ed 02/2012 : caiman.de

kultur- und reisemagazin für lateinamerika, spanien, portugal : [aktuelle ausgabe] / [startseite] / [archiv]


spanien: Telde behext Sie
Gartenstadt im Nordosten Gran Canarias
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


peru: Vogelbeobachtung (Teil 2)
Kurztagebuch 05.06.2011 – 24.06.2011
WOLFGANG NEHLS
[art. 2]
bolivien: Chagas – der Biss der Vinchuca und seine Folgen
KATHARINA NICKOLEIT
[art. 3]
spanien: Salamanca (mit etwas weniger Don Quijote)
FELIX HINZ
[art. 4]
macht laune: Jeden Tag Familienfest
Nicht immer einfach
MARIA JOSEFA HAUSMEISTER
[kol. 1]
hopfiges: WEISS DAMM
MARIA JOSEFA HAUSMEISTER
[kol. 2]
grenzfall: Ich war das WEISS DAMM
MÁXIMO TIGRE HAUSMEISTER
[kol. 3]
amor: Wortspiele und Lebensweisheiten (Teil 4)
CAMILA UZQUIANO
[kol. 4]




[art_1] Spanien: Telde behext Sie
Gartenstadt im Nordosten Gran Canarias
 
Nach einer Woche hatte ich genug von Strand, goldgelben Dünen, Hoteltürmen, Neonglühen, deutschen Supermärkten und Rentner-Invasionen. Daher schlug ich gestern Abend an der Hotelbar meiner Licor 43 naschenden Begleiterin Cayetana vor, doch morgen zur Abwechslung mal ein bisschen Zeit in Kultur zu investieren. Sie verdrehte zwar die Augen (ihr eigener Aktionsbereich lag eher auf den Tanzflächen der Diskotheken von Playa del Inglés). Aber sie wusste, ich würde keine Ruhe geben. Also einigten wir uns auf einen Kompromiss: statt der großen Kultur-Tour zur Inselhauptstadt Las Palmas im äußersten Norden (Busfahrt ca. 2 Stunden) würde ich mich mit einem kleinen Ausflug in die alte Stadt Telde begnügen, damit sie pünktlich vor Sonnenuntergang zur Happy Hour wieder am Pool sein könnte. Außerdem müssten wir dann nicht so früh aufstehen, weil die Fahrt nur halb so lang dauern würde.

Telde Garten-Gasse [zoom]
Telde Garten-Gasse [zoom]

Also nahmen wir an einem sonnigen Sonntag um 10.40 Uhr den Bus Nr. 36 von Playa del Inglés nach Telde. Diese Stadt im Nordosten von Gran Canaria liegt 5 Kilometer von der Küste entfernt auf halbem Weg zwischen Strand und dem Gebirgsmassiv des Inselzentrums. Im Gegensatz zu Las Palmas wirkt sie trotz der mehr als 100.000-Einwohner überhaupt nicht großstädtisch, sondern präsentiert sich wie ein grünes, etwas groß geratenes Dorf. Am südlichen Ortseingang grüßt die Statue eines Guanchen, die daran erinnert, dass sich hier schon vor der spanischen Eroberung eine der wichtigsten Siedlungen der kanarischen Ureinwohner befand. Die Guanchen-Statue blickt auf ein weitläufiges Gartengelände mit Palmen, Frangipani und Kakteen.

Guanche [zoom]
San Juan Bautista [zoom]

Ein Kranz von Finca-Gebäuden und Feldern umgibt Telde im Süden und Westen. Die Stadt besteht aus drei historischen Vierteln, die durch tiefe Täler voneinander getrennt sind: im Norden das aristokratische Barrio San Juan Bautista, benannt nach der wichtigsten Kirche des Ortes, das volkstümliche Barrio San Francisco und das geschäftige und etwas modernere Barrio San Gregorio. Anders als Las Palmas oder Santa Cruz wurde Telde nie von englischen Piraten zerstört; daher ist die historische Bausubstanz gut erhalten. Schon 1351 wurde Telde als erste spanische Siedlung auf den Kanaren offiziell zum Bischofssitz ernannt – aber es sollte noch mehr als ein Jahrhundert dauern, bis die Okkupation durch die spanische Krone definitiv abgeschlossen und Telde wirklich zu einer europäischen Stadt auf dieser afrikanischen Insel wurde. Erst 1490 begann eine größere Gruppe spanischer Invasoren hier zu siedeln und die üblichen staatlichen und kirchlichen Institutionen zu etablieren. Wenig später entstand der Ortskern um die Kirche San Juan Bautista, die den wichtigsten sakralen Kunstschatz von Gran Canaria besitzt.

Garten-Gasse [zoom]
San Gegorio [zoom]

Als Cayetana und ich aus dem Bus steigen, wissen wir nicht, in welchem der drei Stadtviertel wir gelandet sind. Ich steuere direkt auf die nächste Kirche zu. Es ist aber nicht wie erhofft San Juan, sondern die klassizistische Kirche San Gregorio, die allerdings keine bedeutenden Kunstwerke zu bieten hat. Dafür spenden auf dem schönen Platz vor der Kirche vier große Ficus-Bäume willkommenen Schatten. Wir fliehen vor der grellen Mittagssonne und beobachten das äußerst entspannte sonntägliche Treiben auf dem Kirchplatz. Dabei entdeckt Cayetana ein originelles "Schuhputzer-Denkmal" aus Bronze – eine Hommage an einen viel zu wenig gewürdigten Berufsstand. Dann dränge ich zum Aufbruch, da ich fürchte, dass das wichtigste Monument der Stadt, die Kirche San Juan Bautista, nach der Mittagsmesse ihre Pforten schließt... und wir müssen sie erstmal finden. Die Wegbeschreibungen, die uns einheimische Passanten liefern, sind durchaus widersprüchlich und alles andere als präzise ("einfach hier den Hügel runter, dann links wieder hoch, bis man nur noch Bäume sieht, und dann nochmal rechts hoch..."). Endlich entdecken wir neben dem Stadtpark die zwei Türme der Johannes dem Täufer gewidmeten Kirche.

San Juan Bautista [zoom]
San Juan Bautista [zoom]

Typisch für die Sakralgebäude Gran Canarias ist die Kombination aus dunklem und weiß verputztem Vulkangestein. Die markanten Glockentürme wurden im 18. Jahrhundert dem alten Kirchenbau angefügt. In einer Nische über dem Hauptportal  blickt eine ursprünglich farbig bemalte steinerne Statue von Johannes dem Täufer, der ein drolliges Lamm auf der linken Hand trägt, auf den eintretenden Besucher. Der Innenraum ist dreischiffig und wir sind überrascht von der dicht gedrängten Menschenmenge (normalerweise sind Sonntagsmessen in spanischen Kirchen nicht gut besucht). Der Grund für den Besucheransturm: es gibt ein halbes Dutzend Taufen, so dass wir uns etwas gedulden müssen, bis wir das wichtigste Kunstwerk der Insel, den vergoldeten, von flämischen Bildhauern um 1525 geschaffenen spätgotischen Hauptaltar näher betrachten können.

Vorplatz San Juan Bautista [zoom]
San Juan Bautista/Altar [zoom]

Besonders schön sind die detailreichen, filigran gearbeiteten Reliefs im Zentrum des Altars, die Statue des Kirchenpatrons Juan Bautista links und die beiden kecken Englein, die unten rechts und links unter dem Kreuz sitzen. Im linken Kirchenschiff befindet sich in einem gläsernen Sarkophag ein weiteres wichtiges Kunstwerk aus dem 16. Jahrhundert: eine liegende Christusskulptur, die von mexikanischen Indios aus einem außergewöhnlichen Material, nämlich Maisfasern, angefertigt wurde. Die Tatsache, dass die beiden bedeutendsten Kunstwerke dieser Kirche nicht aus Spanien, sondern aus Flandern und Mexico stammen, dokumentiert auch, wie weit verzweigt das spanische Weltreich im 16. Jahrhundert war.

Zurück im Sonntagstrubel vor der Kirche bewundern wir den mächtigen Ficus und rot blühende Tulpenbäume auf dem Platz. Schon meldet sich der Hunger und Cayetana meint mit unschlagbarer Logik: "wenn schon Kirche, dann auch Kuchen!" (offenbar sind diese beiden K für sie untrennbar verbunden). Wir müssen auch nur ein paar Schritte die Straße bergauf gehen, als wir zum Café  "Opera" kommen. Es gibt zwar keine Oper in Telde (das wäre etwas viel verlangt), aber die Schokoladentorte und der Mandelkuchen dieser Konditorei sind sehr empfehlenswert.

Gärten/Aquädukt San Francisco [zoom]
Gärten/Aquädukt San Francisco [zoom]

Danach führt uns ein idealer Spaziergang durch die Gärten nahe dem Viertel San Juan, entlang einer originellen Sehenswürdigkeit. Die traditionellen Aquädukte von Telde, wie der Aquädukt von San Francisco, sind zwischen 250 und 300 Jahren alt und erfüllen heute auch dekorative Funktion. Strahlendweiß getüncht und mit ihren alten Laternen versehen, präsentieren sich diese historischen Wasserleitungen als romantische Relikte aus einer Zeit, als Tourismus hier noch unbekannt war und die Insel von der Landwirtschaft lebte. Nach der spanischen Eroberung wurde in der sehr fruchtbaren Landschaft um Telde im 16. Und 17. Jahrhundert vor allem Zuckerrohr und Wein für den Export angebaut, später wurden auch Kartoffeln populär, allerdings mehr für den Eigenbedarf. Insbesondere für die schwere Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen wurden maurische und schwarzafrikanische Sklaven "importiert" – ein weitgehend verdrängtes Kapitel der Inselgeschichte. Heute gibt es noch kleine Flächen, die dem Zuckerrohr-Anbau dienen, aber nicht mehr hier, sondern rund um Arucas im äußersten Norden. Im frühen 19. Jahrhundert wurden Zuckerrohr und Wein in der landwirtschaftlichen Gunst abgelöst von Bananen und Tomaten, die bis heute zwei Hauptprodukte der kanarischen Agrarwirtschaft geblieben sind.

Gärten/Aquädukt San Francisco [zoom]
Gärten/Aquädukt San Francisco [zoom]

Beim abschließenden Streifzug durch die schönen Gassen der Viertel San Francisco, San Juan und durch den Stadtpark können wir uns davon überzeugen, dass Telde nicht nur alte Kultur zu bieten hat. Es gibt vor allem im Park San Juan einige avantgardistische Skulpturen und in den Gassen daneben Beispiele moderner Architektur, die man hier nicht erwarten würde, wie ein Haus, dessen Fassade nur aus einer halb verspiegelten Wand besteht. Aber charakteristisch bleiben die alten, oft steilen Gassen, deren niedrige Häuschen sich hintereinander an den Berghängen stapeln. Und die Gärten mit alten Aquädukten mitten im Stadtzentrum.

Garten-Gasse [zoom]
Garten-Gasse [zoom]

Garten-Gasse [zoom]
Garten-Gasse [zoom]

Als wir vor der Rückfahrt in den Süden in der "Gruta de San Juan" noch einen Wein trinken und die im Tourismus-Büro gesammelten Broschüren durchblättern, muss ich lachen. In der offiziellen deutschsprachigen Version des Stadtprospekts lautet die Überschrift: "Entdecken Sie Telde – Telde behext Sie". Eine nicht ganz glückliche Übersetzung. Passender müsste es heißen: Telde bezaubert Dich.

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps:
Tourismus-Büro
C. León y Castillo N° 2 (Barrio San Juan)
turismo@ayuntamientodetelde.org
www.telde.es

Pastelería (Konditorei)
OPERA
C. León y Castillo N° 4

Anfahrt:
Buslinien Nr. 36 oder Nr. 90 von Maspalomas / Playa del Inglés



Volberg, Berthold
Sevilla - Stadt der Wunder
Porträt der andalusischen Kunstmetropole mit großem Bild- und Textteil zur Semana Santa

(Nora) ISBN: 978-3-86557-186-1
Paperback
328 S. - 16 x 25 cm

[druckversion ed 02/2012] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]






[art_2] Peru: Vogelbeobachtung (Teil 2 / Teil 1)
Kurztagebuch 05.06.2011 – 24.06.2011
 
17. Juni:
Höhe 3400 m bis ca. 10 m NN. Wolkig bis heiter, schwach windig und nur bis ca. 22° C. Heute ist wieder mal ein Reisetag. Nach dem Frühstück besuchen wir noch Ulla in der Reiseagentur. Sie lässt uns mit einem Auto der Agentur zum Flugplatz Cuzco bringen. Take off in Cuzco um 11.20 Uhr (Star Perú, BAe 146). Nach dem kurzen Flug über die Anden landen wir um 12.31 Uhr in Lima, wo uns am Flugplatz ein Vertreter von SIXT erwartet und Joe den TOYOTA Yaris übergibt, mit dem wir bis zum 23. Juni unterwegs sein werden. Mit der Vielfalt und Farbenpracht der Regenwaldvögel ist es nun vorbei, aber andere interessante Arten warten auf uns.

Nach der Beschreibung des Vertreters von SIXT gelingt es gut, aber etwas nervig, aus Lima heraus den Pan American Highway "Panamericana Sur" zu finden. Wir wollen nach Süden in das 250 Kilometer entfernte Paracas an der Paracas-Halbinsel – einem Naturschutzgebiet. Noch bei Tageslicht erreichen wir Paracas und sehen uns erst einmal mehrere Hotels von außen an, entschließen uns dann für ein preiswertes mit Zimmer im ersten Stock und Blick auf die Bucht.

Vor einiger Zeit hat es hier ein Erdbeben gegeben, auf der gegenüber liegenden Straßenseite vor unserem Balkon ist ein offenbar noch im Ausbau befindliches Haus fast ganz eingestürzt. Ein geflickter Riss zieht sich quer über die Straße und endet unter unserem Hotel.

Für Morgen buchen wir noch eine Bootsfahrt zu den Islas Balestas (das sind Guanoinseln). Abendessen in einem nahen Restaurant an der Küste, Listeschreiben und Übernachtung.

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18. Juni:
Höhen 0 – ca. 100 m NN. Heiter, Wind S bis SE 3 – 5, bis ca. 22°C. Küstenwüste. Nach dem Frühstück warten wir im nahen Hafen in einer größeren Touristenschlange auf unser Boot (es fahren mehrere), bezahlen das Ticket und besteigen das offene lange Boot mit ca. 30 Sitzplätzen. Während der schnellen Fahrt beobachten wir die vielen Seevögel, erblicken im Wüstensand das große 180 Meter hohe uralte Scharrbild "El Candelabro" und erreichen die von unglaublichen Seevogelmassen bevölkerten Inseln "Balestas". Es müssen hunderttausende sein, hauptsächlich Guanotölpel und Guanoscharben, aber auch viele andere wie Perupelikane, Humboldtpinguine, Inkaseeschwalben, Möwen usw.

Danach erkunden wir die Paracas-Halbinsel. Gleich am Anfang gibt es in der Bucht am Strand u. a. eine Reihe von Limikolen zu beobachten (es ist ein Ramsar-Gebiet). Hier und auch an anderen Stellen übersommern nordamerikanische Limikolen und Seeschwalben, die wir gar nicht erwartet hatten. Sehr schön und aus der Nähe können die seltenen und auch erhofften Peruseeschwalben (ähnlich unserer Zwergseeschwalbe) beobachtet werden.

Wir essen in einem offenen Restaurant auf der Halbinsel – natürlich wie meistens hier an der Küste gebratenen Fisch. Dann sehen wir noch aufgrund von Hinweisen eines einheimischen Birdguides zwei Küstenwipper und auf der Rückfahrt am Spätnachmittag einen Küstenerdhacker (Töpfervögel). Abendessen wieder in einem Restaurant, Listeschreiben und Übernachtung im Hotel.

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19. Juni:
0 – ca. 100 m NN. Wolkig bis heiter, etwa S – SE 4-5, ± 21° C. Nach dem Frühstück versuchen wir nach der Beschreibung des o. g. Guides ein interessantes Gebiet bei San Andrés zu finden. In dem ganzen Dreck und Müll gelingt das nicht und wir kehren in dieser slumähnlichen und nicht ganz ungefährlichen Gegend um.

Inzwischen sind unsere Bargeldvorräte sehr geschrumpft und ich will – was geplant war – Geld mit der Kreditkarte abheben. Das geht in großen Hotels, aber dazu benötigt man natürlich die PIN, die ich irgendwann leider einmal falsch notiert habe (früher niemals benötigt). Versuche in zwei Hotels scheitern also. So müssen wir zwangsläufig beschließen, zukünftig nur noch in Hotels abzusteigen, in Supermärkten einzukaufen, in Restaurants zu essen und an Tankstellen zu tanken, die Kreditkarten akzeptieren (das ist in Peru nicht überall der Fall). 

Wir fahren nun zu Salinen und dann wieder auf die Paracas-Halbinsel an verschiedene Küstenpunkte. Der feine Staub auf den Wüstenpisten, der uns bei Stopps überholt und ins Auto eindringt, schlägt sich leider auch auf Optik und Kamera nieder. Wie am Vortag wieder schöne Seevogel- und Limikolenbeobachtungen. Abendessen in einem Restaurant, Listeschreiben und nochmalige Übernachtung in unserem billigen aber keineswegs schlechten Hotel.

20. Juni:
Bis ca. 400 m Höhe. Bedeckt, neblig (Garúa) mit Nebelnieseln. Wind 2-3 Bft, ± 20° C. Es wird ein längerer Fahrtag, denn wir wollen heute an die Küste nördlich von Lima – nach Huacho. Auf der Panamericana sind es ca. 250 Kilometer bis Lima und dann noch einmal etwa 150 bis Huacho. So können nur wenige Stopps für Beobachtungen am Straßenrand eingelegt werden. Da es in Lima keine eindeutige Ausschilderung von der Panamericana Sur zur Norte gibt, verfahren wir uns trotz Karte – und das leider viele Male in dieser Riesenstadt. Immer vor und wieder retour, wir sind mächtig genervt, besonders natürlich Joe als Fahrer! Immer wieder fragen, schließlich lotst uns freundlicherweise ein Mitarbeiter einer Tankstelle ein ganzes Stück – aber danach wieder verkehrt, es ist zum Verzweifeln! Endlich finden wir dann doch noch die richtige Abfahrt. Endlos die Slums. Die Panamericana ist zur Autobahn ausgebaut. Verkehrsregeln gibt es wohl nur auf dem Papier, langsame Busse und LKWs fahren oft links, überholt wird demzufolge auch rechts,                     Geschwindigkeitsbegrenzungen werden nicht eingehalten. Alles nichts für deutsche Autofahrer.

Wir sind hier in der Region des Küstennebels (Garúa) und gelangen auf höher gelegenen Straßenabschnitten in dichte Nebelzonen und am Spätnachmittag schließlich nach Huacho. An der Tankstelle gibt es ein Problem: die Leitung zur Kreditkartenabrechnung funktioniert nicht. Joe führt eine lange Diskussion und dann lasse ich als Pfand meinen deutschen Führerschein dort. Aber auch an den nächsten zwei Tagen ist die Leitung noch tot, ich bekomme meinen Führerschein zurück und wir fahren ab – Geld gespart!

Dann checken wir in einem sehr schönen, am Vortag per Internet erfragten Hotel "Gran Hotel La Villa" in einer weniger einladenden Umgebung ein und fahren abends in die Innenstadt zum Essen in ein Restaurant in einem großen und modernen Supermarkt. Listeschreiben und Übernachtung im Hotel.

Joe ist das große halbe Huhn schlecht bekommen, war wohl nicht mehr ganz frisch (ich hatte ein anderes Gericht). Er hat offenbar eine Fleischvergiftung und deshalb eine sehr schlechte Nacht.

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21. Juni:
Höhe bis ca. 300 m NN. Bedeckt bis wolkig, Küstennebel, Wind um 3 Bft, ± 20° C. Nach dem Frühstück fahren wir in das weiter südlich an der Panamericana gelegene Naturschutzgebiet "Reserva Nacional de Lachay". Es ist ein Schutzgebiet der sonst weit gestörten Loma-Vegetation. Bereits auf der längeren Zufahrtpiste zum Eingang können u. a. mehrere der begehrten Zwerghöhenläufer beobachtet werden.

Am Eingang muss Eintrittsgeld gezahlt werden. Mit dem Auto geht es einige befahrbare Wege entlang und wir laufen ein Stück auf einem Trail. Es ist neblig und nur wenige Vogelarten zeigen sich. So verlassen wir das Schutzgebiet und beobachten auf den kahlen und von abgestorbenem Pflanzenmaterial schwarzbraun erscheinenden Hügeln zwischen Schutzgebiet und Panamericana. Und es lohnt sich: nach kurzer Zeit entdecken wir die gesuchten Klippen- oder Orangekehl-Regenpfeifer (Tawny-throated Dotterel) und dazu gleich mehrere Trupps. Sie erinnern an unseren Mornell, insgesamt sind es ca. 80 Vögel der ssp. pallidus, die hier offensichtlich die Nichtbrutzeit verbringen.

Anschließend fahren wir zu den südlich von Huacho gelegenen Salinen, die jedoch nichts bringen. Auf Sandpisten geht es dann etwas weiter nach Norden zu einer großen Lagune (Laguna Playa Paraiso). Hier beobachten wir etliche Wasser- und Sumpfvögel, darunter auch nordamerikanische Limikolenarten. Anschließend Rückfahrt nach Huacho ins Hotel, Abendessen und Übernachtung.

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22. Juni:
0 - ca. 400 m NN. Bedeckt, Wind E 3-5, ± 20° C. Nach dem Frühstück fahren wir ins Inland auf der Suche nach Kaktusflächen (vergeblich) und dann abermals auf die Lomafläche vor dem Schutzgebiet. Säuberungstrupps sind unterwegs, sammeln den von der Zufahrtpiste aus sichtbaren Müll ein und bessern Beschilderungen aus. Denn es steht das 30-jährige Schutzgebietsjubiläum ins Haus und da werden sicher etliche offizielle Gäste erwartet.

Wieder können wir u. a. die hübschen Regenpfeifer und wohl an die 20 Zwerghöhenläufer beobachten. Allerdings gibt es in dieser Region viele lästige Fliegen, die man auch sofort im Auto hat. Der Grund sind wahrscheinlich die überall in der Küstenwüste errichteten riesigen Hühnerfarmen (offene lange Zeltställe). Nach dem Lunch am Auto fahren wir nochmals zur Lagune. Unterwegs entdeckt Joe am Rand der Panamericana endlich die gesuchten Peruanertriele, es waren drei Paare (wir hatten die Art bereits an den Vorabenden vom Hotel aus gehört).

In der Lagune können wieder etliche Wasservögel beobachtet werden. Unter den zahlreichen jagenden Seeschwalben entdecken wir auch drei Peruseeschwalben, von denen eine mit Fisch Richtung Wüste verschwindet. Ob dort welche brüten? Laut Literatur ist deren Brutzeit längst beendet, aber was will sie dort sonst mit dem Fisch!

Nach einem kurzen Beobachtungsstopp an der Panamericana fahren wir zurück ins Hotel in Huacho. An der Tankstelle funktioniert die Kreditkarteneingabe immer noch nicht. Abendessen und Übernachtung im Hotel.

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23. Juni:
Höhe bis ca. 300 m NN. Bedeckt, Nebel, Wind um 3 Bft, ± 20° C. Nach dem Frühstück im Hotel fahren wir zurück nach Lima, wo wieder im selben Hotel eingecheckt werden soll. Unterwegs geht es noch einmal in die Loma zu den Regenpfeifern und Höhenläufern. Nach einigen Irrfahrten in Lima erreichen wir am Nachmittag unser altes Hotel in Miraflores.

Auffallend wieder der krasse Gegensatz zwischen den riesigen Armensiedlungen der Außenbezirke und den Stadtteilen der besser gestellten Bewohner.  Dann den Leihwagen abgeben, in einem Restaurant essen, noch etwas einkaufen und Übernachtung im Hotel.

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24. Juni:
Höhe Meerespiegel bis wenig darüber. Bedeckt, Wind W 4-3, ± 20° C. Unser letzter Tag wird ein etwas anstrengender. Bei "Colibri Expeditions" hat Joe einen "Pelagic Trip" gebucht. Gunnar, ein gebürtiger Schwede, holt uns nach einem knappen Frühstück gegen 5.00 Uhr (also praktisch nachts) ab. Unterwegs picken wir noch einen jungen US-Amerikaner auf, weitere Teilnehmer hatten sich nicht gemeldet. Im Hafen von Callao angekommen, wird ein Kaffee geboten und wir gehen an Bord des etwa 10 Meter langen offenen Bootes. Nach längerer schneller Fahrt mit zwei starken Heckmotoren erreichen wir bei Tagesanbruch seewärts der vorgelagerten Inseln den offenen Pazifik. Die lange Dünung mit den bis zu 3 – 4 Meter hohen Wellen ist sehr unangenehm, denn wir müssen dagegen an und jedes Mal setzt das Boot sehr hart auf. Bald tauchen auch die ersten Röhrennasen auf. Schwarzdelfine begleiten unser Boot einige Zeit, ab und an auch Mähnenrobben. An Bord befindet sich eine Tonne mit verfaulten stinkenden Hühnern und Fischen zum Anlocken der Sturmtaucher und Albatrosse. Ein Studentenpärchen, das ohne Bezahlung mitgenommen wurde, soll den Brei von Zeit zu Zeit in die See schütten. Beide sind jedoch schnell hinüber und absolut arbeitsunfähig (Gunnar muss es halt selbst machen).

Bald haben wir insgesamt neun Arten Röhrennasen um uns, hauptsächlich Elliotsturmschwalben und Dunkle Sturmtaucher, vereinzelt die an unseren Krabbentaucher erinnernden Garnot-Lummensturmvögel, zwei Arten Albatrosse und andere Seevögel. Wahrscheinlich fliegen die Röhrennasen am Tage weiter auf den Ozean hinaus, daher die frühe Fahrt.

Gegen Mittag landen wir wieder in Lima, bekommen einen Orniguide und Fahrer, sowie ein Lunchpaket. Die Fahrt führt zu einigen Lagunen am Stadtrand von Lima und buchstäblich in der letzten Beobachtungsminute vor der Rückfahrt zum Flughafen fliegt plötzlich eine Indianerdommel (amerikanische Zwergdommel) vor uns auf – für mich ein bereits lange gesuchter "Lifer"!

Gegen 16.00 Uhr erreichen wir den Flughafen von Lima. Joe (der erst morgen nach Caracas fliegt) hilft noch beim Einchecken und ich habe nun viel Zeit, denn der Abflug ist planmäßig erst 20.05 Uhr. Gegen 20.30 Uhr hebt die B 777-300 der KLM dann ab.

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25. Juni:
Als die Maschine um 08.12 Uhr nach Peru-Zeit in Amsterdam landet, ist es hier bereits 15.12 Uhr MESZ. Nach relativ kurzem Aufenthalt mit Umsteigen hebt die Embraer 190 der KLM um 16.55 Uhr ab und landet 17.45 Uhr in Hamburg. Wulf holt mich ab, doch mein Koffer fehlt. Wohl eine Stunde muss ich am Schalter für vermisstes Gepäck warten (und Wulf leider auch), um die Daten anzumelden. Es herrscht ein ziemliches Durcheinander von wohl 50 Fluggästen. Endlich können wir nach Hamburg-Bergstedt abfahren, von wo ich dann nach kurzem Aufenthalt mit meinem PKW nach Rostock weiterfahre. Der Koffer wird mir am nächsten Tag ins Haus gebracht – eigentlich ganz praktisch, aber nur auf der Heimreise!

Rückblick: Dank der perfekten Organisation von Joe eine sehr erfolgreiche und spannende Tour, sowohl ornithologisch als auch landschaftlich und landeskundlich.

Text: Wolfgang Nehls / (Teilnehmer Joe Klaiber und Wolfgang Nehls)
Fotos: Wolfgang Nehls / Joe Klaiber

Link zu Joes Vogeltouren in Peru und Venezuela:
peru.birds-venezuela.de/
birds-venezuela.de/

[druckversion ed 02/2012] / [druckversion artikel] / [archiv: peru]






[art_3] Bolivien: Chagas – der Biss der Vinchuca und seine Folgen
 
Fiese, Blut saugende Quälgeister gibt es eine ganze Menge – und nicht wenige von ihnen übertragen Krankheiten, die mitunter sehr schwer verlaufen wie zum Beispiel Malaria oder die von Zecken übertragene Meningitis. Ganz besonders gemein sind aber die Krankheiten, die erst einmal jahrelang schlummern bevor sie dann überraschend ausbrechen – wie zum Beispiel die in Bolivien vorkommende Chagas-Krankheit.

Der Feind kommt nachts und ist bis zu vier Zentimeter groß: Die Vinchuca-Raubwanze. Sie lässt sich in den Hütten im Tiefland Südamerikas aus dem Strohdach in die Betten ihrer Opfer fallen um Blut zu saugen. Und ihr Biss kann richtig gefährlich werden.

"Während die Vinchuca Blut saugt, setzt sie auch Kot ab. Ihr Kot enthält den Parasiten, der die Chagas-Krankheit überträgt. Wenn sich die Menschen dann kratzen, weil der Biss juckt, reiben sie den Kot in die kleine Wunde ein. So gelangt der Parasit ins Blut", erklärt Angelica Guzman vom Tropeninstitut in Santa Cruz, Bolivien. Davon, dass sie mit Chagas infiziert wurden, merken die Menschen lange nichts – die Symptome sind unspezifisch: Fieber und allgemeines Unwohlsein, das nach einiger Zeit aber vorüber geht. Doch Chagas ist heimtückisch. "Die Krankheit zeigt sich erst 20 oder 30 Jahre nachdem der Patient infiziert wurde. Dann greift sie plötzlich das Herz oder das Verdauungssystem an", so Guzman weiter. In etwa 30 Prozent aller Fälle verursacht Chagas eine Muskelschwäche, die den Darm lähmt oder zu einer chronischen Herzmuskelentzündung führt. Beides kann tödlich sein.

Und die Krankheit kann auch von der Mutter auf ihr Kind übertragen werden – bereits im Mutterleib oder nach der Geburt über die Muttermilch. Deshalb werden Schwangere in Bolivien inzwischen routinemäßig auf Chagas untersucht. Marilin Cruz Vargas war völlig überrascht, als der Parasit in ihrem Körper entdeckt wurde: "Ich vermute, dass ich infiziert wurde, als ich als Kind meine Großmutter besuchte, die in einem Dorf auf dem Land lebt, oder dass meine Mutter mich angesteckt hat. Meine Tochter jedenfalls wurde mit Chagas geboren."

Wenn die Krankheit so früh entdeckt wird, kann man sie medikamentös behandeln – bei Marilins sechsjährige Tochter lassen sich heute keine Erreger mehr nachweisen. Doch hat sich der Erreger erst einmal jahrelang im Körper eingenistet, wird man ihn nicht mehr los. Marilin Cruz Vargas lässt sich deswegen regelmäßig durchchecken und bislang ist zum Glück soweit alles ok: "Die Kontrollen zeigen, dass mein Darm in Ordnung ist und meine Kardiogramme sind auch gut. Ich bin eine Patientin, der Chagas bis jetzt noch nichts anhaben konnte."

Doch die Gefahr, dass die Krankheit irgendwann zuschlägt, bleibt. Das Einzige, was Marilin Cruz Vargas vorbeugend tun kann, ist sich gesund zu ernähren und Sport zu treiben, um den Verdauungstrakt nicht zusätzlich zu belasten und ihr Herz zu stärken.

Chagas kommt in allen Ländern Lateinamerikas vor, doch am weitesten ist die Krankheit in Bolivien verbreitet. Bei den routinemäßigen Tests an Schwangeren waren 40 Prozent aller im tropischen Tiefland lebenden werdenden Mütter positiv. Seit einigen Jahren gibt es deshalb in den besonders betroffenen Gebieten Boliviens ein Anti-Chagas-Programm.

"Das Programm versucht, die Verbreitung der Wanze in den Griff zu kriegen. Berater gehen in die Hütten und erklären den Menschen, wie sie die Wanze loswerden können – zum Beispiel, indem sie Strohdächer durch Wellblech ersetzen und die Hütten regelmäßig gründlich reinigen", erläutert Angelica Guzman.

Doch Chagas ist eine Krankheit der Armen – es ist kein Zufall, dass sie am häufigsten in Bolivien anzutreffen ist, dem ärmsten Land Lateinamerikas. Hier können sich viele Menschen keine festen Häuser leisten. Auch für Wellblechdächer fehlt ihnen meistens das Geld – und die stattdessen über den Betten aufgehängten Mülltüten versprechen keinen besonders guten Schutz vor der Raubwanze. Und so wird Chagas unter den Armen Südamerikas wohl weiterhin eine weit verbreitete Krankheit bleiben.

Text: Katharina Nickoleit

Tipp: Katharina Nickoleit hat einen Reiseführer über Bolivien verfasst, den Ihr im Reise Know-How Verlag erhaltet.

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
252 Seiten
ISBN 978-3-89662-362-1
Verlag: Reise Know-How
3. Auflage 2012

[druckversion ed 02/2012] / [druckversion artikel] / [archiv: bolivien]





[art_4] Spanien: Salamanca (mit etwas weniger Don Quijote)

Die alte römische Brücke über den Río Tormes führt vorbei am uralten iberischen Stier, der als solcher - kopflos - praktisch nicht mehr erkennbar ist und deshalb nicht fotografiert, sondern angefasst werden will. Augen schließen und Europa sein...

Salamanca ist also nicht einfach irgendeine Stadt, sondern ein Ort mit Geistern und Geist. Die Völker kamen und gingen hier wie flüchtige Schatten und beinahe fühlt man sich schon selbst ganz wurmig.

"Ich Unglücklicher!", rief Sancho, "wenn etwa dies ein Abenteuer mit Geisterspuk sein sollte, wie mir es das Aussehen hat, wo soll man Rippen genug hernehmen, um dies Abenteuer zu bestehen?"

Römische Brücke zu den Kathedralen

Ein idealer Ort für einen Hort des Wissens, befand die kastilische Krone nicht von ungefähr, und so entstand 1218 die älteste Universität Spaniens. Hier soll Hernán Cortés, damals kränkelnd-schwächelnd, später berühmtester Conquistador Amerikas, einige Semester (Frauen?) studiert haben. Hier lehrte aber auch Fray Francisco de Vitoria, der Wegbereiter des modernen Völkerrechts und subtilste Gegner der Conquista. In seinen Vorlesungen De Indis bzw. "Über das kürzlich entdeckte Amerika und das Recht zum Krieg der Spanier gegen die Barbaren" stellte er den Herrschaftsanspruch der spanischen Könige auf deren überseeische Besitzungen recht deutlich in Frage.

"Ich verstehe nichts von derlei Gelahrtheiten", entgegnete Sancho Pansa. "Ich weiß nur, so geschwind ich die Grafschaft bekommen würde, so geschwind würde ich sie zu regieren verstehen. Also nur her mit der Herrschaft; und damit Gott befohlen und auf Wiedersehen, wie ein Blinder zum andern sagte."

Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und in Personalunion als Carlos I damals (neben seiner Mutter Johanna der Wahnsinnigen, der eigentlichen Monarchin) auch König von Spanien, verbot Vitoria zwar daraufhin jedwede weitere Behandlung des Themas, beehrte ihn jedoch gleichwohl mit seiner Anwesenheit bei einigen Vorlesungen, um ihm so seine große Wertschätzung zu bezeugen. Diese ist auch von den damaligen Studenten überliefert, die den greisen, gichtkranken Professor - das waren noch Zeiten! - in seinen letzten Jahren sogar eigenhändig in den nur mit rohen Holzbänken ausgestatteten Hörsaal getragen haben sollen, um seinen Ausführungen lauschen zu können.

Entsprechend ehrwürdig ist die 1524-29 entstandene Fassade des Haupteingangs der Escuelas Mayores, auf der sich Karl V. nebst Gemahlin und den Katholischen Königen in einem Bildprogramm verewigen ließ und auf der allabendlich, wenn die Sonne am günstigsten steht, Herden von Touristen einen kleinen Frosch suchen.

Auch nach dem Aufschwung von Alcalá de Henares blieb Salamanca eine bedeutende Universität, der berühmte Philosoph und Schriftsteller Miguel de Unamuno war ihr - mehrmaliger - Rektor.

Mittlerweile haben die Studentenzahlen wieder stark zugenommen, und heute kommen Besucher aus aller Herren Länder, um z.B. in Sprachschulen namens "Don Quijote" spanisch zu lernen und ein gutes Leben zu führen.

Statue des Fray Luis de Leóns vor der Hauptfassade der Escuelas Mayores

Salamanca ist nicht nur eine vergeistigte, sondern auch eine reiche und stolze Stadt. Ein gutes Beispiel hierfür ist die zentral gelegene Casa de las Conchas, die 1500 Rodrigo Maldonado de Talavera, seines Zeichens Professor und Santiagoritter, für sich im Zentrum Salamancas zu errichten für passend befunden hat.

Früher besaß der Stadtpalast sogar noch Ecktürme, die man heute jedoch bis auf einen kleinen Stumpf geschleift hat. Das "besondere Etwas" der Fassade geht von den eingelassenen Jakobsmuscheln aus, die je nach Tageszeit ein anderes Schattenmuster werfen.

Casa de las Conchas

Zeigen sie direkt nach unten, ist man in der Sommersonne schlecht dran, denn die Straßen heizen sich auf wie ein Glutofen. Da hilft nur noch Flucht in die Siesta oder - in die Kathedrale. Aber in welche? Es gibt nämlich gleich zwei. Weil das Studentenleben ja so lustig ist, hielt man es für opportun, der alten, kleinen Kathedrale eine neue, größere beizugesellen, um möglichst allen hoffnungsvollen subversiven Schriftgelehrten eine Zuflucht vor Nachstellungen Satans zu bieten. Heute dient dieses wundersame Konstrukt als kleine touristische Ausbeutungsstelle. Aber andere Kathedralen (besonders Toledo) sind in puncto Eintritt noch weit teurer, und Salamancas heilige Hallen sind einen Besuch allemal wert.

Überall gibt es etwas zu entdecken, sei es eine der ältesten Orgeln, die wunderbaren Bilder des Nicolás Florentino oder ein Grabmal, dessen auch im Tod vereintes Paar im sanften Dämmerlicht nur friedlich zu schlafen scheint.

Grabmal in der Kathedrale

Oder sei es die Standarte der Comuneros mit dem Wappen der Familie Maldonado und der Lanze, an der sie ursprünglich befestigt war. Die Comuneros wollten die Herrschaft eines "ausländischen" Königs nicht anerkennen und griffen daher gegen den jungen Karl zu den Waffen. Rache für die entmündigte Johanna, Rache für ein entmündigtes Spanien?

"Was Teufel für Rache sollen wir nehmen", entgegnete Sancho, "wenn ihrer mehr als zwanzig und unser nur zwei, sind, und vielleicht gar nur anderthalb?" "Ich zähle für hundert", entgegnete Don Quijote. Und ohne mehr Worte zu verlieren, griff er zum Schwert und fiel über die Yanguesen her; und dasselbe tat Sancho Pansa, befeurt und angetrieben durch das Beispiel seines Herrn.

Am 23. April 1521 besiegte ein königliches Heer die Aufständischen bei Villalar, und seitdem wird "el pendón" in dem gleichen kleinen Raum aufbewahrt, in dem vormals (hoffentlich mit göttlicher Erleuchtung) die Examina der Universität abgenommen wurden, was die Bedeutung der Trophäe unterstreicht. - Aber Trophäe wofür? Ist man hier Stolz auf spanischen Widerstandswillen oder doch auf den "siglo de oro" und das große Imperium, das zu Karls Zeit für Spanien gewonnen werden sollte?

Statt mit Schildern ist Salamanca übersät mit Schriftzügen in roter Farbe: Sie weisen aus, welchem Zweck das betreffende Gebäude gerade dient, beschwören die Jungfrau Maria oder verkünden eine sinnfällige Weisheit Don Quijotes, die einen für den Rest des Tages verfolgt.

Banner der Comuneros

Aber trotz aller Kultur ist Salamanca vital wie man es sich nur wünschen kann. Geht man von der Kathedrale finster beseelt vom Kampfgeist der Comuneros zum Hauptplatz die Rua Mayor entlang, sollte man die französische Bäckerei nicht einfach links liegenlassen. Unsere zufriedenen Gesichter beim Verlassen derselben dienten jedenfalls prompt einer Gruppe Sprachschüler als Anlass, hier ein wenig Geld anzulegen.

Ähnliche Gelegenheiten bieten sich verschiedentlich, und wenn man abends endlich auf der Plaza Mayor angekommen ist, kommt man gerade rechtzeitig, denn nun erwacht der mittags nur für Hartgesottene betretbare Platz zu erstaunlichem Leben. "Mahou" beziehungsweise "Sehen und gesehen werden" lautet hier das Motto. Wenn die Nacht hereinbricht, verwandeln sich mehr und mehr auch die zentralen Fußgängerstraßen in ein einziges langes Café-Restaurant. Die angestrahlten Fassaden geben dem gelben, noch immer aufgeheizten Sandstein, aus dem die gesamte Altstadt erbaut ist, einen warmen Ton, der die Eindrücke des farbsatten Abendlichtes festzuhalten scheint.

Als Sancho diese Worte seines Herrn vernahm, brach er mit der denkbar größten Rührung in Tränen aus und sprach zu ihm: "Señor, ich weiß nicht, warum Euer Gnaden sich in dies schreckliche Abenteuer stürzen will; es ist jetzt Nacht, hier sieht uns keiner; ganz gut können wir einen andern Weg einschlagen und der Gefahr ausweichen, sollten wir auch drei Tage lang nichts zu trinken bekommen. Und da niemand da ist, der uns sieht, ist umso sicherer niemand da, der uns der Feigheit bezichtigen kann."

Wer glaubt, dass die beiden Kathedralen der Stadt bereits mehr als genug des Sakralen sind, der irrt im Falle Salamancas gewaltig und hat die früher um die Gunst der Studenten und Macht wetteifernden Orden nicht bedacht.

Plaza Mayor

Das, was die Dominikaner beispielsweise an Klosterkirche aufboten, übertrifft an Kunstfertigkeit, Größe und Erhabenheit seinerseits so manchen Dom.

Wie Sancho Pansa den Mönch am Boden liegen sah, stieg er behende von seinem Esel, stürzte auf ihn los und begann ihm die Kleider abzuziehen. Indem kamen die zwei Maultierjungen herbei und fragten ihn, warum er den Mönch entkleide. Sancho antwortete, das komme ihm von Rechts wegen zu, als Beute des Kampfes, den sein Herr Don Quijote siegreich bestanden habe. Die Jungen, die keinen Spaß verstanden und von Beute und Kampf keinen Begriff hatten, warfen sich auf Sancho, dieweil sie sahen, dass Don Quijote sich bereits von dort weggewendet. Sie rissen ihn zu Boden, rauften ihm den Bart, dass kein Haar daran blieb, zerdroschen ihn mit Fußtritten und ließen ihn ohne Atem und Besinnung am Boden hingestreckt liegen.

Vor dem Dominikanerkloster steht die Statue Francisco de Vitorias; eine Gedenktafel erinnert an Diego de Deza, den Fürsprecher des Kolumbus. Überhaupt sind die "domini canes", die "Hunde des Herrn", genannten Initiatoren der Inquisition hier bemüht, sich als die reinen Menschenfreunde darzustellen. Im oberen Stockwerk wird der mit lieblichen Klängen eingelullte und friedlich gestimmte Besucher mit zahlreichen ethnologischen Ausstellungsstücken und monumentalen Schriftzügen konfrontiert, die "beweisen", dass alle Dominikaner überall auf der Welt wie Bartolomé de Las Casas gewesen sind.

Andere Orden und insbesondere die Jesuiten wollten dem natürlich keineswegs nachstehen und trumpften mächtig auf. Gerade ihr Beitrag ist allerdings Geschmackssache.

Fray Francisco de Vitoria vor Dominikanerkirche San Esteban

Immerhin haben sie der Stadt zu einer Straße verholfen, die schlicht "Jesús" heißt. (Natürlich wollten wir nirgends sonst wohnen, und wenn zufällig jemand dort am "Hostal Estefania" vorbeikommt und uns die dort vergessenen zwei Jacken mitbringt, dann ist er unser Held und bekommt allermindestens den hervorragenden Roman "Kussbeschuss" als Anerkennung besonderer Verdienste. Ansonsten ist das betreffende Hostal übrigens, sauber und günstig, sehr zu empfehlen!)

Sehenswert ist zudem allemal Santa María de las Dueñas. Obwohl in dem Nonnenkloster alles eine Nummer kleiner wirkt als in den Anwesen ihrer männlichen Standesgenossen, birgt es doch einen ganz besonderen Schatz: Die skurrilen, grotesken und teilweise erotischen Kapitelle im ersten Stockwerk. Dies als architektonischen Schmuck gerade für ach so weltabgewandte Dominikanerinnen vorzufinden, ist - gelinde gesagt - erstaunlich.

Wir beschließen unseren kleinen Gang durch Salamanca natürlich im Café "Don Quijote". Einfach einmal Zeitung oder Don Quijote lesen, Tapas essen und sich eine kalte Cerveza gönnen.

Säulenkapitelle in Santa María de las Dueñas

Der Wirt, der sah, wie er dovonritt und nicht zahlte, machte sich an Sancho Pansa, um sein Geld zu bekommen. Der aber sagte, nachdem sein Herr nicht habe zahlen wollen, so werde auch er nicht zahlen; denn da er der Schildknappe eines fahrenden Ritters sei, so gelte dieselbe Regel und Rechtsordnung für ihn wie für seinen Herrn, nämlich durchaus nichts in Wirtshäusern und Schenken zu zahlen. Darüber wurde der Wirt sehr aufgebracht und drohte ihm, wenn er nicht zahle, so werde er sich sein Geld auf eine Weise verschaffen, dass es ihm übel bekommen solle. Sancho erwiderte ihm, nach den Gesetzen des Rittertums, das seinem Herrn zuteil geworden, würde er nicht einen einzigen Pfennig bezahlen, wenn es ihn auch das Leben kosten solle.

Denn er wolle nicht daran schuld sein, dass der gute Brauch der fahrenden Ritter abkomme, noch solle irgendwelcher Knappe der besagten Ritter, der künftig auf die Welt kommen würde, sich über ihn beschweren und ihm die Verletzung eines so gerechten Gesetzes vorwerfen. Nur für Besitzer schneller Esel zur Nachahmung empfohlen.

Nächtliches Salamanca

PS: In betreff des Esels hatte Don Quijote einiges Bedenken und überlegte hin und her, ob er sich irgendeines fahrenden Ritters entsinnen könne, der einen Schildknappen eselhaft beritten bei sich gehabt hätte; aber es kam ihm keiner in den Sinn.

Text + Fotos: Felix Hinz
Website des Autors: www.motecuhzoma.de

Nützliche Links:
Excmo. Ayuntamiento de Salamanca
Salamanca auf deutsch

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[kol_1] Macht Laune: Jeden Tag Familienfest
Nicht immer einfach
 
Ich bin Single im besten Alter. Mein Name ist Maria Josefa Hausmeister und ich liebe Bier. Sobald ich ein neues Land, eine neue Region bereise, teste ich und entscheide spontan, ob Familienmitglied oder nicht. Einfach war es etwa in Moçambique mit 2M oder in Guatemala. In Guate trank man gutes Gallo, außer in Quetzaltenango, wo es das sehr schmackhafte Cabro gab. Für mich wie Bruder und selten verkostetes Schwesterchen. Früher war das in Venezuela ähnlich: La Negra, besonders als Polarcita in der 0,22 l Flasche oder auch Dose, war ganz große Familie. Regional dagegen eher entfernter Verwandter. Leider lässt sich die Familie in Venezuela nur noch selten sehen. Mit jedem Polar, das ich bestelle, bekomme ich Polar Light oder furchtbares Polar Ice oder irgendetwas, wo Bier darauf steht, vorgesetzt. Selbst im Supermarkt oder auf dem Polarlastern ist die Polarcita Mangelware.



Diesen Winter verbringe ich in Figueras in Katalonien und hier gibt es im 100 Kilometer entferneten Barcelona die Brauerei Damm. Es ist noch nicht lange her, da boten sämtliche Supermercados das zur Familie gehörende Estrella Damm, das ebenfalls zur Familie zählende Xibeca Damm und das nicht im trauten Kreis befindliche San Miguel feil. Dieses Mal hat mich beim Familienbesuch fast der Schlag getroffen: zwei komplette Regale voller unterschiedlicher Biersorten. Cruzcampo etwa hat es gen Norden gezogen, regionale Marken wie Moritz suchen ihr Glück in der nahen Ferne oder Alhambra in der weiten und Spezialabfüllungen mit der Auszeichnung Gran Reserva verdecken den Familienangehörigen geradezu die Sicht auf die Kunden. Konservativ wie ich bin, wandern zunächst ausschließlich Xibeca und Estrella in den familiären Einkaufswagen. Mit der Zeit aber kann ich einer Neuerung nicht wiederstehen: dem Damm Weissbier oder Cerveza de Trigo. Und? – Aufgenommen! Mehr dazu unter hopfiges.

Und ein zweiter Griff an den Flaschen vorbei mitten hinein in die Dosen hat meine katalanische Familie bereichert. Damm hat Estrella eine neue Oberfläche verpasst. Eine unglaublich schmeichelnde Oberfläche. Allein schon, wenn ich beim Griff in den Kühlschrank die 0,33l-Dose Estrella versehentlich streife, hat der Rest der Familie das Nachsehen. Es geht ein ungemein heimeliges und beglückendes Gefühl aus von der Dose in der Hand. Etwa wie sehr wässriger und damit fein angerührter Zement, der getrocknet eine fast spiegelglatte Oberfläche darstellt. Wenn diese nun von der Sonne beschienen noch bis tief in die Nacht den Körper wärmt, dann entsteht ein Gefühl als sei man auf Daunen gebettet. Und schmecken tut es auch und an die Jugend erinnert es zudem.



Nun aber besteht das Dilemma der Entscheidungsfindung: Mit welchem Familienmitglied möchte ich die nächsten Minuten verbringen? Die Unschlüssigkeit hat mich schon mehrfach zu Wein greifen lassen. Und wie es eben so ist, wenn man außerhalb des Familienkreises mit Stoff versorgt wird, können Kopfschmerz und Sodbrennen das Gemüt trüben. Und so ist mir dringend geraten in den in den Schoß der Familie zurückzukehren und meine Unschlüssigkeit zu überwinden. Bei Bedarf bleibt mir, Supermarktregale Stück für Stück nach neuen Cousinen und Cousins zu durchforsten.

Text +Fotos: Maria Josefa Hausmeister

[druckversion ed 02/2012] / [druckversion artikel] / [archiv: macht laune]






[kol_2] Hopfiges: WEISS DAMM
 
Zu verkosten gilt es heute das WEISS DAMM, ein Weizenbier der Brauerei Damm aus Barcelona. Vorweg aber sei gesagt, dass ich kein ausgesprochener Weißbier-Fan bin und auf ein Weißbier nur zu Weißwurst oder schon mal nach dem Sport, wenn die Außentemperaturen um die 30°C liegen, zurückgreife. In dem kleinen Dorf in Katalonien, der Stätte der Verkostung, gibt es zwar einen hervorragenden Metzger, aber keine Weißwurst und Sport hab ich seit weit über einem Jahr keinen mehr getrieben. Immerhin zeigt sich der spanische Winter von seiner sonnensommerlichen Seite, so dass wenigstens eine der für den Genuss ausschlaggebenden Komponenten halbwegs zutrifft.



Nein, so geht das nicht! Und daher springe ich über meinen Schatten und laufe los. Beim Laufen erinnere ich mich einer Weißbier-Situation im ICE als Vertilgungshilfe von 5-6 kleinen Nürnberger Rostbratwürsten im Speisewagen. So statte ich dem Metzger doch noch einen Besuch ab und endlich, immer noch nach Luft ringend, kann es losgehen. Der Körper verlangt, dass ich das erste WEISS DAMM stürze. Und spontan kann ich sagen, es schmeckt und erfrischt.



An das zweite taste ich mich ein wenig vorsichtiger heran. Der Schaum ist für ein Bier der Damm Brauerei erstaunlich beständig. Der Geruch ist leicht modrig hefig, dabei aber frisch-fruchtig als würden Zitrusfrüchte die Nase eroberen. Insgesamt zieht sich der Zitruseindruck durch die weitere kurzweilige Schmeckung – WEISS DAMM ist süffig bei 5% Alkoholgehalt. Der hefige Biergeschmack wird gekontert durch eine deutlich wahrnehmbare Säure reifer Limonen, die bereits einen Hauch Süße mitbringen. Im Abgang tritt eine Grapefruit hinzu und sorgt vereint mit dem Hopfen für ein sanft-bitteres Ausklingen. Farblich zeigt sich die Cerveza de Trigo in einem hefegetrübten gelblichen Orange, in dem es wie vom Weizenbier gewohnt perlt. Dass dieses Spiel ausgezeichnet zur Geltung kommen kann, dafür sorgt das stilvolle Weizenglas, das zusammen mit der 0,33l-Flasche, ästhetisch einladend wie Schwesterchen und Brüderchen aus gehobenem Hause auftritt.



Unglaublich wie gesund doch der Biergenuss ist: Ich laufe morgen wieder, allein schon um mir ein weiteres Weißbier aus Katalonien, das rundherum gut gelungen und abgestimmt ist, so richtig schmecken lassen zu können.

Bewertung WEISS DAMM (1-4):

1. Hang over Faktor
(4 = kein Kopfschmerz):
2. Wohlfühlfaktor (Hängematte)
(4 = Sauwohl):
3. Etikett/Layout/Flaschenform
(4 = zum Reinbeißen):
4. Tageszeit Unabhängigkeit
(4 = 26 Stunden am Tag):
5. Völkerverständigung
(4 = Verhandlungssicher):

Text +Fotos: Maria Josefa Hausmeister

[druckversion ed 02/2012] / [druckversion artikel] / [archiv: hopfiges]





[kol_3] Grenzfall: Ich war das WEISS DAMM
 
Als Corona auf den deutschen Biermarkt drängte, Ende der 80er Jahre, hätte ich mir nie im Leben träumen lassen, dass das Reinheitsgebot fällt und die Regale gefüllt würden mit Blubberwasser, dass das Wort Bier im Namen tragen darf.

Dann kam das Brauereiensterben bzw. das Aufkaufen und Vereinheitlichen des Biergeschmacks. Zudem drängten einige Biere auf den landesweiten Markt und darüber hinaus. Trotzdem blieb eine gewisse Vielfalt regionaler Sorte erhalten. Es kann also von keiner Kriese gesprochen werden. An anderen Ländern wie Venezuela ging die Coronaisierung nicht spurlos vorbei und es ist heute durchaus schwierig ein gutes Bier zu bekommen, was noch in den Neuzigern immer, überall und 24 Stunden am Tag der Fall war.

Jetzt bahnt sich ein neuer Angriff auf das schmackhafte und bezahlbare Gold der einfachen Frau / des einfachen Mannes an. Neulich in einem Weinlokal im Prenzlauer Berg wird mir das Bier wie ein edler Rebentropfen angepriesen. Es konnte nach dieser Ansage gar nicht mehr schmecken. Aber selbst, wenn ich die Wortakrobatik zu Südhang des Hopfenanbauss und Spezialröstverfahren des Malzes ausblenden hätte können, es war widerlich. Furchtbar würzig, schwer wie ein Winzerwanz und teuer. Alles, was ich wollte, war nach hartem Tage, schnell ein paar kippen. Aber ich ließ zum ersten Mal in meinem Leben ein Bierglas halbvoll zurück, um in den nächsten Kiosk zu eilen.



Meisterköche und ihre Sommeliers sehen sich urplötzlich berufen, zu panschen oder noch schlimmer: Sie werden eingeladen bzw. geradezu hofiert von Brauereien, um den Braumeistern – ich mein ich hab schon ein paar angewidert und düstere Gedanken heckend in dunklen Ecken ausmachen können – in die Seite zu pfuschen.

Am übelsten wird den spanischen durchaus trinkbaren Bieren mitgespielt. Vor zwei Jahren dominierten sie die Supermarktauslagen und müssen sich nun den Platz teilen mit Gebräuen, die alle finanzielle Vorstellkraft sprengen: bis zu 4 Euro für eine Flasche extravagantes Bier – oder vielmehr gepunchtes auf Basis von Hopfen und Malz – im Supermarkt. Und dann das aufgeblasene Anpreisen, das auf Hochglanz veranschaulichte Prozedere des korrekten Einschenkens, Servierens und Degustierens.

So auch das durchaus gelungene Weizenbier namens WEISS DAMM, dass meine Schwester in dieser Ausgabe mit ihrem abgebrochenen Wasser-Sommelier-Ausbildungsgaumen mit dem Geschmack von Zitrusfrüchten in Verbindung bringt. Bei weitem schlimmer aber ist die DAMM eigenen Website zum WEISS: Es schmecke nach Banane, reifem Pfirsich, Orangenschale und Gewürznelken. Da schüttels mich!



Der Zeitpunkt für die Revolution, die den herkömmlichen Biermarkt Spaniens durcheinander wirbelt, scheint schlecht gewählt. Zielgruppe dürften Spaniens Prenzlauer-Berg-Stereotypen sein: jobmäßig gesettelt, ihre Kreativität auslebend, Spass am Geldausgeben für ökologisch gute Zutaten und vertraut mit den Namen größer Köchinnen und Köche. Genau diese Zielgruppe entflieht nun. Seit 2011 zählt Spanien wieder zum Auswanderland, wie schon das gesamte 20. Jahrhundert über bis Ende der 80er Jahre. Zum ersten Mal seit über 20 Jahren liegt die Auswanderzahl höher als die der Einwanderer.

Wird sich das WEISS DAMM mit dem recht stolzen Preis von knapp einem Euro für 0,33l halten? Die Klassiker wie Estrella, San Miguel oder Cruzcampo liegen bei 50-65 Cent. Und es drängen immer mehr Billigbiere in die Regale. Dank der Partnerschaft von DAMM mit der belgisch-brasilianischen InBev gibt es als Alternative für Liebhaber des Weizenbieres in den meisten katalanischen Supermärkten auch Franziskaner Weissbier. Der Preis ist nur geringfügig höher als der des WEISS DAMM bei mehr Inhalt – wie in Deutschland hat das Franziskaner 0,5l-Inhalt.

In der Redaktion hatten wir diskutiert, ob wir den Titel Ich war das WEISS DAMM für einen Nachruf aufsparen. Mit drei zu eins aber glauben wir an eine Chance für das katalanische Cerveza de Trigo. Bei reihenweise anderen Sorten – da sind sich die drei Text-Redaktionen einig – hätte das Ergebnis ein klares vier zu null gegen das jeweilige Gebräu geheißen. Aber dazu mehr in den folgenden Ausgaben.

Text +Fotos: Máximo Tigre Hausmeister

[druckversion ed 02/2012] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]





[kol_4] Amor: Wortspiele und Lebensweisheiten (Teil 4)
 
Original: El que mucho abarca, poco aprieta.
Wortwörtlich: Wer nach viel greift, der kriegt am Ende wenig.
Sinngemäß: Wer alles tun will, tut nichts recht oder Wer den Hals nicht voll kriegt, bekommt am Ende gar nichts.



Original: En arca abierta, el justo peca.
Wortwörtlich: Wenn die (Geld-)truhe offen steht, sündigt auch der Gerechte.
Sinngemäß: Gelegenheit macht Diebe.

Original: Árbol que nace torcido, jamás su tronco endereza.
Wortwörtlich: Ein Baum der schief wächst, wird seinen Stamm nicht mehr strecken.
Sinngemäß: Ist alles Veranlagung... (Beliebter Spruch Erziehungsberechtigter, wenn es um ihren Nachwuchs geht.)

Original: El que se ha quemado con leche, sopla la cuajada.
Wortwörtlich: Wer sich schon mal an der Milch verbrannt hat, der pustet auch den Käse.
Sinngemäß: Man kann nicht vorsichtig genug sein in Verbindung mit Gebranntes Kind scheut das Feuer.

Original: Ojos que no ven, corazón que no siente.
Wortwörtlich: Augen, die nicht sehen, Herz, das nicht fühlt.
Sinngemäß: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

Original: A gato viejo, ratón tierno.
Wortwörtlich: Für nen alten Kater, ne zarte junge Maus.
Sinngemäß: In die Jahre gekommene Männer wissen an dieser Stelle, worum es geht.

Original: La mona aunque se vista de seda, mona se queda.
Wortwörtlich: Auch wenn die Äffin Seide trägt, ist sie immer noch eine Äffin.
Sinngemäß: Gegenteil von: Kleider machen Leute.

Original: En boca cerrada, no entra mosca.
Wortwörtlich: In einen geschlossenen Mund fliegt keine Fliege.
Sinngemäß: Psst! Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.

Original: Ante la duda la más te tuda.
Wortwörtlich: Hast du Zweifel, nimm die mit den größten Brüsten (leicht abgewandelt durch die Redaktion).
Sinngemäß: Machospruch! Hast du die Qual der Wahl, nimmst du das Vielversprechendste; ist doch klar.

Text + Fotos: Camila Uzquiano

Und weitere Wortspiele und Weisheiten:
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 1
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 2
Wortspiele und Lebensweisheiten Teil 3

[druckversion ed 02/2012] / [druckversion artikel] / [archiv: amor]





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