhr zeigt mittlerweile 9 und normalerweise werden solche Vorschläge mit den Worten eingeleitet "...wenn wir das morgen schaffen wollen, müssen wir aber um 6 Uhr los."

Bevor ich also antworte, betrachte ich meinen Gegenüber, den Besitzer der Stimme, die mich mit einem so wunderbaren Vorschlag bedacht hat. Hmm, eigentlich der Zuverlässigste von allen, trotzdem ist Vorsicht angebracht: "Schaffen wir das denn noch, ich meine, wie weit ist es denn bis zu dieser Insel?"

Mein Misstrauen scheint unbegründet: "Dauert keine zwei Stunden bis dahin; habe den anderen schon Bescheid gegeben und den Minivan für 12 Uhr bestellt." Tja, dann...

Um 12:30 Uhr steht der Van tatsächlich vor der Tür, Chauffeur gleich mitgemietet, wunderbar. Es dauert keine 20 Minuten und die Hälfte aller Beteiligten sitzt im Wagen, die anderen müssen wir noch kurz am Hotel auflesen: vorwiegend Deutsche und so setzt sich die Reisegruppe aus sieben Landsleuten und sieben Salvis zusammen. 13:15 Uhr nehmen wir Kurs auf die Stadtgrenze. Auf dem Weg erfahren die Anwesenden dann, dass es noch kurz am Supermarkt vorbei gehen wird zwecks Verpflegung. Super, scheint ja alles voll durchgeplant zu sein, ich fasse es nicht. Um 14 Uhr haben wir dann alles Notwendige besorgt und biegen keine halbe Stunde später in eine Tankstelle ein; lediglich drei Wagen vor uns, wir genehmigen uns die erste Cuba Libre und überlassen alles weitere dem Fahrer. 15 Uhr: die Massen entern erneut den Van und es kann endlich richtig losgehen. Die Stimmung ist ausgesprochen gut, wir erreichen den Stadtrand und ich frage noch einmal, wie weit es denn nun sei. "Zwei Stunden, mehr auf keinen Fall." Der Fahrer bestätigt diese Angabe. War eigentlich auch eine dämliche Frage, ist doch egal, wir haben ja alle Zeit der Welt.

In meinem Überschwang, die Aussicht auf einen Strand beflügelt mich, mixe ich dem Rest und mir noch einen Drink. Ich sitze direkt an der Quelle, der Kühlbox, in solchen Situationen eine wirklich gute Erfindung. Ich verliere mein Zeitgefühl, die Situation erreicht Perfektion ...bis ich der ungewohnten Hektik im Fonds des Wagens gewahr werde: kein lautes Geschrei, wie man es ja schon des Öfteren miterleben durfte, nur ein unruhiges Geflüster und Herumhantieren mit den Handys; dann etwas lauter die Frage nach der Telefonnummer eines Onkels. Skepsis schleicht sich in mein Hirn. Ich frage, was denn los sei, bekomme aber keine Antwort, dem Rest der Gruppe scheint noch nichts aufgefallen zu sein. Ich denke mir, versuchen wir es halt auf dem indirekten Weg. Ich stelle meine Standardfrage: "Wie weit ist es denn noch?", erhalte die Standardantwort, denke mir noch, sind doch schon eine Weile unterwegs, schaue auf die Uhr, stelle fest 16 Uhr und harre des Geistesblitzes, der mich innerhalb der nächsten 20 Sekunden treffen wird. Strand, Insel, Boote, das ist es! "Wann fahren denn die letzten Boote auf die Insel?" Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: 17 Uhr wegen der Flut. Aha! Da ist sie wieder die Situation, in der der Gringo nicht weiss, ob man ihn wissentlich auf den Arm genommen hat. 17 Uhr, also noch eine Stunde und die Wahrscheinlichkeit, dass es weniger als zwei Stunden bis zum Ziel sind, ist gering. Und so kommt es dann auch: pünktlich um 18 Uhr erreichen wir das Strandhaus des Onkels. Die Dunkelheit ist bereits über uns herein gebrochen.

Zwar wundern sich immer noch Einige, dass wir sozusagen mitten in der Nacht auf eine Insel übersetzen sollen, aber die Diskussion wird durch die Ansage, ein jeder möge sich doch nun einen Schlafplatz suchen, im Keim erstickt.

Soweit, so gut, was solls, solange mir keiner mit den obligatorischen zwei Stunden kommt, ist alles ok.

Am nächsten Morgen, nach einer sozusagen viel zu kurzen Nacht, erwache ich mit dem Blick auf die Insel, auf der ich mich eigentlich befinden sollte. Keine Stunde später überrascht mich die Frage, ob ich denn Lust hätte, heute auf eben jene überzusetzen. Ja, deswegen bin ich ja wohl hier, denke ich, antworte aber klar und deutlich, dass ich das sehr schön fände und frage noch, wann es denn los gehe. Wieder so eine Situation, mit der der Angesprochene, nichts anfangen kann. Wortlos wendet er sich von mir ab.

Ich bleibe in meiner Hängematte und entspanne gerade so richtig als unser salvadorianischer Bootsführer aufkreuzt und uns mitteilt, dass alles zur Abfahrt bereit sei. Jaja, das kenne ich schon! Erst nachdem der Latinoanteil unserer Gruppe alles Notwendige unter dem Arm balancierend auf den Strand zusteuert, raffe ich mich auf und folge dem Haufen. Es sind lediglich 50 Meter bis zur Anlegestelle. Die Sonne brennt und ich sehe unseren Kapitän mit seinen Kollegen die Netzte aufrollen. Mich irritiert in diesem Augenblick nicht, dass wir ungefähr 20 Minuten in der sengenden Hitze warten werden müssen, sondern dass meine mich begleitenden Einheimischen auf die Ansage Listo! ebenso reingefallen sind wie ich. Ich verstehe das ganze System nicht mehr, was soll ich denn noch tun, wie soll ich mich denn verhalten, sobald jemand zu mir sagt, es ginge jetzt los: sich an den Aktionen und Reaktionen der einheimischen Bevölkerung orientieren, funktioniert anscheinend nur mit mäßigem Erfolg. Als es dann doch losgeht, verkneife ich mir die Frage, wie lange es denn voraussichtlich dauern werde. Es ist ja nicht so, als wäre man nicht lernfähig.



Als wir abends dann zurück in San Salvador beim Essen zusammen sitzen, werfe ich während einer kurzen Gesprächspause ein, warum man hier denn auf die Frage, wie lange es wohl dauere, immer die Antwort "zwei Stunden" erhalte. Erstaunte Blicke allenthalben. Das wäre doch wohl offensichtlich. El Salvador sei ein so kleines Land, dass man, egal wohin, immer nur zwei Stunden brauche. Danke für das!

Text + Fotos: Sönke Schönauer

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