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Havanna: Kubaner und Touristen
Von weitem liegt ein großartiger Zauber über der „Alten Dame“ La Habana. Erst wenn man sich der alternden Schönheit nähert, sieht man den Zerfall. Details erinnern hier und dort an den Glanz vergangener Zeiten. Ein paar wunderschöne alte Kacheln an der zerbröckelnden Eingangtür eines zerfallenden Hauses. Dort die Reste eines Portals, über dem ein Fenster mit leuchtend bunten Gläsern noch erhalten ist. Fragmente von Stuckwerk an schmutzigen Häuserwänden. Eine Greisin hüpft aus einem Hauseingang direkt vor meine Füße. Aus weit geöffneten Augen sieht sie mich zuerst erstaunt, dann scheinbar höchst beglückt an. Ein junges Mädchen kommt dazu und will sie wieder ins Haus ziehen. Die Greisin schüttelt sich wie eine Marionettenpuppe an Fäden und umarmt mich dann mit ihren schwachen Armen. Ich fühle ihre uralte, reptiliengleiche, von unzähligen Falten übersäte Haut.
„Sie ist 102 Jahre alt und manchmal weiß sie nicht mehr, was sie tut“, meint das junge Mädchen entschuldigend. „Lass‘ mich doch“, säuselt die Alte verzückt. „Lange habe ich nicht mehr hier bei Euch... Lasst mich endlich machen, was ich will!“ Sie winkt uns nach, die verklärten Augen weit geöffnet. Rubén González hat einmal gesagt: “Wir sind wie die letzten Funken, die aufsprühen, bevor das Feuer erlischt.“
Anders jedoch am Malecón. Hier scheint das Feuer nie zu erlöschen. Son und Salsa ertönen an den Ständen, die die Umstehenden mit reichlich Bier und Rum versorgen. Dahinter steigt die Meeresgischt Meter hoch. Einige Leute baden in der Abendsonne, doch die meisten sitzen auf der Ufermauer, tanzen, flanieren, trinken, feiern oder lachen. Hier auf der berühmten Promenade Havannas, wo einst reiche Amerikanerinnen in Juweliergeschäften einkauften, brodelt das Leben Tag und Nacht;
vor der kaputten Häuserzeile, in der manche Gebäude nur noch mit Hilfe von Holzgerüsten und Stützen durchhalten. Eine bizarre Kulisse zu Havanna‘s Bühne des Lebens.

Wir haben ein Zimmer in der Nähe des Kapitols gemietet, bei einer älteren Dame namens Bertha. Die mollige Bertha steigt in knallengen Hotpants die Treppe hinauf und zeigt uns das Zimmer. Ein liebevoll eingerichtetes Zimmer, denn hier hat ihre Tochter Paula gewohnt, bis sie nach New York gegangen ist. Bertha redet am laufenden Band: „Die Klospülung habe ich außer Kraft gesetzt, weil die Touristen sie immer misshandelt haben. Das Wasser wollte gar nicht mehr aufhörte zu fließen. Darum gibt’s jetzt den Eimer. Alles in allem kostet es Euch 25 Dollar die Nacht; ihr seid direkt im Herzen der Stadt, die Altstadt ist gleich um die Ecke.“
La Habana Vieja
Ein großer Teil der Altstadt ist saniert. 1982 wurde La Habana Vieja von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Das historische Viertel wirkt wie eine reife, saftige Frucht inmitten eines Korbes verfaulenden Obstes. Prächtige Häuserfassaden erstrahlen in leuchtenden Farben.
An jeder Straßenecke wunderschöne restaurierte Bars, Restaurants und Cafés, in denen man sich in die 20er, 30er oder auch 50er Jahre zurückversetzt fühlt. Überall spielen Musikgruppen für die Dollar besitzenden Ausländer. Museen wie das Haus zu Ehren Simón Bolívar, dem großen Freiheitskämpfer Lateinamerikas, sind schon aufgrund ihrer Architektur ein Schatzkästchen. Im weitenläufigen, von Säulen umgebenen und mit farbprächtig tropischen Pflanzen bewachsenen Innenhof, hängt ein riesiger Käfig mit zwei bunten Papageien. „Sie können sprechen“, sagt eine der hübschen Angestellten. Doch sie scheinen gerade ihre siesta zu halten. Ein müdes Krächzen ist alles, was wir den schläfrigen Papageien entlocken können.

Auf der Plaza de la Catedral sonnen sich die Touristen, und als orishas (die Götter des Yoruba-Pantheons) verkleidet Schauspieler führen kurze Episoden auf aus den Legenden der Götter. Eine in Shangó’s (Gott der Donner und der Blitze) Farben, rot und weiß, gekleidete Frau sitzt in der Mitte des Platzes, die Zigarre im Mundwinkel, und legt Touristinnen die Karten.

Jugendliche bieten sich in mehr oder weniger gutem Englisch als Touristenführer an oder um Geld. In einer Seitengasse schließt ein Mann die Tür zu einer kleinen Galerie auf und läd uns ein, seine Kunstwerke zu besichtigen. Gleich hinter der Türe weilt ein aus Holzteilen zusammengezimmerter alter Mann mit Stock; auf seinen Knien eine Kalebasse für Opfergaben. Darin liegen Zigarren und Ein-Dollar-Scheine. Auf einem kleinen Schild steht pasado – presente – futuro. „Ich habe diesen Alten in Gedenken an unsere Ahnen gefertigt,“ erzählt Generoso. „Für die Afrikaner, die hierher verschleppt wurden und in Sklaverei leben mussten. Dieser Alte stellt unsere Vergangenheit dar. Und er sitzt hier für eine bessere Gegenwart und Zukunft.“ Dann zeigt er uns seine Gemälde und Skulpturen, die fast ausschließlich orishas darstellen. Am häufigsten hat er sich Ochún gewidmet, dieser süßen Göttin in Gelb, die nicht treu sein kann, mit ihrem verlockenden Körper die Männer verführt und Honig als Opfergabe fordert, wenn man ihre Dienste erbittet. „Ich hatte gerade eine Ausstellung in Mexiko und bald reise ich für eine andere Ausstellung nach Deutschland.“ Generoso zeigt uns seine Einladung der Stadt Leipzig. „Aber leben, überleben kann ich nur hiermit“. Er zeigt uns kleine Holzreliefs, die mit viel Liebe zum Detail geschnitzt Begebenheiten aus der Mythenwelt der Götter darstellen, und die er für 5 Dollar an Touristen verkauft.
Zurück im „echten“ Havanna
Von weitem ertönt afro-kubanische Musik. Wir nähern uns den immer lauter werdenden Klängen und mischen uns unter die Zuhörer, die durch fensterlose Rahmen in einen Raum blicken, der aussieht wie nach einem Bombenangriff. Über der Eingangstür steht kaum noch zu entziffern das Wort cine, Kino. Eine Gruppe junger Musiker spielt sich die Seele aus dem Leib. Für diesen Sound müsste man in jedem Jazzlokal der Welt teuren Eintritt bezahlen. Ein Sound, der die Menschen anlockt und die Herzen erwärmt, der kraftvoll über alles Elend hinwegtönt, der durch den Körper strömt wie flüssiges Gold.
Wir reißen uns los. Die Luft ist von Abgasen geschwärzt, die Hitze drückt und das Atmen fällt schwer. Wir quälen uns weiter durch die Straßen, die engen Gassen mit all ihren Geheimnissen, die sich einem durch offene Türen und Fenster wie kurze Schnappschüsse aus dem kubanischen Leben darbieten. Ein junges Mädchen liegt in einer sala auf dem Boden und hört Musik, eine alte Frau, Cohiba rauchend, kämmt ihre Enkelin, ein Vater verfolgt einen Ledergürtel in der Hand seinen laut schreienden Sohn, ein junges Liebespaar verschmilzt im Schatten eines Hauseingangs, ein Greis im Schaukelstuhl fächelt sich mit der Parteizeitung Granma Luft zu.

Abschied
Wir warten an der Heldenstatue des Máximo Gómez auf den Touristenbus. Die Transportmöglichkeiten gleichen denen eines Apartheidsystems. Sie sind in zwei Kategorien unterteilt: Kubaner und Touristen. Für die Kubaner ist der Transport muy dificil. Die öffentlichen Busse sind nicht pünktlich und fast immer überladen. Theoretisch könnten vorbei kommende Autofahrer Abhilfe leisten, aber die wenigsten tun es und Taxis sind teuer. Natürlich gibt es kubanische Taxis mit Preisen in Pesos, aber auch 10 Pesos sind eben 10 Pesos, und das Geld ist knapp. Einheimische Taxis sind für Touristen eigentlich verboten, und wenn man trotzdem einen Dollar-Deal aushandelt, steht der Taxifahrer unter Höchststress; darf er sich doch nicht erwischen lassen. Das bedeutet, er wird einen möglichst verschlungenen Weg durch die hintersten Gassen wählen, an jeder Straßenecke vorsichtig schauen, ob nicht irgendwo ein Polizist zu sehen ist, und im Zweifelsfall heißt es: „Köpfe runter!“ Für Touristen gibt es spezielle Dollar-Taxis und Dollar-Busse, die meist pünktlich sind und allen erdenklichen Komfort bieten.
Mercedes-Benz-Busse mit Aircondition, Fernseher und bequemen Sitzen. Doch hier steigen Kubaner nicht ein, weil sie den in Dollar zu zahlenden Fahrpreis nicht aufbringen können. Die knapp eine Stunde dauernde Fahrt von Havanna nach El Fraile kostet immerhin 6 Dollar, das entspricht einem halben Monatslohn. Der pünktliche Touristenbus ist heute nicht pünktlich.
„Es scheint ein Problem zu geben“, meint der einbeinige Kubaner an Krücken, der sich zu uns gesellt hat. „Ich bin jeden Tag hier und immer kommt der Bus pünktlich um vier Uhr. Wenn er nicht kommt, gibt es ein Problem“. Wir warten. Ernesto erzählt: „Ich kann nicht mehr arbeiten. 1977 habe ich in Angola mein Bein verloren, da war ich noch ein junger Mann. Ein Tanker ist in die Luft geflogen. Ich bin froh, dass ich noch lebe! Aber ich bin ein Sohn des Eleguá; und Eleguá ist mit mir. Morgen werde ich 47 Jahre alt. Ja, ... und heute bin ich auf der Suche nach jemandem, der mir vielleicht zwei Dollar ermöglichen könnte, damit ich morgen am Malecón meinen Geburtstag feiern kann.“ Ein verschmitztes Lächeln umspielt seine Mundwinkel. Als der Bus nach einer Dreiviertelstunde dann doch erscheint – nein, es gab kein Problem, es sei alles ganz normal -, verabschieden wir uns von Ernesto. Er steht unter der Heldenstatue und winkt uns mit einer Krücke nach.

Text + Fotos: Sabine Weise







 
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