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caiman.de 04. ausgabe - köln, 01. april 2001
brasil

Zé und sein Esel

Zwei literarische Figuren, beide mit einer ungeheuren Naivität gesegnet, repräsentieren das ländliche Brasilien des Sertão, des vergessenen Landesinneren: Zé und Jeca Tatu (Held der Maiausgabe). Zé ist die zentrale Figur des Theaterstückes und gleichnamigen Films "O Pagador de Promessas" (Dt. "Das Gelübde"), von Alfredo Dias Gomes.

Am 4. Dezember, dem Tag der Heiligen Barbara, erreichen Zé und seine Frau Rosa die Stadt Salvador. Auf seinen Schultern trägt er ein Holzkreuz. Sein bester Freund, der Esel Nicolau ist erkrankt. Um diesem zu helfen, beschließt Zé, das Kreuz vor dem Altar der Heiligen Barbara aufzustellen, da es in seinem eigenen einen solchen nicht gibt. Dies ist Teil eines Gelübdes. Zuvor hatte er seinen Grund und Boden mit den Armen seines Dorfes geteilt. Doch mit seinem Wunsch gerät er in Konflikt mit Padre Olavo, als dieser erfährt, dass damit einem Esel geholfen werden soll. Zudem berichtet Zé, er hätte das Gelübde vor der afrikanischen Göttin Iansan, Herrin über Blitz und Donner, abgelegt.


In seiner Naivität gibt es für keinen Unterschied zwischen der Hl. Barbara und der Iansan, da diese im System des Synkretismus der katholischen Heiligen Barbara entspricht. Für den Padre hingegen sind Iansan und der candomblé Symbole des Teufels. Er lässt die Türen der Kirche schließen. Zé bleibt auf den Stufen der Treppe zurück, entschlossen, sein Gelübde unter allen Umständen zu erfüllen. Währenddessen verführt der galante Bonitão, eine zwielichtige Gestalt des Nachtlebens von Salvador, Rosa. Er lässt sie von einem Leben in der großen Stadt mit all seinem "Luxus" träumen. Zwischen ihrem Mann und Bonitão hin und her gerissen, gerät sie im Laufe der sich überschlagenden Ereignisse in eine immer verzweifeltere Situation.

Der vor der Kirche wartende Zé sorgt unter der Bevölkerung Salvadors für viel Aufsehen. Während die Führung der katholischen Kirche versucht, einen Ausweg aus der für sie ungünstigen Situation zu finden, wird Zé immer mehr zu einem unfreiwilligen Helden. Ein Zeitungsreporter wittert eine große Story und macht aus dem naiven Landmann eine revolutionäre Figur. Dass er sein Land als Teil seines Gelübdes unter den armen Bauern aufteilte, macht ihn zur Leitfigur für die Agrarreform; und sein "Kreuzgang" über die Distanz von 42 Kilometern wird als "Zeugnis der körperlichen Widerstandsfähigkeit und der Hingabe” angesehen. Die Zeitung erklärt sich bereit, bei Zusicherung der Exklusivrechte Zés bevorstehende politische Karriere zu fördern.

In seiner Sturheit und Starrköpfigkeit bietet Zé unfreiwillig – sehr zum Gefallen der schwarzen Bevölkerung Salvadors und all derer, die nicht gut auf den Padre Olavo und die katholische Kirche zu sprechen sind – der weißen christlichen Obrigkeit die Stirn. Seine Sturheit bedeutet für ihn lediglich die Aufrechterhaltung seiner Würde. Einziges Ziel ist die Erfüllung des Gelübdes. Als die Polizei ihn vor der Kirche wegen kommunistischer Agitation verhaften will, kommt es zu tumultartigen Ausschreitungen, in deren Verlauf Zé erschossen wird. Und so avanciert er vom unfreiwilligen zum tragischen Helden.

Alfredo Dias Gomes in der Nota do Autor zu seinem Stück:
"Das Gelübde" ist die Geschichte eines Mannes, der nicht nachgeben wollte – und deshalb zerstört wurde. Das zentrale Thema ist der Mythos des kapitalistischen Liberalismus. Obwohl sich die bürgerliche Gesellschaft auf das Prinzip der freien Selbstbestimmung beruft, billigt sie dem Individuum nicht die zur Ausübung dieser Freiheit notwendigen Mittel zu, und macht diese somit illusorisch." In der Realität steht die Intoleranz der Freiheit des einzelnen Menschen im Wege. Sie lässt nicht zu, dass ein jeder seinen selbst gewählten Weg gehen kann.

Zé kämpft für sein Versprechen, das er der Heiligen gegeben hat, sei es nun Iansan oder Barbara. Mit ihr hat er den Pakt geschlossen, deshalb ist die Erfüllung des Gelübdes eine Sache zwischen ihm und ihr.

"Zés archaische Religiosität und sein naiver Synkretismus, seine Verwechslung der afrikanischen mit der katholischen Gottheit, des Gebetsplatzes mit der Kirche, kollidieren unvermeidlich mit dem formalistischen Dogmatismus des Padre... Aus ihrer jeweiligen Sicht haben beide Recht, aber beide sündigen bis zum Exzess."

Für den Theaterkritiker und Schriftsteller Anatol Rosenfeld ist Zé ein "wahrlich tragischer Held mythischer Prägung". Er selbst ist sich seiner Rolle nicht bewusst, doch in den Augen der Betrachter werden seine Handlungen zu mythisch verklärten Taten eines neuen Heilands. Doch dies ist gar nicht sein Anliegen. So ruft er verzweifelt: "Niemand versteht mich..." Als Vertreter des Sertão transportiert Zé seine Vorstellungen und Ideen in die moderne Stadt - und scheitert an dieser und an seiner Unfähigkeit, sich mit und in ihr verständlich zu machen. Es fehlt an einer gemeinsamen Sprache zwischen diesen zwei Welten. Und so gelingt es ihm nicht, sich Gehör zu verschaffen.

Für Alfredo Dias Gomes repräsentiert Zé einen jeden von uns: "Wie Zé hat jeder von uns seine Gelübde zu erfüllen. Gegenüber Gott oder dem Teufel, gegenüber einer Idee; mit einem Wort, gegenüber uns selbst und unserer Notwendigkeit, uns zu stellen, zu unserer Selbstbehauptung. Und jeder von uns hat einen Padre Olavo vor sich."

Text + Foto: Tom Milz

In der nächsten Ausgabe werfen wir einen Blick auf die Figur des Jeca Tatu, unsterblich geworden durch die Verfilmung mit dem einzigartigen Amácio Mazzaropi in der Rolle des naiven Landbewohners.

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