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[art_4] Spanien: Freiwillige der Freiheit
Die Entstehung der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg
 
Vor 75 Jahren, am 14. bzw.15. Oktober 1936, trafen die ersten internationalen Freiwilligen in Albacete ein, um der spanischen Republik gegen den Putsch der Generäle zur Seite zu stehen. Die folgende historisch fiktive Reportage schildert Impressionen der Entwicklung, die dem vorausging:

8. November 1936: Wir fahren von Madrid kommend in Richtung Valencia. Plötzlich geht es nicht mehr weiter. Lastwagen um Lastwagen kommt uns entgegen. Auf ihnen, dicht gedrängt, Männer in Uniformen. Sie singen. In welcher Sprache singen sie? Es sind keine Spanier. Woher kommen sie? Unser Fahrer schreit: " Das sind Franzosen, Ich hab´s immer gesagt, dass Frankreich uns nicht im Stich lassen kann!"

Lastwagen und noch mehr Lastwagen. In welcher Sprache singen sie? Auf Französisch, ja. Diese hier singen auf Italienisch. Und die dort? Ist das Russisch? Deutsch? Tschechisch? Und die hier, auf Englisch! Die Soldaten der Internationalen Brigaden fahren hinauf nach Madrid. Doch wer waren diese Männer, was führte sie nach Spanien und wie kamen sie dorthin?

Rückblende: Am 18. Juli putschte das Militär unter General Franco gegen die demokratisch gewählte Volksfrontregierung. Die Nacht vom 18. auf den 19. Juli 1936, Madrid, der Platz vor dem Innenministerium: "Armas, armas, armas" (Waffen, Waffen, Waffen). Ein einziger Schrei brandet einstimmig durch die Nacht, unterstützt von rhythmischem Füßestampfen und wütend hochgereckten Fäusten, einige mit Pistolen bewaffnet, mit Gewehren, Knüppeln, Vogelflinten, mit Säbeln. Darüber erhebt sich ein neuer Ruf in der Nacht, der keine zwei Silben mehr hat, sondern drei, UHP, die donnernd in die Bauchhöhle fahren wie das Dröhnen der Räder eines Zuges unter einem eisernen Gewölbe, U, Ha, Pe! (Unios Hermanos Proletarios = Vereinigt euch, proletarische Brüder).

Wir werden von den Scheinwerfern eines Lastwagens geblendet, der direkt vor uns bremst. Dann setzt der Laster mit heulendem Motor zurück und wendet, die Menge stürzt herbei und umringt ihn. An der Rückseite des Wagens wird eine Plane hochgeschlagen und Männer in Zivil mit Soldatenmützen und Helmen fangen an, lange Holzkisten aufzuhebeln. Waffen, das Wort macht die Runde, verbreitet sich, und jedes Mal, wenn es einer ausspricht, wird die Menge kompakter.

Auf dem Plaza del Callao stehen Lastwagen mit laufenden Motoren, die Seitenwände mit provisorisch befestigten Blechen gepanzert, auf den Dächern mit Seilen festgebundene Matratzen als Kugelfang.

Wir stehen auf dem Dach eines Hochhauses und schauen mit dem Fernglas den langen, fast schwarzen Tunnel des letzten Stücks der Gran Via hinunter, von dem jetzt näher kommende Autoscheinwerfer zu sehen sind. Ganz am Ende, noch hinter dem vage zu erkennenden, nur schwach beleuchteten Rechteck der Plaza de Espana ist die Montana- Kaserne, ein großer schwarzer Block mit leuchtenden Punkten kleiner Fenster.

Bewaffnete Männer gehen an den Strassenecken hinter Laternen in Stellung, an der rechten Ecke der Kaserne wird ein Geschütz herangerollt. Sobald der Tag anbricht, werden sie die Kaserne stürmen.

Die Gewehrsalven und der Geschützdonner bei der Erstürmung der Montana-Kaserne am 19.Juli in Madrid sollten überall in der Welt ihren Widerhall finden. Zuerst bei den aus den faschistischen Ländern emigrierten Antifaschisten, die in ganz Europa verstreut waren: "Als wir vom Aufstand des spanischen Volkes gegen die putschenden Generäle hörten und obendrein noch erfuhren, dass deutsche und italienische faschistische Verbände auf der Seite Francos kämpften, gab es für uns Emigranten kein Fragen und kein Halten mehr. Wir mussten einfach nach Spanien. Einige Kameraden waren schon über Irun in den Norden gegangen und kämpften dort."(Emigranten in Südfrankreich)

"Alles steht unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse in Spanien, in der Arbeiterbewegung wird breit darüber diskutiert, es gibt kein Halten mehr. Es entwickelt sich eine breite Solidaritätsbewegung."( Emigranten in Paris)

"Viele Diskussionen über Spanien, ein Teil der Genossen ist sofort gefahren, nur die Besonneneren haben eine Stellungnahme der Partei abgewartet. Jeder hat plötzlich eine militärische Ausbildung und alle sind sich einig darüber, dass wir in Spanien dem Faschismus einen Schlag versetzen können. Endlich aus diesem dauernden Versteckspiel herauskommen und diesem gehetzten Leben ein Ende machen. Wenn wir erst in Spanien sind, das Gewehr in der Hand, werden wir aufatmen können, wie von einer bedrückenden Last befreit." (Emigranten in den Niederlanden)

Und sie machen sich auf den Weg - erst viele einzelne, jeder für sich: "Ich habe in der Fabrik gearbeitet. Als Hitler an die Macht gekommen ist, habe ich versucht, Zellen der Kommunistischen Partei wieder aufzubauen. Das ging schief. Alle sind hochgegangen. Nur ich war zufällig auswärts und wurde rechtzeitig benachrichtigt. Dann habe ich noch eine zeitlang bei Genossen gewohnt, bis ich über die Grenze gebracht wurde. So kam ich nach Paris. Als es in Spanien los ging, hat es mich nicht mehr gehalten. Ich besaß ja fast nichts, und was zu schwer und zu alt war, habe ich einfach liegengelassen. So bin ich hinunter zu den Pyrenäen und zu Fuß weiter, ohne Karte, nur nach Süden. Natürlich bin ich nicht gerade dorthin gelaufen, wo ich dachte, dass Grenzer sein könnten. Dadurch geriet ich aber in die schrecklichste Einöde, und zu essen hatte ich auch nichts mehr, so bin ich aus Frankreich heraus. Drüben - ich wusste noch gar nicht, dass ich in Spanien war - kommen zwei Kerle in Uniform an. Verstecken konnte ich mich dort nicht. Das waren spanische Grenzer, und die haben gleich geahnt, was mit mir los ist. Gute Kerle waren das. Sie haben mich zuerst zur Grenzwache gebracht. Dort bekam ich zu essen und Wein. So also bin ich nach Spanien gekommen."

"Ich war aus Nazideutschland geflohen und arbeitete zu der Zeit in einem Hotel im belgischen Grenzgebiet als Kochlehrling. Als Flüchtling ein französisches Transitvisum zu bekommen, war schwierig. Trotzdem versuchte ich es beim französischen Honorarkonsul. Schüchtern bat ich, mir ein 14-Tage- Besuchsvisum zu bewilligen, denn ohne Erfahrung mit der unverwechselbaren französischen Kochkunst würde ich später auf verlorenem Posten stehen. Ich befürchtete bereits eine Ablehnung, als der weißhaarige Herr hinter seinem Schreibtisch aufblickte und mich fixierte. Schließlich hörte ich ihn sagen: " Zwei Wochen? Junger Mann! Das genügt nicht! "Ich bemerkte, wie er einen massigen Stempel hervor kramte und in eine freie Seite meines deutschen Passes prägte. Erst vor dem Konsulat wurde ich gewahr, Besitzer eines langfristigen Gratisvisums geworden zu sein. In den folgenden Tagen ordnete ich im Schlafsaal heimlich meine Sachen, sammelte Proviant, packte ein Reisebündel. Eines Nachts, die abgearbeiteten Kollegen schliefen längst, stahl ich mich davon. Am Bahnschalter von Houyet erstand ich ein Billet, nahm verstohlen den Frühzug nach Paris. Am selben Abend stieg ich dort in den Express in den südfranzösischen Grenzort Hendaye.  Als der Zug am Vorabend des 5. September in die kleine Station eindampfte, hörte ich erstaunt irgendwo über den Häusern ein seltsames Vorbeiflattern; Kanonengeschosse sausten über einen Zipfel Frankreichs von Spanien nach Spanien. Für den Unwissenden scheinbar harmlose Geräusche. So begann für mich der Krieg."

"Der Gare d` Orsay erstreckte sich über mehrere Etagen. Der spanische Zug fuhr ganz unten ab. Der Bahnsteig, gedrungen und grün, befand sich am Ende einer Treppe, und Fahrgäste drängten sich im letzten Moment zuhauf durch die Fahrkartenkontrolle. Wir waren so ziemlich die letzten in der Schlange. Der Bahnsteigschaffner hielt meine Fahrkarte in der Hand. Ich schaute hinab. Sein Handteller war tief zerfurcht von harter Maloche und langen Arbeitszeiten. Er fingerte eine zeitlang an der Fahrkarte herum, beäugte sie und las `Barcelona`, während ich in dem dunklen Kreis zwischen dem Schirm seiner Mütze und seinem Schnurrbart seine Augen zu lesen suchte. "Ist das ihr Fahrziel?" "Ja", antwortete ich. Er schob die Mütze aus der Stirn und schüttelte mit plötzlich die Hand. "Genossin", sagte er, während er mir weiter fest die Hand drückte und mich anschaute, "viel Glück, Genossin. Und allen anderen auch", fügte er hinzu. "Ich wünschte, ich wäre an deiner Stelle." Ich hätte beinahe den Zug verpasst. Ich sprang in den letzten Wagen. Er war voll besetzt. Die französische Zollabfertigung war eine Formalität. Durch die Gebirgskette führte ein Tunnel Richtung Spanien. Der Zug verschwand tatsächlich in dem großen Berg und tauchte auf der anderen Seite in Katalonien wieder auf, wo plötzlich alles ganz anders war. Wir stiegen aus und spazierten durch die Straßen von Port Bou, auf denen ein gelassenes Treiben herrschte. Die Schatten der Platanen krochen über den weißen Staub. Unter den Bäumen befanden sich Cafes, und hier und da saßen die Milizionäre mit dem Rücken an die Baumstämme gelehnt, die Gewehre von 1914 auf den Knien, während sie aus langhalsigen Flaschen tranken oder zusahen, wie Rauchkringel von ihren Zigaretten in die ruhige Luft aufstiegen. Es war bewegend, als ich unter diesen jungen Katalanen in ihren blauen Milizoveralls und den über die braunen Arme hochgerollten Ärmeln umherging. Wir erwiderten ihren Gruß mit  bereitwillig erhobener Faust oder indem wir ihnen die Hände schüttelten. Ich zögerte, Port Bou zu verlassen. Hier war ich zum ersten Mal der Revolution begegnet, und die Stadt war so schön."

So wie viele einzelne Tropfen schließlich ein Rinnsal bilden, zu einem  Bach werden, dann zu einem Fluss - so  strömten sie nach Spanien. Keiner hatte sie rekrutiert, geschweige denn es ihnen befohlen. Tausende aus der ganzen Welt sollten ihnen folgen, der Fluss zum reißenden Strom werden, alle beseelt von dem Wunsch, Spanien möge zum Grab des Faschismus werden.

18. September 1936: Moskau, Präsidiumssitzung des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale: Unter Punkt 7 und 8 der Tagesordnung wird beschlossen:

7) Unter den Arbeitern aller Länder ist eine Werbung von Freiwilligen, die im Militärwesen ausgebildet sind, zu betreiben, um sie nach Spanien zu schicken.

8) Durch die Entsendung von gelernten Arbeitern und Technikern ist eine technische Hilfe für das spanische Volk in die Wege zu leiten.

Oktober 1936: Paris, Rue Lafayette: Im Rekrutierungsbüro der Internationalen Brigaden drängen sich die Freiwilligen. Ihre Personalien werden aufgenommen, von besonderem Interesse sind militärische Kenntnisse und Fronterfahrung im 1.Weltkrieg. Nach dieser Aufnahmeprozedur werden sie auf verschiedene Gewerkschaftshäuser (maison de peuple) verteilt.

10. Oktober 1936 morgens: Paris, Gewerkschaftshaus in der Rue Mathourin-Moreau Nr.8: Die Freiwilligen treffen zu zweit oder zu dritt im Maison du peuple ein. Einige werden von der Frau, andere von den Kindern und wieder andere von den Brüdern und Schwestern begleitet. Sie tragen Köfferchen und kleine Bündel. Die meisten kommen von der Pariser banlieue, andere von weiter her. Ein Metallarbeiter bringt auch sein Motorrad mit. Er weiß, dass Spanien nicht nur Arme, sondern auch Transportmittel braucht, ein Motorrad kann an der Front sehr wertvoll sein, er stellt das seine zur Verfügung. Andere hingegen kommen allein, ohne irgendwelche Ausrüstung, als ob sie sich zu einem Spielchen oder zum Plauderstündchen ins nahe Cafe begeben wollten. Das sind im Allgemeinen die Jüngeren, deren Familienangehörige den Idealen, für die in Spanien gekämpft und gestorben wird, feindselig gegenüber stehen. Sie haben sich heimlich und unauffällig von zuhause weggeschlichen, sie haben niemandem etwas gesagt, um Ärger zu vermeiden.

In dem sich schnell füllenden Saal, wo die Abreisenden sich sammeln, teilen Frauen und Mädchen Kleidungsstücke und Toilettenartikel an die aus, die am bedürftigsten sind, sie übernehmen letzte Aufträge und versprechen den Freiwilligen, mit ihnen Briefe zu wechseln.

Die Uhrzeiger rücken schnell vor. In einigen Augenblicken heißt es abfahren.  Es geht los. Die bisher unterdrückte Erregung macht sich in Umarmungen, in lärmenden Grüßen und Gesang Luft. Die Freiwilligen besteigen den Autobus, der sie zum Bahnhof bringt. Doch schon hier müssen sie den Mut des Kämpfers besitzen, der den Feind wittert, auch wenn dieser vorläufig nur von dem Gendarmen verkörpert wird, der ihn am Bahnhof oder im Zug erkennt und aus Achtung vor der Nichteinmischung beim Kragen packen, nach Hause zurückschicken oder ins Gefängnis sperren kann, wenn zufällig - was bei den Emigranten nicht selten vorkommt - nicht alle Papiere in Ordnung sein sollten. Daher fahren die Autobusse in aller Stille vom Volkshaus ab.

10. Oktober 1936, früher Vormittag: Paris, Gare d` Austerlitz: 500 Freiwillige drängen sich auf dem Bahnsteig vor dem Schnellzug Nr.77. In wenigen Minuten werden sie sich auf den Weg nach Perpignan machen, von dort nach Barcelona und am 14. Oktober werden sie in Albacete, der Basis der Internationalen Brigaden ankommen. Der Schnellzug Nr.77 wird später den Namen "Freiwilligenexpress" bekommen.

Februar 1937: New York: "Es war der Abend vor unsrer geplanten Abreise nach Spanien, und meine Gruppe war für die letzten Anweisungen zusammengerufen worden .Ungefähr fünfundzwanzig Freiwillige waren erschienen. Der Vorsitzende eröffnete  die Versammlung. Er sprach langsam und versuchte offenbar, uns damit die Wichtigkeit seiner Informationen vor Augen zu führen." Euer Schiff geht morgen Mittag. Alle müssen bis 11Uhr an Bord sein. Ihr werdet in Fünfergruppen aufgeteilt, jede mit einem Verantwortlichen." Er machte eine Pause und sein Blick schweifte durch den Raum. "Euch ist klar, dass niemand wissen darf, wo ihr hingeht. Erfindet Ausreden für eure Eltern, Verwandte und Freunde. Niemand darf wissen, dass ihr nach Spanien geht. Das bedeutet natürlich auch, dass ihr allein zum Schiff kommt. An Bord dürft ihr kein Aufsehen erregen. Seid unauffällig, ihr müsst euch in Zweier- oder Dreiergruppen zusammentun. Passt auf, was ihr erzählt, und sprecht nicht über Spanien oder Politik im Allgemeinen. Es könnten Agenten der Regierung an Bord sein, deren Aufgabe es ist, Euer Durchkommen nach Spanien zu verhindern."

Am nächsten Morgen: "Da lag sie also - die Ile de France, das Schiff, das mich nach Le Havre bringen sollte. Ich begab mich zum Eingang für die Passagiere der dritten Klasse. Zu meinem Erstaunen waren dort ungefähr dreihundert Männer, alle recht jung, die sich angestellt hatten. Normalerweise hätten es zu dieser Jahreszeit nicht mehr als ein paar Dutzend Passagiere in der dritten Klasse sein dürfen. Alle in der Schlange trugen alte Mäntel und die gleichen Koffer. Auffallend unauffällig! Während sich die Schlange mühsam dem Laufsteg näherte, bemerkte ich mehrere Männer, die ruhig neben uns hergingen und die Passagiere leise ansprachen. Sie waren so gut gekleidet, dass ich sie sofort als Agenten der Regierung erkannte. Einer kam auf mich zu. "Wohin geht die Reise, junger Mann?" fragte er. "Ich fahre in die Alpen zum Skilaufen" "Sind Sie sicher, dass es die Alpen sind und nicht die Pyrenäen?" "Nein, ich mag die Alpen." Der Mann starrte mich an. "Es ist schon komisch, wie viele von Euch die Sozialhilfe sausen lassen und zum Skilaufen in die Alpen fahren"

Endlich war ich auf dem Schiff. Das Deck wimmelte von Verwandten und Freundinnen der Dritte-Klasse-Passagiere, meinen Kameraden. Soviel also zum Thema Geheimhaltung! Um 12 verlies das Schiff den Hafen. Ich rannte zur dicht umlagerten Reling und schaffte es, das Dock zu sehen. Es mussten so um die tausend Menschen sein, die zu uns aufschauten und uns zuwinkten. Da erhoben sich ein paar geballte Fäuste, dann mehr und mehr, bis ich keine Gesichter mehr sehen konnte."

1938: Radiomeldung: "Der Schriftsteller Ernest Hemingway ist von seinem Wohnsitz in Key West plötzlich aufgebrochen, ist in New York gesehen worden, wo er sich ohne Hut und Koffer einschiffte, um sich wieder an die Front der republikanischen Truppen in Spanien zu begeben."

Oktober 1936: Albacete, Spanien: Das Städtchen Albacete, eine maurische Gründung, liegt zwischen Madrid und Valencia in der endlosen Öde der Mancha. Es sollte zur Basis der Internationalen Brigaden werden.

Unterkunft der ersten Freiwilligen ist die Kaserne der Guardia Civil. Im Erdgeschoss sind noch Spuren der Kämpfe mit den Putschisten zu sehen, die hier bis zum 25.Juli andauerten. Die Anfangsschwierigkeiten sind enorm: Es gibt nichts und von allem zu wenig. Unterkünfte müssen gefunden und zu Kasernen hergerichtet werden. In der Not werden selbst die Arkaden der Stierkampfarena als Unterkunft und Speiseraum eingerichtet. Es gibt keine Matratzen, keine Essnäpfe und keine Teller für alle. Löffel sind nahezu unbekannt und wo soll man die Küchengeräte hernehmen? Mit den vorhandenen kann man gerade das Essen für ein Drittel, im Höchstfall für die Hälfte zubereiten, ein Teller und ein Löffel müssen für zwei bis drei Personen reichen. Gleichzeitig muss eine Militärorganisation aus dem Nichts aufgebaut werden. So muss z.B. der Transport der Freiwilligen an die Front organisiert werden. Grundstock der "Transportabteilung" sind drei Motorräder, persönliches Eigentum von Freiwilligen, die sie dem Stab geschenkt haben und ein paar klapprige Autos der örtlichen Volksfrontorganisationen. Mechaniker aus den Renault- und Citroen-Werken von Paris machen sich daran, aus dem Nichts und mit an Wunder grenzendem Improvisationstalent eine erste Reparaturwerkstatt einzurichten, die wenigstens die Fahrbereitschaft dieser Vehikel gewährleistet.

Am 14.Oktober kommen die ersten 500 Freiwilligen nach Albacete, zwei Wochen später sind es schon 3000 - 4000 Freiwillige, die versorgt werden müssen. So wird das verschlafene Provinznest innerhalb weniger Wochen zu einem Heerlager. Tausende von Menschen drängen sich in der kalten Morgenluft, die den Winter ankündigt und beleben das Städtchen wie bei einem Jahrmarkt. Tatsächlich wird auch alles verkauft, was auch nur entfernt mit militärischer Ausrüstung zu tun hat: Messer, Unterhosen, Riemen, Messbecher, Schuhe, Abzeichen, Kämme, an jedem Schuh- und Stoffladen stehen die Soldaten an. Ein chinesischer Hausierer bietet seinen Schund an und redet auf einen Wachposten ein. Der Wachtposten dreht sich um und der Hausierer läuft davon: Sie sind beide Chinesen.

Ein stampfender Laut ist an diesem Morgen zu hören, ebenso deutlich abgesetzt wie Pferdegetrappel, aber regelmäßig wie das Hämmern in Schmieden. Das ist das gedämpfte Geräusch der marschierenden Truppen: Die Männer der Brigaden, noch in Zivil, aber bereits in schwerem Militärschuhwerk, mit verbissenen Gesichtern oder Intellektuellenschöpfen: alte Polen mit Schnurrbärten wie Nietzsche und junge Sowjetfilmtypen, Deutsche mit rasiertem Schädel, Algerier und Italiener, die wie unter die Internationalen verschlagene Spanier wirken, Engländer, malerischer als alle anderen, Franzosen, die wie Maurice Thorez oder wie Maurice Chevalier aussehen, alle gestrafft in der Erinnerung an ihre Armee oder den Krieg, in dem sie gegeneinander gefochten hatten, die Männer der Brigaden stampfen durch die enge Straße, die hallt wie ein Korridor. Sie nähern sich jetzt den Kasernen und stimmen ein Lied an: Zum ersten Mal auf der Erde singen Männer aller Nationen in militärischer Formation die Internationale.

28. Oktober 1936: Albacete: Die bisher aufgestellten vier Bataillone werden in Nachbardörfern untergebracht, mit Gewehren und Maschinengewehren bewaffnet, und beginnen mit der militärischen Ausbildung und Organisation.

Es gibt weder einen Kommandeur, noch Kommissar, keinen Stab, noch die Männer für die übrigen Dienststellen der Brigade. Dazu sind noch mindestens 10 bis 14 Tage notwendig.

5. November 1936: Albacete: Heute kommt der Befehl, sofort alle bereitstehenden Bewaffneten nach Madrid zu schicken. Die Hauptstadt ist in Gefahr. Auf alle die schön ausgedachten Pläne mit all ihren Terminen muss verzichtet werden. So geht die erste Internationale Brigade, einundzwanzig Tage nach dem Eintreffen der ersten Freiwilligen in Albacete, an die Front. Sie sind es, denen wir am 8.November auf der Straße von Valencia nach Madrid begegnen.

Text: Wolfgang Hänisch

Nach Motiven aus den Arbeiten von Max Aub, Angela Berg, Harry Fisher, Luigi Longo, Mary Low, Jakob Lorscheider, Antonio Munoz Molina, Andre Malraux, Gustav Regler, Ludwig Renn, Frank Schauff, Fritz Teppich, Hugh Thomas

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