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[art_3] Spanien: Interview mit dem Bildhauer Francisco Romero Zafra
 
1. Wie man Ihren biographischen Daten entnehmen kann, sind Sie als Autodidakt ungewöhnlich spät, erst im Alter von 34 Jahren, zum Bildhauer geworden. Warum so spät? War es eine Entscheidung, die Sie plötzlich getroffen haben und falls ja, können Sie uns sagen, ob es einen bestimmten Moment, eine Art Initiation oder ein Schlüsselerlebnis gab, wodurch Sie zum Bildhauer wurden?
Ich habe stets gesagt, dass mein Berufsweg als Bildhauer sicherlich nicht typisch verlief, sondern dass ich eher wie zufällig zu dieser Beschäftigung kam. Ich habe mich zwar schon als Kind auffällig für die Kunst interessiert, ich zeichnete und malte auch Ölgemälde in meiner Freizeit, habe mich jedoch nie beruflich damit beschäftigt.

Mit der Bildhauerei zu beginnen, war eigentlich keine bewusst getroffene Entscheidung, sondern eher das Ergebnis einer Erfahrung: im Jahr 1990 organisierte die religiöse Bruderschaft La Merced in meiner Heimatstadt Córdoba eine Kunstausstellung, in der unter anderem auch Werke von jungen Nachwuchs-Bildhauern gezeigt wurden. Drei Jahre lang wurden diese Skulpturen ausgestellt.

Der "auferstandene Christus" von Martos (Jaén)

Ermutigt durch einen Freund, der später zehn Jahre lang mein Werkstatt-Teilhaber sein sollte, modellierte ich Maria als Schmerzensmutter aus Terrakotta und nannte das Werk "Jungfrau der Tränen" - sie wurde von der Bruderschaft der Vergebung (Cofradía del Perdón) gekauft. Es war das erste Mal, dass ich eine Skulptur modellierte und ich spürte, dass ich mich dabei wohler fühlte als beim Malen eines Bildes. In diesem Moment erinnerte ich mich daran, dass ich früher als Kind in der Schule schon immer die besten Noten für Handwerken und dreidimensionale Kunstwerke erhielt, aber nicht für das Zeichnen oder Malen. Ich denke, dass es zum menschlichen Schicksal gehört, dass das Leben einem solche Signale gibt, man sie jedoch in vielen Fällen gar nicht oder erst viel später bemerkt.

Diese Erfahrung gefiel mir, ich fühlte danach geradezu ein Bedürfnis, immer wieder durch Modellieren von Terrakotta oder Holz Gefühle auszudrücken -  so sind ich und mein Freund fast beiläufig, jedenfalls ohne es bewusst geplant zu haben, in die Welt der Bildhauerei geraten.

 
Die Jungfrau der Sieben Schmerzen,
Klosterkirche Santo Ángel (Sevilla)


Für mich persönlich ist es nicht wirklich wichtig, Bildhauer oder Arzt oder Architekt sein zu wollen, sondern man sollte vom Wunsch getrieben sein, eine Skulptur zu erschaffen, Kranke zu heilen oder Bauwerke zu entwerfen, etc... alles andere ergibt sich dann nach dem Prinzip Ursache und Wirkung.

2. Ihre Inspirationsquellen: könnte man sie eher als religiös im "orthodoxen" Sinne (z. B. auf der Heiligen Schrift basierend) bezeichnen oder gibt es auch  "profane" Inspirationsquellen (z. B. eigene Erlebnisse oder Personen, die einen starken Eindruck auf Sie gemacht haben)?
Es kommt da von allem etwas zusammen, denn als Bildhauer stellt man Geschichten dar, die von Menschen erlebt wurden - in der Grundform ist es eine Geschichte (im Fall der Passion Christi stets dieselbe), aber in der detaillierten Ausgestaltung wechseln meine Inspirationsquellen von Tag zu Tag. Sowohl in den Massenmedien als auch im realen Leben werden wir täglich mit ähnlichen Menschenschicksalen konfrontiert. Der Schmerz einer Mutter, die ihren Sohn verloren hat, wird stets der gleiche sein, durch alle Jahrhunderte hindurch. Gewalt und Folter sind immer ungerecht und doch werden wir täglich damit konfrontiert, Tausende von Kindern leiden und sterben überall auf der Welt... in unserer Gesellschaft sind Schmerz und Ungerechtigkeit so präsent, dass es gar nicht nötig ist, in der Bibel nach Inspirationen zu suchen.

3.Bevorzugen Sie eher lebende Personen als Modelle für Ihre Skulpturen oder lassen Sie sich eher durch bildliche Darstellungen inspirieren? Gibt es Beispiele, wo Sie reale mit fiktiven Modellen kombinieren?
Für das Abbilden und Modellieren von Körpern und anatomischen Details bevorzuge ich immer ein lebendes Modell, aber der Gefühlsausdruck ist oft frei erfunden und für die Gesichter von Madonnen und Christusstatuen nehme ich niemals lebende Modelle.

Die Heilige Theresa und ein Engel

Auch in der Klassik der Antike finde ich Bezugspunkte und Inspirationen ...aber es geht nie darum, etwas zu kopieren, sondern nur um eine Ausgangsidee, die hinführt zu einem neuen Werk.

4. Ihre Werke sind geprägt von einem charakteristischen Stil und von einer ergreifenden, manchmal kaum zu ertragenden, Intensität. Wenn ich Sie dennoch bitten würde, uns zu verraten, durch welche Vorbilder Sie in Ihren Schöpfungen beeinflusst wurden (insbesondere ganz am Anfang Ihrer Karriere) - welche würden Sie uns nennen? Wenn ich mich nicht täusche, gibt es - zumindest bei Ihren Marienskulpturen auf den ersten Blick - einen prägenden Einfluss der Bildhauerschule von Granada, vor allem Pedro de Mena...?
Dieser Eindruck ist in der Tat zutreffend. Der Einfluss von Pedro de Mena in meinen Dolorosas (Schmerzensmüttern) ist auf jeden Fall vorhanden, ebenso gibt es Spuren der Meister Mora, Risueño, (Juan de) Mesa, (Martínez) Montañés, Salvador Carmona, Gregorio Fernández, Michelangelo, Bernini usw. die Vieles so wunderbar dargestellt haben, dass man sie in Betracht ziehen muss, aber - ich wiederhole mich - nicht um sie zu kopieren, denn für Kopien... zählt nur das Original.

Der ausgeprägte eigene Stil, den Sie erwähnen, ist letztlich nichts anderes als das Ergebnis eines langen Weges und des brennenden Wunsches, alles auf meine ganz persönliche Weise auszudrücken, ohne andere Künstler herabsetzen zu wollen. Auch die Tatsache, dass ich als Autodidakt zur Bildhauerei gekommen bin, ist ein Beleg dafür, dass ich nicht durch die Darstellungsweise eines einzelnen Meisters beeinflusst worden bin.

5. Welches würden Sie zum aktuellen Zeitpunkt als Ihr vollkommenstes Werk bezeichnen?
Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage, aber ich würde den Auferstandenen Christus von Pozoblanco nennen, auch deshalb, weil die Szene der Auferstehung ikonographisch in der Bildhauerei des Goldenen Zeitalters (17. Jahrhundert) kaum dargestellt wurde, so dass es kaum Vorbilder für diesen Typus von Christusstatuen gibt. Daher hat dieses Frühwerk meiner Laufbahn als Bildhauer eine besondere Bedeutung und bietet eine originelle, außergewöhnliche Darstellung dieser Szene des wiedergeborenen Erlösers.

Der Auferstandene Christus von Pozoblanco

6. Können Sie uns etwas über die Materialien erzählen, die Sie bevorzugt verwenden und über die "Geheimnisse" der Bemalung, durch die Ihre Skulpturen so besonders realistisch erscheinen?
Das Material par excellence ist Terrakotta, es ist so leicht zu modellieren. Aber für Prozessions- oder Altarskulpturen verwende ich immer Zedernholz, es besitzt die besten Eigenschaften für solche Kunstwerke.

Es gibt kein Geheimnis in meiner Polychromie, ich bemale eine Skulptur so wie jeder Bildhauer oder wie jeder Maler ein Bild malt; das "Geheimnis" liegt dabei höchstens in der besonderen Intensität.

7. Wenn Sie die Herkunft der Aufträge, die Sie erhalten, in Gruppierungen einteilen: z. B. von Bruderschaften, Pfarrkirchen, Privatpersonen - was wäre (in Prozentzahlen) die wichtigste Gruppierung von Kunden, die interessiert an Ihrer Kunst sind?
Dies sind bei weitem die religiösen Bruderschaften mit etwa 80%, während 15% der Aufträge von Privatpersonen und nur 5% von Pfarrgemeinden kommen. Dabei muss man natürlich berücksichtigen, dass die Bruderschaften ja ihre Skulpturen sowieso in den Pfarrkirchen zur Verehrung ausstellen. Aus diesem Grund sehen die meisten Kirchen keine Veranlassung, zusätzliche Statuen in Auftrag zu geben.

8. Haben Sie irgendwann mal eine "schöpferische Krise" erlebt?
Bis jetzt noch nicht, allerdings gibt es Momente von großer und von weniger stark empfundener Inspiration. Aber irgendwie überkommt mich die Inspiration immer und dann es ist wichtig, sie sofort in ein Werk umzusetzen.

9. Haben Sie so etwas wie einen "kreativen Konflikt" erlebt zwischen der Verpflichtung, ein Auftragswerk zu einem bestimmten Zeitpunkt zu vollenden und der plötzlich brennenden Inspiration, gleichzeitig ein anderes Werk  (spontan und vielleicht sogar ganz ohne Auftrag) in Angriff zu nehmen?

 Der heilige Johannes Evangelist von La Rambla


In vielen Momenten kann die Zeit sowohl der größte Feind der Kunst als auch ihr wichtigster Verbündeter sein: wenn die Zeit fehlt... kann sie blind machen bei der Fertigstellung eines Kunstwerks und wenn man plötzlich Zeit zuviel hat... öffnet sie einem die Augen... oft bemerkt man dann erst später Fehler und Irrtümer, die man zuvor übersehen hat.

Es gibt Auftraggeber, die manchmal versuchen, Druck auszuüben, damit ich schneller arbeite, aber ich stelle die Bedingungen. Daher mache ich niemals Entwürfe oder Modelle für ein bestimmtes Werk sehr weit im Voraus, denn ich bin keine Maschine, sondern ein Mensch mit vielen Schwächen... so wie viele andere auch - es ist die öffentliche Meinung, die mich und mein Werk oft überbewertet.

10. Was können Sie uns sagen über den Zeitraum, der für die Vollendung eines Werks zur Verfügung steht: gibt es normalerweise einen festen Abgabetermin, den es einzuhalten gilt oder steht es Ihnen oft frei, wann Sie ein Kunstwerk fertig stellen und abliefern?
Es gibt immer einen Abgabetermin, z. B. die Semana Santa (Karwoche) im nächsten Jahr, da zur Zeit fast alle meine Aufträge, an denen ich arbeite, Prozessions-Skulpturen sind. Ich habe allerdings auch schon Aufträge für die fernere Zukunft - bis zum Jahr 2016 - in solchen Fällen ist es kaum möglich, einen ganz konkreten Termin festzulegen, es wird also ein Zeitraum von bis zu zwei Jahren für die Fertigstellung vereinbart.

11. Welches Werk würden Sie als die beste andalusische Skulptur des Goldenen Zeitalters (17. Jahrhundert) bezeichnen?
Es ist kaum möglich, sich dabei nur auf eine einzige festzulegen, aber da kommt mir in den Sinn der Christus von (Juan de) Mesa in Vergara (heute im Baskenland), der Christus der Kelche von (Martínez) Montañés oder ein "liegender Christus" von Gregorio Fernandez.

12. Eine fertige, dem Auftraggeber übergebene Skulptur  - kann man das ein wenig vergleichen mit "einem Kind, das ein Elternhaus verlässt" oder wie würden Sie jenes Gefühl beschreiben, ein Werk "zu verlieren"?
Es ist eigentlich nie ein Gefühl des Verlustes, sondern eher ein Gefühl der Weitergabe, eine Mission, die erfüllt wurde, denn danach befindet sich mein Werk ja an dem Platz für den es geschaffen worden ist. Es gibt vielleicht den Verlust der materiellen Präsenz einer Skulptur, was aber nicht traumatisch ist. Denn ich bleibe immer der "moralische Eigentümer", der Autor meiner Werke. Oft sage ich mir, auch wenn meine Werke ("meine Kinder") mein Haus oder meine Werkstatt verlassen, so bleibt mir doch die Befriedigung, dass sie quasi ein Eigenleben beginnen, indem sie öffentliche Verehrung erfahren und populär werden.

13. Gibt es zur Zeit in Ihrer Werkstatt ein konkretes Projekt für einen Auftraggeber in Sevilla?
Nein, und ich fürchte, dass es einen Auftrag aus Sevilla für mich so bald nicht geben wird, denn es gibt da einen gewissen Chauvinismus, diesen wohl bekannten Stolz der Sevillaner... und dies ist durchaus verständlich, weil man in Sevilla Jahrhunderte lang daran gewöhnt war, alles, was mit bildender Kunst zu tun hat, direkt vor der Haustür zu haben. Und heute wäre es ein Eingeständnis, das dies im Moment nicht mehr so ist, wenn man aus Sevilla Aufträge für Statuen oder Skulpturen nach außen vergeben würde.

14. Ist es zutreffend (dies ist zumindest ein Eindruck, den viele Ausländer haben, wenn sie die religiösen Skulpturen in den Kirchen von Sevilla, Córdoba oder Granada betrachten), dass in Andalusien die Darstellungen der Passion Christi immer viel beliebter sind und höher bewertet werden als andere religiöse Kunst, und falls ja, worin liegt dieses Phänomen begründet?
Es ist sehr einfach zu erklären, denn in Andalusien haben die besondere Feier der Karwoche und die Erinnerung an die Leidensgeschichte Christi eine lange Tradition, die viele Jahrhunderte zurück reicht.

Die künstlerische Darstellung von Schmerz und die Ausdruckskraft von Klagegesängen, die Zuschauer und Zuhörer ergreifen, sind tief verwurzelt in der andalusischen Bevölkerung, in diesen Glaubenskundgebungen vermischen sich Folklore und Frömmigkeit.

Die Jungfrau der Tränen

Andalusien hat - im Gegensatz zu Kastilien oder anderen Regionen Spaniens -  in seiner Semana Santa eine ganz besondere Form gefunden, den Schmerz zu "veredeln" - mit Gefühlsnuancen, die alle Sinne des Menschen ansprechen in einem öffentlichen Gesamtkunstwerk: man kann die Altarbühnen (Pasos) berühren, um den Sinneseindruck vollkommen zu machen, man spürt den Duft von Blumen, Wachs und Weihrauch ...man kann sich kaum satt sehen an all den Altarbühnen, die in diesen Tagen durch die ganze Stadt getragen werden, und man hört überall die wunderbare Palette der Musik, von der die Pasos begleitet werden, oder die Saetas, die von Gläubigen gesungen werden, sogar das eindrucksvolle Schweigen, das manchen Prozessionen eigen ist, wird ein Teil des Ganzen. Und begleitet wird diese Heilige Woche natürlich auch vom Aroma der besonderen gastronomischen Spezialitäten, die man sich in ganz Andalusien schmecken lassen kann.

15. Vor dem Hintergrund der überlieferten Tatsache, dass der große Martínez Montañés 1615 seinem Jesus der Passion selbst durch die Straßen Sevillas folgte, um zu sehen, wie sich seine Statue des Erlösers bewegte - wie könnte man das Gefühl beschreiben, das einen während der Semana Santa ergreift, wenn zum ersten Mal eine selbst geschaffene Skulptur vor Ihren Augen durch die Stadt getragen wird? Welches ist das dominierende Gefühl?
Anfangs ist es fast ein wenig Furcht vor sich selbst, vor der eigenen Reaktion, denn es könnte sein, dass mir diese erste Prozession meiner Skulptur nicht genug gefällt. Schließlich bin ich selbst der erste Kritiker meiner Kunstwerke, doch wenn dieser bittersüße Moment des ersten Anblicks überwunden ist ...dominiert meist eine große Zufriedenheit, etwas geschaffen zu haben, das bei den Menschen, die es betrachten, tiefe Gefühle aufkommen lässt und sie manchmal sogar zu Tränen bewegen kann. Es gefällt mir, mich anonym mitten in die Zuschauermenge zu stellen, wo ich die direkten Reaktionen der Leute sehen und ihre spontanen, unverfälschten  Kommentare angesichts meiner Werke hören kann.

Ich darf mich glücklich schätzen, da ich schon auf viele schöne und emotionale Momente zurück blicken kann, die ich bei ersten Prozessionen meiner Skulpturen erlebte - so wie am vergangenen Palmsonntag in Cádiz, wo fast die ganze Stadt zusammen kam, um zu sehen, wie meine Christusstatue durch die Straßen getragen wurde.

Interview: Berthold Volberg
Fotos: Francisco Romero Zafra (franciscoromerozafra.com) + Berthold Volberg

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