ed 01/2008 : caiman.de

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spanien: spanische Spuren in Manila:
Zerbombter Barock, dichtender Nationalheld, bunte Jesuskinder
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


cuba: Varadero - Auszüge aus einem Reisetagebuch
Teil 7: Trinidad
NORA VEDRA
[art. 2]
brasilien: Flucht aus Lissabon
Ein ängstlicher Prinzregent sucht sein Heil in den Tropen
THOMAS MILZ
[art. 3]
argentinien: Gedanken am Wasser
ANDREAS DAUERER
[art. 4]
grezfall: Kirchner und er
THOMAS MILZ
[kol. 1]
amor: Ibiza - Insel mit Aura (Teil 2)
NORA VEDRA
[kol. 2]
macht laune: Cap Norfeu - der Kopf des Orfeus
DIRK KLAIBER
[kol. 3]
lauschrausch: Tieftrauriges aus Portugal
TORSTEN EßER
[kol. 4]




[art_1] Spanien: Spanische Spuren in Manila:
Eine zerbombte Barockstadt, ein dichtender Nationalheld und viele bunte Jesuskinder

Das wundertätige Jesuskind von Kapitän Magellan
Alles begann mit einem Jesuskind, einer kleinen Statue, die der Entdecker Magellan am 7. April 1521 der Königin der philippinischen Insel Cebu schenkte. Diese war so entzückt, dass sie sich spontan auf den Namen Juana taufen ließ und die erste Katholikin im heute einzigen katholischen Land Asiens wurde. Fernando de Magalhaes war der eigentliche Name des tauffreudigen Portugiesen, der 1519 im Hafen von Sevilla im Auftrag der spanischen Krone aufgebrochen war, um den Seeweg zu den fernöstlichen Gewürzinseln zu erkunden. Das mutige Unternehmen fand als erste Weltumsegelung Eingang in die Geschichtsbücher, allerdings konnte Magellan selbst ihre Vollendung nicht erleben, denn nur zwanzig Tage nach der erfolgreichen Mission in Cebu starb er auf der Insel Mactan in einem Scharmützel gegen Eingeborene, so dass Sebastian Elcano die Weltumrundung 1522 zu Ende bringen musste.

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Zwanzig Jahre später erhielten diese fernen Inseln ihren Namen zu Ehren des spanischen Thronfolgers Philipp und 1564 entsendet der Vizekönig von Neu-Spanien (Mexiko) den Eroberer Miguel López de Legazpi zu den "Philippinen", um sie unter spanische Kontrolle zu bringen und zu christianisieren. Bei der endgültigen Eroberung der Insel Cebu entdecken die Spanier die Skulptur des von Magellan über vier Jahrzehnte zuvor überreichten Jesuskindes und bauen eine Kirche für "El Niño", dem alsbald Wunderkräfte zugeschrieben wurden. Dieses erste Symbol der Christianisierung der Philippinen wurde in den folgenden Jahrhunderten millionenfach in verschiedener Ausführung kopiert. Heute sieht man überall Jesuskinder auf den Philippinen: nicht nur in Kirchen, sondern auch in fast jedem Bus und Taxi, damit der Fahrer umso todesmutiger lenken kann (denn "El Niño" wird alle beschützen). Man findet sie in Supermärkten und Bars, damit die Kunden vom puppenhaften Lächeln dieser Christkinder zum Konsumieren angehalten werden, und natürlich wird man in jedem philippinischen Heim, sei es Hütte oder Palast, von einem Santo Niño mit weit ausgebreiteten Armen empfangen. Mit den sehr unterschiedlichen Ambientes wechselt auch die künstlerische Qualität und die "Verkleidung" der Jesuskinder: es gibt sogar die Version von Klein-Jesus in Uniform, wahlweise als Matrose oder als Feuerwehrmann. Und an jedem dritten Sonntag im Januar wird in vielen philippinischen Städten, natürlich auch in Manila, das Santo Niño mit aufwendigen Prozessionen gefeiert, die so farbenprächtig sind, dass manchem Fotografen schwindelig wird.

Manila als Hafen der Kostbarkeiten
Der Konquistador Legazpi erforschte das Inselgewirr sechs Jahre lang, wobei er behutsamer vorging als seine unbeliebten Vorgänger Cortés und Pizarro in Mexiko und Perú. Schließlich fand er einen Platz, der ihm attraktiver schien als Cebu: die sichere Hafenbucht der muslimischen Siedlung May Nilad - benannt nach einer weiß blühenden Mangrovenpflanze, die hier überall am Ufer wuchs.

Nachdem Legazpi den lokalen Herrscher Rajah Sulaiman besiegt hatte, legte er am 24. Juni 1571 den Grundstein für die Neugründung von Manila (May Nilad) als Hauptstadt von "Neukastilien" (so nannte er die philippinische Hauptinsel Luzón). Der Eroberer von Spaniens Kolonialreich in Asien konnte selbst nicht mehr viel vom rasanten Aufschwung Manilas miterleben, denn er starb schon ein Jahr später. Manila wurde während der folgenden Jahrhunderte zu einer Drehscheibe des Handels zwischen den von Europa aus schwer erreichbaren Imperien von China, Japan und Indien auf der einen Seite und Mexiko/Spanien auf der anderen Seite. Durch die Niederlassung zahlreicher asiatischer Kaufleute, vor allem durch eine große Kolonie chinesischer Händler, wurde es zu einer Handelsmetropole, doch ein Vizekönigreich "Spanisch-Asien" wurde nie gegründet. In ihrer politischen Verwaltung blieben die Philippinen und Manila fast drei Jahrhunderte lang abhängig vom spanischen Vizekönigreich Mexiko. Unendlich weit entfernt - eine Jahresreise - waren Sevilla, Sitz der Verwaltungsbehörde für die spanischen Vizekönigreiche (Consejo de Indias), und der Königshof in Madrid. Daher liefen fast alle politischen Entscheidungen und der gesamte Gütertransport zwischen Spanien und den Philippinen über Mexiko.

Neben spanischen Produkten und Haustieren (Pferde, Hühner) wurden viele mexikanische Nutzpflanzen (Avocados, Ananas, Tomaten, Papayas) über Manila in die Philippinen eingeführt und fortan dort angebaut. Und während fast 250 Jahren (von 1571 - 1815) war die sogenannte Ruta de los Galeones, die Schiffsroute zwischen Manila und dem mexikanischen Hafen Acapulco, die "Nabelschnur", mit der die Philippinen über Mexiko mit dem spanischen "Mutterland" verbunden waren. Obwohl eine Fahrt circa ein halbes Jahr dauerte und nur höchstens einmal jährlich erfolgte, kann die Bedeutung dieser Handelsverbindung kaum hoch genug eingeschätzt werden. Denn zum einen war dieses "Galeone von Manila" genannte Transportschiff für damalige Verhältnisse ein Gigant mit ungeheurem Fassungsvermögen. Und zum anderen war die Fracht oft wertvoller als Gold: in Manila wurden für Mexiko und Spanien z.B. chinesische Seide und Porzellan, Perserteppiche, exotische asiatische Gewürze wie Zimt, Nelken, Pfeffer, Ingwer und Kurkuma verladen; aus Acapulco kamen vor allem mexikanisches Silber und Gold, mit dem die chinesischen Luxuswaren bezahlt wurden, und Haustiere und Nutzpflanzen sowie sakrale Kunstobjekte (Christusskulpturen, Madonnengemälde), die für die neu gegründeten Klöster und Kirchen der Philippinen bestimmt waren.

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Die Ankunft dieser Schätze im Hafen von Manila (bzw. Acapulco) war das Ereignis des Jahres und das zwischen der philippinischen Hafenstadt und Spanisch-Amerika pendelnde Riesenschiff bildete das Zentrum eines interkontinentalen Handelsgeflechts. Ein Indiz für den Stellenwert dieser Schiffsroute für die koloniale Gesellschaft der Philippinen erkennt man auch in der Tatsache, dass der Erzbischof von Manila die Galeone vor jedem Auslaufen segnete und jedes einzelne Paket (heute würde man sagen "Container") mit der frommen Aufschrift "Dios lo lleve a salvo" (dass Gott es sicher ans Ziel bringe) versehen wurde. Denn dies war keineswegs selbstverständlich. Mindestens 26 der Galeonen sind bei Unwettern gesunken oder auf rätselhafte Weise verschwunden, vier weitere wurden von englischen Piraten gekapert, die damit für den Rest ihres Lebens ausgesorgt hatten. Der Inhalt der Kisten, die auf den Galeonen transportiert wurden, war jedenfalls sehr begehrt und erzielte in Europa Höchstpreise. Legendär wurde als textiles Statussymbol der feinen Damen Sevillas der sogenannte "mantón de Manila", ein Schleier aus chinesischer Seide, der in Kanton hergestellt und in Manila verschifft wurde.

Die Kathedrale Manilas - achtmal auferstanden aus Ruinen
Nicht nur auf dem Meer hatten die spanischen Kolonialherren mit ungewohnten Naturgewalten zu kämpfen. Die Bautätigkeit in Manila wurde immer wieder durch Naturkatastrophen beeinträchtigt oder unterbrochen. Das koloniale Machtzentrum befand sich im barocken Viertel, das heute noch "Intramuros" heisst. Hier wurden Gouverneurspalast und Kathedrale errichtet, seit 1591 war Manila Erzbischofssitz. Doch wer heute vor der Kathedrale (Basilica Minore de la Inmaculada Concepción) steht, ahnt schon, dass das aktuelle Gebäude wenig mit der ursprünglichen Konstruktion vom Ende des 16. Jahrhunderts zu tun hat.

Die Historie von Manilas Kathedrale ist wirklich eine Passionsgeschichte für sich: sie wurde achtmal nahezu völlig zerstört und jedes Mal aus Ruinen erneut errichtet. Der erste, noch sehr bescheidene Kirchenbau, wurde bereits 1583 durch einen Brand zerstört, die zweite Version 1588 durch einen Hurrikan, die dritte, schon repräsentative Kathedrale, im Jahre 1600 durch ein schweres Erdbeben, die vierte 1621 durch das gleiche Ereignis. 1645 und 1701 verwandeln Serien von rekordverdächtigen Erdbeben, gefolgt von Überschwemmungen, die wichtigste Bischofskirche Asiens zum fünften und sechsten Mal in einen Trümmerhaufen, auch bei der siebten Zerstörung 1863 spielte ein Erdbeben die Hauptrolle, nur die achte und totale Zerstörung 1945 war von Menschen verschuldet: die Bombardierung durch die USA. Dass Manilas Kathedrale derart häufig einstürzte, war teilweise auch auf architektonische Mängel zurück zu führen. Denn hier, in der absoluten Peripherie des spanischen Imperiums, gab es weniger Geld, schlechtere Architekten und (durch die enorme Feuchtigkeit) ein ungünstigeres Klima als in Mexiko, wo die Bauschäden bei ähnlicher Erdbebenintensität geringer ausfielen.

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Die Dombaumeister von Manila waren nicht zu beneiden in ihrer Sisyphusarbeit und ein Mönch klagt in einem Brief, dass "das Beten in der Kathedrale nur unter größter Lebensgefahr möglich sei..." Erzbischof Martínez de Arizala bittet den Consejo de Indias Anfang des 18. Jahrhunderts, ihm "endlich einen fähigen Baumeister aus Neu-Spanien (Mexiko) zu senden..."

Wie auch in anderen spanischen Überseegebieten war auf den Philippinen und besonders in Manila die katholische Kirche, auch dank der Aktivitäten ihrer mächtigen Orden (Dominikaner, Franziskaner, Jesuiten), die tonangebende gesellschaftliche Institution. Die Dominikaner gründeten bereits 1611 die Universidad de Santo Tomás, Asiens älteste Universität. Aber die Lehrplände dieser und anderer Bildungseinrichtungen mussten natürlich kirchenkonform sein und die Kirche trug dazu bei, kritische Stimmen auf den Philippinen bis zum Ende der spanischen Herrschaft zu unterdrücken.

Der tragische Nationalheld José Rizal - ein spanischer Dichter
Dagegen protestierten immer mehr eingeborene Filipinos. Der berühmteste von allen wurde Dr. José Protasio Rizal, geboren 1861. In vielen Texten wurde er später unsinnigerweise als philippinischer "Unabhängigkeitskämpfer" dargestellt. Das war er keineswegs, sondern in erster Linie war er ein zutiefst spanisch denkender Dichter und ein Filipino der reichen Oberschicht. Sein Vater stammte ab von eingewanderten Chinesen, seine Mutter war Mestizin und Rizal selbst nicht der philippinische Nationalist, zu dem er später in vielen Schulbüchern stilisiert wurde. Man könnte ihn eher als "Weltbürger" bezeichnen, der in Madrid mit Auszeichnung in Philosophie promovierte, unter anderem in Heidelberg (!) studierte und ganz Europa sowie die USA bereiste. Im Gegensatz zu den Rebellen des späteren Unabhängigkeitskriegs der Philippinen forderte Rizal wiederholt die völlige Hispanisierung der Philippinen - diese sollten allerdings keine Kolonie, sondern gleichberechtigte Provinz Spaniens mit Abgeordneten im spanischen Parlament werden.

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Es wurde Rizal jedoch zum Verhängnis, dass viele der Rebellen, die mit Gewalt für die Unabhängigkeit kämpften, seine (verbotenen) Bücher gelesen hatten und sich dadurch inspiriert fühlten. Tatsächlich aber waren seine Romane "Noli me tangere" (erstmals gedruckt in Berlin 1887) und "Filibusterismo" (Gent, 1891), in denen er die damaligen Zustände (korrupte Kolonialverwaltung, allmächtige Kirche und die Doppelmoral vieler Priester) heftig anprangerte, ein Plädoyer für dringende Reformen, aber kein Aufruf zur Lossagung von Spanien. Auch seine übrigen Schriften, Gedichte und Artikel in der von ihm zusammen mit anderen philippinischen Studenten in Barcelona publizierten Zeitschrift "La Solidaridad" waren anti-kolonialistisch, aber nicht anti-spanisch. Dennoch wurde er zur charismatischen Symbolfigur eines neuen philippinischen Selbstbewusstseins. Sprachgewaltig wie kaum ein anderer seiner Generation attackierte er die von ihm so genannte "frailocracia" (Herrschaft der Mönche) in seiner Heimat und forderte endlich einheimische Priester statt klerikalem Kolonialismus. Während es in Spanien durchaus Politiker gab, die seine Ideen unterstützten, werden seine beiden Romane unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Manila 1892 verboten.

Vor allem dem katholischen Klerus sind José Rizal und sein Werk ein Dorn im Auge. Als er noch im gleichen Jahr die gewaltfreie Reformbewegung Liga Filipina gründet, wird er zunächst auf die Insel Mindanao verbannt. Schließlich initiiert der von Andrés Bonifacio gegründete Geheimbund Katipunan ("Bruderschaft der Söhne des Volkes") im Herbst 1896 eine bewaffnete Rebellion gegen die Kolonialmacht Spanien. Obwohl sich Rizal eindeutig von Zielen und Methoden der Katipunan distanziert, wird er wenig später verhaftet. Die Rebellen haben sich zu deutlich durch die Lektüre der Schriften des "Aufklärers" Rizal inspirieren lassen, dies wird ihm zum Verhängnis. Er wird zum Tode verurteilt und am 30.12.1896 im Alter von nur 35 Jahren erschossen. In der Todeszelle schreibt er wenige Stunden vor seiner Hinrichtung sein letztes Gedicht "Mi Último Adiós" - natürlich auf Spanisch und in klassischer Form, ein bewegendes Testament seines ungebrochenen Stolzes. Obwohl er bis zuletzt - und auch zu Recht - seine Unschuld an der bewaffneten Rebellion beteuert, soll er dem Hinrichtungskommando den Rücken zuwenden - als Zeichen für "Vaterlandsverrat". Doch im letzten Moment wirft Rizal sich herum und blickt seinen Henkern ins Gesicht als er tödlich getroffen zu Boden sinkt. Eine Szene, die an filmreifem Pathos kaum zu überbieten ist - umso erstaunlicher, dass die Biographie dieses bald als Märtyrer verehrten philippinischen Nationalhelden bisher noch nicht prominent verfilmt worden ist...

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300 Jahre spanisches Kloster und 45 Jahre "Hollywood"
Auf diese kurze Formel bringen die Filipinos oft ihre Geschichte bis zur Unabhängigkeit 1946. Dabei ist der erste Teil im Kern durchaus zutreffend, der zweite jedoch äußerst euphemistisch, denn mit Hollywood hatte das was nach der Ablösung der Spanier kam, nichts zu tun - es sei denn mit einem Horrorfilm. Nach Rizals Hinrichtung hatte der Unabhängigkeitskrieg der Filipinos richtig begonnen, Anfang 1898 kam es zu vorübergehendem Waffenstillstand, doch als die USA im April 1898 Spanien den Krieg erklären, nehmen die philippinischen Rebellen unter Führung von Emilio Aguinaldo den Kampf wieder auf. Jahrzehnte lang haben verschiedene Regierungen der USA die Kolonialmächte des Alten Europa verurteilt und allen amerikanischen Unabhängigkeitsbewegungen, angefangen bei Simón Bolívar, applaudiert.

Doch als Aguinaldo am 12. Juni 1898 nach dem vereinten Sieg gegen Spanien die Unabhängigkeit der Philippinen proklamiert, zeigen die USA ihr wahres Gesicht. Sie erkennen die unabhängige Republik nicht an, denn die US-Regierung findet es praktischer, US-$ 20 Millionen an Spanien zu zahlen und die Philippinen ganz einfach selbst als strategisch günstige Kolonie zu übernehmen. Willkommen im Club der Kolonialmächte! (Mit Kuba und Puerto Rico verfuhren die USA 1898 genauso). Nachdem sich die Filipinos unter General Aguinaldo vom Schock dieses Verrats erholt haben, beginnen sie einen zweiten Unabhängigkeitskrieg, diesmal gegen die ungleich mächtigeren USA. Als Aguinaldo im März 1901 gefangen genommen wird, gilt dieser Krieg zwar offiziell als beendet, wird aber mit Guerilla-Taktik in einigen Regionen weiter geführt.

Die brutale Unterdrückung der philippinischen Unabhängigkeitsbewegung, von den wenigen kritischen US-Autoren als "erstes Vietnam" bezeichnet, gehört zu den vergessenen Kapiteln der Außenpolitik der USA - und zu den blutigsten. Selbst nach zurückhaltenden Schätzungen starben in einem einzigen Jahrzehnt (1898 - 1908) mehr Filipinos durch die Kriegsgewalt der USA als in dreieinhalb Jahrhunderten spanischer Kolonialherrschaft: insgesamt mindestens eine Million, d.h. etwa 10% der damaligen Gesamtbevölkerung. Davon starben etwa eine Viertelmillion direkt im Krieg und weitere 750.000 durch Hunger und kriegsbedingte Krankheiten. Bei der Unterdrückung der Guerilla-Bewegung waren die neuen Kolonialherren nicht zimperlich, mehrfach sind rassistische Übergriffe und Fälle dokumentiert, in denen US-Kommandanten zur "Abschreckung" die Erschießung aller männlichen Bewohner (auch Kinder) von Dörfern im Guerilla-Gebiet angeordnet haben.

Obwohl die USA neben ihren üblichen kommerziellen Segnungen, mit denen sie nach dem Abebben der Gewalt die Inseln überschwemmen, auch Pressefreiheit gewähren, werden die Massaker während des (vergeblichen) Unabhängigkeitskriegs bis heute weitgehend totgeschwiegen. Im Zweiten Weltkrieg waren es die Japaner, die in Manila grauenhafte Massaker an der Zivilbevölkerung verübten, aber auch die USA verabschiedeten sich so brutal aus der Geschichte der Philippinen wie sie gekommen waren. Sie bombardierten Manila (zwar unter japanischer Besatzung befindlich, aber immer noch Hauptstadt ihrer eigenen Kolonie!) so gründlich, dass die Stadt inklusive der barocken Altstadt Intramuros beinahe dem Erdboden gleich gemacht wurde. Wer weiß heute in Europa, dass Manila, einstmals bekannt als "Perle des Pazifik" - nach Warschau - die durch den Zweiten Weltkrieg am meisten zerstörte Stadt war?

"Hollywood" hinterließ also apokalyptische Kulissen als man 1946 die Philippinen in die Unabhängigkeit entließ. Innerhalb der Trümmer von Intramuros hatte wie durch ein Wunder die kleine Kirche San Agustín (Weltkulturerbe der UNESCO), erbaut im spanisch-mexikanischen Barock, das Bombeninferno überlebt. Was blieb sonst an Spuren der spanischen Vergangenheit in Manila? Unzählige Namen und das riesige Denkmal für den philippinischen Nationaldichter José Rizal, dessen Sprache Spanisch war und der nicht begeistert gewesen wäre über die Entscheidung der Regierung, Spanisch 1987 als Pflichtfach für die Zulassung zur Universität abzuschaffen. Denn dies wird zum endgültigen Verschwinden der Kultursprache Spanisch auf den Philippinen führen - schon heute können höchstens noch 10% der Filipinos die Werke ihres spanischsprachigen Nationalhelden im Original verstehen.

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Heute ist Manila eine von englischsprachigen Reklamen dominierte Megacity mit circa 12 Millionen Einwohnern und hat im Stadtzentrum mit über 41.000 Einwohnern pro Quadratkilometer die höchste Bevölkerungsdichte weltweit. Mit Sicherheit gibt es hier auch die weltweit höchste Dichte an Jesuskind-Figuren - und die verstehen nach wie vor nur Spanisch.

Text: Berthold Volberg
Fotos: Wolfgang Reik

Links und Literaturtipps:
Offizielle Webpage der Stadt Manila
www.manilacityph.com

Über Leben und Werk von José Rizal:
www.ensayistas.org/filosofos/filipinos/rizal

Der Text des Gedichts "El Último Adiós" in Spanisch, Englisch und Tagalog:
www.palhbooks.com/rizal.htm

Über die Unterdrückung der philippinschen Unabhängigkeitsbewegung durch die USA:
Ronald Bayor: "The Columbia Documentary: History of Race and Ethnicity in America", Columbia University Press June 2004

E. San Juan: "U.S. Genocide in the Philippines: a case of guilt, shame or amnesia?", Universität Löwen, Belgien, März 2005

[druckversion ed 01/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





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[art_3] Brasilien: Flucht aus Lissabon
Teil 1: Ein ängstlicher Prinzregent sucht sein Heil in den Tropen (Teil 2 / (Teil 3)


Meist sind es tapfere Heldentaten, die zur Verewigung in den Geschichtsbüchern führen. Im Falle von D. Joao VI, dem Prinzregenten des portugiesischen Weltreichs, war es die pure Angst, die ihn zu einer in der Weltgeschichte einmaligen Handlung veranlasste.

Während sich die Truppen Napoleon Bonapartes am Morgen des 29. Novembers 1807 der portugiesischen Hauptstadt Lissabon bereits bedrohlich näherten, entschwand der portugiesische Königshof und die reiche Oberschicht des kleinen Landes unter dem Schutz der englischen Flotte hinaus auf den Atlantik. Es war einfach nicht die Art des dicklichen D. Joao VI, sich Kämpfen zu stellen. Er bevorzugte die Flucht.

Gut zwei Monate später betrat D. Joao VI die Kolonie Brasilien. Nie zuvor hatte ein europäischer Regent eine überseeische Kolonie betreten. Ironischerweise markierte seine Tat den Anfang vom Ende des portugiesischen Weltreichs. Mit der Ankunft des Hofes wurde Rio de Janeiro über Nacht die Hauptstadt eines Reiches, dessen Besitzungen sich damals über die ganze Welt verteilten.

Und sie blieben: Den Portugiesen gefiel es hier so gut, dass sie erst 1821, gut 6 Jahre nach dem Ende der Herrschaft Napoleons über Europa, wieder zurück in die Heimat gingen.

2008 erinnert man sich in Brasilien an jenes denkwürdige Ereignis, das die Geschichte des Landes so grundlegend veränderte. Für Portugal war es gleichzeitig der Beginn des Abstiegs vom Status einer Weltmacht hin zu einem kleinen Land am westlichen Rande Europas – Denn bereits ein Jahr nach der Rückkehr des Hofes nach Lissabon sagten sich die in Brasilien verbliebenen Portugiesen von ihrer alten Heimat los.

In der nächsten Ausgabe werden wir einen Blick auf die ereignisreiche Überfahrt der portugiesischen Flotte nach Salvador da Bahia werfen, wo D. Joao VI einige Wochen verweilte, bevor er dann weiter nach Rio de Janeiro zog, wo er im März 1808 eintraf.

Verweilen wir aber noch einen kurzen Augenblick in Lissabon, jener Stadt, die am 29. November 1807 mit der Nachricht erwachte, dass die französischen Truppen vor der Stadt stünden und der Prinzregent samt Staatskasse und der gesamten Oberschicht das Land verlassen habe. Blicken wir noch einmal kurz auf jene melancholisch-schöne Stadt am Tejo, bevor wir mit der portugiesischen Flotte die Anker lichten und uns in die neue Welt aufmachen.

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Text + Fotos : Thomas Milz

[druckversion ed 01/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]





[art_4] Argentinien: Gedanken am Wasser

Ich weine. Es ist ein erneutes Abschiednehmen von meiner Stadt Buenos Aires und ihren Bewohnern. Und von meinen Freunden, die ich für längere Zeit nicht sehen werde. Am Abschiedstag besuche ich noch schnell die wichtigsten. Auf einen kurzen Plausch bei einem Schnitzel und Bier. Und da überfällt mich dann wieder dieses Gefühl von Hilflosigkeit. Gerade wenn ich daran denke, dass ich in ein paar Stunden für schlappe 16 Stunden im Bus sitzen und nach Iguazú fahren werde. Da schweifen meine Gedanken gelegentlich ab. Wie schön es wäre, eine Handvoll von meinen Porteños in Europa zu sehen.

Aber das ist Zukunftsmusik und wir leben schließlich im Jetzt. Irgendwann wird es klappen, da bin ich mir sicher. Irgendwann... Als ich schon im Bus sitze, erhalte ich eine letzte SMS und mit ihr werden meine Augen wieder feucht. "Chau hermano! Ayer te quise llamar xo no había señal en el reci. Volve pronto, te voy a extrañar. BUEN VIAJE. Un abrazo! :)"

In solchen Situationen frage ich mich immer, warum ich teilweise so nah am Wasser gebaut bin und warum man in anderen Ländern immer herzlicher mit den Formulierungen umgeht. Und wahrscheinlich ist es gerade das, was mich immer wieder nach Buenos Aires zurückkehren lassen wird. Die Stadt und das große Land übten schon seit meiner ersten Reise nach Argentinien einen ganz eigenen Reiz auf mich aus. Und das Schlimme daran: dieser Reiz hält mich noch immer gefangen und schnürt mich immer fester ein, so dass das Fernweh mein ständiger Begleiter wurde.




"Was ist los?", fragt mein Nachbar irritiert. Es würde zu weit führen, alles zu erklären, denke ich bei mir. "No te preocupes." Auch ich flüchte mich in argentinische Phrasen. Viel geht mir durch den Kopf, als wir durch die Nacht fahren. Das schlechte Essen, das hier im Bus serviert wird, tut sein Übriges dazu, dass ich bald in einen unruhigen Schlaf falle, aus dem ich erst um sieben Uhr morgens wieder erwache. Dann sind auch die Tränen getrocknet und mein Kopf frei für neue Dinge. Wir sind in Iguazú, dem Ort der berühmtesten Wasserfälle in Lateinamerika. Wenn es nach den Argentinos geht, auch der Welt. Da ich selbst aber noch nie an den Niagara Fällen war, erspare ich mir ein Urteil.

Iguazú also. Das gleichnamige Städtchen im Dreiländereck Argentinien, Brasilien und Paraguay gäbe es wahrscheinlich in seiner Form noch nicht einmal, wenn das Naturschauspiel der Extraklasse nicht zunehmend Touristen aus der ganzen Welt anlocken würde.

Und in den letzten vier Jahren hat sich hier kaum etwas verändert. Die Luft ist feucht, der Boden rot wie eh und je und meine Kleidung binnen 10 Minuten durchgeschwitzt und dreckig. Dazwischen gesellen sich viele englischsprechende Sandalengesichter, die durch die fünf verschiedenen Straßen hetzen.

Doña Maria, die Chefin unseres Hostals, wo wir gerade einchecken, sieht mitgenommen aus. Sie scheint irgendwie keine Lust auf noch mehr Ausländer - und Arbeit - zu haben. Ihre Laune hebt sich immerhin, als ich schließlich versuche, die exorbitant teuren Zimmerpreise ein wenig zu drücken. Am Ende haben wir so beide etwas vom Tage. Allerdings muss ich gestehen, dass Ihr Anteil doch weit höher liegt, denn unser Doppelzimmer ist ein dunkles feuchtes Loch mit löchrigem Bettzeug. Egal, wir sind ja nur zwei Nächte hier und dann geht es weiter in Richtung Brasilien. Hauptsache die Mücken quälen uns nicht die ganze Nacht.



Der Tag in Iguazú neigt sich bereits dem Ende zu, eher er richtig angefangen hat. In dem Ort ist nicht viel zu tun, außer sich morgens die etwa 20 Kilometer zu den Wasserfällen hinaus und abends wieder nach Hause karren zu lassen. Immerhin gibt es standesgemäß ein paar Geschäfte, in denen die vergesslichen Ausländer noch kitschig-teure Mitbringsel für die Daheimgebliebenen erstehen können. Und Möglichkeiten, um ein bisschen was zu essen gibt es auch immer. Empfehlenswert ist in jedem Falle der kleine kiosko stadtauswärts, bei dem es vorzügliche Panchos gibt und das Ambiente mehr als ehrlich ist. McDonald’s könnte sich glatt eine Scheibe abschneiden. Und die Hamburguesas sind eine Wucht. Fetttriefend, aber so lecker, dass man schon beim zweiten ist, ehe man den ersten überhaupt wissentlich verdaut hat. Es gibt halt auch im kleinsten Kaff etwas zu entdecken.

Nach einer zwar mückenfreien, aber mit zahlreiche Kakerlaken in der Toilette verbrachten Nacht, geht es mit dem Bus endlich hinaus zu den Wasserfällen. Die Argentinier-Quote sinkt auf geschätzte drei Prozent und wird nur noch durch Fahrer und Kontrolleur bedient, was der Stimmung allerdings keinen Abbruch tut. Auch sind wir gespannt, wie reichlich denn das Wasser fließt. Die letzten Tage und Wochen hat es in der Region Missiones viel geregnet. Und ja, es ist ein Spektakel. Man begibt sich auf die kleinen, gut ausgebauten Wege und kommt zum Greifen nahe an die Wasserfälle heran.

Ein weiteres Highlight neben den unendlich vielen Rinnsalen und stürzenden Bächen ist die Fauna. Genauer gesagt Schmetterlinge. Sie begleiten uns den gesamten Tag rund um die Wasserfälle und scheinen ebenso zufrieden zu sein wie die Besucher.

Als krönenden Abschluss haben wir uns die Garganta del Diablo aufgehoben. Der Teufelsschlund ist das Highlight auf argentinischer Seite. Erst überquert man unter sengender Mittagssonne (wir sind schließlich ebenfalls Touristen) auf einem Steg den Fluss, der plötzlich aufreißt und das Wasser 30 Meter in die Tiefe stürzen lässt. Blickt man nach unten, wird man beinahe enttäuscht. Außer einer großen weißen Wasserwolke erkennt man nicht viel. Weitaus beeindruckender ist es, wenn man auf einer der Plattformen steht und nur noch durch das Gitter von den hinunterstürzenden Wassermassen getrennt ist. Insgeheim betet man dann, dass wenigstens hier das Laissez-Faire der Latinos nicht bis aufs Äußerste betrieben wird und man den Blick über das halb argentinische und halb brasilianische Wasserschauspiel genießen kann.

Nachdem wir uns schließlich erfolgreich dem doch recht aufdringlichen Fotografen erwehrt haben, geht es den langen Weg zurück über die Stege.

Jetzt sind wir froh, dass es warm ist, denn wir sind von der Garganta ordentlich durchnässt und brauchen erst mal einen Kaffee, ehe wir den Rückweg ins Kakerlaken-Hostal antreten können. Begleitet von einer Traube Schmetterlingen und unbeschreibbar feuchten Eindrücken.

Text + Fotos: Andreas Dauerer

[druckversion ed 01/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: argentinien]





[kol_1] Grenzfall: Kirchner und er

Fernando A. Iglesias ist der Autor des Buches ''Kirchner y Yo: por qué no soy kirchnerista'' und erst vor kurzem als Abgeordneter der Coalición Cívica ins argentinische Parlament gewählt worden.

Wir haben ihn in Buenos Aires getroffen, um über Argentiniens neue Präsidentin Cristina Kirchner zu sprechen, die am 10. Dezember ihr Amt antrat. Doch auch über symbolische Wettbewerbe und den Platz Argentiniens im Mercosur konnte uns Iglesias Auskunft geben.



Was erwarten Sie von Cristina Kirchner?
Nun, es wird eine Fortsetzung der Amtszeit ihres Mannes Néstor Kirchner werden. Ich glaube nicht daran dass es große Veränderungen geben wird. In der Wirtschafts- und Finanzpolitik muss allerdings etwas geschehen - besonders im Bereich Inflationsbekämpfung. Ansonsten wird dies lediglich eine Fortsetzung von Néstor Kirchners Projekt für unser Land.

Aber ich hoffe, dass Cristina Kirchner den Willen zeigt, anders mit den Institutionen umzugehen. Während ihres Wahlkampfes sprach sie oft von "institutioneller Qualität", doch bisher hat sie eigentlich immer das genaue Gegenteil praktiziert. Mal wieder wurde das Wirtschaftsnotgesetzt in Kraft gesetzt, das die Präsidentin, also die Exekutive, auf Kosten der Legislative stärkt. Das ist auf jeden Fall keine "institutionelle Qualität".

Und nun der aktuelle Skandal mit dem Geldkoffer* - ihre Äusserungen dazu waren Besorgnis erregend. Sie hätte besser die FBI-Untersuchungsergebnisse genommen und eine eigene Untersuchung starten sollen. Und nicht einfach nur behaupten, es handele sich um ein Komplott des US-Imperiums.

Hätten die USA tatsächlich die Absicht gehabt, Cristina Kirchner zu schaden, hätten sie diese Dinge während des Wahlkampfes veröffentlicht und nicht nach den Wahlen. Der Vorwurf ist also Blödsinn und entbehrt jeglicher Grundlage.

Wir Argentinier wollen eine Untersuchung um zu klären, wieso US-$ 800.000 plötzlich hier in Argentinien auftauchen.

* Im August wurden drei Venezolaner und ein Uruguayer, die aus Caracas kamen, vom argentinischen Zoll am Flughafen in Buenos Aires festgenommen. Die Polizei fand US-$ 800.000 im Koffer des Venezolaners Guido Antonini Wilson. Das US-amerikanische FBI glaubt, dass Venezuelas Präsident Hugo Chávez das Geld als Unterstützung für Cristinas Kampagne geschickt hat.


Aber solche Vorfälle sind ja eigentlich normal bei Wahlen in dieser Region...
Es war sicherlich keine Überraschung. Aber die ganze Situation war absurd. Wilson kam hier mit US-$ 800.000 im Koffer an, und die Polizei zeigte ihn wegen Geldschmuggels an! Geldwäsche wäre da wohl der zutreffende Begriff.

Das Gesetz besagt, dass er eigentlich nur die Hälfte des Geldes hätte abgeben müssen. Aber er ließ einfach den gesamten Betrag zurück, sagte nichts und verschwand. Klar, dass das Geld nicht ihm gehörte!

Aber wir haben so etwas ja schon erwartet, denn Cristinas Kampagne war absurd. Sie hatte Unsummen zur Verfügung. Und auch der Einsatz öffentlicher Mittel war unglaublich - sie benutzte die Präsidentschaftsmaschinerie ihres Mannes und das öffentliche Fernsehen für ihre Wahlkampfzwecke.

Wir fordern eine Untersuchung über die Herkunft des Geldes. Solche Dinge dürfen sich hier nicht mehr wiederholen.

Wie steht denn Argentinien nach vier Jahren unter Néstor Kirchner da?
Die wirtschaftliche und soziale Situation hat sich sehr verbessert. Die Frage ist lediglich, ob sie dies dank Kirchner oder trotz Kirchner getan hat.

Wir haben es jedoch immer noch nicht geschafft, unser Produktionsprofil zu ändern. Immer noch sind wir von Exporten von Soja und anderen Rohstoffen abhängig. Und unsere Industrie wird subventioniert und ist nicht wirklich wettbewerbsfähig. Wenn demnächst der Sojapreis abrutscht, wird das Geld fehlen, die Wirtschaft zu unterstützen und sie wird genauso in die Krise rutschen wie unter Menem.

Argentinien muss sein ökonomisches Profil verändern und zu einer Informationsgesellschaft mit moderner Industrietechnologie werden. Und das soziale Profil muss ebenso geändert werden - denn heute ist die Ungleichheit genauso groß wie unter Präsident De la Rúa im Jahr 2001, also vor der Krise. Nichts hat sich geändert! Die Krise ist vorbei und alles ist beim Alten geblieben. Aber die beiden Kirchners haben keinen Plan, wie man das ökonomische und soziale Profil ändern könnte. Das ist ihr großes Problem.



Argentinien hat die bittere Pille geschluckt, dass Brasilien die Nummer Eins im Mercosur ist?
Wir Argentinier haben die furchtbare Angewohnheit, ständig symbolische Wettbewerbe auszutragen, die ausschließlich in unseren Köpfen existieren. Schon seit langem ist Brasilien viel wichtiger und entwickelter als Argentinien.

Vor hundert Jahren haben die Argentinier gesagt, dass sie die US-Amerikaner von Südamerika werden würden. Danach behaupteten wir, dass wir auf dem gleichen Niveau wie Australien, Neuseeland und Kanada seien. Und danach ließ man verlauten, dass wir es locker mit Brasilien aufnehmen könnten.

Und jetzt haben wir uns Chile als Modell ausgesucht. Demnächst werden wir sicherlich auch auf gleicher Augenhöhe mit Venezuela sein!

Wenn wir mit Kirchners Politik so weitermachen, wird dieser nationale Verfall munter so weitergehen.

Fragen + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 01/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]





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[kol_3] Macht laune: Cap Norfeu - der Kopf des Orfeus

Vor nicht allzu langer Zeit war Orfeus nach Spanien aufgebrochen, um das nach ihm benannte Kap, das Cap Norfeu auf der Halbinsel Cap de Creus, zu begutachten, ob es seiner würdig sei. Eigentlich frohgemut hatte er kurz vor seinem Aufbruch erfahren, dass er sich die für Gottheiten reservierte Residenz in Katalonien zwei lange Nächte mit Dionysos, einem Zeitgenossen, der zwar um Orfeus Gunst buhlte, diesem aber zuwider war, würde teilen müssen.



So trafen an diesem Abend Dionysos, Gott des Rausches und der zügellosen Gelage, und Orfeus, Gott der Musik und des Tanzes, aufeinander. Und wie nicht anders zu erwarten, labten sich die beiden über alle Maßen an Trank und Speis. Der eine aus Hochgefühl, der andere aus Unbehagen. An der Seite des Dionysos feierten ausgelassen die Mänaden, seine dem Weine zugeneigten Anhängerinnen. Zurückhaltend präsentierten sich die um das Wohl Orfeus bemühten Nymphen. Denn nur der liebliche Gesang und das verzaubernde Spiel der Leier eines gut gestimmten Orfeus vermochte ihrer unbändigen und ständig präsenten Lust Erleichterung verschaffen.

In Anbetracht der langen Nacht schliefen die beiden Gottheiten und ihr Gefolge bis tief in den Nachmittag des nächsten Tages hinein. Und obwohl es Dionysos in der vom Kater beseelten Aufbruchsstunde keinen Deut besser ging als Orfeus, bestand er darauf, den Musikus auf seinem Ausflug zu begleiten. Auf der Cap Norfeu angekommen, wusste Orfeus nicht, wie seinen Mitstreiter noch länger zu ertragen und griff erneut zum Wein. Dieser aber glich in Nichts dem edlen Tropfen des Vorabends, sondern bestach durch eine fiese, schwere Süße.



Da konnte Orfeus nicht mehr länger an sich halten, abrupt verstummte sein Gesang und die widerwärtigsten Beschimpfungen gegen den verlogenen Gott des Weines brachen aus ihm heraus. Doch noch ehe sein wütender Erguss versiegte, hatten sich die von der Liebe zu Dionysos berauschten Mänaden auf ihn gestürzt, um ihn in Stücke zu zerreißen.

In diesem Moment, dem Moment des Todes, erkannte Orfeus, dass er der Frauen - und zwar aller Frauen - überdrüssig war und fortan nur noch für Knaben schwärmen würde. Und so kam Orfeus umgehend mit sich und auch der Welt ins Reine und er begann zu singen mit Engelszungen. Augenscheinlich tat es dem Volumen seiner Stimme keinen Abbruch, dass der Kopf dem Körper entrissen worden war und nun ohne Rumpf über die hohen, hart im Wind stehenden Klippen hinabkullerte und ins Meer stürzte.



Die geschockten Nymphen folgten ihrem Geliebten auf seinem Ritt über die Wellen bis dieser auf der Ägäisinsel Lesbos anstrandete. Und wäre nicht eines Tages Apollon, der leibliche Vater Orfeus erschienen und hätte seinem Sohn geboten zu schweigen, so würde der alles betörende Gesang, mit dem Orfeus schon auf der Odyssee die Sirenen übertönt hatte, noch heute von Lesbos zum Cap Norfeu herüber wehen.

Text + Fotos: Dirk Klaiber

[druckversion ed 01/2008] / [druckversion artikel] / [archiv: macht laune]





[kol_4] Lauschrausch: Tieftrauriges aus Portugal

Die guitarra portuguesa ist außerhalb des Landes als Instrument nur wenigen bekannt. Ihr Klang – dem einer Zither näher als dem der Gitarre – passt wunderbar zu den melancholischen portugiesischen Liedern und Melodien, die sich zwischen tiefer Verzweiflung und mediterraner Lebenslust bewegen. Metallen, klar und filigran begleiten die auf den sechs Doppelsaiten erzeugten Töne die leidenden Stimmen. Dem Musiker Mário Pacheco wurde seine Karriere in die Wiege gelegt, war doch schon sein Vater ein Virtuose auf diesem Instrument. Auf dem Konzertmitschnitt "Clube de Fado – A Musica e a Guitarra" (der auch als DVD mitgeliefert wird) wechseln sich Instrumental- und Gesangsstücke ab. Für letztere hat Pacheco vier bekannte Sänger(innen) eingeladen, darunter Mariza. Sie interpretieren ausschließlich Eigenkompositionen des Meisters, die er zu Texten von Fernando Pessoa, Vinícius de Moraes, Amália Rodrigues u.a. geschrieben hat. In Musik gegossenes Leiden auf höchstem Niveau.

Mário Pacheco
Clube de Fado - A Musica e a Guitarra
World Connection/ edel

Doch es geht noch trauriger. Die eindrucksvolle und dramatische Stimme der Fado-Sängerin Dulce Pontes treibt einem die Tränen in die Augen, besonders bei den Stücken, die die Traurigkeit des Fado mit sakralem Chorgesang verbinden ("Há festa na Mouraria"), aufgenommen in einer Kirche und einem Kloster (CD2). Auf der Doppel-CD (plus DVD mit Live-Konzert) "Das Herz hat drei Türen" finden sich aber nicht nur Fados und Fado-Lieder. Auch Troubadourgesang und populäre Lieder Portugals interpretiert Pontes, teilweise mit Gesangspartnern wie der Galizierin Uxía. Anklänge an Tarantelas, aber auch an Bach, Debussy und Piazzolla sowie Interpretationen von Mikis Theodorakis und Chavela Vargas ("La Llorona" in einer neunminütigen Gesangs-Pianoversion) verschmelzen mit Dudelsäcken, Piano, Cello und Gitarren zu einem Klangkosmos, der tief in die Seele eindringt. Dulce Pontes ebnet der portugiesischen Folklore (und den Hörern) neue Wege.

Dulce Pontes
O Coração tem Três Portas
Resistencia / galileo mc

Zum Abschluß vermischen sich dann die Gesänge verschiedener Kulturen, die Portugals multiethnische Identität begründet haben, in einem Downtempo-Remix des Titels "Folclore" mit traditionellen Instrumenten.

Text: Torsten Eßer
Fotos: amazon

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