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caiman.de köln, juni 2001
amor

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flauschig

Das Auge trinkt mit:

Weinglas gegen das Licht,
denn Farbton und Klarheit des Weines gilt es zu prüfen.
Dunkelviolett, also ein junger Wein.
Das Glas leicht geschwenkt, die flüssige Köstlichkeit
kommt in Bewegung und löst die Aromastoffe,
so kommt die Nase zu ihrem Recht.



Sensibler als jede noch so ausgefeilte
chemisch-physikalische Analyse läßt sie uns Aromenvielfalt
und das Bukett erfahren. Ein leichtes Prickeln
hinten an der Zunge. Nicht fruchtig, süß oder würzig,
nein, eine Ahnung von betörendem Geschmack
nach einem einfachen Faßwein, leicht nach Eiche,
zieht von der Nase in den Rachenraum.

Mehr!

Nur Geduld, erst ein kleiner Schluck zum verkosten,
wer will sich denn da gleich um den Genuß bringen?
Leicht einatmen nicht vergessen, die Luft läßt die feinen
Geschmacksempfindungen durch den Rachen
bis in die Nase aufsteigen. Alle Geschmacksknospen
melden einen weichen Wein, und nun endlich
rollt er die durstige Kehle hinab und schickt dabei
weitere Nuancen über die Sinnesorgane.
Geprüft und für sehr genießenswert befunden.

Da schenk doch gleich das Glas nach.

Daß der edle Rebensaft beflügelt das soll schon
im 13. Jahrhundert der Mönch Gonzalo de Berceo
gewußt haben, der in seiner Schreibstube im Kloster
San Millán de Suso die ersten Verse niederschrieb,
die jemals in kastilischer Sprache geschrieben wurden.

„Ich möchte nunmehr eine einfache Prosa erschaffen
– genau so, wie das Volk mit seinen Nachbarn spricht.
Denn die Leute sind nicht so belesen, daß sie ein
anderes Latein beherrschen.
Bestens taugt zu diesem Zwecke, wie ich glaube,
ein Glas voll guten Weines.“

im Prüfstand: Alexandra Geiser

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