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caiman.de 03. ausgabe - märz 2001
spanien/mexiko

"Jusep Torres Campalans erfand vor Picasso den Kubismus"

1886 bekommt ein katalanisches Bauernehepaar das fünfte von insgesamt sechzehn Kindern. Dieses Kind, Jusep Torres Campalans, sollte später ein bedeutsamer Maler der Moderne werden, ohne jedoch jemals seinen Platz in der Kunstgeschichte zu finden.

Campalans lernt zunächst als junger Mann in Barcelona Pablo Picasso kennen. Im folgenden zieht es ihn nach Paris, wo er alsbald mit Juan Gris, Braque und dem Konstruktivist Mondrian verkehrt. Mit Ausbruch des ersten Weltkrieges verläßt der überzeugte Anarchist Europa in Richtung Mexiko, und so verschwindet er aus der Kunstszene und wird vergessen.

Jahre später stößt der ebenfalls im mexikanischen Exil lebende Schriftsteller Max Aub auf Campalans und verfaßt wenig später eine detaillierte und umfassende Biographie des Künstler.


Aub zeichnet jedoch nicht nur Campalans` abenteuerliches Leben nach, sondern ordnet ihn aufgrund seines eigenen Kunstverständnisses nachträglich in die bereits bestehende Kunstgeschichte ein.

Als das Werk 1958 in Mexiko erscheint, erregt es Aufsehen: Carlos Fuentes und Octavio Paz äußern sich bewundernd über die gelungene Leistung, einer so vollständig dokumentierten und umfassenden Künstlerbiographie mit Darstellungen vieler der in Privatbesitz befindlichen Bildern, ausführlichen persönlichen Notizen und Gedankengängen des Malers ("Das Grüne Heft"), sowie über die kenntnisreiche Einordnung seiner Person in die Kunstepoche des 20. Jahrhundert.

Mehr und mehr Menschen erinnern sich nun an einen gewissen Joseph oder Jusep Campalans. Galeristen sagen aus, schon "vor Jahren" auf "einer kleinen Ausstellung in der Schweiz" bemerkenswerte Bilder dieses Künstlers gesehen zu haben. Der Maler Siqueiros glaubt sogar, Campalans persönlich gekannt zu haben. Die Preise für die aufgetauchten Werke schossen in ungeahnte Höhen.

Ohne Übertreibung kann man von einer sensationellen Entdeckung sprechen. Wie war es nur möglich, dass dieser bedeutende Maler der Kunstwelt verloren gehen konnte? Gar nicht, denn Jusep Torres Campalans hat es in Wirklichkeit nie gegeben.

Reine Erfindung: von den Gesprächsprotokollen der Interviews, dem penibel dokumentierten Werkkatalog über Photos und Tagebuchaufzeichnungen bis hin zu den in der Biographie abgedruckten Bildern: alles Eigenproduktion des Autors. Sogar das unscharfe Photo, das den fiktiven Campalans auf einer Bank neben Picasso zeigt: Photomontage. Max Aub steckte unter einer Decke mit den berühmten Rezensenten seines Werkes, ebenso kannte er alle in der Biographie erwähnten Maler persönlich, und so schwieg auch Picasso mit einem Schmunzeln zu den zahlreichen Fragen über seinen ehemaligen Weggefährten. Noch lange nach dem Aufkommen der ersten Zweifel blieb unklar, ob Campalans nun Wahrheit oder Fiktion war.

Die Täuschung funktionierte also perfekt, und was auf den ersten Blick wie eine Künstlerbiographie aussieht, stellt sich in heutigen Ausgaben, spätestens nach der Lektüre des Nachwortes von Mercedes Figueras, als gelungene Persiflage auf den modernen Kunstbetrieb heraus.

Und genau dieses ist Aubs Intention gewesen: "Heutzutage gibt es so viele Lebensbeschreibungen von Farbklecksern wie zu Zeiten Cervantes Ritterromane." Die Leute vertrauten allein auf den Ruhm, die manipulierten Börsennotierungen und die fachliche "Kompetenz" der angeblichen Kunstexperten, den Agenten der Farbkleckser.

Die entsprechenden Galeristen waren blamiert und aus dem scheinbar glänzenden Geschäft wurde nichts. Sie hätten Höchstpreise erzielen können, hätte Campalans nur den Hauch einer Chance gehabt, tatsächlich zu existieren.

Text: Alexandra Geiser

Über den Autor:
Max Aub(1903-1972) wurde als Sohn einer deutsch-französischen Familie in Paris geboren und machte Spanien zu seiner Wahlheimat, nachdem die Familie bereits bei Ausbruch des ersten Weltkrieges nach Valencia umgesiedelt war. Sein enormes Lebenswerk umfaßt rund 40 Theaterstücke, Romane, verschiedene Erzählbände, Essays und journalistische Arbeiten. Im Bürgerkrieg engagiert er sich auf Seiten der Republikaner, wird Kulturattaché in Paris, überbringt Picasso den "Guernica"-Auftrag, dreht mit Malraux den Film "L`espoir", freundet sich mit Luis Buñuel an und muß nach Francos Sieg fliehen. Während des Zweiten Weltkrieges wird er in verschiedenen französischen und algerischen Konzentrationslagern interniert bis ihm 1941 die Flucht nach Mexiko gelingt.

Seit den sechziger Jahren dürfen seine Bücher auch in Spanien erscheinen. Die späte Übersetzung ins Deutsche – Anfang der 90ér Jahre - ist darauf zurückzuführen, dass Aub, als sein Werk Jusep Torres Campalans international Furore machte, eine Veröffentlichung davon abhängig machte, dass auch seine anderen Romane mit ins Programm übernommen wurden. Diesem Risiko wollte sich damals kein deutscher Verlag aussetzen.
Mehr über den Autor: www.maxaub.org

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