ed 07/2015 : caiman.de

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spanien: Traum-Trip durch El Torcal
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


bolivien: Bäume gegen die Folgen des Klimawandels
Aufforstung in den Anden
KATHARINA NICKOLEIT
[art. 2]
spanien: Interview mit dem Bildhauer Francisco Romero Zafra
BERTHOLD VOLBERG
[art. 3]
brasilien: Stadt des Lichts
Ein Rundgang durch Rio de Janeiro
THOMAS MILZ
[art. 4]
traubiges: Flüssige Sonne vom Flying Winemaker
Telmo Rodriguez "Basa" Blanco 2014
LARS BORCHERT
[kol_1]
grenzfall: Barro Blanco im Indianergebiet
KATHARINA NICKOLEIT
[kol. 2]
lauschrausch: Zwei musikalische Perlen aus Kolumbien
Monsieur Periné trifft fatsO
TORSTEN EßER
[kol. 3]





[art_1] Spanien: Durch den Naturschutzpark El Torcal
 
Nur eine knappe Autostunde von den Bettenburgen der Costa del Sol entfernt, erwartet eine bizarre Phantasielandschaft Besucher, die das Meer für einen Tag gegen eine Berglandschaft von ca. 1300 Metern Höhe eintauschen möchten. Was aussieht wie das Bühnenbild für einen Science Fiction Film sind in Wirklichkeit weiche, von Wind und Wasser modellierte Karstfelsen. El Torcal de Antequera ist vielleicht international etwas weniger bekannt als die berühmte "Ciudad Encantada" nahe der Stadt Cuenca, aber ebenso spektakulär. Heute ist diese Karstwelt ein Naturschutzgebiet und so abgelegen, dass es schon einer Herausforderung gleicht, dorthin zu finden.

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Um die lokale Wirtschaft zu fördern, habe ich mich gegen einen Leihwagen entschieden und für die Anreise mit dem Zug ab Málaga und dann mit einem Taxi von Antequera. Die Fahrt von der Kleinstadt Antequera zum Torcal dauert kaum mehr als eine halbe Stunde und es wäre naheliegend gewesen, diese Strecke zu wandern, aber die Landstraße ist so eng mit steil abfallenden Geröllböschungen zu beiden Seiten, dass davon dringend abzuraten ist. Im Verlauf der Taxifahrt wurde mir immer bewusster, wie richtig diese Entscheidung war.

Erstaunt stehe ich wenig später im hypermodernen Empfangszentrum des Naturschutzparks von El Torcal und werde in fast akzentfreiem Deutsch begrüßt. Im Zentrum wird den Besuchern durch eine Ausstellung und Video-Show viel Informatives über Entstehung und Struktur dieser Karstlandschaft vermittelt. Aber damit will ich mich jetzt nicht aufhalten. Ungeduldig möchte ich das bizarre Panorama ringsumher selbst erkunden, das ich bisher nur auf Fotos gesehen hatte. Dabei ist es egal, ob man sich für die gelbe, die grüne oder eine andere Wanderroute entscheidet, das Kerngebiet der monumentalen Felsen von El Torcal misst nur etwa ein Dutzend Kilometer im Durchmesser. Hier stößt man überall auf bizarr geformte Felsen, Höhlen, Schluchten, die sich präsentieren wie Miniaturausgaben des Grand Canyon.

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Einen Teil der Felsformation nennen Einheimische "La catedral" (die Kathedrale) - warum ist auf den ersten Blick zu erkennen: vieltürmig wie eine Kirchenfassade recken sich die Felsnadeln im Zentrum von El Torcal in den Himmel. Und man wird auch konfrontiert mit Formen, bei deren Anblick man kaum glauben kann, dass sie nicht von Menschenhand, sondern ausschließlich von der Natur modelliert worden sind. Da gibt es "El Tornillo", ein Felstürmchen, das große Ähnlichkeit mit einer überdimensionalen Schraube hat, oder den "Tortilla-Berg", der aussieht wie eine Unmenge aufeinander geschichteter Pfannkuchen.

Von echten Tortillas träumt die durchweg beleibte Großfamilie, die sich kurz vor mir über den Trampelpfad quält und schon nach 300 Metern völlig außer Puste ist, bei der ersten Pause übers Mittagessen im Restaurant spricht und die Wunderwelt links und rechts kaum zu würdigen weiß. Da fragt man sich dann, wieso sie überhaupt hier sind. Aber El Torcal ist sehr in Mode gekommen, da quält sich manch einer von der Costa del Sol hier hoch, nur um kurz ein paar Fotos zu schießen und mitreden zu können.

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Ich dagegen kann mich kaum los reißen aus dieser phänomenalen Schluchtenszenerie, absolviere hintereinander die grüne und die gelbe Route und nach einem halben Dutzend Kilometern haben die Menschenmassen, die noch in Parkplatznähe dominierten, sich verlaufen bzw. haben sich mit den ersten drei Kilometern zufrieden gegeben. Und dann kommt kurz sogar etwas wie Einsamkeit in dieser bizarren Bergwelt auf  und ich frage mich, wie grandios diese Phantasiefelsen erst in einer Vollmondnacht wirken müssen.

Text und Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
Wie kommt man nach El Torcal?
Entweder mit dem Mietwagen von Málaga oder mit dem Bus oder Zug von Málaga nach Antequera und dann mit dem Taxi von Antequera zum Empfangszentrum des Naturschutzgebietes El Torcal: Fahrtdauer ca. 30 Minuten. Empfehlenswert + sympathisch: Taxifahrer José Berrocal López (Hält nahe der Stierkampfarena von Antequera), Tel. 685-139764

El Torcal de Antequera (spanisch):
http://torcaldeantequera.com/

Mail
info@torcaldeantequera.com

[druckversion ed 07/2015] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_2] Bolivien: Bäume gegen die Folgen des Klimawandels
Aufforstung in den Anden
 
Wer die Anden, die große Gebirgskette Südamerikas, kennt, der weiß, sie sind kahl. Außer etwas stacheligem Gras und ein paar niedrigen Büschen wächst dort nichts. Umso überraschender ist es, an manchen Stellen plötzlich Wälder zu entdecken. Es sind die ersten Versuche eines unglaublich klingenden Vorhabens: Der Aufforstung der Anden, denn die Bäume sollen die Folgen des Klimawandels abfedern helfen.

3850 Meter zeigt der Höhenmesser. Ein steiler, steiniger Berg, an dem sich zwischen den Felsbrocken nur ein paar Grasbüschel festkrallen. Das soll sich ändern. Die Bewohner des Dorfes Challunea-Pararani in Bolivien sind heute zur Gemeinschaftsarbeit zusammengekommen, um hier einen Hektar Wald zu pflanzen. Während die Erwachsenen Löcher in den felsigen Untergrund hacken, bringen die Kinder die Setzlinge von der 100 Meter tiefer liegenden Schotterstraße her.

"Wir haben uns letzte Woche getroffen und gemeinsam entschieden, dass wir heute die Bäume pflanzen wollen und dass alle aus dem Dorf dabei helfen. Das ist jetzt schon die dritte Parzelle, die wir anpflanzen. Mit diesem Feld sind es nun insgesamt fünf oder sechs Hektar", erzählt Victoriana Fernandez Rodriguez. Sie spricht Quechua, trägt einen Hut gegen die stechende Sonne und einen zerrissen Wollpulli mit der amerikanischen Flagge zu einem weiten Rock. Um die Schultern hat sie ein selbstgewebtes braunes Tuch geschlungen. Die bloßen Füße stecken in Sandalen aus Gummireifen. "Der Regen ist in den letzten Jahren immer heftiger geworden. Er schwemmt unsere Felder und die Pflanzen darauf weg. Wir hoffen, dass wir mit diesen Bäumen die Erde schützen können. Und ich hoffe, dass wir damit Bau- und Feuerholz bekommen. Bislang gibt es hier überhaupt keine Bäume."

Unterhalb des Abhanges liegen Kartoffelfelder. So weit das Auge reicht, eine Bergkette hinter der anderen, in unterschiedlichen Rot- und Braunschattierungen. Und nirgendwo ein einziger Baum. Es gibt noch viel Platz, auf dem Jhonny Herbos von der bolivianischen Organisation Pusisuyo zusammen mit Dorfbewohnern aufforsten kann. "Die Organisation Pusisuyo schlägt den Bauern vor, die Bäume an Stellen zu pflanzen, an denen es Probleme mit Erosion gibt. Das ist meistens oben, an steilen Abhängen der Fall. Wir sprechen mit den Leuten darüber, wie ihnen Bäume nützen können und die Bauern sind schnell überzeugt und bereit, bei der Arbeit mitzuhelfen." Jhonny Herbos ist ein großer, breitschultriger Mann, der sein langes Haar zum Zopf geflochten trägt. Er hat Pusisuyo vor 25 Jahren als Student mit begründet und verbringt seither den größten Teil seiner Zeit in den Bergen. Die Arbeit von Pusisuyo wird unter anderem von terre des hommes Deutschland finanziert. Das Hilfswerk will damit den Menschen in den abgelegenen Gebieten Boliviens helfen, mit den Folgen des Klimawandels besser klar zu kommen. Die Abschwemmung der Erde durch Starkregen ist nur eines der Probleme, die Erwärmung bringt auch den Wasserhaushalt in den Anden durcheinander. "Bis vor 15 Jahren begann der landwirtschaftliche Kalender im September. Da wurden die Kartoffeln gepflanzt. Heute werden sie im Oktober oder sogar November gesetzt, weil der Regen einen Monat später einsetzt. Außerdem fällt der Regen nicht mehr wie früher gleichmäßig. Die Alten sagen uns, früher habe es nie Starkregen gegeben, der die Felder wegschwemmte. Heute haben wir den oft. Und auch Hagel"; erklärt Herbos.

Zwar ist die absolute Regenmenge ist in den Anden gleich geblieben. Doch sie verteilt sich nicht mehr wie früher auf vier bis fünf Monate, sondern fällt konzentriert im Januar und Februar. In der übrigen Zeit des Jahres ist es dagegen zu trocken. Auch die natürlichen Wasserspeicher schwinden. Die Gletscher ziehen sich immer weiter in die Höhe zurück und die Lagunen in den Bergen trocknen aus. "Wir haben hier für kurze Zeit viele kleine Lagunen. Die Regenzeit dauert nur noch zwei Monate, danach ist es schnell wieder sehr heiß und das Wasser verdunstet. Manche Lagunen verschwinden dann völlig", so Jhonny.

Bäume können dabei helfen, all diese Probleme in den Griff zu kriegen. Mit ihren Wurzeln fixieren sie die Erde und verhindern so, dass sie erodiert. Außerdem wirkt die mit Wurzeln durchzogene Erde wie ein Schwamm. Der kann Wasser speichern und nach und nach abgeben. Und Bäume sorgen dafür, dass es regelmäßiger regnet. "Bäume verdunsten ja auch Wasser. Dieses steigt dann in die Atmosphäre und wenn es nicht gerade vom Wind weg getrieben wird, führt das zu einer höheren Niederschlagsmenge. Der Baum ist sozusagen die Wasserpumpe, die für die Luftfeuchtigkeit sorgt." Noemi Stadler-Kaulich lebt seit über 20 Jahren in Bolivien und forscht über Bäume in den Anden. Bolivien liegt in den Tropen. Hier gedeihen Bäume auf einer Höhe von bis zu 4.300 Metern. Trotzdem sind die Anden seit Jahrhunderten kahl. Das war nicht immer so, weiss Stadler-Kaulich. "Wenn man die wissenschaftlichen Untersuchungen zu Rate zieht, wie es hier früher aussah, dann wird klar, dass die Inkas vor 1000 Jahren, als es bereits eine Klimaveränderung gab, also höhere Temperaturen, weniger Regenfall, stärkere Winde und so weiter, dass sie die Bäume als Windschutz genutzt haben, indem sie sie um ihre Äcker zu pflanzen. Schon damals wurden Bäume als Schutz vor Wind, Hagel und Wassergenutzt."

500 Jahre alte Reiseberichte der Spanier erzählen von bewaldeten Bergen. Doch nachdem das Land erobert worden war, begann die Abholzung. Die Spanier waren auf der Suche nach Silber und dessen Abbau verschlang die Wälder. Vor allem aber brachten die Spanier Schafe, Kühe und Ziegen mit. Sie sind schwerer und haben härtere Hufe als die einheimischen Lamas und Alpakas mit ihrer weichen Laufsohle. Dadurch verdichten sie den weichen Boden stärker. Zudem rupfen die Tiere die meisten Pflanzen mit Wurzeln aus, da der Boden in den Anden insgesamt lockerer ist als in heimischen Gefilden. Auf einer 16 Hektar großen Versuchsfläche hat Noemi Stadler-Kaulich ausprobiert, was passiert, wenn man Kühe, Schafe und Ziegen konsequent aussperrt: Nach kürzester Zeit wachsen nicht nur eine große Vielzahl einheimischer Gräser und Büsche, sondern auch erste Schösslinge einheimischer Bäume. Deswegen sieht die Forstwissenschaftlerin auch keine Gefahr darin, mit der Anpflanzung von Bäumen das Ökosystem negativ zu beeinflussen.

Schafe sind auch das größte Problem für die Aufforstungsaktionen der Organisation Pusisuyo. "Wir setzen Zäune. Das ist sehr teuer, aber es ist die einzige Möglichkeit. Wir sagen den Familien immer wieder, dass die Hirten aufpassen müssen, damit die Schafe nicht in die Pflanzungen kommen. Doch ein Achtjähriger, der auf 30 Schafe aufpassen muss und nebenbei auch noch spielen will – da wird immer ein Teil der Schösslinge gefressen", erläutert Herbos.

Die Landbewohner erhalten die Setzlinge von Pusisuyo kostenfrei. Zu Jhonny Herbos großem Bedauern sind kaum Obstbäume dabei, die für ein gutes Auskommen sorgen würden. das Problem hierbei ist nicht die Höhe. "Der Apfelbaum gedeiht am besten, er kommt mit der Kälte sehr gut klar. Wir haben bis auf einer Höhe von 3.800 Metern Apfelbäume gepflanzt. Das große Problem ist, dass sie sehr teuer sind. Ein Setzling kostet umgerechnet 3,50 Euro. Das ist ein sehr hoher Preis für einen hiesigen Bauern. Und für uns als Organisation auch." Deshalb pflanzen die Bauern auf dem steilen Abhang kein Obst, sondern eine Mischung aus einheimischen Bäumen und exotischen Kiefern. Ökologisch gesehen wäre es besser, nur einheimische Sorten zu pflanzen. Aber davon sind die Bauern nicht zu überzeugen. "Diese Rena ist vier Jahre alt und wie du sehen kannst, wächst sie pro Jahr 10 Zentimeter. Wenn Du das mit den Kiefern vergleichst – die sind auch vier Jahre alt und vier Meter hoch – ist das ein riesiger Unterschied. Aus diesem Grund wollen die Leute keine einheimischen Arten pflanzen. Aber wir bestehen darauf, dass es wichtig ist, die heimischen Arten wieder anzusiedeln", erklärt Herbos.

Damit das Projekt eine Chance hat, müssen die Bäume in der Lage sein, ein Einkommen zu erwirtschaften – sonst wird es schwierig, die Leute davon zu überzeugen, Zeit und Energie in die Anpflanzung und Pflege der Wäldchen zu stecken. Deshalb sind Kiefern wichtig. In ihnen steckt viel Geld.

Das Sägewerk Multiagro in der bolivianischen Stadt Cochabamba: Sein Besitzer Juan Pablo Demeure verarbeitet hier fast ausschließlich Kiefern, die auf einer Höhe von mindestens 3000 Metern gewachsen sind. "Die Kiefern wachsen in der Höhe zwar langsamer. Aber wir haben Analysen durchführen lassen, in denen festgestellt wurde, dass die Wände der einzelnen Zellen dicker sind. Das macht das Holz widerstandsfähiger. Dadurch gibt es für diese Kiefern ganz andere Verwendungsmöglichkeiten als sonst", erklärt Demeure. Für die Holzindustrie Boliviens werden die hochwertigen Kiefern in Zukunft immer wichtiger werden, davon ist der Sägewerksbesitzer übererzeugt. Denn es wird immer schwieriger und teurer, an Tropenhölzer aus dem Amazonasbecken Boliviens heranzukommen. "Die Gesetze zum Schutz der natürlichen Wälder werden immer strenger. Der Besten einheimischer Baumarten nimmt immer mehr ab und der Holzpreis steigt ständig. Aus den Gegenden, die leicht zu erreichen sind, ist schon alles heraus geholt. Man muss immer tiefer in die Berge, um Holz zu schlagen und es gibt immer weniger davon, und das macht es sehr teuer." Deshalb hat sich der Demeure völlig vom Tropenholz verabschiedet. Für ihn kann es gar nicht genug Bauern geben, die Kiefern pflanzen. Die Stadt Cochabamba wächst und die Nachfrage nach bezahlbarem Bauholz ist groß. Dementsprechend gut sind auch die Preise, die er für die Baumstämme zahlt. Ein Hektar Wald im Hochgebirge bringt 10.000 US Dollar, bei guter Qualität auch mehr. "Dort, wo wir unser Holz kaufen, erhalten die Bauern im Schnitt ein jährliches Einkommen von 300 bis 350 US Dollar pro Familie. In dieser Gegend beträgt das Jahreseinkommen einer Familie normalerweise 1000 Dollar. Wir reden also über eine Einkommenssteigerung von 30 Prozent."

Auf solche Gewinne müssen die Einwohner des Dörfchens Challunea-Pararani noch mindestens zehn Jahre lang warten. Ihre Wäldchen werden gerade erst in Gemeinschaftsarbeit gepflanzt. Und obwohl Victoriana Fernandez Rodriguez natürlich hofft, dass die 30 Zentimeter hohen Setzlinge irgendwann einmal Geld abwerfen, sind es ganz andere Gründe, weshalb sie die Bäumchen pflanzt. "Manchmal sind die Hagelkörner so groß, dass unsere Schafe davon erschlagen werden. Bäume könnten den Tieren Schutz bieten. Und die Bäume schützen auch unsere Ernte vor dem starken Regen und spenden in der Trockenzeit Feuchtigkeit. Deshalb sind sie für uns wichtig."

Da aufgrund des Klimawandels in weiten Teilen Boliviens die Berghänge abrutschen und es zu Überschwemmungen und Wasserknappheit kommt, hat das Umweltministerium 2012 einen Fünfjahresplan zur Aufforstung erstellt. "Die Bezirksverwaltungen sind verpflichtet, sich in ihren Gebieten um die Aufforstung zu kümmern. Sie produzieren Setzlinge und bringen sie in die Dörfer. Letztes Jahr hat jedes Dorf hier 1.200 Pflanzen bekommen, und es ist zu hoffen, dass es nächstes Jahr noch mehr sein werden. Wir helfen bei dem Programm mit, indem wir unsere Erfahrung zur Verfügung stellen", erklärt Herbos Jhonny.

Pusisuyo hat in den vergangenen 10 Jahren mit den Bauern rund 300.000 kostenlose Bäumchen gepflanzt. Und auch die 1500 Setzlinge, für die heute in Challunea-Pararani in den steinigen Abhang Löcher gehackt werden, kommen nicht vom bolivianischen Staat, sondern wurden mit Hilfsgeldern aus dem Ausland bezahlt. Victoriana Fernandez Rodriguez ist es ziemlich egal, woher ihre Bäumchen stammen – Hauptsache sie bekommt welche. "Wir haben noch nicht viele Bäume gepflanzt, bis vor zwei Jahren gab es niemanden, von dem wir welche hätten bekommen können. Wenn uns noch jemand Bäume schickt, so werden wir sie mit großem Jubel und viel Liebe entgegen nehmen. Noch unsere Kinder und unsere Enkel werden davon profitieren."

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

[druckversion ed 07/2015] / [druckversion artikel] / [archiv: bolivien]





[art_3] Spanien: Interview mit dem Bildhauer Francisco Romero Zafra
 
1. Wie man Ihren biographischen Daten entnehmen kann, sind Sie als Autodidakt ungewöhnlich spät, erst im Alter von 34 Jahren, zum Bildhauer geworden. Warum so spät? War es eine Entscheidung, die Sie plötzlich getroffen haben und falls ja, können Sie uns sagen, ob es einen bestimmten Moment, eine Art Initiation oder ein Schlüsselerlebnis gab, wodurch Sie zum Bildhauer wurden?
Ich habe stets gesagt, dass mein Berufsweg als Bildhauer sicherlich nicht typisch verlief, sondern dass ich eher wie zufällig zu dieser Beschäftigung kam. Ich habe mich zwar schon als Kind auffällig für die Kunst interessiert, ich zeichnete und malte auch Ölgemälde in meiner Freizeit, habe mich jedoch nie beruflich damit beschäftigt.

Mit der Bildhauerei zu beginnen, war eigentlich keine bewusst getroffene Entscheidung, sondern eher das Ergebnis einer Erfahrung: im Jahr 1990 organisierte die religiöse Bruderschaft La Merced in meiner Heimatstadt Córdoba eine Kunstausstellung, in der unter anderem auch Werke von jungen Nachwuchs-Bildhauern gezeigt wurden. Drei Jahre lang wurden diese Skulpturen ausgestellt.

Der "auferstandene Christus" von Martos (Jaén)

Ermutigt durch einen Freund, der später zehn Jahre lang mein Werkstatt-Teilhaber sein sollte, modellierte ich Maria als Schmerzensmutter aus Terrakotta und nannte das Werk "Jungfrau der Tränen" - sie wurde von der Bruderschaft der Vergebung (Cofradía del Perdón) gekauft. Es war das erste Mal, dass ich eine Skulptur modellierte und ich spürte, dass ich mich dabei wohler fühlte als beim Malen eines Bildes. In diesem Moment erinnerte ich mich daran, dass ich früher als Kind in der Schule schon immer die besten Noten für Handwerken und dreidimensionale Kunstwerke erhielt, aber nicht für das Zeichnen oder Malen. Ich denke, dass es zum menschlichen Schicksal gehört, dass das Leben einem solche Signale gibt, man sie jedoch in vielen Fällen gar nicht oder erst viel später bemerkt.

Diese Erfahrung gefiel mir, ich fühlte danach geradezu ein Bedürfnis, immer wieder durch Modellieren von Terrakotta oder Holz Gefühle auszudrücken -  so sind ich und mein Freund fast beiläufig, jedenfalls ohne es bewusst geplant zu haben, in die Welt der Bildhauerei geraten.

 
Die Jungfrau der Sieben Schmerzen,
Klosterkirche Santo Ángel (Sevilla)


Für mich persönlich ist es nicht wirklich wichtig, Bildhauer oder Arzt oder Architekt sein zu wollen, sondern man sollte vom Wunsch getrieben sein, eine Skulptur zu erschaffen, Kranke zu heilen oder Bauwerke zu entwerfen, etc... alles andere ergibt sich dann nach dem Prinzip Ursache und Wirkung.

2. Ihre Inspirationsquellen: könnte man sie eher als religiös im "orthodoxen" Sinne (z. B. auf der Heiligen Schrift basierend) bezeichnen oder gibt es auch  "profane" Inspirationsquellen (z. B. eigene Erlebnisse oder Personen, die einen starken Eindruck auf Sie gemacht haben)?
Es kommt da von allem etwas zusammen, denn als Bildhauer stellt man Geschichten dar, die von Menschen erlebt wurden - in der Grundform ist es eine Geschichte (im Fall der Passion Christi stets dieselbe), aber in der detaillierten Ausgestaltung wechseln meine Inspirationsquellen von Tag zu Tag. Sowohl in den Massenmedien als auch im realen Leben werden wir täglich mit ähnlichen Menschenschicksalen konfrontiert. Der Schmerz einer Mutter, die ihren Sohn verloren hat, wird stets der gleiche sein, durch alle Jahrhunderte hindurch. Gewalt und Folter sind immer ungerecht und doch werden wir täglich damit konfrontiert, Tausende von Kindern leiden und sterben überall auf der Welt... in unserer Gesellschaft sind Schmerz und Ungerechtigkeit so präsent, dass es gar nicht nötig ist, in der Bibel nach Inspirationen zu suchen.

3.Bevorzugen Sie eher lebende Personen als Modelle für Ihre Skulpturen oder lassen Sie sich eher durch bildliche Darstellungen inspirieren? Gibt es Beispiele, wo Sie reale mit fiktiven Modellen kombinieren?
Für das Abbilden und Modellieren von Körpern und anatomischen Details bevorzuge ich immer ein lebendes Modell, aber der Gefühlsausdruck ist oft frei erfunden und für die Gesichter von Madonnen und Christusstatuen nehme ich niemals lebende Modelle.

Die Heilige Theresa und ein Engel

Auch in der Klassik der Antike finde ich Bezugspunkte und Inspirationen ...aber es geht nie darum, etwas zu kopieren, sondern nur um eine Ausgangsidee, die hinführt zu einem neuen Werk.

4. Ihre Werke sind geprägt von einem charakteristischen Stil und von einer ergreifenden, manchmal kaum zu ertragenden, Intensität. Wenn ich Sie dennoch bitten würde, uns zu verraten, durch welche Vorbilder Sie in Ihren Schöpfungen beeinflusst wurden (insbesondere ganz am Anfang Ihrer Karriere) - welche würden Sie uns nennen? Wenn ich mich nicht täusche, gibt es - zumindest bei Ihren Marienskulpturen auf den ersten Blick - einen prägenden Einfluss der Bildhauerschule von Granada, vor allem Pedro de Mena...?
Dieser Eindruck ist in der Tat zutreffend. Der Einfluss von Pedro de Mena in meinen Dolorosas (Schmerzensmüttern) ist auf jeden Fall vorhanden, ebenso gibt es Spuren der Meister Mora, Risueño, (Juan de) Mesa, (Martínez) Montañés, Salvador Carmona, Gregorio Fernández, Michelangelo, Bernini usw. die Vieles so wunderbar dargestellt haben, dass man sie in Betracht ziehen muss, aber - ich wiederhole mich - nicht um sie zu kopieren, denn für Kopien... zählt nur das Original.

Der ausgeprägte eigene Stil, den Sie erwähnen, ist letztlich nichts anderes als das Ergebnis eines langen Weges und des brennenden Wunsches, alles auf meine ganz persönliche Weise auszudrücken, ohne andere Künstler herabsetzen zu wollen. Auch die Tatsache, dass ich als Autodidakt zur Bildhauerei gekommen bin, ist ein Beleg dafür, dass ich nicht durch die Darstellungsweise eines einzelnen Meisters beeinflusst worden bin.

5. Welches würden Sie zum aktuellen Zeitpunkt als Ihr vollkommenstes Werk bezeichnen?
Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage, aber ich würde den Auferstandenen Christus von Pozoblanco nennen, auch deshalb, weil die Szene der Auferstehung ikonographisch in der Bildhauerei des Goldenen Zeitalters (17. Jahrhundert) kaum dargestellt wurde, so dass es kaum Vorbilder für diesen Typus von Christusstatuen gibt. Daher hat dieses Frühwerk meiner Laufbahn als Bildhauer eine besondere Bedeutung und bietet eine originelle, außergewöhnliche Darstellung dieser Szene des wiedergeborenen Erlösers.

Der Auferstandene Christus von Pozoblanco

6. Können Sie uns etwas über die Materialien erzählen, die Sie bevorzugt verwenden und über die "Geheimnisse" der Bemalung, durch die Ihre Skulpturen so besonders realistisch erscheinen?
Das Material par excellence ist Terrakotta, es ist so leicht zu modellieren. Aber für Prozessions- oder Altarskulpturen verwende ich immer Zedernholz, es besitzt die besten Eigenschaften für solche Kunstwerke.

Es gibt kein Geheimnis in meiner Polychromie, ich bemale eine Skulptur so wie jeder Bildhauer oder wie jeder Maler ein Bild malt; das "Geheimnis" liegt dabei höchstens in der besonderen Intensität.

7. Wenn Sie die Herkunft der Aufträge, die Sie erhalten, in Gruppierungen einteilen: z. B. von Bruderschaften, Pfarrkirchen, Privatpersonen - was wäre (in Prozentzahlen) die wichtigste Gruppierung von Kunden, die interessiert an Ihrer Kunst sind?
Dies sind bei weitem die religiösen Bruderschaften mit etwa 80%, während 15% der Aufträge von Privatpersonen und nur 5% von Pfarrgemeinden kommen. Dabei muss man natürlich berücksichtigen, dass die Bruderschaften ja ihre Skulpturen sowieso in den Pfarrkirchen zur Verehrung ausstellen. Aus diesem Grund sehen die meisten Kirchen keine Veranlassung, zusätzliche Statuen in Auftrag zu geben.

8. Haben Sie irgendwann mal eine "schöpferische Krise" erlebt?
Bis jetzt noch nicht, allerdings gibt es Momente von großer und von weniger stark empfundener Inspiration. Aber irgendwie überkommt mich die Inspiration immer und dann es ist wichtig, sie sofort in ein Werk umzusetzen.

9. Haben Sie so etwas wie einen "kreativen Konflikt" erlebt zwischen der Verpflichtung, ein Auftragswerk zu einem bestimmten Zeitpunkt zu vollenden und der plötzlich brennenden Inspiration, gleichzeitig ein anderes Werk  (spontan und vielleicht sogar ganz ohne Auftrag) in Angriff zu nehmen?

 Der heilige Johannes Evangelist von La Rambla


In vielen Momenten kann die Zeit sowohl der größte Feind der Kunst als auch ihr wichtigster Verbündeter sein: wenn die Zeit fehlt... kann sie blind machen bei der Fertigstellung eines Kunstwerks und wenn man plötzlich Zeit zuviel hat... öffnet sie einem die Augen... oft bemerkt man dann erst später Fehler und Irrtümer, die man zuvor übersehen hat.

Es gibt Auftraggeber, die manchmal versuchen, Druck auszuüben, damit ich schneller arbeite, aber ich stelle die Bedingungen. Daher mache ich niemals Entwürfe oder Modelle für ein bestimmtes Werk sehr weit im Voraus, denn ich bin keine Maschine, sondern ein Mensch mit vielen Schwächen... so wie viele andere auch - es ist die öffentliche Meinung, die mich und mein Werk oft überbewertet.

10. Was können Sie uns sagen über den Zeitraum, der für die Vollendung eines Werks zur Verfügung steht: gibt es normalerweise einen festen Abgabetermin, den es einzuhalten gilt oder steht es Ihnen oft frei, wann Sie ein Kunstwerk fertig stellen und abliefern?
Es gibt immer einen Abgabetermin, z. B. die Semana Santa (Karwoche) im nächsten Jahr, da zur Zeit fast alle meine Aufträge, an denen ich arbeite, Prozessions-Skulpturen sind. Ich habe allerdings auch schon Aufträge für die fernere Zukunft - bis zum Jahr 2016 - in solchen Fällen ist es kaum möglich, einen ganz konkreten Termin festzulegen, es wird also ein Zeitraum von bis zu zwei Jahren für die Fertigstellung vereinbart.

11. Welches Werk würden Sie als die beste andalusische Skulptur des Goldenen Zeitalters (17. Jahrhundert) bezeichnen?
Es ist kaum möglich, sich dabei nur auf eine einzige festzulegen, aber da kommt mir in den Sinn der Christus von (Juan de) Mesa in Vergara (heute im Baskenland), der Christus der Kelche von (Martínez) Montañés oder ein "liegender Christus" von Gregorio Fernandez.

12. Eine fertige, dem Auftraggeber übergebene Skulptur  - kann man das ein wenig vergleichen mit "einem Kind, das ein Elternhaus verlässt" oder wie würden Sie jenes Gefühl beschreiben, ein Werk "zu verlieren"?
Es ist eigentlich nie ein Gefühl des Verlustes, sondern eher ein Gefühl der Weitergabe, eine Mission, die erfüllt wurde, denn danach befindet sich mein Werk ja an dem Platz für den es geschaffen worden ist. Es gibt vielleicht den Verlust der materiellen Präsenz einer Skulptur, was aber nicht traumatisch ist. Denn ich bleibe immer der "moralische Eigentümer", der Autor meiner Werke. Oft sage ich mir, auch wenn meine Werke ("meine Kinder") mein Haus oder meine Werkstatt verlassen, so bleibt mir doch die Befriedigung, dass sie quasi ein Eigenleben beginnen, indem sie öffentliche Verehrung erfahren und populär werden.

13. Gibt es zur Zeit in Ihrer Werkstatt ein konkretes Projekt für einen Auftraggeber in Sevilla?
Nein, und ich fürchte, dass es einen Auftrag aus Sevilla für mich so bald nicht geben wird, denn es gibt da einen gewissen Chauvinismus, diesen wohl bekannten Stolz der Sevillaner... und dies ist durchaus verständlich, weil man in Sevilla Jahrhunderte lang daran gewöhnt war, alles, was mit bildender Kunst zu tun hat, direkt vor der Haustür zu haben. Und heute wäre es ein Eingeständnis, das dies im Moment nicht mehr so ist, wenn man aus Sevilla Aufträge für Statuen oder Skulpturen nach außen vergeben würde.

14. Ist es zutreffend (dies ist zumindest ein Eindruck, den viele Ausländer haben, wenn sie die religiösen Skulpturen in den Kirchen von Sevilla, Córdoba oder Granada betrachten), dass in Andalusien die Darstellungen der Passion Christi immer viel beliebter sind und höher bewertet werden als andere religiöse Kunst, und falls ja, worin liegt dieses Phänomen begründet?
Es ist sehr einfach zu erklären, denn in Andalusien haben die besondere Feier der Karwoche und die Erinnerung an die Leidensgeschichte Christi eine lange Tradition, die viele Jahrhunderte zurück reicht.

Die künstlerische Darstellung von Schmerz und die Ausdruckskraft von Klagegesängen, die Zuschauer und Zuhörer ergreifen, sind tief verwurzelt in der andalusischen Bevölkerung, in diesen Glaubenskundgebungen vermischen sich Folklore und Frömmigkeit.

Die Jungfrau der Tränen

Andalusien hat - im Gegensatz zu Kastilien oder anderen Regionen Spaniens -  in seiner Semana Santa eine ganz besondere Form gefunden, den Schmerz zu "veredeln" - mit Gefühlsnuancen, die alle Sinne des Menschen ansprechen in einem öffentlichen Gesamtkunstwerk: man kann die Altarbühnen (Pasos) berühren, um den Sinneseindruck vollkommen zu machen, man spürt den Duft von Blumen, Wachs und Weihrauch ...man kann sich kaum satt sehen an all den Altarbühnen, die in diesen Tagen durch die ganze Stadt getragen werden, und man hört überall die wunderbare Palette der Musik, von der die Pasos begleitet werden, oder die Saetas, die von Gläubigen gesungen werden, sogar das eindrucksvolle Schweigen, das manchen Prozessionen eigen ist, wird ein Teil des Ganzen. Und begleitet wird diese Heilige Woche natürlich auch vom Aroma der besonderen gastronomischen Spezialitäten, die man sich in ganz Andalusien schmecken lassen kann.

15. Vor dem Hintergrund der überlieferten Tatsache, dass der große Martínez Montañés 1615 seinem Jesus der Passion selbst durch die Straßen Sevillas folgte, um zu sehen, wie sich seine Statue des Erlösers bewegte - wie könnte man das Gefühl beschreiben, das einen während der Semana Santa ergreift, wenn zum ersten Mal eine selbst geschaffene Skulptur vor Ihren Augen durch die Stadt getragen wird? Welches ist das dominierende Gefühl?
Anfangs ist es fast ein wenig Furcht vor sich selbst, vor der eigenen Reaktion, denn es könnte sein, dass mir diese erste Prozession meiner Skulptur nicht genug gefällt. Schließlich bin ich selbst der erste Kritiker meiner Kunstwerke, doch wenn dieser bittersüße Moment des ersten Anblicks überwunden ist ...dominiert meist eine große Zufriedenheit, etwas geschaffen zu haben, das bei den Menschen, die es betrachten, tiefe Gefühle aufkommen lässt und sie manchmal sogar zu Tränen bewegen kann. Es gefällt mir, mich anonym mitten in die Zuschauermenge zu stellen, wo ich die direkten Reaktionen der Leute sehen und ihre spontanen, unverfälschten  Kommentare angesichts meiner Werke hören kann.

Ich darf mich glücklich schätzen, da ich schon auf viele schöne und emotionale Momente zurück blicken kann, die ich bei ersten Prozessionen meiner Skulpturen erlebte - so wie am vergangenen Palmsonntag in Cádiz, wo fast die ganze Stadt zusammen kam, um zu sehen, wie meine Christusstatue durch die Straßen getragen wurde.

Interview: Berthold Volberg
Fotos: Francisco Romero Zafra (franciscoromerozafra.com) + Berthold Volberg

[druckversion ed 07/2015] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_4] Bolivien: Barro Blanco im Indianergebiet
 
Panama ist ein reiches Land, der Kanal spült jede Menge Geld in die Kassen, die Hauptstadt wächst unaufhörlich und das Land benötigt mehr Energie – allein die Klimaanlagen sind ungeheure Stromfresser. Staudämme sollen dieses Problem lösen. Doch die Menschen, die an den zu stauenden Flüssen leben, hat niemand nach ihrer Meinung gefragt.

Im Norden Panamas ist die Panamericana nicht mehr als eine schmale, schlecht geflickte Landstraße, die sich durch mit dichtem Regenwald bewachsene Berge schlängelt. Doch hinter einer Kurve taucht plötzlich eine gewaltige Baustelle auf. Hier entsteht der Staudamm Barro Blanco. Wenn er – voraussichtlich in den nächsten Jahren – fertig gestellt ist und das dahinter liegende Tal geflutet wird, verliert Göejet Miranda seine Existenz: "Mein Land wird überflutet und mein Haus auch. Unsere Schule und eine indigene Kirche werden ebenfalls im Wasser versinken. Mehr als 500 Familien sind davon betroffen."

Rund 4.000 Personen werden sich eine neue Bleibe suchen müssen. Alle gehören dem indigenen Volk der Ngöbe-Bugle an. Sie verlieren auch einen Teil ihres kulturellen Erbes, im Überflutungsgebiet liegen ein alter Friedhof und Petroglypen, Felsbrocken, in die vor Urzeiten okkulte Zeichen geritzt wurden. Und für die Natur geht ein wichtiger Lebensraum verloren. In dem weitgehend Natur belassenen Urwald lebt beispielsweise der Tabasará-Frosch. "Von dem Tabasará-Frosch gibt es nur noch wenige Exemplare, er ist vom Aussterben bedroht. Das ist einer der Reichtümer, die wir in diesem Gebiet haben", erklärt Göejet.

Die betroffenen Dörfer und eine ganze Reihe Menschrechts- und Naturschutzorganisationen protestieren seit Jahren gegen den Bau des Staudammes. Die Auseinandersetzung wird hart geführt, es gab Demonstrationen, Straßensperren, Verhaftungen, Verletzte und Tote.

Der Bau des Staudamms kostet viele Milliarden Dollar, Investoren aus der ganzen Welt beteiligen sich daran. Auch die deutsche Entwicklungs- und Investitionsgesellschaft DEG, die für das Projekt ein Darlehen von 25 Millionen US-Dollar zugesagt hat. Sie ist eine Tochter der Kreditanstalt für Wiederaufbau und mit Steuermitteln ausgestattet. In einer Stellungnahme erklärt das die DEG: "Projektdesign und Planung basieren auf den rechtlichen Anforderungen Panamas sowie internationalen Sicherheits-, Umwelt- und Sozialanforderungen. Die sozialen und ökologischen Auswirkungen wurden durch die Projektgesellschaft im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsstudie untersucht, und es wurden Aktionspläne entwickelt, um diese ausreichend zu berücksichtigen."

Doch Göejet Miranda, einer der Führer des Widerstandes gegen den Staudamm, ist sich sicher, dass in seinem Dorf niemand nach seiner Meinung zu dem Projekt gefragt wurde. Und die schließlich doch noch angebotene Entschädigung sei mit 1000 US$ pro Familie zu gering. Die Wut ist groß, das indianische Volk fühlt sich übergangen. "Sie haben gesagt, sie hätten alles ordnungsgemäß in Zeitungen und im Internet veröffentlicht – aber bei uns in den Dörfern gibt es keine Zeitungen und kein Internet! Wir sind reingelegt worden. Jetzt wird ein Projekt durchgedrückt, zu dem wir nie unser Einverständnis gegeben haben und damit werden unsere Rechte verletzt", so Göejet Miranda.

Bislang wurden alle Klagen gegen den Staudamm abgewiesen. Die einzige Hoffnung der betroffenen Dörfer ist nun, dass die ausländischen Investoren ihre Finanzierungszusagen zurückziehen. "Ich gebe der Bank aus Deutschland keine Schuld, sondern dem Unternehmen und der Regierung. Die Bank hat denen geglaubt. Aber Deutschland finanziert ein Projekt, das Menschen vertreibt. Ich bitte die Bank aus Deutschland, dass sie die Hand aufs Herz legt und sich mit den Leuten trifft, die direkt von dem Projekt betroffen sind", meint Göejet.

Es sind viele Briefe an Banken in Deutschland, den Niederlanden und den USA geschickt worden. Die Länder, die den Staudamm Barro Blanco finanzieren. Die Antworten waren vage, es gehe doch um Fortschritt, um die Entwicklung Panamas.

Göejet hat wenig Hoffnung, das Projekt noch stoppen zu können. Aber er und die anderen wollen bis zur letzten Sekunde kämpfen.

Text: Katharina Nickoleit

Link:
https://amerika21.de/2015/06/123682/barro-blanco-konflikt

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

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[kol_1] Traubiges: Flüssige Sonne vom Flying Winemaker
Telmo Rodriguez "Basa" Blanco 2014
 
Er ist ein Star. Einer der bekanntesten Weinmacher Spaniens. Schon in den 90ern hat Telmo Rodriguez, gebürtiger Baske, Weine gemacht. Erlernt hat er seinen Beruf in Bordeaux, einige Zeit hat er in Frankreich gearbeitet. Dann ist er wieder zurückgegangen nach Spanien, zuerst auf das Weingut seiner Eltern in die Rioja, bevor er 1994 die Companía de Vinos Telmo Rodriguez gründete. Telmo war einer der ersten, die sich in Spanien mit dem Thema "Terroir", also Klima und Bodenverhältnisse im Zusammenhang mit den dort angepflanzten Rebsorten, beschäftigten. Heute arbeitet der Flying Winemaker mit zwölf weiteren Önologen in den unterschiedlichsten Regionen Spaniens und berät zahlreiche Weingüter. Mit seiner Companía de Vinos Telmo Rodriguez produziert er rund eine Million Flaschen jährlich.

Dreh- und Angelpunkt seiner Arbeit ist es, die regional typischen Merkmale der Reben bei der Vinifizierung der Weine zu betonen. Das ist ihm bei einem seiner günstigsten Weine, der weißen Basa-Cuvée besonders gut gelungen: Ihre Trauben stammen aus unterschiedlichen, hochgelegenen Gebieten der Region Rueda. Für den Jahrgang 2014 hat Rodriguez 80 Prozent Verdejo (das weiße Flagschiff der Rueda), 15 Prozent Viura und 5 Prozent Sauvignon Blanc ausgewählt.

Dieser Wein fasziniert schon durch seine intensive strohgelbe Farbe, die mit silbernen und grünen Reflexen im Glas leuchtet. Ein fruchtbetontes Bukett mit floralen und würzigen Noten strömt empor – begleitet von unterschiedlichen Zitrusnoten und mineralischen Anklängen. Auf der Zunge entfaltet dieser klare Wein ebenfalls leichte, vielfältige Fruchtnoten (von Maracuja über Kiwi bis hin zu grünem Apfel) und eine anregende Frische kombiniert mit einer prickelnden Mineralität und einer feinen, fast subtilen Säure. Dabei ist seine Textur schon fast cremig. Im pikanten Nachhall lassen die dominierenden Verdejo-Aromen noch einmal die Kräuternoten hochleben.

Der Basa Blanco 2014 ist so etwas wie flüssige Sonne im Glas – und kommt genau richtig zu den ersten echten Hochsommertagen dieses Jahres.

Text + Foto: Lars Borchert

Über den Autor: Lars Borchert ist Journalist und schreibt seit einigen Jahren über Weine aus Ländern und Anbauregionen, die in Deutschland weitestgehend unbekannt sind. Diese Nische würdigt er mit seinem Webjournal wein-vagabund.net. Auf caiman.de berichtet er jeden Monat über unbekannte Weine aus der Iberischen Halbinsel und Lateinamerika.

[druckversion ed 07/2015] / [druckversion artikel] / [archiv: traubiges]





[kol_2] Macht Laune: Surreales Rio

450 Jahr Rio de Janeiro. Im Geburtstagsjahr zeigte die vielleicht traditionellste Sambaschule Rios, Portela, im diesjährigen Carnaval ihre Cidade Maravilhosa aus Sicht des katalanischen Malers Salvador Dalí.



Dass die Stadt des Lichts durchaus Momente bietet, die eine surrealistische Betrachtung zulassen, hat unser Fotograf vor Ort eingefangen.











Text und Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 07/2015] / [druckversion artikel] / [archiv: macht laune]






[kol_3] Lauschrausch: Zwei musikalische Perlen aus Kolumbien
Monsieur Periné trifft fatsO
 
Das Musikkästchen gibt seine Schätze frei: Leichte, luftige Melodien, schöne Arrangements, eine süße Stimme und immer wieder überraschende Elemente bzw. Wendungen in den Stücken. Das ist das Erfolgsrezept der kolumbianischen Band Monsieur Periné, welches sie auf ihrem zweiten Album weiterverfolgt und noch verbessert haben. Ihr Swing bzw. Manouche-Jazz, kombiniert mit lateinamerikanischen Rhythmen, sanfter Elektronik und Pop-Elementen ist oft hitverdächtig, so im ersten Titel, "Nuestra canción", bei dem die zauberhafte Catalina García mit dem dominikanischen Songwriter Vicente García im Duett singt. In weiteren Stücken begleitet sie ihr Partner Santiago Sarabia, der in "Déjame vivir" sogar alleine singt.

Monsieur Periné
Caja de música
flowfish

www.mperine.com

Diese stimmliche Bereicherung bringt noch mehr Abwechslung in die ohnehin alles andere als langweilige Musik, die neben Bass und Schlagzeug u.a. mit coolen Swinggitarren ("No hace falta"), Akkordeon ("Viejos amores"), dem charango und Andenflöten ("Mi libertad") dargeboten wird, mehrmals angereichert mit Streichern, die aber nie kitschig klingen, sondern rhythmisch agieren oder einem fröhlichen, französischsprachigen Pop-Song einen kammermusikalischen Ausklang bereiten ("Tu m’as promis").

"Turquesa menina" erinnert in seinem Walzerrhythmus an Titel von Yann Tiersen, in "Año bisiesto" begleiten schrille Klarinetten und Saxophone das Ende einer Liebe im Schaltjahr, im langsamen und wunderschönen Lied "Marinero Wawani" erklingt die Marimba, "Lloré" hat das Zeug zum Pop-Hit. In "Cempasúchil" besingt Catalina beschwingt die gleichnamige, leuchtende "Aufrechte Studentenblume" aus der Familie der Astern, die in Mexiko als flor de muertos an Allerheiligen als Dekoration für Altäre und Särge benutzt wird. Instrumental und jazzig klingt die caja de música mit Querflöte und charango aus. Übrigens auch live ein Riesenspaß: Die Gruppe ist im Sommer auf Deutschlandtournee!


Tom Waits singt zu einem verschleppten Blues mit jazzigen Soli über die verlorene Liebe ("It’s getting bad"). Das ist der erste Eindruck, den die Scheibe der kolumbianischen Gruppe fatsO erweckt. Im zweiten Stück passt das Thema auch wieder zum Timbre dieser Stimme: in "Snake eyes" dreht es sich um einen Spieler im nächtlichen Bogotá und im dritten Lied ist der Gesang von Bandleader und Bassist Daniel Restrepo dann endgültig in der Waits’chen Welt angekommen, wenn er bei "Crying out" das Leid eines verarmten Jugendlichen herausschreit, der wegen Geld zum Killer wird. Aber keine Angst, trotz der tristen Themen und der leidenden Stimme bleiben die Titel jazzig cool. Die Texte von Restrepo sind eben inspiriert durch die schöne, aber auch agressive Hauptstadt Kolumbiens bzw. der Bürgerkriegssituation im Land.

fatsO
fatsO
Bulla 001

www.fatso.com.co

Doch er hebt nicht lehrmeisterhaft den Zeigefinger, wenn er z.B. in "Oye pelao", dem einzigen spanischsprachigen Titel, über die vielen versprengten Flüchtlinge des Bürgerkriegs singt, die durch Bogotá irren oder über Drogen und ihre Folgen. Oder wenn er die Manipulation der Menschen durch die (monopolartigen) Medien Kolumbiens beklagt ("Brain candy"). Die Texte sollen aufrütteln, die Musik unterhalten, was durch die Mischung von Blues, Jazz, Soul und wenigen kolumbianischen Rhythmen – z.B. ein bunde in "Oye pelao" – sehr gut gelingt, ebenso durch die Instrumentierung mit vier Saxophonisten/Klarinettisten, Gitarre, Bass und Drums. In "I’ll be fine" klingt Daniel Restrepo dann ein wenig wie Joe Cocker (mit Mundharmonika), wenn er über die innere Abstumpfung der Menschen singt und die einzige Möglichkeit etwas dagegen zu tun: Liebe ins Herz zu lassen! Ein außergewöhnliches Album.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

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