ed 05/2015 : caiman.de

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spanien: Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana
Neunundzwanzigste Etappe: Sturmwolken vor der Treppe zum Himmel
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


bolivien: Saubere Kochstellen
KATHARINA NICKOLEIT
[art. 2]
spanien: Mallorca im Winter (Bildergalerie Teil 2)
Colònia de Sant Jordi / Es Trenc – herzlich, entspannt und verschlafen
DIRK KLAIBER
[art. 3]
brasilien: Richtige Indianer?
NICO CZAJA
[art. 4]
portugal: Jazzszene
TORSTEN EßER
[art. 5]
macht laune: Per pedes durch den fast vergessenen Alentejo
ANDREAS DAUERER
[kol. 1]
grenzfall: I just want to be normal. Give me chocolate.
An evening with performance artist Marina Abramovic
THOMAS MILZ
[kol. 2]
lauschrausch: Quarteto Hot Clube de Portugal (HCP)
Just in time – HCP 001
TORSTEN EßER
[kol. 3]





[art_1] Spanien: Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana
Etappen [29] [28] [27] [26] [25] [24] [23] [22] [21] [20] [19] [18] [17] [16] [15] [14] [13] [12] [11] [10] [9] [8] [7] [6] [5] [4] [3] [2] [1]
Neunundzwanzigste Etappe: Sturmwolken vor der Treppe zum Himmel
 
01. Juli 2013. Heute, nach insgesamt 878 Kilometern und 38 Tagen Fußmarsch, der uns über fünf Gebirgszüge, 28 Flüsse und durch die größte Steppe Europas geführt hat, werden wir ankommen – falls uns nicht ein Erdbeben, Hurrikan oder sonstiges Weltuntergangsszenario in der letzten Stunde noch davon abhält.

Wie gestern Abend verabredet, haben wir den Wecker auf 4.45 Uhr gestellt, damit wir um Punkt 5 aufbrechen können. Die Ungeduld, endlich anzukommen und deutlich vor Beginn der Pilgermesse um 12 Uhr mittags in Santiago einzutreffen, ist groß.

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Es ist draußen noch stockdunkel, als wir die Herberge in Arca do Pino verlassen und bergauf aus dem Ort heraus marschieren. Am Ortsausgang erwartet uns dichter Wald in vollkommener Dunkelheit. Gab es davor noch vereinzelt Straßenlaternen, in deren Licht man die gelben Pfeile als Wegweiser erkennen konnte, ist damit nun Schluss. Cayetana weigert sich ein paar Minuten lang, den finsteren Wald zu betreten und erinnert mich an die gestrige Hexenerscheinung: „Wenn man hier im Wald schon tagsüber Hexen begegnet, was ist dann erst nachts los?“ Jetzt eine Stunde auf den Sonnenaufgang zu warten, ist aber auch keine verlockende Idee. Also stürzen wir uns mit irrlichternden Taschenlämpchen bewaffnet in die Finsternis.

Wir stolpern irgendwie vorwärts, so lange noch ein Pfad zu erahnen ist. Doch bald sehen wir keine gelben Pfeile mehr, tasten uns an Baumstammschatten entlang wo wir einen Weg zu erkennen glauben und sehnen uns nach Sonnenlicht. „So müssen sich die Menschen am ersten Schöpfungstag gefühlt haben, bevor Gott die geile Idee hatte, dass ein bisschen Licht seiner Welt nicht schaden könnte…“, murmelt Cayetana, die dicht vor mir über eine Wurzel nach der anderen stolpert. Das matte Licht der Taschenlampe reicht kaum bis zum Boden.

Dann hören wir französisches Stimmengewirr unmittelbar vor uns und stoßen fast mit den Pilgerkollegen aus Burgund zusammen. Wir sind endlich auf einer Lichtung angelangt. Und heller wird es auch langsam. Von einem echten Sonnenaufgang kann jedoch keine Rede sein, denn wir werden die Sonne fast den ganzen Tag nicht sehen. Graue Nebelschleier über grauen Feldern. Galizien wirkt völlig verändert. Keine Spur von lichtdurchfluteten Sommerlandschaften. Als die Morgennebel sich lichten, schickt der Atlantik düstere Sturmwolken, unter denen sich bleierne Melancholie ausbreitet. Während wir die ersten zehn Kilometer sehr schnell und ungeduldig vorwärts drängten, gehen wir nun immer langsamer, je näher wir unserem Ziel kommen. Plötzlich bleibt Cayetana stehen, kurz bevor wir den Monte de Gozo, den Berg der Freude erreichen, von wo man Santiago zum ersten Mal sieht. „Ich will nicht ankommen, weil dann alles zu Ende ist…“, sagt sie zu mir. „Ja, so ist das eben: am Ziel ist der Weg zu Ende.“ Mir fällt keine bessere Antwort ein, obwohl ich dasselbe fühle wie sie.

Drei Minuten später stehen wir auf dem Berg der Freude am Pilgerdenkmal, doch Freude will nicht aufkommen. Der erste Anblick ist zu enttäuschend: die Türme der Kathedrale weit entfernt, alles grau in grau, und das Fußballstadion zwischen Monte de Gozo und Kathedrale, das seit kurzem den Blick auf das Heiligtum mehr oder weniger versperrt, ein Verbrechen für die Ewigkeit. Etwas ratlos blicken wir uns an. „Naja, jetzt wo wir bis hierhin gekommen sind, sollten wir auch ankommen…“, murmelt Cayetana.

Aber wir rennen nicht wie viele andere den Berg hinunter, sondern nähern uns mit langsamen, nachdenklichen Schritten der Altstadt von Santiago und der Porta do Camiño. In Zeitlupe durchschreiten wir den Torbogen (wir wollen nicht ankommen!). Doch schließlich, als schon erste Regentropfen aus den bleigrauen Wolken fallen, stehen wir vor der Treppe zum Himmel und der grandiosen Doppelturmfassade der Kathedrale. Es blitzt in Cayetanas Augen, als sie vorschlägt: „Also ich finde, jetzt haben wir uns verdient, dass man Musik für uns spielt, während wir hinauf steigen – wie wär’s zum Beispiel mit Verdis Triumphmarsch aus Aida?“ Natürlich ertönt nichts dergleichen, als wir Stufe für Stufe empor steigen. Nur in meinem Kopf höre ich Musik. Die klingt aber nicht nach einem triumphalen Opernmarsch, sondern eher wie eine melancholische Ballade von Madredeus.

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Kaum oben angekommen, erwartet uns zunächst eine Enttäuschung. Der Mittelpfeiler mit Santiago-Statue, der seit 800 Jahren von allen ankommenden Pilgern berührt wird, ist eingezäunt und unerreichbar. Und der größte Teil des weltberühmten Portico de la Gloria ist wegen Restaurierung eingerüstet, nur aus einer Ecke schauen ein paar Apostelköpfe ohne Gitter neugierig auf die müden Pilger. Zögernd betreten wir den weiten Raum, der das Ziel unserer Pilgerreise ist. Noch eine Viertelstunde bis zur Pilgermesse. Wir schreiten die Säulen des romanischen Tempels ab und Cayetana fotografiert die über uns schwebende Kuppel mit dem Dreieck im Zentrum – Symbol für die Dreifaltigkeit und Vollkommenheit.

In diesem Moment nähert sich einer der mit grellgelben Warnwesten gekleideten Wächter der Kathedrale, mustert uns, als ob wir Verbrecher wären und fragt uns, was wir da machen. ¡Fotografieren ist ausdrücklich erlaubt! Und dann fordert dieser ungehobelte Türsteher uns allen Ernstes auf, die Kathedrale auf der Stelle zu verlassen. Wir schauen ihn einigermaßen entgeistert an.

Cayetana stemmt die Hände in die Hüfte und holt ganz tief Luft, bevor sie ihn in nicht im Kathedralen-Flüsterton, sondern mit unsakraler Lautstärke anfährt: „Siehst Du nicht die Muschel an meinem Rucksack? Glaubst Du, ich bin 1000 Kilometer gelaufen, um in diese Kathedrale zu kommen, damit Du mich jetzt nach einer Minute wieder rauswerfen kannst? Was meinst Du eigentlich, wer Du bist! Kommst Dir wohl vor wie Petrus mit dem Himmelsschlüssel, der entscheidet wer rein darf und wer nicht? Sehe ich Dir nicht fromm genug aus? Ich wette, Du würdest selbst Jesus rauswerfen, so verdächtig, wie der aussah…“ In dem Moment halte ich meiner Begleiterin sanft den Mund zu, aber der Wächter hat sich schon längst ganz klein vor Schreck zurück gezogen. Mit so heftiger Reaktion hatte er kaum gerechnet.

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Cayetana stemmt die Hände in die Hüfte und holt ganz tief Luft, bevor sie ihn in nicht im Kathedralen-Flüsterton, sondern mit unsakraler Lautstärke anfährt: „Siehst Du nicht die Muschel an meinem Rucksack? Glaubst Du, ich bin 1000 Kilometer gelaufen, um in diese Kathedrale zu kommen, damit Du mich jetzt nach einer Minute wieder rauswerfen kannst? Was meinst Du, wer Du bist! Kommst Dir wohl vor wie Petrus mit dem Himmelsschlüssel, der entscheidet wer rein darf und wer nicht? Sehe ich Dir nicht fromm genug aus? Ich wette, Du würdest selbst Jesus rauswerfen, so verdächtig, wie der aussah…“ In dem Moment halte ich meiner Begleiterin sanft den Mund zu, aber der Wächter hat sich schon längst ganz klein vor Schreck zurück gezogen. Mit so heftiger Reaktion hatte er kaum gerechnet.

Es ist ein Skandal, dass man in der heiligsten Kathedrale der Christenheit als Wächter Typen anheuert, die die Optik von Diskotheken-Türstehern und den Charme von Dorfpolizisten aus der Franco-Ära haben. Mir bleibt eine Viertelstunde: mit vehementer Überredungskunst und der Hilfe von Engeln schaffe ich es, dass Cayetana ihren Zorn besänftigt und zur Pilgermesse bleibt.

Die ist dann wirklich schön. Betörend der Gesang der Nonne, die den Gottesdienst einleitet. Beeindruckend die Zahl der Pilger, die verlesen wird: allein am heutigen Morgen sind 3.000 angekommen. Deshalb werden nicht mehr, wie früher, die Heimatorte der Pilger verlesen (das würde Stunden dauern), sondern nur noch erwähnt, wie viele sich jeweils von welchem Ausgangspunkt auf den langen Weg machten. Saint-Jean-Pied-de-Port / Roncesvalles (Camino Francés, mehr als drei Viertel), Sevilla (Vía de la Plata), Urquera bei San Sebastián (Camino del Norte), Faro oder Lagos (Camino Portugués). Und eben der Pyrenäenpass Somport, unser Startpunkt.

Tausende von Pilgern aus allen Himmelsrichtungen sind hier versammelt, haben ihren mitgeschleppten Ballast abgeladen – an jeder Säule lehnen Dutzende von Rucksäcken – und lassen ihre Wünsche wie Weihrauch durch das Kirchenschiff emporsteigen. Ein beeindruckendes Bild vom Volk Gottes auf Wanderschaft. Während der Messe tauchen aus dem Weihrauchnebel nach und nach die Gesichter aller Personen auf, die uns auf unserem langen Weg geholfen und erfreut haben.

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Nach der Messe wollen wir endlich ungeduldig unsere Pilgerurkunde abholen. Die Schlange vor dem Pilgerbüro ist nicht mehr ganz so lang wie morgens vor der Messe, aber immer noch beachtlich. Und die begehrte Urkunde verlangt uns den letzten Aufstieg ab – drei Treppen sind innen noch zu bewältigen. Dann stehen wir vor der Herrin der Stempel. Das von Cayetana befürchtete Kreuzverhör mit inquisitorischen Fragen zur frommen Motivation für ihre Pilgerreise entfällt. Die Kontrolleurin überfliegt nur kurz unsere Pilgerausweise mit all den bunten Stempeln und prüft sie auf Lückenlosigkeit, nickt kurz anerkennend, als sie „Somport“ notiert, dann saust der blaue Stempel mit der Jakobus-Statue nieder: „Cumplió la peregrinación“ (Sie vollendete den Pilgerweg“ – 1. Juli 2013). Bei Cayetana will immer noch kein Hochgefühl aufkommen, denn hier im Pilgerbüro hatten wir uns mit Benny dem Piraten verabredet. Wir warten noch eine halbe Stunde vergeblich, auch telefonisch ist er nicht zu erreichen, sondern bleibt verschwunden, als wäre er uns nie begegnet.

Durch graue Granitgassen schlendern wir unter Nieselregen todmüde zum Hotel, wo wir schon nach Minuten in einen tiefen, traumlosen Siesta-Schlaf fallen. Als ich aufwache, sieht die Welt gottlob ganz anders aus. „Hey, steh auf, die Sonne scheint!“, versuche ich Cayetana wach zu rütteln. Ungläubig starrt sie aus dem Fenster und registriert mit müdem, aber zufriedenem Lächeln, dass die heilige Stadt aus grüngrauem Granit bei Sonnenlicht viel einladender aussieht.

Ich erinnere meine Begleiterin daran, dass unsere Pilgerreise noch nicht komplett ist: „Wir haben zwar schon unsere Pilgerurkunde, aber eigentlich sind wir noch gar nicht angekommen, denn das Wichtigste fehlt noch…“ – Cayetana antwortet deutlich motivierter als noch heute morgen: „Ja, wir müssen noch Santiago umarmen!“ Denn in der Tat müssen wir noch ins Herz des Heiligtums vorstoßen, unser Gebet vor dem silbernen Jakobus-Sarkophag verrichten und vor allem hoch oben im Hauptaltar die Statue des Heiligen umarmen und ihm einen Wunsch ins Ohr flüstern, wie es schon Millionen Pilger vor uns getan haben.

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Cayetana behauptet, man dürfe Santiago drei Wünsche einflüstern, nicht nur einen. Keine Ahnung, wo sie das gelesen haben will, ich gebe zu bedenken, man dürfe einen so viel beschäftigten Heiligen auch nicht überstrapazieren, und sie solle sich doch auf einen einzigen Wunsch konzentrieren. „Nein, drei!“, entgegnet sie trotzig. Das kann also dauern, denke ich, als wir die Treppe zur Statue mitten durch das Goldgebirge des Hochaltars ersteigen – da wird die Gruppe der Koreaner direkt hinter Cayetana schon sehr ungeduldig, als sie minutenlang ihre drei Wünsche in aller Feierlichkeit formuliert und der Statue eintrichtert.

Dann ist es endlich vollbracht. Nachdem sie dem Heiligen im Silbermantel noch den üblichen Spruch „Amigo, recomiéndame a Dios“ – „Mein Freund, empfehle mich Gott“ zugeflüstert hat, kommt sie freudestrahlend die Treppe hinunter und zieht mich an der Hand aus der Kathedrale heraus auf den nun sonnenüberfluteten Platz. Sie lässt sich auf den Treppenstufen der Plaza de la Quintana neben den Brunnen fallen und beginnt mit Blick auf die Heilige Pforte einen SMS-Marathon, um ihren Pilger-Triumph der ganzen Welt mitzuteilen. Das Resultat lässt nicht lange auf sich warten: dutzendfaches Piepsen der antwortenden Glückwünsche.

Als wir kurz vor Sonnenuntergang vom Hügel des Stadtparks aus den Malerblick auf das Altstadtpanorama genießen, erinnern wir uns an die Worte von Jugendgruppenleiter Juan: „Eine magische Stadt ganz aus Granit, die aber in der Abendsonne golden schimmert…“ Und nachdem die Ankunft am Morgen eher ein düsterer Schock war, erfüllt jetzt leuchtender Frieden unser Innerstes und oft noch werden an diesen Moment zurück denken.

Text und Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
Letzte Etappe von Arca do Pino bis zur Kathedrale von Santiago: 20 Kilometer
www.santiagoturismo.com
www.peregrinossantiago.es

Übernachtung in Santiago:
Hotel Compostela, C. Hórreo 1, Tel. 981-585700, zentral am östlichen Rand der Altstadt gelegenes 4*-Hotel mit komfortablen Zimmern ab 75 Euro. www.hotelcompostela.es/de/

Verpflegung in Santiago:
Restaurant „Casa Paredes“, Calle Carretas 1 / Ecke Rúa das Hortas, Tel. 981-557102, Spezialität Lammgerichte

Kirchen:
Kathedrale von Santiago de Compostela: eine der größten und bedeutendsten romanischen Kirchen Europas, zu Recht berühmt das Hauptportal „Portico de la Gloria“ mit Apostelskulpturen des Meisters Mateo (1160 – 1188).
Ein Kuriosum: Der romanische Bau ist fast komplett barock ummantelt, so dass man das romanische Portal hinter der bombastischen barocken Doppelturmfassade (1750) von außen gar nicht sieht. Diese barocke „Verpackung“ hat sicher auch dazu beigetragen, dass die über 800 Jahre alten Romanik-Skulpturen trotz des Dauerregens in Galizien so erstaunlich gut erhalten sind. Während der Barock außen grandios wirkt, sind die barocken Einfügungen im Innern des romanischen Tempels eher störend: der kolossale Hauptaltar wirkt hier unpassend und erreicht auch nicht die Qualität der genialen Barockaltäre des Klosters San Martín Pinario (s.u.).
Empfehlenswert die Führung über die Dächer der Kathedrale (12 Euro) www.catedraldesantiago.es
Geöffnet: Kathedrale 7 – 20 Uhr (Juni-Sept. bis 21 Uhr); Kathedralmuseum: Mo. – Sa. 10 – 13.30 und 16 – 18.30 (Juni-Sept. bis 20 Uhr), So. 10 – 14 Uhr. Eintritt 6 Euro

Kloster San Martín Pinario: das riesige Barockkloster hat die sehenswerteste Kirche von Santiago, die zusammen mit angrenzenden Museumssälen besichtigt werden kann. Geöffnet: Di. – So. 11 – 13.30 Uhr und 16 bis 18.30 Uhr (Sommer bis 19 Uhr). Eintritt: 2,50 Euro. Im Hauptschiff der Kirche drei gigantische, vergoldete Barockaltäre (rechts Sonnen-, links Mondaltar, der Hauptaltar des Barockmeisters Casas y Novoa ist wie ein Gebirge aus Statuen, Engeln, Baldachinen), im Obergeschoss das Renaissance-Chorgestühl, das aus der Kathedrale von Santiago stammt. www.museosanmartinpinario.com
www.santiagoturismo.com/monumentos/mosteiro-e-igrexa-de-san-martino-pinario

Romanische Kirche Santa María la Real de Sar (frühes 12. Jahrhundert): gilt als älteste Kirche Santiagos, etwas außerhalb in einem südöstlichen Vorort. Bemerkenswert die dramatisch schiefen Säulen und Wände. Schöne Madonnenstatue im Chor. Romanischer Kreuzgang und kleines Museum. Geöffnet: Mo. – Sa. 10 – 13 Uhr und 16 – 19 Uhr, So. nur 10 – 13 Uhr. Eintritt: 1 Euro.

Renaissance-Kirche San Francisco aus dem 16. Jahrhundert (erneuert im 18. Jahrhundert) mit monumentaler Doppelturm-Fassade und großer Franziskus-Statue mit Jesuskind zwischen vier Säulen. Innen klassizistischer Hauptaltar und links vom Hauptaltar in einer Vitrine ein entzückend realistisches Jesuskind. Geöffnet: nur kurz vor und nach den Messen, Eintritt frei.

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[art_2] Bolivien: Saubere Kochstellen
 
Fast die Hälfte der Menschen weltweit bereiten ihre Mahlzeiten auf offenen Feuern oder primitiven Herden zu. Das bedeutet: dicker Rauch, der in den oft sehr kleinen Hütten steht, in denen die Menschen nicht nur Kochen, sondern auch leben und schlafen. Und es bedeutet einen enormen Verbrauch an Holz. Um diese Probleme in den Griff zu kriegen, hat die UNO sich das Ziel gesetzt bis zum Jahr 2020 100 Millionen Haushalte mit sauberen Kochstellen auszurüsten.

Noch fünf Minuten, dann sind Gregoria Rodriguez Kartoffeln gar. Sie schürt noch einmal das Feuer in ihrem Herd, auf dem drei verbeulte und vom Ruß geschwärzte Aluminiumtöpfe stehen.  Holz nachlegen muss sie nicht. "Wir haben einen neuen Herd bekommen und der verbraucht viel weniger Holz als der alte. Früher waren wir stundenlang mit den Eseln unterwegs und mussten weite Strecken laufen, um Holz zu sammeln. Heute geht das ganz schnell, weil wir nicht mehr so viel davon brauchen", erzählt Gregoria auf Quetchua.

Gregoria Rodriguez lebt in einer einsamen Gegend der bolivianischen Anden. Die Berge sind kahl, die Natur karg – Holz ist knapp und kostbar. Deshalb ist der sparsame Herd für die Kartoffelbäuerin nicht nur eine große Hilfe. Er ist vielmehr als das – er ist Teil einer groß angelegten Aktion der Vereinten Nationen. Die Global Alliance for Clean cook stoves (Weltweites Bündnis für saubere Kochstellen) will bis 2020 insgesamt 100 Millionen Haushalte mit besseren Kochstellen ausrüsten und dadurch gleich mehrere Probleme lösen: "In Gegenden, wo die Nutzung von Biomasse zum Kochen tatsächlich ein kritischer Faktor für die Abholzung der Wälder ist, da können diese Programme für effiziente Nutzung von Cookstoves einen Beitrag leisten um den "Druck" auf die Wälder mindern", erklärt Ton Willington Ortiz.

Willington Oritz kommt aus Kolumbien und ist Mitarbeiter des Wuppertal Institutes, das sich unter anderem mit Klimafragen befasst. Er ist dort Energieexperte für Entwicklungsländer. 2,6 Milliarden Menschen weltweit kochen mit Biomasse. Nicht alle nutzen dazu Holz, in manchen Gegenden wird beispielsweise auch Kuhdung verbrannt. Der Schaden für die Umwelt ist dann wesentlich kleiner, doch ein gravierendes Problem der Herdfeuer betrifft alle, die auf einfachen Kochstellen ihr Essen zubereiten: Die Verbrennung ist unvollendet. Das heißt, die Emissionen enthalten viele Stoffe, die gesundheitsschädlich sind. Was passiert mit den Abgasen – denn Abgase entstehen immer bei einer Verbrennung, egal ob es sich um eine effiziente Verbrennung oder nicht effiziente Verbrennung handelt. Stellt sich also die Frage: Wie werden diese Gase abgeleitet aus der Küche?

Die Global Alliance for Clean cook stoves versucht dieses Problem durch besser konstruierte Herde zu lösen, die für eine vollständige Verbrennung sorgen und über einen guten Abzug verfügen. Für Gregoria Rodriguez ist dieser Aspekt mindestens so wichtig wie der Holzverbrauch. Der Raum, in dem sie kocht, ist fensterlos, gerade einmal neun Quadratmeter groß und nicht nur Küche sondern auch Schlafzimmer. "Der alte Herd besaß keinen Abzug und nach dem Kochen stand eine so schwere Rußwolke im Raum, dass uns die Asche ins Essen fiel. Wir haben alle ständig gehustet und der Auswurf war mit kleinen Kohlestückchen durchsetzt. Mit dem neuen Ofen wird der Rauch nach draußen geleitet und der Husten ist weitestgehend verschwunden", erklärt sie. Das ist nicht zu unterschätzen: Jedes Jahr sterben mehr als zwei Millionen Menschen, weil sie die Abgase von Herdfeuern einatmen.

Der Preis für Gregoria Rodriguez Umwelt und Gesundheit schonende Küche ist mit rund 100 Euro überschaubar. Für die Bauernfamilie wäre das unerschwinglich, doch mit Hilfe der Global Alliance for clean cook stoves konnten bereits über 20 Millionen solcher sauberen Kochstellen angeschafft werden.

Text: Katharina Nickoleit

Tipp: Katharina Nickoleit hat u.a. einen Reiseführer über Bolivien verfasst, den Ihr im Reise Know-How Verlag erhaltet.

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
ISBN: 978-3-89662-586-1
Seiten: 252
Verlag: Reise Know-How
4. aktualisierte Auflage 2014

[druckversion ed 05/2015] / [druckversion artikel] / [archiv: bolivien]





[art_3] Spanien: Mallorca im Winter (Bildergalerie Teil 2)
Colònia de Sant Jordi / Es Trenc – herzlich, entspannt und verschlafen

Die Fenster und Türen der Hotels sind verschlossen. Pools abgedeckt, die Terrassen-Tische und -Stühle eingepackt und sogar die Palmen sind mit einer dicken weißen Plane umhüllt. Hier und da ein Gerüst und ein paar Arbeiter, mit kleineren Sanierungsarbeiten zu Gange.

Auch die Restaurants halten Winterschlaf. Immerhin hat das Fischrestaurants, dessen Fischer einmal die Woche raus fahren an Son- und Feiertagen geöffnet. Und zwei Bars, für die es o.k. ist, wenn sich auch Touristen zu ihnen verirren.

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Die Atmosphäre ist entspannt. Im kleinen Supermarkt wird egal wer schnell in Gespräche einbezogen. Der Umgang der Hand voll Einheimischer und der Hand voll Touristen ist herzlich, entspannt, beruhigend. Niemand ist fremd.

Mal scheint die Sonne, dann reicht ein T-Shirt, mal ist es nass-kalt, dann laufen wir in voller Wintermontur über den Strand. Der Strand ist der Es Trend. Naturbelassen und unbebaut. Auf dem gigantischen Parkplatz stehen fünf Autos. Der Betreiber des Chiringuito, der Standbar, hat heute bereits nach zwei Stunden wieder geschlossen, zu stürmisch.

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Es ist Silvester. Wir finden mittags ein Restaurant und abends schauen wir auf ein paar Tapas in einer der Bars vorbei. Um 10 liegen wir im Bett und verschlafen bei offenem Fenster den Beginn des neuen Jahres.

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Text + Fotos: Dirk Klaiber

[druckversion ed 05/2015] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]






[art_4] Brasilien: Richtige Indianer?

Nach fünf Jahren Studium der Ethnologie bin ich endlich bei den Indianern angekommen, als Praktikant einer bahianischen Hilfsorganisation und als Feldforschungsamateur in Magisterangelegenheiten. Nur gut, dass es so lange gedauert hat – bei jedem früheren Besuch wären die Xucuru-Kariri in Alagoas sicherlich noch nicht zivilisiert genug gewesen, mir einen Computer im Dorf bieten zu können, an dem ich diesen Text schreibe und per Internet verschicke.


Letztens war ich wieder mal am Staubecken, mit meinen jugendlichen Betreuern Mano und Rafael, unten, im Wald, wo man so schön die Aras über sich kreisen sieht, wenn man auf dem Rücken schwimmt, zwischen den Luftwurzeln. Es war allerdings etwas später als gewohnt, und als wir uns auf den Rückweg ins Dorf machten, dunkelte es bereits. Oma Salete, die große Matriarchin der Familie, schickte mich sofort in mütterlicher Besorgnis meine nassen Klamotten wechseln. Später hörte ich dann ihre Tochter Eliete meinen Freund Mano darauf hinweisen, dass Oma den Nico nicht mehr so spät im Wald haben will. Ich frage, ist das denn gefährlich, sie antwortet, Oma denkt schon. Ich war natürlich ein bisschen eingeschüchtert, ungewollt mütterliches Gesetz übertreten zu haben, aber im Grunde habe ich mich gefreut, denn augenblicklich sprang mir ein ganzes Heer aufregender Ethnologica in den Kopf, Sachen, die ich irgendwo mal über irgendwelche Indianer gehört hatte: Das Dorf als zivilisierte Zone, die den Menschen gehört, im Gegensatz zur gefährlichen Ungezähmtheit der Natur, die im Dschungel mit Geistern und Dämonen ihr Unwesen treibt... Und nur der entsprechend Vorbereitete darf sich zu gewissen Zeiten im Wald bewegen, man muss mit diesen Dingen umzugehen wissen.

Dass der Indianer die Natur als seine Mutter liebt und verehrt, ist ja bestenfalls die halbe Wahrheit und zu guten Teilen Rousseau und seiner Idee vom edlen Wilden zu verdanken – so suhle ich mich in meinem Fachwissen – und der Indianer ist nicht automatisch Umweltschützer.

Nein, ich weiß von Gruppen, die ihr Leben als regelrechten Krieg gegen die kulturvernichtenden Kräfte der Natur betrachten, auch wenn mir jetzt beileibe nicht ihre Namen einfallen. So dachte ich und erfreute mich meiner Sachkenntnis und des Geheimnisses, das mit einem Mal scheinbar in der Luft lag. Denn im Grunde rettet auch eine jahrelange wissenschaftliche Ausbildung nicht vor romantischem Exotismus, jedenfalls nicht mich.

Ein paar Tage später befanden wir uns auf Außenmission in einem Dorf auf der anderen Seite des Waldes. Das Unterfangen dauerte etwas länger als geplant, man zeigte uns viele Sachen, hier unser heiliger Ort, wo wir unsere Feste feiern, hier der verzauberte Stein, wo einst eine alte Indianerin spurlos verschwand. Dann wurde noch ein bisschen getanzt, und es dunkelte bereits, als wir uns auf den Heimweg machten, durch den Dschungel. Ich war so begierig, meine These von den übernatürlichen Gefahren zu überprüfen und so darauf fixiert, das Verhalten der anderen zu beobachten, dass ich selbst vergaß, den stockfinsteren, laut pfeifenden, schlammigen Wald - den ich barfuß durchqueren musste, weil meine blöden Strandlatschen ständig abflutschten - unheimlich zu finden. Und welche Enttäuschung. Meine Freunde hatten ganz offensichtlich keine Angst. Es wurden keine besonderen Vorkehrungen getroffen, um etwaige Gespenster in die Flucht zu schlagen, im Gegenteil, es wurde sorglos gewitzelt wie sonst auch, es wurde ein bisschen gesungen wie sonst auch, und einmal stellte ich meine alberne Stirnlampe auf Blinkmodus, sagte "Indianerdisco", und alle lachten und zappelten kurz ekstatisch.

Zweimal fürchtete ich mich ein bisschen: Einmal blockierten zwei Kühe den Weg, ihre Augen leuchteten irr im Schein meiner Hightechlampe, und sie wollten nicht so recht beiseite gehen. Ein anderes Mal überquerten wir die Staumauer, schon fast am Dorf, rechts der Abgrund mit dem Wasserfall, links das pechschwarze, bodenlose Wasser, und Mano musste auch noch auf dem schmalen Grat anhalten und irgendwas in meiner Tasche wühlen. Aber Gott, Angst vor Kühen und Angst vorm Stolpern, was für langweilige, normale, unspirituelle Furcht das war...

Wir schlugen uns in die Büsche, steil bergauf, glitscheglatt, zappenduster, um den letzten Rest des Weges zum Dorf abzukürzen. Unter uns krachte es im Wald, Holzfäller, die im Schutz der Dunkelheit Brennholz schlugen und die Umwelt kaputt machten. Mano blieb stehen und rief den Berg hinunter: "Wirf doch noch einen um!" Ich wunderte mich, dass er die Umweltsünder nicht mit mehr Nachdruck beschimpfte, aber dachte nicht weiter darüber nach.

Wieder ein paar Tage später, Mano, Rafael und ich teilten uns ein Zimmer in einem halbfertigen, leer stehenden Haus im Dorf. Männergespräch vorm Einschlafen. Die Jungs fragten mich, ob ich nicht den Typen bemerkt hätte, der uns vom verzauberten Stein im anderen Dorf den ganzen Weg durch den Dschungel gefolgt war. Den Typen, der zwischendurch nach meiner Tasche gegriffen hatte - deswegen war Mano auf der Staumauer stehen geblieben, er wollte nachsehen, ob die Kamera in der Tasche in Ordnung war. Den Typen, der dann nachher Bäume umschmiss, um uns zu erschrecken. Den Zombi eben.
Mayra hatte Angst.
Jujuba hatte Angst.
Rafael hatte keine Angst, denn er hat jahrelang mit Geistern und gegen Geister gearbeitet, und er weiß, sich zu verteidigen.
Mano hatte keine Angst, weil er sicher war, dass sein Ritual, der Ouricuri, ihn schützte.
Ich hatte keine Angst, weil ich dachte, es wären ein paar blöde Holzfäller.

Und klar, das denke ich auch immer noch. Sicher. Nur... was sind das für blöde Holzfäller, die im Dunkeln in den Wald gehen, um Feuerholz zu suchen? Wo doch hier kaum jemand eine Taschenlampe besitzt? Wo man doch auch am helllichten Tag im Wald unbehelligt machen kann, was man will? Wenn es dunkel ist und der Wind in den Bananenpalmen knattert, beunruhigt mich das ein wenig, das kann man nicht wegdiskutieren.

Ich bin jetzt seit fast einem Monat hier, und erst diese Geschichte hat mir vor Augen geführt, wie sehr ich in der Fremde bin.

Die Indianer im Nordosten Brasiliens, das wird immer wieder von ihnen selbst betont, standen in vorderster Linie, als die Portugiesen hier eintrafen, und sie sehen sich seit fünfhundert Jahren konstanter Zivilisierung ausgesetzt. Fast alle Gruppen haben ihre Sprachen verloren, alle sind Christen, wenn auch auf eine sehr eigene Art. Es gibt einige sehr augenfällige Eigenarten, die die Leute hier als Indianer kennzeichnen und die auch von ihnen genau zu diesem Zwecke, der Betonung der indianischen Identität, gegenüber der Außenwelt eingesetzt werden: Die Pfeife und der dazugehörige Tabak; der Toré, ein Kreistanz mit Gesang und Rasseln; der Ouricuri, ein Ritual, das fern vom Weißen in einem zweiten, kleinen, nur für diesen Zweck errichteten Dorf im Regenwald stattfindet.

Sieht man von diesen Dingen ab, ist es für den Außenstehenden sehr schwierig, die Unterschiede zu erkennen zwischen denen, die diesseits und jenseits des Schildes der FUNAI und des Stacheldrahtes leben, der die Grenze zwischen Indianern und "Weißen" markiert: Die Gesichter sind dieselben, die Häuser sind dieselben, und die Armut ist auch dieselbe. Und der Außenstehende bin in diesem Fall nicht nur ich, sondern auch der Rest der brasilianischen Gesellschaft, die fragt, ob das überhaupt richtige Indianer seien, die nur portugiesisch sprechen und genauso aussehen wie alle anderen Bewohner des Hinterlandes. Die Unterschiede erschließen sich nicht auf den ersten Blick, und sie lassen sich schon gar nicht genetisch erklären. Selbst historisch dürften die nicht-indianischen Nachbarn der Indianer, die Caboclos, ähnliche Dinge hinter sich haben wie die Indigenen.

Dass diese Situation konfliktträchtig und schwierig ist, leuchtet ein. Auch ich bin mir noch nicht ganz sicher, welche Meinung ich dazu habe. Aber je mehr Zeit ich hier verbringe, desto indianischer kommen mir meine Indianer vor, nicht zuletzt dank des Zombi – obwohl der, zumindest dem Namen nach, wohl eher afrikanische Wurzeln hat. Man sagte mir jedoch hier, es handele sich um ein indianisches Wort.

Und dass es Zombies auch im Fernsehen und auf Haiti gibt und der Begriff eben eher afrikanischen Ursprungs ist, ist hier scheinbar niemandem bewusst. Was der Zombi allerdings tut, lässt ihn wie einen Verwandten des Curupira aussehen, eines Waldgeistes der Tupi-Indianer, der gerne Bäume umwirft und Wandernde vom Weg abbringt.

Wenn man wollte, könnte man vielleicht auch die Herkunft des Gebrauchs der Pfeife zu den entflohenen schwarzen Sklaven zurückverfolgen, die sich im Hinterland mit den Indigenen vermischten, und den Indianern dann unter die Nase reiben, dass sie sich in der Wahl ihrer kulturellen Symbolik vergriffen haben.

Es ist allerdings mehr als arrogant, ihnen die Entscheidung darüber abnehmen zu wollen, wie man Indianer zu sein hat. Entsprechend der brasilianischen Gesetzgebung ist derjenige Indianer, der sich als solcher bezeichnet und von einer indianischen Gemeinschaft als solcher akzeptiert wird. Das scheint mir eine vernünftige Einstellung, die im übrigen jenseits des Gesetzbuches und in der Praxis bedauernswert wenig weit verbreitet ist. Über diese Maßgabe hinaus zu bestimmen, ob Indianer von heute mit Pfeil und Bogen schießen müssen, um sich für die Indianerschaft zu qualifizieren, ist - wenn überhaupt irgendjemandes – die Aufgabe der Indianer selbst.

Text: Nico Czaja
Fotos: Nico Czaja + Tanawy "Mano" Tenório

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[art_5] Portugal: Jazzszene
 
Viele junge Talente, kaum Auftrittsmöglichkeiten, innovative Label, erfolgreiche Festivals und kaum Finanzierung, das alles kennzeichnet die Situation im Land.

Jeder Portugiese, der Jazz liebt oder mit ihm zu tun hat, kennt die Sendung „Cinco minutos de Jazz“, die der Jazzkritiker Jose Duarte (*1938) zunächst von 1966-1975 täglich im privaten Sender „Rádio Renascença” präsentierte.

Das Radioprogramm, das dann von 1984-1993 auf „Rádio Comercial” ausgestrahlt wurde und seither bei „Antena 1” läuft, ist die dienstälteste Sendung in Portugal und erhielt im Jahr 2014 eine Auszeichnung als bestes Programm. Duarte präsentiert dort vom New Orleans-Jazz bis zum Free-Jazz alle Stile und hat so sehr viele Portugiesen überhaupt erst mit dieser Musik bekannt gemacht, wie Inês Cunha bestätigt, die Präsidentin des Vereins „Hot Clube de Portugal“ (HCP), dem wiederum ältesten noch bestehenden Jazzclub in Europa. Dort bestreiten damals wie heute vor allem einheimische Musiker den Großteil des Programms: „Wir veranstalten von Do.–Sa. Konzerte mit derselben Band, meistens Portugiesen, da wir Ausländer kaum bezahlen können. Di. und Mi. haben wir Jam Sessions mit den Schülern der verschiedenen Jazz-Schulen. Ich kann selten die Musiker von dem bezahlen, was an der Kasse reinkommt. Das Gute ist, dass die rund 400 Vereinsmitglieder monatlich ihre Beiträge zahlen, das hilft sehr“, sagt Inês Cunha, „leider haben wir auch wenig Geld für Werbung, um z.B. Touristen zu erreichen. Wir betreiben unsere Website, versenden Newsletter und einige Flyer an Hotels etc. und seit vier Jahren machen wir ein halbjährliches kostenfreies Magazin, ‚HOTnews’, das in einer kleinen Auflage (300 Stück) zunächst auf Papier und dann online erscheint.“ Rund 90 Gäste passen bei Konzerten in den Club, der modern wirkt, in schlichtem Grau gestrichen, mit einer kleinen Außenanlage über deren Theke ein riesiges Foto hängt, auf dem (fast) alle Aktiven der Jazzszene Lissabons zu sehen sind.


Foto: Inês Cunha

Die aktuelle Situation der Jazzszene Portugals ist bedenklich: Einerseits gibt es viele gute junge Musiker, andererseits kaum Auftrittsmöglichkeiten im Land: „In Porto findet man einige Jazz-Bars und eine Schule, in Cascais und einigen anderen Städten unregelmäßig geöffnete Clubs, in Coimbra entsteht gerade eine Szene, in Lissabon lässt es der wachsende Tourismus zu, dass es verschiedene Bars u.ä. gibt, wo an bestimmten Wochentagen Jazz gespielt wird, abwechselnd mit Fado, Salsa u.ä., aber ich kenne außer dem HCP keinen Club in ganz Portugal, der sich exklusiv dem Jazz widmet. Unsere Jam-Sessions sind da nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, es gibt zu viele junge talentierte Musiker“, sagt Inês Cunha.

Zu den „jungen, talentierten Musikern“ zählen z.B. die Trompeterin Susana Santos Silva mit ihrem Quintett, José Dias mit seiner Gruppe „Magenta“, das „Lisbon Underground Music Ensemble“ (L.U.M.E.) oder das “Qrquestra Jazz de Matosinhos”. Immerhin existieren momentan sieben Labels im Land, auf denen auch Portugiesen ihre Alben veröffentlichen: „Creativ Sources“ (u.a. „IKB Ensemble“, Gonçalo Almeida, Pedro Sousa), „JACC“, „Portajazz“, „toap“ (tone of a pitch; u.a. Susana Santos Silva), „Sintoma“ (u.a. „Magenta“, José Dias Quarteto), das neu gegründete HCP-Label und das international erfolgreiche Label „clean feed“.

Jedoch hapert es in Portugal am Vertrieb, wie Inês Cunha weiß: „Bei Ketten wie FNAC findet man nichts, es geht nur über Konzerte oder online. Und es gibt einen Laden in Lissabon, „Dargil“, wo man portugiesische Jazz-CDs kaufen kann.“ Und seitdem die einzige Jazz-Zeitschrift des Landes, die 2005 geborene „jazz.pt“, wieder verschwunden ist (es gab auch schon früher Versuche, wie „O papel do Jazz“ oder „All Jazz“, aber alle scheiterten), hat der Jazz neben einigen Zeitungsartikeln fast nur noch online ein Forum, denn auch Radio und TV beschäftigen sich selten mit ihm.

Allerdings begann der Abstieg des Jazz nach den Goldenen Jahren nach der Revolution (1974) schon viel früher wie Saxophonist Carlos Martins, der das Festival „Festa do Jazz do São Luiz“ leitet, erzählt: „Vor 20 Jahren gab es zwar noch viel Geld, aber die Festivals etc. begannen, vor allem ausländische Musiker einzuladen bzw. auf Pop- und Rockmusik umzustellen. Und von den portugiesischen Jazzern erhielten nur noch die zwei, drei bekanntesten Auftrittsmöglichkeiten. Und dann kam es noch schlimmer, denn die Stadtverwaltungen dachten sich, wozu brauchen wir Jazz, wenn wir einen Popstar buchen können oder eine tolle Oper, diese Jazztypen sind sowieso oft seltsam, erzählen komische Sachen etc. Ein Bürgermeister, der sonst keine Chance hatte in die Presse zu kommen, konnte mit einem Festival sein Gesicht auf die erste Seite bringen, um so eher, wenn internationale Stars auftraten. Und so kam es, dass auf mit öffentlichen Geldern finanzierten Festivals schließlich keine Portugiesen mehr spielten. Deswegen gründete ich erst ‚Lisboa in Jazz‘, nur für Portugiesen, die allerdings ausländische Gäste einladen konnten, dann schließlich 2002 ‚Festa do Jazz do São Luiz‘. Dazu holte ich Luis Hilário (vom HCP) ins Boot, der die Verwaltung übernahm.“


Foto: Carlos Martins

Die Festivallandschaft hingegen zeigt sich stabil und vielfältig. Die Website www.jazzfests.net listet für das Jahr 2014 14 Festivals in Portugal (inkl. der Azoren und Madeira), von kleinen, nationalen Eintagesveranstaltungen („Estarrejazz“) bis zum internationalen „Cool Jazz Fest“, wo auch schon Popstars wie Sting aufgetreten sind. Seit 10 Jahren richtet zudem das Goethe-Institut ein Festival aus, „Jazz im Goethe Garten“.

Und die Besucherzahlen für Konzerte (aller Art) haben sich in Portugal zwischen 1990 und 2009 mehr als verzehnfacht. Hoffnung macht auch, dass sich seit dem Jahr 2010 die Bewegung „Jazz-Hop Portugal“ um Projekte kümmert, in denen Jazz und Hiphop fusionieren.

Um die Situation dieser peripheren Musik in einem peripheren Land zu verbessern, aber auch um die Tradition des Jazz aufzuzeigen und die verschiedenen Generationen verstärkt zusammen zu bringen – einen Zweck den auch die 1. Veröffentlichung des neuen HCP-Labels verfolgt (siehe Rezension) - veranstaltete der HCP in Zusammenarbeit mit dem „Centro Cultural Vila Flor“ in Guimarães von Mai 2014 bis Mai 2015 einen Zyklus von Diskussionen und Konzerten zum Thema „Histórias de Jazz em Portugal“. Die beiden Jazzjournalisten António Curvelo und Manuel Jorge Veloso luden 16 bekannte heimische Musiker zu Gesprächen ein – darunter Maria João, der Saxophonist Pedro Moreira, der Pianist Carlos Azevedo oder der Bassist Carlos Bica, der in Berlin lebt und dort mit seinen Projekten – u.a. der Band „Azul“ – Erfolge feiert, - und ließen danach deren Kompositionen von jungen Talenten spielen. Am darauffolgenden Abend sprachen die beiden mit jungen Musikern und der „Altstar“ gab ein Konzert. Eine sehr gute Idee, die der Jazzszene hoffentlich verstärkte Aufmerksamkeit bringt.

Text + Fotos: Torsten Eßer

TIPP:
Torsten Eßer. "Fünf Minuten Jazz". Portugals Jazzszene gestern und heute (Jazzpodium 4/ 2015)

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[kol_1] Macht Laune: Per pedes durch den fast vergessenen Alentejo

Eigentlich wäre es so einfach. Man setzt sich ins Auto und fährt von Lissabon über den Tejo und schwups, ist man im Alentejo. Der Bedeutung nach heißt es nämlich genau das, „jenseits des Flusses“, mitunter kann dieses „jenseits“ allerdings weiter entfernt sein, als einem lieb ist.

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Rudi alias Rodolfo alias Ruedi ist schon nach den ersten Schritten voll in seinen Element. Der Schweizer Auswanderer lebt in der Nähe von Vilha Nova de Milfontes und führt wanderbegierige Klientel entlang seiner Rota. Eigentlich ist das nicht wirklich nötig, denn der Weg ist sehr gut ausgebaut und, noch viel wichtiger, auch vorbildlich beschildert, aber sicher ist bekanntlich sicher, man möchte ja auch nicht verloren gehen. Und kann nebenher auch etwas lernen.

Mit typischen Schweizer Gutterallauten erklärt Ruedi sämtliche Gewächse, die da am Wegesrand stehen. Schleen, Büsche, Blumen, Nachtschattengewächse, eigentlich weiß er auf alles eine Antwort. Allerdings derart detailliert, dass man die erste Hälfte bereits wieder vergessen hat, während er zur nächsten Blume springt. All das ist aber nicht weiter tragisch, denn man will ja wandern. Entlang der Küste ist der Weg bisweilen etwas abenteuerlich. Seit jeher wurde er von Fischern genutzt, um zu ihren Angelplätzen und natürlich auch von den Einheimischen, um an die Strände zu gelangen. Und tatsächlich, auch wir treffen nur auf eine Handvoll Fischer, die ihre Angel in den Atlantik hängen. Es ist eng, uneben, manchmal geht es steil hinunter und dann ebenso steil wieder hinauf, manchmal führt die Rota fast direkt über die Klippen, so dass ein bisschen Schwindelfreiheit bei den Wanderern schon vorhanden sein sollte.


Dennoch: Wer sich hier auf den Weg macht, der wird entlohnt. Mit unglaublichen Blicken auf eine schroffe Naturschönheit, die immer wieder von Traumstränden unterbrochen wird. Da hinunter zu kommen, ist nicht immer einfach, aber eine Abkühlung lohnt sich, vor allem weil man Schatten auf dem Weg nur sporadisch bis gar nicht bekommt. Nun wissen wir auch, warum Ruedi zuvor fast gebetsmühlenartig wiederholte, man möge doch genügend Wasser mitnehmen.

Das Schöne am Wandern ist, dass man ständig Kopfkino fährt und mit seinen Gedanken und der Natur alleine ist. Man unterhält sich irgendwann nur noch während der Pausen, beim Baden oder am Ende der Tour, ehe man die Erlebnisse dann bei Tisch diskutiert. Am besten natürlich mit einem Porco Preto, dem schwarzen Schwein, das man hier Alentejano nennt und einem guten Rotwein, den das Land als Dreingabe auch noch produziert. Und wer dann noch wissen möchte, woher der Korken kommt, der in der Rotweinflasche steckt, der muss gar nicht weit fahren, sondern befindet sich bereits mittendrin im größten Korkanbaugebiet Europas. Das nämlich ist der Alentejo ebenso und man muss lediglich ein bisschen ins Inland fahren, um die riesigen Korkeichenfelder zu sehen.

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Einer, dessen Lebensgrundlage diese knorrigen, verwunschen aussehenden Bäume darstellen, ist Luis Dias. Mit seiner Familie hat er einen kleinen Agroturismo aufgebaut, aber natürlich ist die Korkproduktion die Hauptaufgabe. 40 Jahre muss eine Eiche erst einmal vor sich hin wachsen, alle zehn Jahre wird sie dabei partiell mit einem ganz eigenen Korkbeil geschält. Wer einmal zugesehen hat, wie schnell die Arbeiter eine Eiche von ihrer Rinde befreien, der weiß gar nicht, was dabei alles schiefgehen kann. „Ein falscher Schnitt und der Baum ist tot, trocknet aus“, erklärt Luis. Bei der Zeit, die ein neuer Baum braucht, um nachzuwachsen, sollte man sein Handwerk besser verstehen. Immerhin wird eine Korkeiche bis zu 200 Jahre alt, jedoch „nur“ 150 davon sind auch produktiv. Dass es ein Knochenjob ist, sieht man den Arbeitern deutlich an, die ab Mai bis September mit ihren scharfen Beilen den Eichen zu Leibe rücken. Dann nämlich bläst der Wind feucht-heiße Luft von Afrika über die Felder und die Korkeiche verschließt ihre Poren, die Rinde wird hart und lässt sich leichter vom Stamm trennen. Nachdem sie geschält wurde, sammeln die Zuarbeiter die Rinde ein, kochen sie und verarbeiten sie anschließend weiter.

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Nicht jeder Kork ist dabei für jeden Verwendungszweck geeignet. Zu unterschiedlich sind Dicke und Maserung. Grober Kork, vorwiegend aus ganz jungen Bäumen, taugt oftmals nur zum Zermahlen, mittlerer für den Fußboden oder zum Dämmen und der Feine kommt dann auch mal in Wein- und Champagnerflaschen. „Vielleicht denkt Ihr beim nächsten Mal ja daran, welche Geschichte in so einem kleinen Korken steckt“, lacht Dias. Mit einem dunklen „Plopp“ öffnet er die Flasche und schenkt mit sanfter Hand ein. Neben dem Wein stehen Käse und Oliven. Einfach, aber hervorragend. Genau das will der Alentejo sein - und ist es auch.

Text + Fotos: Andreas Dauerer

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[kol_2] Grenzfall: I just want to be normal. Give me chocolate.
An evening with performance artist Marina Abramovic

“Guten Abend.”

Ihr Deutsch hört sich gut an. Können wir unser Gespräch etwa in dieser lustigen Barbarensprache abhalten?

„Are you crazy?“

She laughs and offers me a cookie.



She prefers English. But still remembers lines from her German language teaching lessons.

“Der Zug hat Verspätung”, “Ich habe Zeit”, “Halt, halt ein Unfall” and “Geben Sie Ihre Papiere”.

“But my favourite sentence is one I made up myself, but I cannot really use it in conversations very much: In jeder Stadt ein Philosoph, mit eigenem Radiergummi.

I love this one.”

For over two month, Marina Abramovic, the world’s most influential performance artists, spends her days at SESC Pompeia Exhibition Centre in Sao Paulo, where her first ever retrospective exhibition in Latin America fills the audience and media with enthusiasm.

“I need a coffee, please. I am exhausted.”

Every day she wakes up around 6.30 am, she says. Now, twelve hours and two workshops later, she is getting ready for another one-hour lecture to an audience of 750 people.

“Well, actually it is a three hour lecture – I talk for an hour, then they make questions for another two hours. They never let me go, you will see.”

The audience in Sao Paulo loves her.



“Brazilians are enormously emotional and have a very strong relation to their body” she says with a smile.

“But every culture is different. The Germans are so rational, but finally, when you touch them, they are very good too….”

More laughs.

“But in the beginning, they are very suspicious about everything, they question everything.

These Germans…..”

Her work retrospective at SESC doesn`t include a new performance. But you can watch videos of her now legendary performances from over the last forty years, do your own experiments with artefacts from her past performances, participate in her workshops or do the “Method”, a two and a half hours experience to slow down life, including slow motion walking or just standing in the corner for half an hour.

“You have to put your watch, your telephone and computer in the locker, so you have free time for two and a half hours. No emails, no phone calls, no text messages, no anything. And then you are really free. I am giving you freedom, because technology makes us imprisoners.”

Every day, people queue up at SESC to do the “Method”. She calls it “brain spa.”

“One woman sold her car after attending the “Method” for over one month.”

She smiles. More cookies, and her coffee finally arrives.

“Do you mind my assistant doing the make-up while we are talking?”

“Technology was invented so that human beings have more time. But it took all the time away.”

Her eyes are closed now, as the assistant does her eyelids.

“Before that, you wrote a letter, you got it to the post office while taking the dog for a walk, put the letter in the box… And then you had another ten days before you got the answer. Now you wake up in the morning, send the email, and in the evening it is all coming back.

It is all incredible unfinished business, constantly, endless, endless….”



She sips on her coffee while her assistant refreshes the make-up on her cheeks.

“I think that it is very important that we go back to simplicity. Because technology will make us absolute invalids, it changed so fast, that the human brain can`t follow anymore. If we don`t go back to our simplicity, we are completely going to be lost. This is why artist have to look for some kind of solution, like the Method.”

“You should try that.”

Considering the strangeness of her performances (at least for me), like the one with the venomous snakes on her head and in her mouth, the one where she takes a shower in front of hundreds of people or the one where she looks at a donkey for hours, you might come to the conclusion that Marina Abramovic is somehow a strange person. Or even crazy. But this young lady seems to be a lighthouse of normality in a sea of craziness all around.

“I am very normal, actually too normal. I am almost old fashion. All my performances were to change consciousness, change the way we see things.”

While she is talking, her assistant tries to apply eyeliner. Suddenly, she burst into laughter.

“It is so funny that we are doing this – I am looking to you and she is doing my eyes. That is perfect. I like these completely crazy situations….”

The exposition at SESC has nothing to do with her age, she swears.

“I never look back, because when I think about how many different lifes I lived, I get soooo tired. I feel old, and think: what are you doing here, just go away and die.

So now I only look to the front.”

In her first performances, she simply tested the limits of her body. Now, at this certain age, she focuses on the limits of her mind.

“In the early days, I didn`t have the mental control that I gained now with old age. I learned to use the energies that our cultures don`t use.

In our materialistic, European culture we work intellectually, from the head, but we don`t use the energy of our body. But I learned to use that from the ancient cultures.

Performance is all about energy. And energy is immaterial. You have to feel it, otherwise you don`t know what is happening.”

Her telephone rings. Someone from another part of the world. She is constantly traveling, a life lived in hotel rooms, at exhibitions, biennales, airports.

“I an a nomad. But I feel so free, and that is great. I can do whatever I want. Freedom!”

Back to performances.

“Performance is serious business.”

“It is the moment that you enter in a kind of mental and physical construction, which you create in front of you and in a certain space and time. And the public is there, and then this dialogue happens, and it is unique. Because you are not working for your ordinary self, you are creating a higher self. You are working for the best of yourself.

When in ancient cultures, dancers put their mask on their face, and then they do something that is almost physically impossible to do. Because it is not their human energy, it is this transformation that takes place. The extra energy they have in the body. And this is what happens in performances. And the higher you can go depends on the public, because the energy of the public goes through you.”

Everybody can perform? Or do you have to be born a performer?

“You don`t have to be born a performer, but you have to be born to have charisma. If you stand in front of the people and do absolutely nothing, you have to have the energy to keep the people there. Otherwise just don`t do it.

My favourite charisma person was Klaus Kinski. He was so crazy. Oh my God……”

In one video performance, you can see Marina eat an onion. When I watched it before the interview, a nice lady from SESC told me that in fact Marina had to tape it three times – first, the audio wasn`t okay, and in the second take, the image was out of focus. So, she ate three onions to get it right….

Are you the same person in real life?

“No, of course not, that`s the point. In real life, if I cut myself cutting onions in the kitchen, I cry. But if I do it in front of the public, I am fine. How you explain this?

You use the energy of the public… You are the little poor me in real life, and then in performance you are not.

But as soon as I finish performance, I want ice cream. I just want to be normal. Give me chocolate.”

The make-up is ready, now she wonders how to wear her hear.

“Shall I wear it open or do a ponytail?”

Maybe just let it hang over your shoulder?

“I had the ponytail on all the other nights, so maybe you are right.”

“You cannot be extreme all the time. It is not human. I am not perfect, and I don`t want to be perfect. I mean, in my life, everybody knows everything. I never hide anything, because that`s how it is. Because that is human, I am not perfect, and the public can connect with me, because they are the same as me. So we have a connection. There is a moment when you are incredible vulnerable, broken heart and everything else. That is reality, and that`s when you really understand yourself and don`t pretend to be anything else. Then it`s good.”

She works on a book about her memories.

“When you get 70, you should have such kind of a book.”

I had to ask that one question, the one that starts with “Do you still consider yourself the grandmother of performance….”

“Oh c`mon!”

“Can we escape that part, because I invented this twenty years ago, and people still don`t have any other imagination to call me something else….

I invented this when I was young, and now I am really old and don`t want to be called grandmother any more. I hate it. Call me a warrior, fighting for the status of performance. Because performance was nobody`s territory, and now it is an official form of art.

I am doing this for forty-five years now. I will be 70 next year, and still doing it. I love doing it.”

She wears a long black dress. A shaman, or a priest, or just a dark lady with a big, open heart.

“It took me such a long time to learn all this. Right now, I am in the most happy moment of my life. I am the most balanced. I never want to be twenty anymore, it was such a mess in my head, confusions, identity… It takes such a long time to grow, to understand and accept yourself.”

I ask for a photo. Not for a selfie, of course. She hates selfies.

“It is this overdose of images, you are actually recording your life. You are not living it.”

Click, click, click.

“Now I have to eat something.”

“In the last years, art has become such a commodity, a piece from Francis Bacon sold for 145 million Dollars. You don`t see art any more. When you see the painting, you only see the money, you see that it costs 145 million Dollars. Art is loosing sense, so it is very important to go back to people.

And performance is the worst saleable thing.”

Text und Fotos: Thomas Milz


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[kol_3] Lauschrausch: Quarteto Hot Clube de Portugal (HCP)
Just in time – HCP 001
 
Der Hot Clube de Portugal (HCP), der älteste noch bestehende Jazzclub Europas, hat ein Label gegründet und mit seiner ersten Veröffentlichung im Jahr 2014 ein ganz besonderes, Generationen verbindendes Projekt gewürdigt. Ein Jazztrio, bestehend aus António José de Barros Veloso (p), Bernardo Moreira (b), ehemals auch Präsident des HCP, und Manuel Jorge Veloso (dr) fand sich Mitte der 1960er Jahre zusammen und wurde als eines der ersten aus Portugal ins Ausland, auf ein Festival in Belgien, eingeladen. 50 Jahre später nehmen die drei die damals gespielten Standards aus dem American Songbook zum ersten Mal auf, mit der Sängerin Paula Oliveira und zölf Gastmusikern der jungen Generation (Bläser, Gitarre, Vibraphon).

Die Aufnahmen der beiden CDs von u.a. "Moonlight in Vermont‚ "Somewhere" oder "You don't know what love is", die immer nur um einen Gastmusiker erweitert werden, klingen warm und man merkt ihnen an, dass sie mit viel Liebe und Enthusiasmus eingespielt wurden.

Was auf der beiliegenden DVD auch zu sehen ist, die Filmaufnahmen der Proben, der Aufnahmen im HCP und viele Interviews (auf Portugiesisch) enthält. Sieben Postkarten mit Fotos von damals und heute runden das Paket, das im LP-Format daherkommt, ab.

Text: Torsten Eßer


Website:
http://www.hcp.pt/
Portugal Jazzszene

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