ed 11/2011 : caiman.de

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spanien: Segovia – rebellisch und romanisch
Ein Besuch in Spaniens kleinster Kulturhauptstadt (Teil 2)
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


brasilien: Elvis Presley und der Cobra-Mann
Über den ausgeprägten Realismus des brasilianischen Nordostens
THOMAS MILZ
[art. 2]
portugal: Urlaub mal nicht anders
Pauschal am Praia da Falésia
NICO CZAJA
[art. 3]
spanien: Freiwillige der Freiheit
Die Entstehung der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg
WOLFGANG HÄNISCH
[art. 4]
grenzfall: Botschafter der guten Laune
Redaktionssitzung auf der ersten Rum Messe in Deutschland
MARIA JOSEFA HAUSMEISTER
[kol. 1]
amor: Die Kanarischen Inseln sind ein Teil von Afrika!
BERTHOLD VOLBERG
[kol. 2]
macht laune: Wortspiele und Lebensweisheiten (Teil 3)
CAMILA UZQUIANO
[kol. 3]
lauschrausch: Die Wurzeln des Reggae
Sir Coxsone und sein Studio One
TORSTEN EßER
[kol. 4]




[art_1] Spanien: Segovia – rebellisch und romanisch
Ein Besuch in Spaniens kleinster Kulturhauptstadt (Teil 2) (Teil 1)
 
Von den ursprünglich 26 romanischen Kirchen des kastilischen Städtchens sind immerhin 18 noch erhalten. Davon handelt es sich bei mindestens ein Drittel um sehr bedeutende Sakralbauten. Vom Aquädukt her kommend, gelangt man durch die Straßen Cervantes und Juan Bravo zuerst zur Kirche San Martín aus dem 12. Jahrhundert. Sie präsentiert gleich zwei typische Merkmale der Romanik Segovias: einen imponierend hohen Turm und eine Vorhalle mit Arkaden. Solche Vorhallen wurden nicht nur als sakrale Loggias konzipiert, im Mittelalter dienten sie auch so weltlichen Zwecken wie Gerichtsverhandlungen.

San Martín [zoom]
San Martín [zoom]

Die Arkaden der Martinskirche überzeugen nicht nur durch harmonische Proportionen und den Blick auf die Kathedralenkuppel. Faszinierend sind vor allem die Kapitelle ihrer Säulen. Neben Szenen aus dem Neuen Testament zeigen sie faszinierende Fabelwesen – Vögel mit Menschengesichtern. Es sind die originellsten romanischen Kapitelle, die man in Segovia entdecken kann. Und alles wird überragt vom stattlichen Turm, der jünger ist als der Rest des Gebäudes (14. Jahrhundert). So beeindruckend die Außenansicht von San Martin ist, der Innenraum der Kirche wirkt im Vergleich dazu enttäuschend. Es gibt nur wenige Originaldekorationen der Romanik; das meiste musste einer in diesem Fall unpassenden Barockisierung weichen. So wurde der Gesamteindruck leider zerstört, da Architektur und Innenausstattung nicht harmonieren. Dieses Phänomen trifft unglücklicher Weise auch auf andere romanische Kirchen Segovias zu.

San Martín [zoom]
San Martín [zoom]

Eine Ausnahme bildet jedoch San Millán. Diese kleine Kirche aus dem 11. Jahrhundert gehört zu den ältesten in Segovia, die außerhalb der Stadtmauern, am Fuß des Altstadthügels, steht. Der Turm ist sogar vorromanisch und wurde bereits im 10. Jahrhundert erbaut, als Segovia noch unter arabischer Herrschaft stand. Daher die angedeutete Hufeisenform der Turmöffnung.

San Millán erscheint von außen sehr schlicht, doch von allen romanischen Kirchen der Stadt ist sie am besten erhalten – ein Eindruck, der sich auch im schönen, dreischiffigen  Innenraum fortsetzt. Hier wurde in späteren Epochen wenig verändert; es ist ein authentischer, rein romanischer Tempel mit interessanten Kapitellen und Skulpturen.
San Millán [zoom]

Leider gibt es weniger zu sehen als in San Martín, aber die Harmonie des relativ leeren Raumes erzeugt eine besonders sakrale Atmosphäre.

Zurück in der Oberstadt erreicht man zwischen Kathedrale und Alcázar die Kirche San Andrés. Sie stammt aus derselben Epoche wie San Martín (12. Jahrhundert) und hat auch einen stolzen Turm vorzuweisen, aus Ziegelsteinen gemauert und dreieinhalb Stockwerke hoch. Leider war San Andrés geschlossen, so dass wir den schönen Renaissance-Hochaltar nicht besichtigen konnten.



San Andrés [zoom]


Wenden wir uns also zur nördlichen Stadtmauer, wo sich die kleine, soeben frisch restaurierte Kirche La Trinidad befindet (13. Jahrhundert). Auch sie verfügt über eine Arkaden-Vorhalle, die allerdings deutlich kleiner und weniger monumental wirkt als die von San Martín. Doch auch hier kann man überraschende Details an den Kapitellen der Säulen entdecken. Der einschiffige Innenraum ist schlicht und schön. Besonders beeindruckend die Apsis mit drei kleinen, aber sehr farbenprächtigen Fenstern. Der rechteckige Turm, aktuell von einem Storchennest gekrönt, wirkt weniger wie ein Kirchturm, als vielmehr wie ein Festungsturm.

La Trinidad [zoom]
La Trinidad [zoom]

Jetzt kommen wir voller Erwartung zur  – zumindest äußerlich – spektakulärsten romanischen Kirche von Segovia: San Esteban. Sie dominiert die gleichnamige Plaza mit einem 53 Meter hohen Turm (vollendet um 1220). Zu recht nennt man ihn "Reina de las torres epañolas" (Königin der spanischen Türme), denn es ist der höchste und schönste romanische Turm der Iberischen Halbinsel und der dritte Blickfang des Stadthügels neben Kathedrale und Alcázar. Durchbrochen wird der Glockenturm von doppelten oder dreifachen Fensterbögen, die von schlanken Säulenbündeln umrahmt werden. Seine Eleganz übertrifft deutlich den Turm der Kathedrale.

San Esteban [zoom]
San Esteban [zoom]

Auch das Atrium der Stephanskirche wirkt mit seinen Arkaden monumental und zugleich zierlich. Der Einfallsreichtum der auf den Kapitellen dargestellten Miniaturszenen kann sich mit denen von San Martín durchaus messen. Es gibt hier ebenfalls phantasievolle Fabelwesen. Vom Innern der Säulenhalle blickt man auf die Kathedrale. Zwar wurde der Innenraum von San Esteban ähnlich wie der San Martíns barockisiert, aber maßvoller und weniger verfremdend. Zudem blieben hier mehr alte Kunstwerke erhalten: vor allem ein beeindruckender frühgotischer Kalvarienberg mit realistischen Holzskulpturen, der aus der Endphase der Entstehungszeit der Kirche (Ende des 13. Jahrhunderts) stammt.

San Esteban [zoom]
San Esteban [zoom]

Wir nähern uns dem Ende des romanischen Rundgangs durch Segovia und kehren zum Ausgangspunkt zurück, dem römischen Aquädukt aus dem 2. Jahrhundert. Doch eine kleine Kirche darf nicht vergessen werden, nur weil sie vor dem Aquädukt und außerhalb der Stadtmauern liegt: San Justo. Von außen eher unscheinbar und mit niedrigem Turm, birgt  der einschiffige Innenraum des Tempels einen großartigen Schatz. Er ist beinahe komplett mit wunderbaren Fresken aus dem 12. Jahrhundert bedeckt, von denen die wichtigsten in der Apsis erst 1964 unter einer dicken Kalkschicht freigelegt wurden. Dort thront jetzt erstaunlich farbenprächtig Christus als Pantokrator (Weltenherrscher), darunter apokalyptische Engel, die zum Jüngsten Gericht trompeten. Leider ist diese Bilder-Schatzkiste der Romanik oft geschlossen. Doch ist jedem Segovia-Besucher zu wünschen, sie geöffnet vorzufinden.

Es gibt noch eine weitere romanische Kirche in Segovia, die man unbedingt besichtigen muss, aber sie ist so einzigartig, dass sie einen eigenen Artikel verdient: La Vera Cruz.

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps:
Anreise nach Segovia:
Am besten mit einem AVANT-Zug von Madrid (Bahnhof Chamartin im Norden), Fahrtzeit: 30 Minuten, Preis Hin- + Rückfahrt: ab 21,20 €. Vom Bahnhof Segovias fährt ein Shuttle-Bus zum Aquädukt.

Gastronomische Spezialitäten Segovias:
- Spanferkel, das so zart ist, dass man es statt mit einem Messer mit dem Tellerrand durchschneiden kann.
- Marzipankuchen, in jeder besseren Konditorei, z.B. an der Ecke Plaza Mayor/ C. Isabel la Católica.



Volberg, Berthold
Sevilla - Stadt der Wunder
Porträt der andalusischen Kunstmetropole mit großem Bild- und Textteil zur Semana Santa

(Nora) ISBN: 978-3-86557-186-1
Paperback
328 S. - 16 x 25 cm

[druckversion ed 11/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]






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[art_3] Portugal: Urlaub mal nicht anders
Pauschal am Praia da Falésia

Es gibt Reisen, auf denen du Abenteuer erlebst. Reisen, auf denen du dem Tode ins Auge blickst. Reisen, auf denen du über die Welt lernst oder die Liebe deines Lebens findest. Reisen, auf denen du neue Wege entdeckst, du selbst zu sein, Reisen, die deinen gesamten Ausblick aufs Leben verändern. Ganz besondere Reisen, die du nie mehr vergisst. Die nicht wiederholbar sind. Die dir niemand mehr nehmen kann. Und es gibt Pauschalreisen.

Ein deutsches Paar in Badekleidung, große Handtücher von den Armen baumelnd, bahnt sich den Weg zwischen Liegestühlen zum Schwimmbecken. "Bomm dia", erklärt er ihr. "Bomm dia?", fragt sie. "Ja, alles mit Bomm. Bomm dia, Bomm tardes..." Das Hotel liegt auf einer roten Klippe über der Praia da Falésia in der Algarve, einem schönen, ewig langen Sandstrand, der nur dadurch weniger schön wird, dass auf jeder zweiten roten Klippe verschieden große Geschwister des Hotels mit ihren tausend Fenstern übers Meer glotzen. Ein heftiger Wind hat die Wolken des Vormittags zum Teufel geblasen, die Sonne strahlt aus einem vanillegestreiften Himmel auf eine Handvoll halbnackter Leiber in verschiedenen Rötungsstadien, die sich um den Pool herum verteilt haben.


Ich dagegen liege im Zimmer 309 im Ehebett. Mit einem Mann. Der Fernseher läuft und erzählt uns die wichtigsten Informationen aus der Heimat, genauer: Eine große blonde Frau im knappen Abendkleid erzählt von den größten Highlights aus den Talkshows der letzten Tage.

Warum zur Hölle bin ich nicht draußen an der frischen Luft, wenn ich doch offenbar im Urlaub bin und die Sonne scheint? Und was für eine verrückte Geschichte hat mich, Weltreisenden und Abenteuerforscher von Rang und Namen, in diese Situation gebracht? Antwort 1: Weil ich im Urlaub bin und verdammt nochmal machen kann, wonach mir der Sinn steht. Antwort 2: Keine, oder fast keine. Ein großzügiger Reisegutschein von einer wohltätigen Organisation, ein paar Tage Zeit und ein guter Freund mit Urlaubsbedürfnis - das waren die Rahmenbedingungen für meine Entscheidung, mal einen Urlaub zu machen, den ich mir sonst nicht leisten können noch wollen würde. Nur so war es mir möglich, nach meinem ersten Besuch in Portugal das Land mit genauso wenig Wissen über Land, Leute und Kultur wieder zu verlassen, wie ich es betreten hatte.

Schon unsere Ankunft am Check-In-Schalter führte zu einer schwer beschreibbaren Veränderung in der blitzblanken Atmosphäre des glitzernden Foyers, etwas, das wir als Knacken in den Ohren wahrnahmen oder als kurzes Zucken in den Augenwinkeln. Es hat uns eine Weile gekostet, zu verstehen, was vor sich gegangen ist, aber inzwischen bin ich ziemlich sicher, dass es sich um den Altersdurchschnitt der Hotelgäste handelte, der in diesem Moment mit einem Male sank wie das Gegenteil einer Springflut. Aus jahreszeitlichen Gründen war das Etablissement vielleicht zu einem Viertel ausgelastet, und zwar nahezu ausschließlich mit Rentnerpaaren, manche einzeln, andere in überschaubare Reisegruppen zusammengefasst.


Die Rentner verbrachten die Tage mit allerlei Aktivitäten: Bingo, Wassergymnastik, Animation und anderen wilden Dingen. Wir verbrachten gerne die eine oder andere Sonnenstunde vor dem Fernseher im gemeinsamen Bett (man hatte uns ungefragt ein Zimmer mit Doppelbett zugeteilt), aus Trotz gegen die Konventionen eines traditionellen Pauschalurlaub-Ablaufs. Wenn der Minibar-Nachfüller klopfte, musste er des öfteren den einen oder anderen Augenblick warten, bis sich einer von uns zur Tür bequemt hatte, um ihm zu öffnen. Ich bin sicher, dass bald das gesamte Hotelpersonal voller Zuneigung vom netten schwulen Pärchen aus Zimmer 309 sprach. Die zwei Typen, die soviel Zeit miteinander auf ihrem Zimmer verbringen. Ach, sind das nicht auch die, die zum Buffet immer nur eine Mineralwasserflasche bestellen und teilen, weil sie für richtige Getränke zu geizig sind? Ja, genau die, José! Die ihre Teller immer sechsmal hintereinander mit nicht zueinander passenden Nahrungsmitteln beladen, um ja nichts zu verpassen? Und die sich dann immer ganze Arme voll Obst mit aufs Zimmer nehmen, weil's umsonst ist und man ja nie weiß, wann der kleine Hunger kommt? Ja, richtig. Die. Mensch, Manoel, die hab ich gestern Abend im Wellness-Bereich im Keller gesehen, ganz alleine waren sie da, haben stundenlang zusammen im Whirlpool gesessen, als hätten sie sonst nichts zu tun. Ganz, ganz niedlich.


Nun war es ja nicht so, dass wir nicht versucht hätten, auch etwas von der Umgebung mitzubekommen. Voller Tatendrang bestiegen wir eines Morgens unsere frischgemieteten Fahrräder, um ein bisschen ins Grüne zu fahren. Das Grüne gefunden haben wir nicht, bloß eine Stadtautobahn und viele Baustellen, die eines Tages einmal Hotels werden wollen. Und nach einem langen Tag im Sattel und unzähligen falsch genommenen Abzweigungen schließlich eine schöne Altstadt mit einem guten Mittagessen und zu guter Letzt einen kleinen, geheimen, hübschen Strand, versteckt hinter einer noch nicht ganz fertig gestellten Feriensiedlung. Eigentlich ein gelungener Tag, aber am Ende hätten wir fast um ein Haar das Abendbuffet verpasst, und das war ein Risiko, das wir unmöglich noch einmal eingehen konnten. Also blieb es bei diesem einen Ausflug. Man muss Prioritäten setzen.

Ich hatte gehofft, mein eingerostetes Portugiesisch ein wenig auffrischen zu können, aber jeder sprach mich auf Deutsch an. Ich wollte früh aufstehen und am Strand laufen gehen, aber ich war zu verdammt faul. Ich wollte kreativ sein und die Zeit zum Schreiben nutzen, aber ich hatte keinen Stift zur Hand und wollte dafür jetzt wirklich nicht extra aufstehen.

Immerhin: Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Tennis gespielt, in einem Drahtkäfig umgeben von gepflegtem Rasen mit weißen Plastikliegen, auf denen halbnackte Rentner lagen und uns milde interessiert beäugten. Ich habe ein ums andere unerbittlich geführte Boule-Turnier gegen meinen Reise- und notwendigerweise auch Bettgefährten mit Bravour gewonnen. Ich habe ein gutes Buch gelesen. Wir haben bei zahllosen Spaziergängen an unserem Hausstrand restlos alle auch nur annähernd ansehnlichen Schalentiere aufgesammelt und als Souvenirs an den ereignislosesten Urlaub aller Zeiten mit nach Hause genommen. Ich habe einen ganz eigenen Mikrokosmos kennen lernen dürfen, der nach eigentümlichen Regeln funktioniert und in dem ich nicht weniger als Fremdkörper aufgefallen bin als damals unter Indianern in Brasilien.


Trotzdem: So bald muss das nicht noch einmal sein. Es sei denn, es findet sich eine weitere wohltätige Organisation, die mich mit einem Reisegutschein versehen möchte. Falls eine solche diesen Text lesen sollte: Bitte wenden Sie sich an die unten angebebene Emailadresse. Danke.

Oder aber wenn ich Rentner bin. Dann sitze ich am Abend silberhaarig in der Hotelbar und die Showband Focus ("Music to Dance") steht auf der Bühne und spielt die alten Lieder, die mich so schön sentimental werden lassen. Der Dicke an der Gitarre hat eine etwas dünne Stimme und einen schweren spanischen Akzent in seinem Englisch und der Dünne am Keyboard verfehlt hin und wieder eine Taste, aber die Musik erinnert mich an viele Dinge in meinem langen Leben. Schließlich kommt "I still got the Blues for you", ich nehme die Hand meiner Frau und wir tanzen, bedächtig und langsam, und der Dicke spielt das Solo fast genauso wie Gary Moore. Ich denke daran, wie meine Frau eben noch ausgelassen und nicht ganz nüchtern lauthals mit Focus und uns allen mitgegrölt hat: "Alice - who the f*ck is Alice!", und ich muss lächeln.

Text: Nico Czaja
Fotos: Michael Schmitz

[druckversion ed 11/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: portugal]





[art_4] Spanien: Freiwillige der Freiheit
Die Entstehung der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg
 
Vor 75 Jahren, am 14. bzw.15. Oktober 1936, trafen die ersten internationalen Freiwilligen in Albacete ein, um der spanischen Republik gegen den Putsch der Generäle zur Seite zu stehen. Die folgende historisch fiktive Reportage schildert Impressionen der Entwicklung, die dem vorausging:

8. November 1936: Wir fahren von Madrid kommend in Richtung Valencia. Plötzlich geht es nicht mehr weiter. Lastwagen um Lastwagen kommt uns entgegen. Auf ihnen, dicht gedrängt, Männer in Uniformen. Sie singen. In welcher Sprache singen sie? Es sind keine Spanier. Woher kommen sie? Unser Fahrer schreit: " Das sind Franzosen, Ich hab´s immer gesagt, dass Frankreich uns nicht im Stich lassen kann!"

Lastwagen und noch mehr Lastwagen. In welcher Sprache singen sie? Auf Französisch, ja. Diese hier singen auf Italienisch. Und die dort? Ist das Russisch? Deutsch? Tschechisch? Und die hier, auf Englisch! Die Soldaten der Internationalen Brigaden fahren hinauf nach Madrid. Doch wer waren diese Männer, was führte sie nach Spanien und wie kamen sie dorthin?

Rückblende: Am 18. Juli putschte das Militär unter General Franco gegen die demokratisch gewählte Volksfrontregierung. Die Nacht vom 18. auf den 19. Juli 1936, Madrid, der Platz vor dem Innenministerium: "Armas, armas, armas" (Waffen, Waffen, Waffen). Ein einziger Schrei brandet einstimmig durch die Nacht, unterstützt von rhythmischem Füßestampfen und wütend hochgereckten Fäusten, einige mit Pistolen bewaffnet, mit Gewehren, Knüppeln, Vogelflinten, mit Säbeln. Darüber erhebt sich ein neuer Ruf in der Nacht, der keine zwei Silben mehr hat, sondern drei, UHP, die donnernd in die Bauchhöhle fahren wie das Dröhnen der Räder eines Zuges unter einem eisernen Gewölbe, U, Ha, Pe! (Unios Hermanos Proletarios = Vereinigt euch, proletarische Brüder).

Wir werden von den Scheinwerfern eines Lastwagens geblendet, der direkt vor uns bremst. Dann setzt der Laster mit heulendem Motor zurück und wendet, die Menge stürzt herbei und umringt ihn. An der Rückseite des Wagens wird eine Plane hochgeschlagen und Männer in Zivil mit Soldatenmützen und Helmen fangen an, lange Holzkisten aufzuhebeln. Waffen, das Wort macht die Runde, verbreitet sich, und jedes Mal, wenn es einer ausspricht, wird die Menge kompakter.

Auf dem Plaza del Callao stehen Lastwagen mit laufenden Motoren, die Seitenwände mit provisorisch befestigten Blechen gepanzert, auf den Dächern mit Seilen festgebundene Matratzen als Kugelfang.

Wir stehen auf dem Dach eines Hochhauses und schauen mit dem Fernglas den langen, fast schwarzen Tunnel des letzten Stücks der Gran Via hinunter, von dem jetzt näher kommende Autoscheinwerfer zu sehen sind. Ganz am Ende, noch hinter dem vage zu erkennenden, nur schwach beleuchteten Rechteck der Plaza de Espana ist die Montana- Kaserne, ein großer schwarzer Block mit leuchtenden Punkten kleiner Fenster.

Bewaffnete Männer gehen an den Strassenecken hinter Laternen in Stellung, an der rechten Ecke der Kaserne wird ein Geschütz herangerollt. Sobald der Tag anbricht, werden sie die Kaserne stürmen.

Die Gewehrsalven und der Geschützdonner bei der Erstürmung der Montana-Kaserne am 19.Juli in Madrid sollten überall in der Welt ihren Widerhall finden. Zuerst bei den aus den faschistischen Ländern emigrierten Antifaschisten, die in ganz Europa verstreut waren: "Als wir vom Aufstand des spanischen Volkes gegen die putschenden Generäle hörten und obendrein noch erfuhren, dass deutsche und italienische faschistische Verbände auf der Seite Francos kämpften, gab es für uns Emigranten kein Fragen und kein Halten mehr. Wir mussten einfach nach Spanien. Einige Kameraden waren schon über Irun in den Norden gegangen und kämpften dort."(Emigranten in Südfrankreich)

"Alles steht unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse in Spanien, in der Arbeiterbewegung wird breit darüber diskutiert, es gibt kein Halten mehr. Es entwickelt sich eine breite Solidaritätsbewegung."( Emigranten in Paris)

"Viele Diskussionen über Spanien, ein Teil der Genossen ist sofort gefahren, nur die Besonneneren haben eine Stellungnahme der Partei abgewartet. Jeder hat plötzlich eine militärische Ausbildung und alle sind sich einig darüber, dass wir in Spanien dem Faschismus einen Schlag versetzen können. Endlich aus diesem dauernden Versteckspiel herauskommen und diesem gehetzten Leben ein Ende machen. Wenn wir erst in Spanien sind, das Gewehr in der Hand, werden wir aufatmen können, wie von einer bedrückenden Last befreit." (Emigranten in den Niederlanden)

Und sie machen sich auf den Weg - erst viele einzelne, jeder für sich: "Ich habe in der Fabrik gearbeitet. Als Hitler an die Macht gekommen ist, habe ich versucht, Zellen der Kommunistischen Partei wieder aufzubauen. Das ging schief. Alle sind hochgegangen. Nur ich war zufällig auswärts und wurde rechtzeitig benachrichtigt. Dann habe ich noch eine zeitlang bei Genossen gewohnt, bis ich über die Grenze gebracht wurde. So kam ich nach Paris. Als es in Spanien los ging, hat es mich nicht mehr gehalten. Ich besaß ja fast nichts, und was zu schwer und zu alt war, habe ich einfach liegengelassen. So bin ich hinunter zu den Pyrenäen und zu Fuß weiter, ohne Karte, nur nach Süden. Natürlich bin ich nicht gerade dorthin gelaufen, wo ich dachte, dass Grenzer sein könnten. Dadurch geriet ich aber in die schrecklichste Einöde, und zu essen hatte ich auch nichts mehr, so bin ich aus Frankreich heraus. Drüben - ich wusste noch gar nicht, dass ich in Spanien war - kommen zwei Kerle in Uniform an. Verstecken konnte ich mich dort nicht. Das waren spanische Grenzer, und die haben gleich geahnt, was mit mir los ist. Gute Kerle waren das. Sie haben mich zuerst zur Grenzwache gebracht. Dort bekam ich zu essen und Wein. So also bin ich nach Spanien gekommen."

"Ich war aus Nazideutschland geflohen und arbeitete zu der Zeit in einem Hotel im belgischen Grenzgebiet als Kochlehrling. Als Flüchtling ein französisches Transitvisum zu bekommen, war schwierig. Trotzdem versuchte ich es beim französischen Honorarkonsul. Schüchtern bat ich, mir ein 14-Tage- Besuchsvisum zu bewilligen, denn ohne Erfahrung mit der unverwechselbaren französischen Kochkunst würde ich später auf verlorenem Posten stehen. Ich befürchtete bereits eine Ablehnung, als der weißhaarige Herr hinter seinem Schreibtisch aufblickte und mich fixierte. Schließlich hörte ich ihn sagen: " Zwei Wochen? Junger Mann! Das genügt nicht! "Ich bemerkte, wie er einen massigen Stempel hervor kramte und in eine freie Seite meines deutschen Passes prägte. Erst vor dem Konsulat wurde ich gewahr, Besitzer eines langfristigen Gratisvisums geworden zu sein. In den folgenden Tagen ordnete ich im Schlafsaal heimlich meine Sachen, sammelte Proviant, packte ein Reisebündel. Eines Nachts, die abgearbeiteten Kollegen schliefen längst, stahl ich mich davon. Am Bahnschalter von Houyet erstand ich ein Billet, nahm verstohlen den Frühzug nach Paris. Am selben Abend stieg ich dort in den Express in den südfranzösischen Grenzort Hendaye.  Als der Zug am Vorabend des 5. September in die kleine Station eindampfte, hörte ich erstaunt irgendwo über den Häusern ein seltsames Vorbeiflattern; Kanonengeschosse sausten über einen Zipfel Frankreichs von Spanien nach Spanien. Für den Unwissenden scheinbar harmlose Geräusche. So begann für mich der Krieg."

"Der Gare d` Orsay erstreckte sich über mehrere Etagen. Der spanische Zug fuhr ganz unten ab. Der Bahnsteig, gedrungen und grün, befand sich am Ende einer Treppe, und Fahrgäste drängten sich im letzten Moment zuhauf durch die Fahrkartenkontrolle. Wir waren so ziemlich die letzten in der Schlange. Der Bahnsteigschaffner hielt meine Fahrkarte in der Hand. Ich schaute hinab. Sein Handteller war tief zerfurcht von harter Maloche und langen Arbeitszeiten. Er fingerte eine zeitlang an der Fahrkarte herum, beäugte sie und las `Barcelona`, während ich in dem dunklen Kreis zwischen dem Schirm seiner Mütze und seinem Schnurrbart seine Augen zu lesen suchte. "Ist das ihr Fahrziel?" "Ja", antwortete ich. Er schob die Mütze aus der Stirn und schüttelte mit plötzlich die Hand. "Genossin", sagte er, während er mir weiter fest die Hand drückte und mich anschaute, "viel Glück, Genossin. Und allen anderen auch", fügte er hinzu. "Ich wünschte, ich wäre an deiner Stelle." Ich hätte beinahe den Zug verpasst. Ich sprang in den letzten Wagen. Er war voll besetzt. Die französische Zollabfertigung war eine Formalität. Durch die Gebirgskette führte ein Tunnel Richtung Spanien. Der Zug verschwand tatsächlich in dem großen Berg und tauchte auf der anderen Seite in Katalonien wieder auf, wo plötzlich alles ganz anders war. Wir stiegen aus und spazierten durch die Straßen von Port Bou, auf denen ein gelassenes Treiben herrschte. Die Schatten der Platanen krochen über den weißen Staub. Unter den Bäumen befanden sich Cafes, und hier und da saßen die Milizionäre mit dem Rücken an die Baumstämme gelehnt, die Gewehre von 1914 auf den Knien, während sie aus langhalsigen Flaschen tranken oder zusahen, wie Rauchkringel von ihren Zigaretten in die ruhige Luft aufstiegen. Es war bewegend, als ich unter diesen jungen Katalanen in ihren blauen Milizoveralls und den über die braunen Arme hochgerollten Ärmeln umherging. Wir erwiderten ihren Gruß mit  bereitwillig erhobener Faust oder indem wir ihnen die Hände schüttelten. Ich zögerte, Port Bou zu verlassen. Hier war ich zum ersten Mal der Revolution begegnet, und die Stadt war so schön."

So wie viele einzelne Tropfen schließlich ein Rinnsal bilden, zu einem  Bach werden, dann zu einem Fluss - so  strömten sie nach Spanien. Keiner hatte sie rekrutiert, geschweige denn es ihnen befohlen. Tausende aus der ganzen Welt sollten ihnen folgen, der Fluss zum reißenden Strom werden, alle beseelt von dem Wunsch, Spanien möge zum Grab des Faschismus werden.

18. September 1936: Moskau, Präsidiumssitzung des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale: Unter Punkt 7 und 8 der Tagesordnung wird beschlossen:

7) Unter den Arbeitern aller Länder ist eine Werbung von Freiwilligen, die im Militärwesen ausgebildet sind, zu betreiben, um sie nach Spanien zu schicken.

8) Durch die Entsendung von gelernten Arbeitern und Technikern ist eine technische Hilfe für das spanische Volk in die Wege zu leiten.

Oktober 1936: Paris, Rue Lafayette: Im Rekrutierungsbüro der Internationalen Brigaden drängen sich die Freiwilligen. Ihre Personalien werden aufgenommen, von besonderem Interesse sind militärische Kenntnisse und Fronterfahrung im 1.Weltkrieg. Nach dieser Aufnahmeprozedur werden sie auf verschiedene Gewerkschaftshäuser (maison de peuple) verteilt.

10. Oktober 1936 morgens: Paris, Gewerkschaftshaus in der Rue Mathourin-Moreau Nr.8: Die Freiwilligen treffen zu zweit oder zu dritt im Maison du peuple ein. Einige werden von der Frau, andere von den Kindern und wieder andere von den Brüdern und Schwestern begleitet. Sie tragen Köfferchen und kleine Bündel. Die meisten kommen von der Pariser banlieue, andere von weiter her. Ein Metallarbeiter bringt auch sein Motorrad mit. Er weiß, dass Spanien nicht nur Arme, sondern auch Transportmittel braucht, ein Motorrad kann an der Front sehr wertvoll sein, er stellt das seine zur Verfügung. Andere hingegen kommen allein, ohne irgendwelche Ausrüstung, als ob sie sich zu einem Spielchen oder zum Plauderstündchen ins nahe Cafe begeben wollten. Das sind im Allgemeinen die Jüngeren, deren Familienangehörige den Idealen, für die in Spanien gekämpft und gestorben wird, feindselig gegenüber stehen. Sie haben sich heimlich und unauffällig von zuhause weggeschlichen, sie haben niemandem etwas gesagt, um Ärger zu vermeiden.

In dem sich schnell füllenden Saal, wo die Abreisenden sich sammeln, teilen Frauen und Mädchen Kleidungsstücke und Toilettenartikel an die aus, die am bedürftigsten sind, sie übernehmen letzte Aufträge und versprechen den Freiwilligen, mit ihnen Briefe zu wechseln.

Die Uhrzeiger rücken schnell vor. In einigen Augenblicken heißt es abfahren.  Es geht los. Die bisher unterdrückte Erregung macht sich in Umarmungen, in lärmenden Grüßen und Gesang Luft. Die Freiwilligen besteigen den Autobus, der sie zum Bahnhof bringt. Doch schon hier müssen sie den Mut des Kämpfers besitzen, der den Feind wittert, auch wenn dieser vorläufig nur von dem Gendarmen verkörpert wird, der ihn am Bahnhof oder im Zug erkennt und aus Achtung vor der Nichteinmischung beim Kragen packen, nach Hause zurückschicken oder ins Gefängnis sperren kann, wenn zufällig - was bei den Emigranten nicht selten vorkommt - nicht alle Papiere in Ordnung sein sollten. Daher fahren die Autobusse in aller Stille vom Volkshaus ab.

10. Oktober 1936, früher Vormittag: Paris, Gare d` Austerlitz: 500 Freiwillige drängen sich auf dem Bahnsteig vor dem Schnellzug Nr.77. In wenigen Minuten werden sie sich auf den Weg nach Perpignan machen, von dort nach Barcelona und am 14. Oktober werden sie in Albacete, der Basis der Internationalen Brigaden ankommen. Der Schnellzug Nr.77 wird später den Namen "Freiwilligenexpress" bekommen.

Februar 1937: New York: "Es war der Abend vor unsrer geplanten Abreise nach Spanien, und meine Gruppe war für die letzten Anweisungen zusammengerufen worden .Ungefähr fünfundzwanzig Freiwillige waren erschienen. Der Vorsitzende eröffnete  die Versammlung. Er sprach langsam und versuchte offenbar, uns damit die Wichtigkeit seiner Informationen vor Augen zu führen." Euer Schiff geht morgen Mittag. Alle müssen bis 11Uhr an Bord sein. Ihr werdet in Fünfergruppen aufgeteilt, jede mit einem Verantwortlichen." Er machte eine Pause und sein Blick schweifte durch den Raum. "Euch ist klar, dass niemand wissen darf, wo ihr hingeht. Erfindet Ausreden für eure Eltern, Verwandte und Freunde. Niemand darf wissen, dass ihr nach Spanien geht. Das bedeutet natürlich auch, dass ihr allein zum Schiff kommt. An Bord dürft ihr kein Aufsehen erregen. Seid unauffällig, ihr müsst euch in Zweier- oder Dreiergruppen zusammentun. Passt auf, was ihr erzählt, und sprecht nicht über Spanien oder Politik im Allgemeinen. Es könnten Agenten der Regierung an Bord sein, deren Aufgabe es ist, Euer Durchkommen nach Spanien zu verhindern."

Am nächsten Morgen: "Da lag sie also - die Ile de France, das Schiff, das mich nach Le Havre bringen sollte. Ich begab mich zum Eingang für die Passagiere der dritten Klasse. Zu meinem Erstaunen waren dort ungefähr dreihundert Männer, alle recht jung, die sich angestellt hatten. Normalerweise hätten es zu dieser Jahreszeit nicht mehr als ein paar Dutzend Passagiere in der dritten Klasse sein dürfen. Alle in der Schlange trugen alte Mäntel und die gleichen Koffer. Auffallend unauffällig! Während sich die Schlange mühsam dem Laufsteg näherte, bemerkte ich mehrere Männer, die ruhig neben uns hergingen und die Passagiere leise ansprachen. Sie waren so gut gekleidet, dass ich sie sofort als Agenten der Regierung erkannte. Einer kam auf mich zu. "Wohin geht die Reise, junger Mann?" fragte er. "Ich fahre in die Alpen zum Skilaufen" "Sind Sie sicher, dass es die Alpen sind und nicht die Pyrenäen?" "Nein, ich mag die Alpen." Der Mann starrte mich an. "Es ist schon komisch, wie viele von Euch die Sozialhilfe sausen lassen und zum Skilaufen in die Alpen fahren"

Endlich war ich auf dem Schiff. Das Deck wimmelte von Verwandten und Freundinnen der Dritte-Klasse-Passagiere, meinen Kameraden. Soviel also zum Thema Geheimhaltung! Um 12 verlies das Schiff den Hafen. Ich rannte zur dicht umlagerten Reling und schaffte es, das Dock zu sehen. Es mussten so um die tausend Menschen sein, die zu uns aufschauten und uns zuwinkten. Da erhoben sich ein paar geballte Fäuste, dann mehr und mehr, bis ich keine Gesichter mehr sehen konnte."

1938: Radiomeldung: "Der Schriftsteller Ernest Hemingway ist von seinem Wohnsitz in Key West plötzlich aufgebrochen, ist in New York gesehen worden, wo er sich ohne Hut und Koffer einschiffte, um sich wieder an die Front der republikanischen Truppen in Spanien zu begeben."

Oktober 1936: Albacete, Spanien: Das Städtchen Albacete, eine maurische Gründung, liegt zwischen Madrid und Valencia in der endlosen Öde der Mancha. Es sollte zur Basis der Internationalen Brigaden werden.

Unterkunft der ersten Freiwilligen ist die Kaserne der Guardia Civil. Im Erdgeschoss sind noch Spuren der Kämpfe mit den Putschisten zu sehen, die hier bis zum 25.Juli andauerten. Die Anfangsschwierigkeiten sind enorm: Es gibt nichts und von allem zu wenig. Unterkünfte müssen gefunden und zu Kasernen hergerichtet werden. In der Not werden selbst die Arkaden der Stierkampfarena als Unterkunft und Speiseraum eingerichtet. Es gibt keine Matratzen, keine Essnäpfe und keine Teller für alle. Löffel sind nahezu unbekannt und wo soll man die Küchengeräte hernehmen? Mit den vorhandenen kann man gerade das Essen für ein Drittel, im Höchstfall für die Hälfte zubereiten, ein Teller und ein Löffel müssen für zwei bis drei Personen reichen. Gleichzeitig muss eine Militärorganisation aus dem Nichts aufgebaut werden. So muss z.B. der Transport der Freiwilligen an die Front organisiert werden. Grundstock der "Transportabteilung" sind drei Motorräder, persönliches Eigentum von Freiwilligen, die sie dem Stab geschenkt haben und ein paar klapprige Autos der örtlichen Volksfrontorganisationen. Mechaniker aus den Renault- und Citroen-Werken von Paris machen sich daran, aus dem Nichts und mit an Wunder grenzendem Improvisationstalent eine erste Reparaturwerkstatt einzurichten, die wenigstens die Fahrbereitschaft dieser Vehikel gewährleistet.

Am 14.Oktober kommen die ersten 500 Freiwilligen nach Albacete, zwei Wochen später sind es schon 3000 - 4000 Freiwillige, die versorgt werden müssen. So wird das verschlafene Provinznest innerhalb weniger Wochen zu einem Heerlager. Tausende von Menschen drängen sich in der kalten Morgenluft, die den Winter ankündigt und beleben das Städtchen wie bei einem Jahrmarkt. Tatsächlich wird auch alles verkauft, was auch nur entfernt mit militärischer Ausrüstung zu tun hat: Messer, Unterhosen, Riemen, Messbecher, Schuhe, Abzeichen, Kämme, an jedem Schuh- und Stoffladen stehen die Soldaten an. Ein chinesischer Hausierer bietet seinen Schund an und redet auf einen Wachposten ein. Der Wachtposten dreht sich um und der Hausierer läuft davon: Sie sind beide Chinesen.

Ein stampfender Laut ist an diesem Morgen zu hören, ebenso deutlich abgesetzt wie Pferdegetrappel, aber regelmäßig wie das Hämmern in Schmieden. Das ist das gedämpfte Geräusch der marschierenden Truppen: Die Männer der Brigaden, noch in Zivil, aber bereits in schwerem Militärschuhwerk, mit verbissenen Gesichtern oder Intellektuellenschöpfen: alte Polen mit Schnurrbärten wie Nietzsche und junge Sowjetfilmtypen, Deutsche mit rasiertem Schädel, Algerier und Italiener, die wie unter die Internationalen verschlagene Spanier wirken, Engländer, malerischer als alle anderen, Franzosen, die wie Maurice Thorez oder wie Maurice Chevalier aussehen, alle gestrafft in der Erinnerung an ihre Armee oder den Krieg, in dem sie gegeneinander gefochten hatten, die Männer der Brigaden stampfen durch die enge Straße, die hallt wie ein Korridor. Sie nähern sich jetzt den Kasernen und stimmen ein Lied an: Zum ersten Mal auf der Erde singen Männer aller Nationen in militärischer Formation die Internationale.

28. Oktober 1936: Albacete: Die bisher aufgestellten vier Bataillone werden in Nachbardörfern untergebracht, mit Gewehren und Maschinengewehren bewaffnet, und beginnen mit der militärischen Ausbildung und Organisation.

Es gibt weder einen Kommandeur, noch Kommissar, keinen Stab, noch die Männer für die übrigen Dienststellen der Brigade. Dazu sind noch mindestens 10 bis 14 Tage notwendig.

5. November 1936: Albacete: Heute kommt der Befehl, sofort alle bereitstehenden Bewaffneten nach Madrid zu schicken. Die Hauptstadt ist in Gefahr. Auf alle die schön ausgedachten Pläne mit all ihren Terminen muss verzichtet werden. So geht die erste Internationale Brigade, einundzwanzig Tage nach dem Eintreffen der ersten Freiwilligen in Albacete, an die Front. Sie sind es, denen wir am 8.November auf der Straße von Valencia nach Madrid begegnen.

Text: Wolfgang Hänisch

Nach Motiven aus den Arbeiten von Max Aub, Angela Berg, Harry Fisher, Luigi Longo, Mary Low, Jakob Lorscheider, Antonio Munoz Molina, Andre Malraux, Gustav Regler, Ludwig Renn, Frank Schauff, Fritz Teppich, Hugh Thomas

[druckversion ed 11/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]






[kol_1] Grenzfall: Botschafter der guten Laune
Redaktionssitzung auf der ersten Rum Messe in Deutschland
 
1986 änderte sich mein Leben von Grund auf und ich hatte doppelt Glück: Im Schüler-Auswahlverfahren für ein USA-Auslandsjahr-Stipendium wurde ich nicht berücksichtigt. Gerade wieder zurück vom entscheidenden Wochenende, überraschte uns Besuch aus Guatemala und drei Wochen später saß ich im Flieger: Köln – Amsterdam – Miami – Guatemala-Stadt, Zone 10. Von Minus 20°C auf Plus 25°C. Silvester unter Orangenbäumen, erster Sonnenbrand und ein bis dahin gänzlich unbekanntes Getränk in der Hand: Cuba Libre!

Ein halbes Jahr später befand sich im Rückreisegepäck neben der guatemaltekischen Edelmarke Rón de Zacapa 23 años und dem mischbaren Flor de Caña aus Nicaragua, frisch gepresster Limettensaft. Letzterer war in Zeiten, da das Wort Globalisierung in Deutschland noch nicht geschöpft worden war, kaum mit Gold aufzuwiegen, da teuer oder gar nicht zu bekommen.

Der Flor de Caña machte mit Cola und Limón gemischt am Abend der Rückkehr die Runde und war im Nu in verzückten Kehlen verschwunden.

Die Suche nach Nachschub entpuppte sich aber als herbe Enttäuschung. Fieser teurer Barcardi, ganz fieser Rumverschnitt und adjektivloser Strohrum standen in den Regalen diverser Supermärkte – eine schmackhafte Cuba Libre wollte so nicht gelingen.

Es nutzte nichts, ich musste wieder rüber. Kaum gelandet, nahm mich meine Gastmutter Rosalinda mahnend zur Seite: „Keine Cubita bevor es dunkelt!“ Und während ich in Gedanken schon den 18 Uhr entgegen fieberte, die in der Nähe des Äquators Tag ein Tag aus das Hereinbrechen der Nacht besiegeln, schaute Rosalinda suchend gen Himmel: „Schnell, mix uns eine, es scheint sich eine Wolke vor die Sonne zu schieben.“ – Das war mein Anfang vom Ende hinsichtlich des Begriffs konsequent.

Zum Mixen an der Hausbar stand ein sieben Jahre alter Flor de Caña bereit. Auf Reisen hatten wir praktischerweise einen Gordito, eine halbe Gallone (entspricht 2 Litern) der guatemaltekischen Hausmarke Botrán, im Gepäck. Gingen wir aus, so bestellten wir, wie eben üblich, eine Flasche Rum, zu der Coca-Cola, Eis und halbierte Limetten nach Bedarf gereicht wurden.

Zurück in Köln war bereits der gesamte Freundeskreis dem Rum-Fieber verfallen, was nicht zuletzt der Wirkung in Form von spürbarer Zunahme der Lebensfreude und dem nicht enden wollenden ausgelassenen Tanzwahn zuzuschreiben ist. Stoff besorgten wir uns durch eigenes Reisen, durch reisende Bekannte und reisende Bekannte von Bekannten und durch Order bei selbsternannten Importeuren.

1994 trippte ich durch das nördliche Südamerika und verliebte mich prompt in die bestechende Rumvielfalt Venezuelas, hauptsächlich vertreten durch diverse Rons der Empresas Santa Teresa, Cazique und Pampero. Meine Reisekollegin mit dem wunderbaren Namen „Unbefleckte Empfängnis“ war ganz erstaunt, dass ich diese Marken nicht kannte, da sie in Spanien in jeder Bar ausgeschenkt würden. Sie meinte, venezolanische Rums seien gerade in Mode, aber die dominikanischen liefen ihnen schon bald den Rang ab. – Noch im gleichen Jahr besuchte ich sie in ihrer Strandbar und trank abwechselnd Cuba Libre mit Cazique oder Brugal (de la Dominicana).

Zwischendurch als Tipp für deutsche Wirtinnen und Barbärchen die spanische Variante der Cuba Libre: Longdrinkglas mit Eiswürfeln füllen, die den Größenverhältnissen ideal angepasst sind, so dass 4 Eiswürfel genau übereinander ins Glas passen. Eine halbe Limette ausgepresst dazu und dann Rum bis 1-2 Fingerbreit unter den Rand eingießen. Zum Glas eine kleine Flasche Coca-Cola servieren. – Ja, dann macht ihn halt teurer! Sieht doch jeder ein, dass im Rum-Entwicklungsland Deutschland, die spanische Variante nicht für 4 Euro übern Tisch gehen kann.

Erster Schritt auf dem Weg in Deutschland Rum Salon fähig zu machen, war der Eroberungszug gemeiner Kaufladenregale durch Havanna Club. Doch ehrlich gesagt, nur in aller größter Not griffen wir zu und bereuten es meist dennoch. Heute ist Havanna Club 4 años in Bars immer noch der meistausgeschenkte Rum. – Was ein Wunder, dass hierzulande Cocktails, in denen minderwertige Zutaten kaum noch herauszuschmecken sind, besser laufen als eine ehrliche Cubita. Weitere Schritte folgten wie der Internethandel oder die Eröffnung des Rum Kontors in Köln, dem ersten gut sortierten Spezialgeschäft für Rum und Rumähnliches.

Im Oktober 2011 schlage ich Berlins Stadtmagazin Zitty auf und lese: erste Rum Messe Deutschlands oder German Rum Festival. Na, was für eine Überraschung! Und passt vom Datum her perfekt zur Redaktionssitzung.



Mein Eindruck der Messe: Chaotisch. Viel Edelstoff, wie der französischer Destillerien, die die Karibik nach exzellenten Jahrgängen durchforsten und diese in Frankreich dann reifen lassen. Daneben die Spaßfraktion von Captain Morgan, die in Anlehnung an Jägermeister, die Kiddskehlen als Zielschlunte auserkoren hat, mit Massenausschank im Piratenkarnevalskostüm von der Stange und Mädels in Netzstrümpfen. Dann Cocktail-Beschwörer wie beispielsweise die Mount-Gay (Barbados)-Crew (deutsch), die ihr Produkt mit der Zugabe von Zimt, Quittengelee, Salbei, Ginger-Bier etc. aufzuwerten versucht. Oder die Lounge von Pampero (Venezuela) gemeinsam mit Rón de Zacapa (Guatemala), die dem Genuss von Rum jegliches Karibik-Feeling entziehen und in ihrer Präsentation mit feinstem Whiskey oder Cognac gleichziehen möchten.

Zwischen der nicht auszumachenden Struktur in der Anordnung der einzelnen Stände tauchen Tänzer und Trommler auf, die aus dem Nichts heraus die kühlen Hallen mit einem Hauch unbeschwert beschwingter Palmenromantik füllen sollen. Mmmmh ...



Und dann endlich ein einziger Stand. Ein Stand, der leicht modifiziert in all den Ländern stehen könnte, die mit Eisboxen bewaffnet Strandtage begehen und sich zum Plantschen mit Cuba-Libre-Plastikbechern rüsten. Ein Stand der guten Laune, ein Stand der mit der Botschaft des Landes harmoniert: Ein Stand von Brugal aus der Dominikanischen Republik, die ehrlich und einfach Cuba Libre mixen und die caiman-Redaktion glücklich machen.



Fazit: This is a start. And I belive in starts (*The Commitments). The German Rum-Festival soll ab sofort jährlich gefeiert werden. Und das hat positive Auswirkung auf den deutschen Rum-Markt: Brugal, von Jim-Beam in Deutschland vertreten, ist seit 2010 bereits in einigen Supermärkten erhältlich. Neben dem Rum-Kontor in Köln gibt es nun auch weitere Anbieter diverser oder gar unzähliger Sorten wie den Initiator der Berlin Rum Messe, die Rum Company. Für das nächste Rum-Festival würde ich mir wünschen, dass ein wenig mehr Cuba-Libre-Spaß aus der Karibik ins kühle Berliner Oktoberwetter gelangt. Vielleicht könnte es eine räumliche Trennung von edlem Ernsthaften und lecker Gutlaunigem geben. Auffällig wenig Publikum aus Lateinamerika war auf der Messe auszumachen. Und so wirkte die Tanzeinlage der Tänzerin und des Tänzers von den Antillen wie das Pflicht-Abendprogramm im ****All inclusive Hotel in Punta Cana.

Nächstes Jahr sind wir auf jeden Fall wieder mit dabei und verfolgen gespannt den Siegeszug der legalen Superdroge Cuba Libre auf ihrem Weg von den Alpen bis zum Wattenmeer.

Text + Fotos: Maria Josefa Hausmeister

[druckversion ed 11/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]





[kol_2] Amor: Die Kanarischen Inseln sind ein Teil von Afrika!
 
Anfang Oktober 2011, nach einer Reihe von Erdbeben und Vulkanausbrüchen im Meer (Mar de las Calmas) nahe der Kanareninsel El Hierro, sprach der Moderator einer Diskussionssendung in einem Fernsehsender der Kanarischen Inseln davon, dass als eine der möglichen negativen Folgen dieser Naturphänomene das Gleichgewicht in dieser "artenreichsten Meeres-Biosphäre EUROPAS" gefährdet sei und bezog sich dabei auf das Mar de las Calmas südlich von El Hierro. Einen Tag später wurde im gleichen kanarischen Fernsehsender eine Reportage über die Premiere eines kleinen Kaffee-Anbaugebiets auf der Insel Gran Canaria ausgestrahlt und resümierend kommentierte der Verfasser dieses Beitrags stolz, dass es sich bei dieser Pflanzung um "die einzige Kaffee-Plantage in  EUROPA" handeln würde und bemerkte nebenbei, dass sich auch die einzige "europäische" Zuckerrohr-Plantage auf Gran Canaria befinden würde.



Beide Kommentare sind ganz einfach falsch, denn die Kanarischen Inseln befinden sich in AFRIKA! Natürlich gibt es keinen Zweifel, dass die Kanaren sowohl politisch als auch kulturell Spanien zugehörig und damit auch politisch und kulturell zu Europa zu rechnen sind. Aber  kontinental gesprochen (und die Bemerkungen im Fernsehsender der Kanaren bezogen sich eindeutig auf Geographie, nicht auf politische oder kulturelle Zugehörigkeit) ist diese atlantische Inselgruppe mit dem segensreichen Klima selbstverständlich ein Teil von Afrika. Diese Inseln unterm Passatwind sind hinsichtlich ihrer geographischen Lage  – südlich von Marokko und auf dem gleichen Breitengrad wie die zentrale Sahara – eindeutig afrikanisch, ebenso mit Blick auf ihr Klima (subtropisch und keineswegs europäisch), auf ihre Fauna und Flora, Vegetation und Landwirtschaft: die dort wild wachsenden Pflanzen sind entweder endemisch  oder  afrikanisch und die dort kultivierten Agrarprodukte  stammen in der Regel auch aus Afrika (Bananen, Zuckerrohr) oder Amerika (Tomaten, Kartoffeln, Papayas, Mangos) und nicht aus Europa (woher nur der Wein eingeführt wurde).

Aber es scheint so, als ob die Spanier und speziell die Einwohner der Kanarischen Inseln irgendwie "Panik" vor dem Wort "Afrika" hätten. Jedenfalls wollen die Kanarier, selbst wenn der Blick auf die Landkarten es ihnen noch so deutlich zeigt, auf gar keinen Fall zugeben, dass ihre schönen Inseln – und damit auch sie selbst – zum afrikanischen Kontinent gehören. Die Schuld an dieser "Afrika-Flucht" der Kanaren kann man teilweise wohl bei den europäischen Massenmedien suchen, für die Afrika eigentlich immer nur für Negativ-Schlagzeilen interessant zu sein scheint (Hungersnöte und Elend, Kriege, Diktaturen und Massaker). Afrika wird fast nie Raum für eine positive Schlagzeile eingeräumt  – und in Spanien auch nur, wenn die Nation sich im fernen Südafrika mal die Krone des Fußball-Weltmeisters aufsetzt.

Wenn schon die Einheimischen nicht wissen (wollen), dass sie zu Afrika gehören, so tapsen die Touristen auf Teneriffa oder Gran Canaria, die nur Strand und Sonne suchen (egal wo, bloß nicht drüber nachdenken) angesichts ihres zeitweiligen kontinentalen Aufenthaltsorts völlig im Dunkeln. Sie wundern sich vielleicht, dass die Vegetation a bisserl exotisch aussieht oder dass in "Europa" die Sonne (sie) so sehr (ver)brennen kann. Es kann sogar passieren, dass auf dem Balkon des Appartements nebenan eine Gruppe betrunkener Engländer oder Deutscher lauthals über Immigranten und das "dreckige, verdammte Afrika" ablästern. Denen müsste man zurufen: Was glaubt ihr eigentlich, wo ihr gerade seid?

Jawohl, meine Damen und Herren, Sie befinden sich auf den Kanaren und damit  ganz schön in Afrika und unter einer afrikanischen Sonne (die euch hoffentlich hübsch verbrennen wird), ob ihr nun wollt oder nicht. Man muss sich nur umblicken. Die berühmten Dünen von Maspalomas (Gran Canaria) oder die von Fuerteventura sehen aus wie eine Miniatur-Sahara mitten im Atlantik, und sehen die öden Schluchten von Gran Canaria, die Feuerberge von Lanzarote oder die Cañadas del Teide etwa "europäisch" aus? Sie haben vielmehr Ähnlichkeit mit Schluchten des marokkanischen Atlas-Gebirges oder mehr oder weniger ausgetrockneten Wadis afrikanischer Steinwüsten.



Es kann sein, dass die Kanaren politisch nicht ewig ein Teil Spaniens sein werden, aber sie werden zweifellos  – möge das nun ihren Bewohnern oder Besuchern gefallen oder nicht – immer zum großen und großartigen Kontinent Afrika gehören.

Text + Fotos: Berthold Volberg



Volberg, Berthold
Sevilla - Stadt der Wunder
Porträt der andalusischen Kunstmetropole mit großem Bild- und Textteil zur Semana Santa

(Nora) ISBN: 978-3-86557-186-1
Paperback
328 S. - 16 x 25 cm

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[kol_3] Macht Laune: Wortspiele und Lebensweisheiten (Teil 3)
 
Oh Mann, Zeitumstellung, wird jetzt zwar früher hell - leider nicht früh genug - dafür aber bereits um 17 Uhr schon dunkel. Der Winter naht und mit ihm das Grauen - so denke ich als ich mich letzte Nacht im Bett herumwälze und der Schlaf nicht kommen will. Da erinnere ich mich plötzlich meiner salvadorianischen Bekannten und ihrer gute Laune verbreitenden Wortspiele und Lebensweisheiten (siehe Teil 2). Mit einem Lächeln auf den Lippen falle ich in einen tiefen Schlaf und träume von dem kleinen, so sympathischen an den Pazifik grenzenden Land und seinen überaus einnehmenden Einwohnern.



Original: Chucho no come chucho y si come, no come mucho
Wortwörtlich: Straßenköter frisst nicht Straßenköter, und wenn doch, frisst er nicht viel
Sinngemäß: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus

Original: No muerdas la billetera que te alimenta
Wortwörtlich: Beiß nicht (in) die Brieftasche, die Dich ernährt
Sinngemäß: Beiß nicht die Hand, die Dich ernährt

Original: Musico pagado no toca buen song
Wortwörtlich: Bezahlter Musiker spielt keine gute Musik
Sinngemäß: Nie etwas im Voraus bezahlen, sonst wirds nichts

Original: Hay más tiempo que vida
Wortwörtlich: Es gibt mehr Zeit als Leben
Sinngemäß: Wir sind nicht auf der Flucht

Original: Donde manda el capitán ni manda marinero
Wortwörtlich: Wo der Kapitän spricht, hat der Matrose nichts zu sagen
Sinngemäß: Es kann nur einen geben

Original: Las penas con pan son buenas
Wortwörtlich: Mit Brot sind Leiden gute Leiden
Sinngemäß: Hast Du genug zu Beißen, ist alles halb so schlimm



Original: Dios le da pan al que no tiene dientes
Wortwörtlich: Gott gibt dem Brot, der keine Zähne hat
Sinngemäß: Man bekommt immer das, was man nicht braucht

Original: Una raya más al tigre
Wortwörtlich: Ein Streifen mehr dem Tiger
Sinngemäß: Das macht den Braten auch nicht fett

Original: No hay mal que dure cien años ni cuerpo que lo resista
Wortwörtlich: Es gibt nichts Schlechtes, was hundert Jahre anhält und auch keinen Körper, der es erträgt
Sinngemäß: Es kommen auch wieder gute Zeiten, ansonsten stirbst Du eh vorher, also egal!

Original: Mejor sólo que mal acompanado
Wortwörtlich: Besser allein als in schlechter Gesellschaft
Sinngemäß: Besser allein als in schlechter Gesellschaft; versteht doch jeder!

Text + Fotos: Camila Uzquiano

[druckversion ed 11/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: macht laune]





[kol_4] Lauschrausch: Die Wurzeln des Reggae
Sir Coxsone und sein Studio One
 
Jamaika Ende der 1950er Jahre: Durch die Verdrängung des R'n'B in den USA herrschte ein Mangel an neuen, tanzbaren Platten, da man weiterhin zu gewohnten Rhythmen tanzen wollte. Die "Sound-Men", die Betreiber der mobilen Sound-Systems, wurden so zu Produzenten und versuchten, eigene Talente für ihre Aufnahmen zu rekrutieren, um möglichst exklusive Platten für ihr Sound-System zu erhalten. So entstanden kleine Label.

Diverse
The Legendary Studio One Records
Soul Jazz Records

Der "Sound-Man" Clement Dodd alias "Sir Coxsone" war eine der wichtigsten Figuren in der Geschichte des Ska, Rocksteady und Reggae. Im Jahr 1963 gründete er in Kingston sein Studio One sowie das gleichnamige Label. Und schon bald nahmen dort alle Interpreten auf, die im Genre einen großen Namen trugen oder tragen sollten: Bob Marley, die Skatalites, Ernest Ranglin u.v.a. kamen ins Studio und spielten legendäre Alben oder Singles ein. Über die Jahre waren es rund 6.000 Songs.

"Soul Jazz Records" aus London, die schon früher Alben von Studio One lizensiert hatten, erinnern nun mit einer CD und einem Buch im LP-Coverformat an das legendäre Label und seinen Gründer, der im Jahr 2004 verstarb. Wer Bob Marley mal im Anzug sehen möchte, dem sei das Buch auf jeden Fall empfohlen, auf dem Plattencover der Wailing Wailers aus dem Jahr 1966 (das gleichzeitig das Buchcover ziert) lacht er uns an. Aber auch sonst finden sich auf den nach Musikstilen unterteilten 200 Seiten lustige und interessante Cover aus den Jahren 1961-1993, wie das des Künstlers mit dem schönen Namen Dennis Alcapone mit einer historischen Kanone auf dem Cover (1970).


Auf der CD befinden sich 18 legendäre Aufnahmen aus dem Jahren 1963-1980 in guter Qualität von u.a. The Skatalites, The Maytals, Marcia Griffiths und The Heptones. Außerdem Sänger und Roots-Künstler wie Horace Andy, Willie Williams und die Wailing Souls; DJ- und Dancehall-Styles von Michigan und Smiley, Prince Jazzbo und Lone Ranger sowie einige Instrumentals und Dubs. Mehr als hörenswert!

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

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