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Lauschrausch: Die Engel der Traurigkeit (Teil II) (Teil I)
Die neuen Alben von Carminho, Mísia, Branco und Lula Pena
Der Fado ist gekennzeichnet durch Dramatik, pathetisches Verzerren der Melodien, durch Sehnsucht und (meistens) Langsamkeit. Das alles mit brasilianischer Leichtigkeit in Einklang zu bringen, ist nicht einfach und gelingt
Carminho auf ihrem neuen Album "Carminho canta Tom Jobim" nicht immer gleich gut. Aber vielleicht war das auch gar nicht ihre Absicht, vielleicht wollte sie einfach den einen oder anderen Kontrapunkt setzen (z.B. in "A felicidade" aus dem Film "Orfeu negro"). Erfreulicherweise hat sie es vermieden, lediglich bekannte Jobim-Lieder auszuwählen.
Carminho schürfte mit Hilfe der Familie von Jobim tiefer sein Sohn Paulo und sein Enkel Daniel begleiten Carminho - und förderte Stücke wie den Bossa Nova "Triste" zu tage, den Jobim schrieb, als er 1966 in einer Hotellobby auf Frank Sinatra wartete, oder "
Retrato Em Branco E Preto”, eine Weiterentwicklung des instrumentalen Songs "Zingaro” aus dem Jahr 1965, für den Chico Buarque später einen Text schrieb. Eben jener singt beim Titel "Falando de amor" mit Carminho im Duett und seine Stimme klingt müde. Natürlich gibt es auch einige Klassiker wie das wunderbare "Sabiá" ebenfalls mit einem Text von Buarque das den Nationalvogel Brasiliens besingt und 1968 den ersten Platz beim III. Internationalen Songfestival in Brasilien belegte oder "Wave", das zunächst ebenfalls als Instrumentaltitel ("Vou Te Contar") entstand. Marisa Monte und Maria Bethania begleiten Carminho auf zwei Titeln, der mit diesem Album ein Brückenschlag zwischen Brasilien und Portugal gelungenen ist.
Auch
Cristina Branco entfernt sich zusehends vom Fado. Auf ihrem neuen Album gibt es mit "Ai, esta pena de mim" nur einen flotten Fado ihres Vorbildes Amália Rodriguez. Ansonsten handelt es sich auf "Menina" um Lieder, die die Welt ausschließlich aus weiblicher Sicht betrachten, geschrieben von jungen portugiesischen Poeten und Musikern von Rockbands. Nach einem für mich etwas nervigen Einstieg gelingt Luís Severo mit "Alvorada" ein schönes Liebesliedchen, mit der interessanten Kombination portugiesische Gitarre / Orgel.
Zwischen einem opernhaften Lied über die Frage, ob Gott eine Frau sei ("Deus à") und dem traurigen "Luto mudo" aus der Feder des Angolaners Kalaf Epalanga wechselt die Stimmung auf diesem Album hin und her: "O gesto dela" erinnert an einen Abend mit Schubert-Liedern, während "Quando eu canto" und die schöne Ballade "Quando julgas que me amas" den Einfluss des Jazz-Pianisten Mário Laginha nicht verheimlichen können. Der Höhepunkt: Das flotte und fröhliche "Boatos" ("Gerüchte") von Jorge Cruz von der Rockgruppe
Diabo na Cruz.
Allen hier besprochenen Alben wohnt aber nach wie vor die Grundtraurigkeit des Fado inne.
Text: Torsten Eßer
Cover: amazon
Die Engel der Traurigkeit (Teil I)
[druckversion ed 03/2017] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]