ed 03/2017 : caiman.de

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spanien: Die schöne Unvollendete
Ein Besuch in der Kathedrale von Plasencia (Extremadura)
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


spanien: San Pietro in Montorio in Rom
Ein Stück Spanien in der Ewigen Stadt
BERTHOLD VOLBERG
[art. 2]
argentinien: Kleine Kredite, die Großes bewirken
KATHARINA NICKOLEIT
[art. 3]
kuba: Kein Land ist derzeit so sexy wie Kuba
Der Lateinamerika-Korrespondent Jens Glüsing über sein neues Kuba-Buch
THOMAS MILZ
[art. 4]
hopfiges: Original Medical Stout (Barcelona)
Ein Bier der La Calavera Brewery Coop.
MARIA JOSEFA HAUSMEISTER
[kol. 1]
sehen: Die Rache des Regengottes
Untergang der Maya
ARTE
[kol. 2]
sehen: Die Tradition der Menschentürme
ARTE
[kol. 3]
lauschrausch: Die Engel der Traurigkeit (Teil II)
Fado von Carminho, Mísia, Branco und Lula Pena
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] Spanien: Die schöne Unvollendete
Ein Besuch in der Kathedrale von Plasencia (Extremadura)
 
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Extremadura im äußersten Westen Spaniens an der Grenze zu Portugal vom Geheimtipp zu einem touristischen Entdeckungsland entwickelt. Viele Spanien-Liebhaber, die nach den Mittelmeer- und Atlantikküsten die Bergketten Asturiens, die Wälder Galiziens und die Kulturstätten der kastilischen Steppe erkundeten, landen am Ende auch hier, in der entlegenen Extremadura, einer der am dünnsten besiedelten Regionen Europas. Dabei beschränken sich die meisten allerdings auf die touristischen Hauptattraktionen: sie besuchen das römische Theater von Mérida, lassen sich für ein ausgiebiges 4-Gänge-Menü auf der Plaza Mayor in Cáceres oder Trujillo nieder, unternehmen eine Safaritour zur Geier-Beobachtung im Nationalpark von Monfragüe oder pilgern zu den Zurbarán-Gemälden im Kloster von Guadalupe.

Ein Städtchen der Extremadura steht aber höchst selten auf der Liste der Besuchsziele: Plasencia. Dabei ist der 1196 neu gegründete und heute ca. 40.000 Einwohner zählende Ort im Tal des Río Jerte nicht nur zur Kirschblüte einen Besuch wert (größtes Kirschanbaugebiet Spaniens). Hier erwartet den Besucher eine ziemlich einzigartige Attraktion: eine "halbe Doppel-Kathedrale".

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Schon kurz nach der Stadtgründung entstand über dem Flussufer die Catedral Vieja, deren spätromanische Pyramidenkuppel ca. 1270 vollendet wurde. Wie die Kuppeln der romanischen Kathedralen von Salamanca und Zamora zeigt sie deutliche Einflüsse islamischer Architektur. Diese alte Kathedrale hat sehr bescheidene Dimensionen, ihr unscheinbarer Turm wird von den neueren Gebäuden der Umgebung deutlich überragt. Schönster und spektakulärster Teil der alten Kathedrale ist der romanisch-gotische Kreuzgang aus dem frühen 14. Jahrhundert, der vom arabischen Architekten Asyote entworfen wurde. Er wird dominiert von eleganten Fensterbögen, exquisiten Monsterdarstellungen an den Säulenkapitellen und einem erst Ende des 15. Jahrhunderts hinzugefügten plateresken Brunnen im Zentrum.

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Im Zuge des ungeheuren Baubooms, der Spanien nach der Entdeckung Amerikas 1492 erfasste, wurde unmittelbar neben der alten Kirche der gigantische Neubau einer Kathedrale geplant. Mindestens zwei Drittel aller Konquistadoren, die Amerika eroberten, kam aus der Extremadura und einige kehrten tatsächlich als Millionäre zurück. Sie bauten nicht nur prächtige Paläste wie der Pizarro-Klan in Trujillo, sondern vielleicht motiviert durch ihr schlechtes Gewissen auch überdimensionierte Kirchen in ihren Heimatorten. Die neue Kathedrale von Plasencia ist zweifellos das schillerndste Beispiel eines größenwahnsinnigen und letztlich gescheiterten Bauprojekts aus dem 16. Jahrhundert. Denn während die riesige Kathedrale von Sevilla schon 1401 begonnen und bei der Entdeckung Amerikas so gut wie vollendet war, wurde der Neubau von Plasencia erst Ende des 15. Jahrhunderts beschlossen und während des 16. Jahrhunderts in Angriff genommen. Für ein paar Jahrzehnte, ca. von 1520 - 1560, muss den Bauplanern eine gewaltige Geldsumme zur Verfügung gestanden haben. Denn für den Neubau der Kathedrale von Plasencia wurde nicht nur ein Stararchitekt jener Epoche unter Vertrag genommen, sondern so ziemlich alles was in Spaniens Siglo de Oro Rang und Namen hatte: Franz von Köln (Francisco de Colonia), Baumeister der grandiosen Kathedrale von Burgos, Enrique de Egas, Lieblingsarchitekt der Katholischen Könige, Gil de Hontañón, damaliger Baumeister der Kathedrale von Sevilla, Diego de Siloe, Architekt der Kathedrale von Granada sowie Juan de Álava aus Salamanca - von allen Großbaustellen des Landes wurden die besten Architekten hier in dieses Provinznest geholt für einen Neubau, der alle Rekorde brechen sollte.

Doch daraus wurde nichts, denn so plötzlich wie sie sprudelten, versiegten die Geldquellen auch wieder und lediglich der Chorraum wurde realisiert. Dieser ist jedoch so groß wie eine ganze Kirche und wenn das Langhaus der Kathedrale wie geplant errichtet worden wäre, müsste man die Kathedrale des Städtchens Plasencia wohl heute zu den fünf größten der Welt zählen. Stattdessen sahen sich die Baumeister gezwungen, angesichts der Geldmisere Ende des 16. Jahrhunderts den bis dahin erbauten Raum einfach zuzumauern, um den unfertigen Tempel als Kathedrale nutzen zu können. Plasencias grandios geplante Renaissance-Kathedrale blieb ein Torso und besteht letztlich nur aus dem Chorraum. Aber alles was bis Ende des 16. Jahrhunderts an Fassadenschmuck oder Innengestaltung hier geschaffen wurde, ist von edelster Qualität. Die Renaissancetreppe von Gil de Hontañón, die filigranen spätgotischen Sterngewölbe von Franz von Köln, die grandiose platereske Fassade, zum größten Teil von Diego de Siloe, ausgestattet mit wunderbaren Medaillonreliefs (z.B. der heilige Petrus mit Himmelsschlüssel) und phantasievollen sowie Angst einflößenden Monstern und Fabelwesen.

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In einem letzten Kraftakt - die Geldquellen waren eigentlich schon versiegt und der Innenraum abrupt zugemauert - wurde von 1623 bis 1626 der monumentale Hochaltar vom kastilischen Barockbildhauer Gregorio Fernández geschaffen, der zu den größten der Welt gehört (23 Meter hoch und 16 Meter breit) und in Europa wohl nur von den Hochaltären der drei Mega-Kathedralen von Sevilla, Toledo und Burgos übertroffen wird. Die Gemälde zwischen den Skulpturen des Gregorio Fernández sind Werke des Barockmalers italienischer Herkunft Francisco Rizzi. Abgesehen vom spektakulären Hochaltar sind das zum größten Teil vom deutschen Bildhauer Rodrigo el Alemán geschnitzte Chorgestühl und das von skurrilen Fabelwesen bevölkerte Renaissanceportal der Sakristei sehr beeindruckend. Und jeder Besucher blickt fasziniert empor zum barocken Bildersturm, der unterhalb der Orgel entfacht wird: die wilde Fratzen schneidenden Trägerfiguren scheinen sich direkt auf den erschreckten Betrachter hinab zu stürzen.

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Plasencia ist ein hübsches Städtchen im idyllischen Tal des Río Jerte und kann auch als Ausgangspunkt für Exkursionen in den Naturschutzpark von Monfragüe und ins Hochgebirge der Sierra de Gredos genutzt werden (beide ca. 30 Kilometer entfernt). Aber der Hauptgrund, warum sich eine Reise hierhin lohnt, bleibt die schöne Unvollendete: der triumphale Torso der kolossalen Kathedrale.

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
Unterkunft in Plasencia:
Parador von Plasencia: Vier-Sterne Hotel im Gebäude eines Renaissanceklosters aus dem 15. Jahrhundert mit zum Teil grandioser Original-Dekoration (Gemälde, Reliefs, Leuchter, etc.), Adresse: Plaza San Vicente Ferrer, 10600 Plasencia, Tel. +34 927425870, email: plasencia@parador.es
Einer der günstigsten Paradores in Spanien, dazu in einem spektakulären Gebäude mitten in der Altstadt, mit großem Pool und Garten, reichhaltiges Frühstücksbuffet mit köstlichem Marzipankuchen; EZ ab 110,- EUR (im Winter ab 90,- EUR), Pilger-Rabatt von 15% für Santiago-Pilger.

Gastronomie in Plasencia:
An der Plaza Mayor gibt es viele Lokale, besonders empfehlenswert: Bar/Restaurante "Español", Plaza Mayor 35, mit Terrasse, bietet Spezialitäten der Region wie Braten vom Iberischen Schwein (Secreto Ibérico) und sehr gute Weinauswahl (einer der besten Riojas, Baigorri, gibt es auch in kleinen Flaschen).

[druckversion ed 03/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_2] Spanien: San Pietro in Montorio in Rom
Ein Stück Spanien in der Ewigen Stadt
 
Spanien ist groß, das drittgrößte Land Europas. Und dazu gehören Territorien, die gar nicht in Spanien liegen. Damit meine ich nicht die spanischen Städte in Marokko, Ceuta und Melilla (die übrigens schon länger zu Spanien gehören als Granada) oder die Kanarischen Inseln in Nordafrika, sondern ein winziges aber sehr edles Stück Spanien, von dem kaum jemand weiß, dass es zu Spanien gehört. Es befindet sich auf einem Hügel mit grandiosem Panoramablick über die wohl großartigste aller Städte: Rom. Das exterritoriale Gelände der Academia de España in der Ewigen Stadt liegt auf dem Gianicolo, einem der angeblich sieben Hügel Roms, und umfasst nicht nur die Büroräume, Amtstuben und Bibliothek der Real Academia de España, sondern auch zwei Kirchen mit demselben Namen, von denen eine winzig ist, dafür aber als der reinste Renaissancekirchenbau gilt: San Pietro in Montorio.

Wie der Name schon verrät, war die Verehrung des heiligen Petrus, des Apostelfürsten und nach Interpretation der Katholischen Kirche ersten Papstes, der Grund für die Entstehung eines christlichen Heiligtums auf dem Gianicolo. Denn eine fromme Legende machte diesen Hügel zum Ort, wo Petrus sein Martyrium erlitt - angeblich ist er hier mit dem Kopf nach unten gekreuzigt worden. Mindestens seit dem 8. Jahrhundert gab es hier eine Kirche, die dem heiligen Petrus geweiht war. Dass der erste "Stellvertreter Christi" wirklich hier exekutiert wurde, ist äußerst unwahrscheinlich. Denn es gibt ja wie allgemein bekannt noch einen deutlich prominenteren Ort, der diese Ehre für sich beansprucht: das Terrain des heutigen Petersdoms, in dessen Krypta sich der Sarkophag des Apostels befindet. Und Petrus kann kaum an zwei Orten gleichzeitig gestorben sein.

Der Grund, warum sich die heutige Kirche, ein repräsentativer Rennaissancebau, hier befindet, war profaner und sehr menschlich: die langersehnte Geburt eines Babys. Spaniens Katholische Könige Ferdinand von Aragón und Isabella von Kastilien waren nervös geworden, weil ihnen nach ihrer Hochzeit 1569 Jahre lang nicht die Geburt eines Thronfolgers gelingen wollte. Motiviert von der Angst, die durch ihre folgenreiche Heirat frisch entstandene Großmacht Spanien könnte ohne Nachfolger auf dem Thron bleiben, legten sie das feierliche Gelübde ab, mit ihrem Geld eine Kirche in Rom zu bauen, sobald ihnen endlich ein Thronfolger geboren würde. Im Jahr 1478, neun Jahre nach der Hochzeit, kam ihr Sohn Juan zur Welt und 1480, mit einiger Verzögerung (Gott wurde schon ungeduldig), spendete Ferdinand von Aragón eine beträchtliche Summe und beauftragte den Bau einer Kirche und eines Klosters auf dem Gianicolo. Das Territorium hatte Papst Sixtus IV. bereits vorher einem spanischen Zweig des Franziskanerordens geschenkt. Und König Ferdinand verband viel mit Italien, schließlich herrschte das Haus Aragón schon seit 1282 über die Südhälfte Italiens, und Ferdinand war zugleich König von Neapel-Sizilien (wo spanische Herrscher noch bis 1713 auf dem Thron saßen).

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In der Folge schien es als ob der Verlauf der Geschichte die Katholischen Könige für ihren Kirchenbau belohnen wollte, denn im Jahr 1492 ließ er sie zuerst im Januar Granada erobern und danach im Oktober das Gold der Neuen Welt entdecken.

Dementsprechend fielen der Weiterbau und die Ausstattung der spanischen Kirche auf dem Gianicolo in den Jahrzehnten nach diesem Doppel-Triumph deutlich großzügiger aus als ursprünglich geplant. Aus einer bescheidenen Klosterkirche eines Bettelordens wurde ein sakraler Repräsentationstempel im Herzen Roms, der Spaniens Grandeza und Weltmachtstreben eindrucksvoll untermauern und bebildern sollte. Das zumindest ist gelungen, denn die Pracht von San Pietro in Montorio überdauerte die Zeiten bedeutend besser als Spaniens Weltmachtposition.

Die Hauptfassade der Klosterkirche ist monumental, aber eher schlicht gehalten. Über dem Portal das Wappen der Katholischen Könige und ein gemeißelter Granatapfel - Symbol für das eroberte Granada. Bei der Innenausstattung, zu der auch ihr Enkel Kaiser Karl V. noch einiges spendete, wurde an nichts gespart.

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Das vielleicht berühmteste Gemälde der Originalausstattung von San Pietro in Montorio, Raffaels "Verklärung Christi", befindet sich heute zwar in den Vatikan-Museen. Aber insbesondere die zehn Seitenkapellen der Kirche übertrumpfen sich gegenseitig mit erstrangigen Kunstwerken. In der Capella Borgherini wird alles dominiert von den grandiosen Fresken des Renaissance-Malers Sebastiano del Piombo, besonders gelungen und oft kopiert ist seine dramatische Szene der "Geißelung Christi" (1524 vollendet). Da erscheint Christus mit griechischem Heldenkörper gefesselt an eine Säule den römischen Folterknechten ausgeliefert. Auch für die Bildausstattung der anderen Kapellen wurden namhafte italienische Künstler beauftragt: die Maler Pomarancio und Baldassare Peruzzi (Capella di San Girolamo), Renaissance-Maler Giorgio Vasari und Bildhauer Ammanati (Capella del Monte) sowie noch ein Jahrhundert später der Barockmaler Michelangelo Cerruti sowie der Barock-Bildhauer Francesco Baratta (Capella di Sant Antonio).

Doch selbst die weniger berühmten und kleinen Kunstwerke in diesem Renaissance-Tempel zu Ehren des Apostel Petrus und des spanischen Thronfolgers Juan (der allerdings schon als Kind vor seinen Eltern starb) sind noch von herausragender Qualität. Dazu gehören die Grabmäler der Raimondi-Brüder in ihrer Kapelle, geschaffen von den Bildhauern Niccolo Sale und Andrea Bolgi. Eine Marmorbüste über dem Sarg zeigt den Grafen Raimondi als kultivierten Herrscher, der in Gedanken versunken in einem Buch blättert. Eine exquisite Darstellung, ebenso wie die beiden entzückenden Engelsköpfe unterhalb des Freskos, das in der Capella di San Girolamo die Krönung Marias zeigt.

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Und doch strömen die meisten Besucher ziemlich schnell durch diese Kirche und würdigen die sakrale Kunst kaum mit den Blicken, die sie verdienen würde. Denn die Hauptattraktion in Spaniens winzigem Territorium in Rom befindet sich mitten im Innenhof des Klosterkomplexes. Die Katholischen Könige hatten damit keinen Geringeren als den damaligen Stararchitekten Roms, Donato Bramante (1444 - 1514) beauftragt.

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Bramante hatte auch den ersten architektonischen Entwurf für den neuen Petersdom ausgearbeitet, der später von Michelangelo noch verändert wurde. Bramantes Beitrag zur spanischen Präsenz in Rom ist eher winzig, aber von gewaltiger Nachwirkung. Sein kleiner zwischen 1502 und 1510 errichteter Rundtempel im Innenhof hat einen Durchmesser von nur viereinhalb Metern! Insgesamt wirkt dieses Tempelchen, das sich genau über dem vermuteten Ort der Kreuzigung des Apostels Petrus  erhebt, wie ein Miniaturgebäude. Heute gilt dieses Meisterwerk von Bramante (neben der Kirche von San Biagio bei Montepulciano) als der perfekteste Sakralbau der Renaissance, denn wie kaum ein anderer präsentiert er die Ideale dieser für Europa so entscheidenden Kunstepoche: Rückbesinnung auf die Harmonie antiker Tempel durch den Säulengang, der ihn wie einen Ring umschließt, klare, rationale Gliederung der Formen besonders in der Gestaltung der winzigen Kuppel und dazu in der Innenausstattung Reliefs und Statuen, die sich deutlich an Vorbilder der griechisch-römischen Antike anlehnen - wie die vier Evangelisten, die hier wie muskelbepackte, griechische Götterstatuen dargestellt werden.

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Bramante bricht mit dem traditionell dominierenden Kirchenmodell einer dreischiffigen Basilika und präsentiert das revolutionäre Modell einer Kirche, die quasi nur aus einer Kuppel besteht. Sehr ähnlich war auch Bramantes Ur-Modell des Petersdoms. Und in der Tat ist das elegante Tempelchen von San Pietro in Montorio mehr Vorzeigemodell und Stein gewordene architektonische Idee als ein real zu nutzender Kirchenbau. Dieser Tempel Bramantes wurde nicht erbaut, um dort Messen zu feiern - dafür ist er viel zu klein, es hätten gerade mal ein Priester und vier Ministranten Platz. Erst recht viel zu klein ist dieses Kirchlein, um die zu erwartenden Pilgermassen, die zum legendären Sterbeort des Apostels Petrus strömen, empfangen zu können. Nein, Bramantes Kreation auf dem Gianicolo ist eher ein architektonisches Miniaturmodell, ein Juwel, das eher zur Betrachtung und weniger zur realen Benutzung als Kirche geschaffen wurde. Die Manifestation der Idee von einer Kirche - rund, hell und bekrönt von einem blauen Sternenhimmel und von perfekter Harmonie. Und so wurde im Westen Roms mit dem Geld der spanischen Könige und den besten Künstlern der Renaissance ein Architekturjuwel gezaubert, das weniger der Glorifizierung des spanischen Imperiums dient, sondern vielmehr ein zeitloses, ewig modernes Symbol vollendeter Baukunst darstellt.

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Den Ausflüglern, die vielleicht nur auf diesen Hügel kommen, um neben der spanischen Flagge die Aussicht auf die Ewige Stadt zu genießen, sei empfohlen, dieses kleine und sehr edle Stück Spanien in Rom zu besuchen und dabei besonders Bramantes Mini-Tempel die Aufmerksamkeit zu schenken, die ihm gebührt.

Text + Fotos (1 - 9): Berthold Volberg
Fotos (10 - 14): Vicente Camarasa

[druckversion ed 03/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_3] Argentinien: Kleine Kredite, die Großes bewirken
 
Eine gute Geschäftsidee alleine reicht meist nicht, um sich selbständig zu machen - es braucht auch eine Anschubfinanzierung. Die zu bekommen, ist in Argentinien fast unmöglich. Doch Kolping gibt Kleinunternehmer eine Chance.

Geradezu liebevoll setzt Margarita Graef einen Setzling nach dem anderen in die Erde. Noch ist nicht zu erkennen, welches Gemüse hier mal wachsen wird: Salat, Radieschen, Frühlingszwiebeln, Spinat – das sind nur einige der Produkte, die Familie Graef von ihrer Gemüsefarm an die Supermärkte der Umgebung liefert. "2007 haben wir mit dem ersten Gewächshaus angefangen", erzählt die Gemüsebäuerin. Umgerechnet 4.000 Euro brauchte die Familie, um in das Geschäft einsteigen zu können und die 52jährige erinnert sich mit Schaudern daran, wie schwierig es war, das Geld aufzutreiben. "Zu den Banken wollte ich nicht gehen. Die vereinbaren keine festen Zinsen, sondern passen diese ständig nach oben an, je nachdem wie Inflation und Dollarkurs stehen. Wir kennen viele Leute, die über einen kleinen Bankkredit alles verloren haben". Irgendwann empfahl ihr jemand das Kleinkreditprogramm von Kolping und Margarita und ihr Mann konnten Schattendächer und Schläuche zur Berieselung kaufen.

"Derzeit verlangen wir für einen Kredit 36 Prozent, inklusive aller Verwaltungskosten", erklärt Kati Weber und lacht, als der Besuch aus Deutschland hörbar nach Luft schnappt. "Doch, doch, das sind ausgezeichnete Bedingungen, zumal wir eine Laufzeit von bis zu 18 Monaten bieten und garantieren, dass die Zinsen nicht erhöht werden". Kati Weber von Kolpingwerk Misiones betreut die Kleinkreditnehmer, erörtert mit ihnen Marktchancen und erstellt gemeinsam Finanzierungspläne. Bei einer Inflation von rund 30 Prozent ist die Kreditvergabe in Argentinien ein heikles Geschäft. Banken, die darüber Gewinne erzielen wollen, werden unweigerlich zu Wucherern. Bei Kolping kommt es nur darauf an, das Stiftungsvermögen zu erhalten. "Und das ist uns trotz der in den letzten Jahren ständig steigenden Inflation gelungen!", berichtet Kati Weber nicht ohne Stolz.

Dass das Kleinkreditprogramm von Kolping in Misiones schon seit vielen Jahren erfolgreich läuft, hat viel damit zu tun, dass Kati Weber ein Gespür dafür hat, welche Geschäftsideen gut funktionieren. Einige davon sind recht ungewöhnlich – wie zum Beispiel das kleine Unternehmen "Pesque y Pague"- "Fisch und Zahl". Die zwölf Teiche von Raul Schorf sind eine Kombination aus Ausflugsziel und Fischzucht. Am Wochenende wird es schwer, hier einen freien Platz zu erwischen. Während die Kinder spielen, angeln die Väter mit der Garantie auf einen Fang. Sie bezahlen nach Gewicht, können sich ihren Tilapia, Karpfen oder Barsch gleich ausnehmen lassen und dann bei einem Picknick im Grünen grillen. "Die Teiche konnten wir selber ausheben und anlegen, das war kein Problem", erinnert sich Raul Schorf an die Anfänge seine Geschäfts im Jahr 2008. "Aber wir brauchten Material um Toiletten und einen Unterstand für die Gäste zu bauen. Kolping hat uns einen Kredit von 1500 Euro gegeben. Das ging schnell und unbürokratisch und reichte, um das Geschäft in Gang zu bringen".  Mit einem zweiten Kredit finanzierte der 32jährige Familienvater kleine Grillhütten, die die Gäste mieten können. Eine gute Investition, die sich gelohnt hat. "Je nachdem wie das Geschäft läuft, verdienen wir mit unserem Angelplatz damit zwischen 600 und 900 Euro im Monat. Davon können wir gut leben!"

Auch Margarita Graef nahm über die Jahre mehrere Kredite bei Kolping auf, um weitere Gewächshäuser zu bauen und eine Wasserpumpe anzuschaffen. Die Kredite pünktlich zurück zu zahlen, war kein Problem, die Nachfrage ist groß. "Wir könnten doppelt so viel Gemüse verkaufen, aber wir schaffen es einfach nicht, mehr anzubauen. Wir arbeiten so schon jeden Tag von sechs Uhr früh bis abends um neun", meint sie und wirkt ein wenig erschöpft bei dem Gedanken, was heute noch alles zu tun ist. Obwohl das Geschäft so gut läuft und die ganze Familie mitarbeitet, sinken die Gewinne. Inzwischen bleiben für jeden am Ende des Monats nur noch rund 300 Euro. "Der Klimawandel macht uns sehr zu schaffen, es gibt immer häufiger Starkregen, der unsere Ernte ruiniert." Deshalb will Maragrita Graef demnächst noch mal einen Kredit aufnehmen, diesmal für Regendächer. "Gut, dass ich mich an Kolping wenden kann", sagt sie und wirft einen dankbaren Blick in Richtung Kreditberaterin Kati Weber.

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

[druckversion ed 03/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: argentinien]





[art_4] Kuba: Kein Land ist derzeit so sexy wie Kuba
Der Lateinamerika-Korrespondent Jens Glüsing über sein neues Kuba-Buch
 
Seit 25 Jahren schreibt Jens Glüsing als Korrespondent und Autor von Sachbüchern über Lateinamerika. Jetzt hat er sich einen Traum erfüllt: ein Buch über Kuba. Es kam nur wenige Tage vor Fidel Castros Tod auf den Markt. Wir haben Jens Glüsing in Rio de Janeiro getroffen und zu Kuba und seinem neuen Buch befragt.
 
Caiman: Warum ausgerechnet jetzt ein Kuba-Buch?
Glüsing: Ich hatte schon immer vor, ein Buch über Kuba zu schreiben. Das ist ein spannender Moment, die Endzeit Fidels, die Öffnung zu den USA, Raúl Castro an der Macht und damit die Frage, wie es weiter geht. Und gleichzeitig stecken die anderen linken Regierungen in Lateinamerika in der Krise. Zudem ist das Interesse an Kuba im Verhältnis zu anderen Ländern der Region sehr groß. Viele Touristen wollen die Insel jetzt noch einmal sehen, solange sie ein lebendes Museum des Sozialismus untergegangener Zeiten ist. Aus all diesen Gründen ist kein anderes Land der Region derzeit so sexy wie Kuba, wenn ich das mal so profan sagen darf.

Caiman: Was ändert sich denn jetzt mit Castros Tod?
Glüsing: Ich denke, erst einmal nichts. Vor zehn Jahren ist Fidel erkrankt und Raúl macht den Job jetzt schon ein paar Jahre und sitzt fest im Sattel. Auf Kuba gab es stets diesen Witz: was kommt nach Fidels Tod? Eine große Beerdigung! Ich glaube, der wirkliche Einschnitt in Kuba wird das Regierungsende oder der Tod Raúls sein. Denn er ist der Mann des Systems, er ist der Mann der Partei, der Mann der den ganzen Laden zusammenhält. 2018 will er zurücktreten, er wird jedoch versuchen, weiter die Macht über die Partei zu behalten. Aber auch er ist 85 Jahre alt – und nicht unsterblich. Auch wenn er jetzt noch sehr fit wirkt. Aber ich glaube, sobald er abtritt, auf die eine oder andere Weise, dann sind in Kuba Änderungen und vielleicht sogar Unruhen zu erwarten. Dann wird eventuell die Situation weitaus angespannter sein als sie es jetzt ist.
 
Caiman: Wer steht denn als Nachfolger bereit?
Glüsing: Miguel Díaz-Canel ist zum Kronprinzen auserkoren worden. Er ist Mitte Fünfzig, Fan der Rolling Stones und gilt als Reformer und als ehrlich. Und das ist wichtig, denn auch in der Nomenklatura der Kommunistischen Partei herrscht mittlerweile viel Korruption. Außerdem hat Díaz-Canel bisher keine Fehler gemacht. Er ist der erste Vize-Präsident von mehreren und ich bin nicht sicher, ob er derart viel Macht auf sich vereinen wird können wie es jetzt Raúl tut. Vielleicht wird die Partei auch versuchen, den nächsten Präsidenten stärker zu kontrollieren und Raúls Posten mit eigenen Leuten zu besetzen. Das muss man abwarten. Aber Kuba ist immer für Überraschungen gut, bis dahin kann dann auch jemand ganz anderes auftauchen. Man muss aber sagen, dass Raúl eigentlich stets berechenbarer war als Fidel. Insofern deutet alles darauf hin, dass Miguel Díaz-Canel das Rennen machen wird.
 
Caiman: Wie sattelfest ist die Revolution eigentlich noch? Wie steht es um sie? Laufen die Dinge so toll wie man sie gerne darstellt?
Glüsing: Natürlich nicht. Die Revolution steckt in der Krise, und jetzt geht es genau genommen darum, die Macht zu sichern. Was Raúl und seinen Genossen vorschwebt, ist ein System wie in China oder Vietnam, wo eine Marktwirtschaft eingeführt, aber gleichzeitig die Herrschaft der Kommunistischen Partei beibehalten wird. Ob das in Kuba, also im Schatten der USA, gelingt? In einem kleinen Land, das nicht die Produktivität Vietnams oder Chinas hat und auch nach einer möglichen Liberalisierung nicht haben wird – denn Kuba hat in diesem Punkt die gleichen Schwächen wie die anderen lateinamerikanischen Länder. Ob das also gelingen wird, ist fraglich. Trotzdem denke ich, dass dies das angedachte System ist. Politische Reformen wird es nicht geben, die Macht soll bei der Partei bleiben. Aber in wirtschaftlicher Hinsicht lässt sich in Kuba mittlerweile über alles reden. Und jetzt, da Raúl nicht mehr Fidel im Nacken sitzen hat, der ja gegen viele Reformen war, könnte es sein, dass Raúl den Reformkurs sogar beschleunigen wird.
 
Caiman: Welche Rolle spielen denn die Exil-Kubaner in den USA?
Glüsing: Kuba hat halt den Nachteil, im Schatten der USA zu liegen, wo es eine große Exilgemeinde gibt. Von da wird eine Menge Druck kommen, nicht nur in Bezug auf die Öffnung der Wirtschaft, sondern auch auf eine politische Erneuerung. Schaut man sich die Geschichte Kubas an, dann wurde die Zukunft Kubas zum großen Teil in Washington entscheiden. Und aus dieser Zwangslage kommen sie nicht raus. Und vieles wird davon abhängen, wie sich die Politik der USA entwickelt, wen die Regierung in Washington fördert oder bekämpft.
 
Caiman: Der Druck aus den USA hat aber auch immer zu Gegenreaktionen geführt. Auf Kuba war es ja stets eine Art Auszeichnung, wenn man die USA als Gegner hatte....
Glüsing: ...ja, da halten die Kubaner zusammen. Solche Systeme funktionieren immer dann am besten, wenn sie unter Druck von außen stehen. Es schweißt zusammen, sich auf einen gemeinsamen Feind einigen zu können. In Kubas Geschichte der letzten 50 Jahre hat sich immer wieder gezeigt, dass sich das Geschehen verhärtet, sobald die USA die Zügel anziehen. Mit mehr Druck einen Systemwandel zu erzeugen funktioniert nicht. Obama hat das erkannt und richtig gehandelt: okay, es ist kein demokratisches System, aber wir haben 50 Jahre lang versucht, es zu bekämpfen und es zu stürzen. Aber das funktioniert nicht.
 
Caiman: Wie wird es in zehn Jahren auf Kuba aussehen?
Glüsing: Die Oldtimer werden dann wohl als Touristenattraktion durch die Gegend fahren, und nicht mehr als normales Verkehrsmittel. Ansonsten ist es schwer vorauszusehen. Es hängt stark davon ab, was in den USA geschieht. Und davon, wie sich die junge Generation auf Kuba entwickelt. Was man sagen kann, ist, dass es ein weitaus marktwirtschaftlicheres System sein wird als jetzt. Denn das ist nicht zurückzudrehen. Die Wirtschaft wird weitaus offener sein. Aber politisch können wir da noch einige Überraschungen erleben. Vielleicht sogar politische Unruhe. In Kubas Geschichte hat es wenig Zeiten gegeben, in denen es friedlich zugegangen ist und in denen ein Systemwechsel friedlich vonstatten ging. Eine 10-Jahres-Prognose abzugeben ist schwierig. Aber ich würde mal tippen, dass Kuba dann ein kapitalistisches Land mit einer unruhigen politischen Gegenwart sein wird.

Interview + Foto: Thomas Milz

Titel: Kuba: Von der Revolution der Armen, Havanna und Chevrolets, Amis und Zuckerrohr
Autor: Jens Glüsing
ISBN: 978-3737407328
Seiten: 144
Verlag: Corso ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Auflage: 1 (13. Oktober 2016)

[druckversion ed 03/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: kuba]





[kol_1] Hopfiges: Original Medical Stout (Barcelona)
Ein Bier der La Calavera Brewery Coop.

Die letzte offizielle caimán-Bier-Verkostung liegt schon einige Monate zurück. Den Grund lieferte die Osteopathie: Meinen Darm solle ich mal aus seiner Lethargie reißen. Schuld an der Trägheit sei in erster Linie Antibiotikum-Missbrauch im Rahmen einer Borreliose Anfang der Neunziger Jahre.

Mich hatte in Guatemala, Belize, Mexiko oder doch im Kölner Volksgarten eine Zecke infiziert. Oder vielleicht nur eine Mücke. Ich hab’s nie erörtern können. Borreliose war damals noch wenig bekannt und so drückte mir jeder Arzt, den ich hoffnungsvoll aufsuchte, Antibiotikum rein – obwohl die Erreger bereits nach der ersten Antibiotikum-Kur nicht mehr im Blut nachweisbar waren.



Aus heutiger Sicht unglaubliche, wilde Zeiten mit ein paar schießwütigen, harten Ärzten in der Hauptrolle: "Ach Jung, nimm mal das ne Woche. Ist ein Breitband Antibiotikum. Damit bist du alle Sorgen los."

Zurück zur Osteopathie. Mein ewiges Leiden heißt "heiße Füße". Zum Schlafen eine Decke über den Füßen ist nicht vorstellbar. Und sobald der Sommer naht, verbringe ich nachts mehr Zeit im Eisbecken als ruhend. Irgendwann entsteht im Leben dann ein Kreislauf. Neben Eiswasser hilft Bierchen. Im Laufe der Jahre mehren sich die kleinen Wehwehchen und auch hier hilft Bierchen.

Das war die Zeit, in der sich das kleine trotzige Mädchen namens Olga mit dem ewig garstigen Blick in meinem Darm einzunisten begann. Anfangs seltener, mit der Zeit häufiger und dann fast permanent klopfte die Kleine, links und rechts ein leeres Glas in der Hand, auf ihren Tresen und der Darm signalisierte dem Belohnungsareal im Hirn: "Bierchen wäre jetzt ne feine Sache."

Glücklicherweise sind meine Suchtgene nicht allzu ausgeprägt und so gab sich Olga morgens mit einem Bierchen zufrieden. Wenn ich dann nachmittags noch mal zwei bis drei nachlegte, gab die trotzige Olga sogar ganz Ruhe.

Die Osteophatie bearbeitete meinen Rücken und verordnete neben Mineralöl, Algen und Urgesteinsmehl die Schüssler Salze Nummer 7 und 12. Die Wirkung war bombastisch. In mich und meinen zwanghaft gemütlichen Darm kehrte Leben zurück. Tolles Leben mit viel Lust auf Neues. Die sensationelle Entdeckung aber schreib ich den Salzen zu. Mit dem ersten Tag der Einnahme war Olga verschwunden. Das Verlangen nach Bierchen war wie weggeblasen. Es vergingen oft mehrere Tage, in denen ich nichts trank und nicht einen Gedanken an Bierchen verschwendet hätte.

Die Osteopathie meinte nach ein paar Wochen, es sei genug, ich könne die Dosis halbieren und dann auch ganz einstellen, je nachdem was mein Gefühl sage. Da die Beschleunigung des Darms sich nicht auf meine heißen Füße ausgewirkt hatte, ich mich aber mittlerweile echt fit fühlte, setzte ich Nr. 7 und Nr. 12 ab.

Olga kam zurück. Weniger vehement als zuvor, aber sie war wieder da. Das war auch gut so, denn der Spanien-Urlaub stand an und nach so viel Inaktivität, sollte die Kolumne Hopfiges wiederbelebt werden. Im Wine Palace stachen mir drei unbekannte Biere ins Auge:

1. Ein unaufdringliches, sicherlich solide erfrischend nach klassischem Bier schmeckendes.
2. Ein zweites, aus der Craft-Szene stammendes und den üblichen Zitrus-Hopfen aus den USA nutzendes.
3. Ein Medizinfläschchen, bei dem ich drei Mal hinschauen musste, um tatsächlich fassen zu können, dass es Bier enthalten solle.

Das original MEDICAL ist ein Imperial Stout mit 8° Alkohol gereicht in Medizin-Fläschchen à 20 cl.

Inhaltsstoffe laut Etikett:
Wasser, Malz, Hopfen, Hefe

Inhaltsstoffe laut Laborbericht:
Siehe unten





Jetzt wird's ernst

Die Wahl als Startbier fiel auf das mehr als exotische Medizin-Bier. Zur Verkostung erhielt ich Beistand von Eva und Andrea. Und der war auch bitter nötig...

Maria Josefa noch mit dem Versuch dem Bier mit Respekt zu begegnen: Bitte beschreibt zunächst den Geruch.

Andrea reißt den Kopf angewidert zur Seite: Was ist das denn? Das ist doch nicht deren ernst. Das riecht nach Füßen... nach einer mehrstündigen Wanderung bei 40° C.

Eva (Labor): Pökelsalz!

Bedacht darauf, nur einen winzigen Schluck abzubekommen, setzen wir die Gläser an die Lippen.

Maria Josefa: Ich wusste gar nicht, dass altes Öl aus dem Auto prickelt. Wenn auch nur minimal.

Andrea schüttelt sich: Ist das widerlich. Ist das ekelhaft. Bier aus Jahrzehnten alten Flaschen, die vor der erneuten Abfüllung nicht gereinigt wurden.

Eva (Labor) ist immer noch um Ernsthaftigkeit bemüht: Herausschmecken tue ich Fernet Branca, der mit – ihr Blick wandert, das richtige Wort suchend, in die Höhe – Maggi!, ja wirklich reichlich Maggie versetzt wurde. Dann bricht auch sie vor Schmerz zusammen.

Fazit

Im Wine Palace das Regal, in dem das original Medical steht, der Gesundheit zuliebe weiträumig umgehen. Auch wenn Olga noch so bittet und bettelt.

Und was die beiden anderen zu verkostenden Biere betrifft: Nach dem Medical-Stout-Schock wird es frühestens in der nächsten caimán-Ausgabe weitere Test-Berichte geben.

Text + Fotos: Maria Josefa Hausmeister

[druckversion ed 03/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: hopfiges]





[kol_2] Sehen: Die Rache des Regengottes
Untergang der Maya
 
Dichter Urwald bedeckt seit über tausend Jahren die rätselhaften Ruinen einer untergegangenen Zivilisation. In prächtigen Städten lebten hier einst bis zu 200.000 Einwohner: Die Rede ist von der Hochkultur der Maya, die seit ihrer Wiederentdeckung im Urwald Mittelamerikas Forscher und Abenteurer fasziniert. Die Dokumentation begleitet international renommierte Wissenschaftler in Mexiko und Guatemala bei ihrer Suche nach den Gründen des Zusammenbruchs der einst so hoch entwickelten Zivilisation.


Foto 1
US-Archäologe Richard Hansen mit Götter-Stele

Copyright: ZDF / © ZDF/Michael Gregor



Sendetermin und Infos

Freitag, 31. März 2017, 17.40 Uhr
Montag, 10. April 2017, 17.40 Uhr
Sonntag, 16. April 2017, 12.35 Uhr


Die Menschen im Dschungelreich der Maya verfügten über erstaunliche mathematische und astronomische Kenntnisse, mit denen sie beispielsweise einen präzisen Kalender entwickelten, dessen Genauigkeit in Europa erst viel später erreicht wurde. In dicht besiedelten Städten lebten bis zu 200.000 Einwohner. Weit über 3.000 Kult- und Machtzentren wurden mit einem ausgeklügelten Transportwesen und einer hoch entwickelten Landwirtschaft versorgt.


Foto 2
Yukatán-Palast Uxmal in Mexiko

Copyright: ZDF / © ZDF/Michael Gregor


Die Maya hatten ein kompliziertes Schriftsystem und stellten gigantische Rechenoperationen an. Ursachen des rätselhaften Unterganges dieser Zivilisation vor circa einem Jahrtausend konnten noch nicht endgültig entschlüsselt werden. Hatten sich rivalisierende Fürstengeschlechter gegenseitig vernichtet? Ließ die tyrannische Priesterkaste das Land ausbluten? Führte eine selbst verschuldete Klimakatastrophe ins Verderben?


Foto 3
Stelen-Relief Maya-König

Copyright: ZDF / © ZDF/Michael Gregor


Archäologen aus Deutschland untersuchen im mexikanischen Bundesstaat Yukatán Siedlungen von Bauern und finden in der Ruinenstadt Xkipché Spuren für eine gewaltsame Vertreibung der Herrscherschicht. Der nordamerikanische Forscher Richard Hansen analysiert in der guatemaltekischen Königsstadt El Mirador die Indizien für eine ökologische Katastrophe, die von der Bevölkerung selbst durch schleichende Zerstörung der Lebensgrundlagen verursacht wurde. In den berühmten Maya-Ruinen von Palenque haben mexikanische Ausgräber Beweise für eine große Hungersnot entdeckt.


Foto 4
Kukukau-Pyramide, Yukatán, Mexiko

Copyright: ZDF / © ZDF/Michael Gregor


Damit bestätigen sie die Forschungsergebnisse des deutschen Geophysikers Gerald Haug. Bei Tiefenbohrungen im Meeresboden der Karibik hat er Beweise für radikale Klimaveränderungen gefunden, die exakt zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der Maya-Kultur stattfanden. Eine Dürre hatte die Region heimgesucht. Die Zahl der Toten muss innerhalb weniger Jahre in die Millionen gegangen sein. Auch die mexikanische Unterwasserarchäologin Carmen Rojas hat in einem Höhlensystem in Yukatán Sedimentablagerungen gefunden, die extreme Dürreperioden belegen.

Foto 5
Grabmaske aus Jade eines Maya-Herrschers
Copyright: ZDF / © ZDF/Michael Gregor
Foto 6
Jaguar-Pyramide in Tikal, Guatemala
Copyright: ZDF / © ZDF/Michael Gregor

Zusatzinfo
Mit Laboranalysen und wissenschaftlich fundierten Computermodellen stellt der Film den neuesten Stand der Forschung vor. Die wissenschaftliche Spurensuche ist verbunden mit dem szenischen Bericht über die historischen Entdeckungsreisen des deutschen Fotografen Teobert Maler (1842-1917), der vor 100 Jahren viele Ruinenorte der Maya wiederentdeckte und dokumentierte.

Text: arte.tv

[druckversion ed 03/2017] / [druckversion artikel]





[kol_3] Sehen: Die Tradition der Menschentürme

Das Errichten haushoher Menschentürme, der Castells, ist in Katalonien zugleich sportlicher Wettkampf und tollkühne Tradition. Besonders halsbrecherisch geht es beim großen Wettkampf der Menschentürme in Tarragona zu. Dann dreht sich alles um die Frage: Welche Stadt baut den höchsten Turm?

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto 1:
Beim großen Wettbewerb – die Tradition der Menschent¸rme erlebt in Katalonien goldene Zeiten.

Copyright: ARTE / © MedienKontor/D.von Richthofen

Ausgerechnet ihr Kollege Gerd (Ulrich Gebauer), für den sie ihre Hand ins Feuer gelegt hätte, versucht das wertvolle Stück zu stehlen. Doch sie ertappt den Dieb, der sogleich verhaftet wird und kurz darauf unter mysteriösen Umständen in einem mexikanischen Gefängnis stirbt.

Sendetermin und Info
Sonntag, 12. März 2017, 19.30
Samstag, 18. März 2017, 09.35
Montag, 24. April 2017, 07.45

360° Geo Reportage
Spanien: Die Tradition der Menschentürme
Reportage | Erstausstrahlung | 43 Min.
Deutschland, 2016, ARTE
Regie: Dietrich von Richthofen; Bernhard Rübe

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto 3:
Ball de Drac – der Drachentanz

Copyright: ARTE / © MedienKontor/D.von Richthofen

Die Castells erleben in Katalonien goldene Zeiten. Knapp hundert Teams, die Menschentürme errichten – so genannte Collas Castelleras – gibt es dort mittlerweile. Auch unter Jugendlichen haben die traditionsverbundenen Vereine starken Zulauf – die Rückbesinnung auf katalanische Kultur und Tradition steht hoch im Kurs in dieser nach mehr Autonomie strebenden Provinz im Nordosten Spaniens.

Alle zwei Jahre treffen Anfang Oktober die zwölf besten Collas Castelleras in Tarragona aufeinander. Gewinnen wird dasjenige Team, das die höchsten und schwierigsten Formationen schafft.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto 3:
In der Pinya - dem Fuß eines Menschenturms

Copyright: ARTE / © MedienKontor/D.von Richthofen


Oft lassen sich die mehrere hundert Mitglieder starken Teams zu halsbrecherischen Höchstleistungen hinreißen. Eine besonders wichtige Rolle beim Errichten der bis zu zwölf Meter hohen Castells kommt den beteiligten Kindern zu: Erst wenn sie bis zur Spitze klettern und den Turm "krönen", gilt er als Erfolg.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto 2:
Sofia mit ihrem Vater beim Training

Copyright: ARTE / © MedienKontor/D.von Richthofen

Eine von ihnen ist Sofía. Die siebenjährige Katalanin zählt zu den besten Kindern ihres Teams, der Colla Vella Xiquets de Valls. Drei Mal pro Woche trainiert Sofía in der unweit von Tarragona gelegenen Kleinstadt Valls mit den anderen Kindern das Besteigen der Menschentürme. Besonders leichtgewichtige und akrobatische Mädchen übernehmen den riskanten Job – jede unkontrollierte Bewegung kann das Gleichgewicht stören und den Turm zum Einsturz bringen.

"Terra X: Schätze aus der Unterwelt - Entdeckung im Mexiko": Blick von oben auf die Stadt Teotihuacán.
Foto 3:
Die Castells, die Menschentürme, erleben in Katalonien goldene Zeiten.

Copyright: ARTE / © MedienKontor/D.von Richthofen


In dieser Saison trainieren Sofía und die Turmbauer aus Valls besonders hart. Denn die Colla Vella, die älteste Colla Kataloniens, möchte nach zehn Jahren, die es auf dem zweiten Rang verbringen musste, dieses Jahr endlich wieder den Titel der besten Colla erringen. Wird es den Turmbauern gelingen, den Titelverteidiger – die Castellers de Vilafranca – vom Thron zu stoßen? Die Hoffnungen liegen auf Sofía und ihren mutigen Kolleginnen.

Weitere Infos: ARTE

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[kol_4] Lauschrausch: Die Engel der Traurigkeit (Teil II) (Teil I)
Die neuen Alben von Carminho, Mísia, Branco und Lula Pena

Der Fado ist gekennzeichnet durch Dramatik, pathetisches Verzerren der Melodien, durch Sehnsucht und (meistens) Langsamkeit. Das alles mit brasilianischer Leichtigkeit in Einklang zu bringen, ist nicht einfach und gelingt Carminho auf ihrem neuen Album "Carminho canta Tom Jobim" nicht immer gleich gut. Aber vielleicht war das auch gar nicht ihre Absicht, vielleicht wollte sie einfach den einen oder anderen Kontrapunkt setzen (z.B. in "A felicidade" aus dem Film "Orfeu negro"). Erfreulicherweise hat sie es vermieden, lediglich bekannte Jobim-Lieder auszuwählen.

Carminho
Carminho canta Tom Jobim
Parlophone Portugal

Carminho schürfte mit Hilfe der Familie von Jobim tiefer – sein Sohn Paulo und sein Enkel Daniel begleiten Carminho - und förderte Stücke wie den Bossa Nova "Triste" zu tage, den Jobim schrieb, als er 1966 in einer Hotellobby auf Frank Sinatra wartete, oder "Retrato Em Branco E Preto”, eine Weiterentwicklung des instrumentalen Songs "Zingaro” aus dem Jahr 1965, für den Chico Buarque später einen Text schrieb. Eben jener singt beim Titel "Falando de amor" mit Carminho im Duett und seine Stimme klingt müde. Natürlich gibt es auch einige Klassiker wie das wunderbare "Sabiá" – ebenfalls mit einem Text von Buarque – das den Nationalvogel Brasiliens besingt und 1968 den ersten Platz beim III. Internationalen Songfestival in Brasilien belegte oder "Wave", das zunächst ebenfalls als Instrumentaltitel ("Vou Te Contar") entstand. Marisa Monte und Maria Bethania begleiten Carminho auf zwei Titeln, der mit diesem Album ein Brückenschlag zwischen Brasilien und Portugal gelungenen ist.


Auch Cristina Branco entfernt sich zusehends vom Fado. Auf ihrem neuen Album gibt es mit "Ai, esta pena de mim" nur einen flotten Fado ihres Vorbildes Amália Rodriguez. Ansonsten handelt es sich auf "Menina" um Lieder, die die Welt ausschließlich aus weiblicher Sicht betrachten, geschrieben von jungen portugiesischen Poeten und Musikern von Rockbands. Nach einem für mich etwas nervigen Einstieg gelingt Luís Severo mit "Alvorada" ein schönes Liebesliedchen, mit der interessanten Kombination portugiesische Gitarre / Orgel.

Cristina Branco
Menina
O-tone

Zwischen einem opernhaften Lied über die Frage, ob Gott eine Frau sei ("Deus à") und dem traurigen "Luto mudo" aus der Feder des Angolaners Kalaf Epalanga wechselt die Stimmung auf diesem Album hin und her: "O gesto dela" erinnert an einen Abend mit Schubert-Liedern, während "Quando eu canto" und die schöne Ballade "Quando julgas que me amas" den Einfluss des Jazz-Pianisten Mário Laginha nicht verheimlichen können. Der Höhepunkt: Das flotte und fröhliche "Boatos" ("Gerüchte") von Jorge Cruz von der Rockgruppe Diabo na Cruz.

Allen hier besprochenen Alben wohnt aber nach wie vor die Grundtraurigkeit des Fado inne.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

Die Engel der Traurigkeit (Teil I)

[druckversion ed 03/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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