caiman.de ausgabe 1- köln, 01. jan. 2000
kuba: vom amerikanischen zum europäischen Touristen

Der Kuba-Boom in dieser Saison ist unüberseh- und -hörbar: Buena Vista Social Club, Compay Segundo und Konsorten tönen aus allen Boxen. Zigarrenrauchen erlebt einen neuen Aufschwung, und die Zahl der gern gesehenen, weil zahlungskräftigen Touristen auf der Insel erreicht Rekordhöhe. Den Hauptteil bilden dabei die Europäer. Doch das war nicht immer so...
Die ersten Überlegungen der kubanischen Regierung, den Tourismus anzukurbeln, datieren aus den 20er Jahren.
Preisschwankungen auf dem internationalen Zuckermarkt trafen das in erster Linie von diesem Sektor abhängige Kuba hart.

Trotz Tourismus...
nichts an Gelassenheit verloren
Man entschied sich, den Devisenverlust auf anderer Ebene aufzufangen und investierte in die Tourismusbranche: Hotels und Sportanlagen entstanden, die Infrastruktur wurde ausgebaut. Kuba avancierte zum exklusiven Reiseziel für reiche US-Amerikaner.
Die Weltwirtschaftskrise 1929/30 setzte dieser Entwicklung ein Ende. Erst in den 40ern und Anfang der 50er Jahre versuchte die Regierung unter Präsident Batista den Tourismus erneut zu etablieren. Im Gegensatz zu den 20ern bevölkerte nun die amerikanische Mittelschicht die Insel. Die Exklusivität wich der sun and fun Mentalität. Zudem waren die Casinos Kubas von der Ostküste der USA schneller zu erreichen als Las Vegas.
Die Revolution von 1959 löste in den Vereinigten Staaten einen schweren Schock aus. Zudem schloß Castro für alle Nordamerikaner die Grenzen. Zeitgleich verließen über eine halbe Million Kubaner das Land und flüchteten in die USA.
Mit dem Zustandekommen des ersten kubanisch-sowjetischen Handelsabkommens von 1960 erfolgte eine Rückbesinnung auf den Zuckerrohrsektor... bis die sowjetische Finanzhilfe Ende der 80er Jahre ausblieb. Zwangsweise besann man sich erneut auf die Einfuhr von Devisen durch den Tourismus. Diese halfen die kubanische Wirtschaft zu stabilisieren und schafften einen Ausgleich zu den fallenden Zuckerpreisen auf dem Weltmarkt.
Heute ist der Tourismus die Haupteinnahmequelle Kubas.
Havannas Straßenidylle In der Mehrzahl sind es Europäer, die zudem den all-inclusive Strand- und Tauchurlaub bevorzugen. Die großen Hotels der Touristikzentren bieten alle erdenklichen Annehmlichkeiten. Der kubanische Reisemarkt ist begehrt. Kein europäischer Veranstalter, der nicht Kuba in sein Programm aufgenommen hätte, besonders nachdem der Dominikanischen Republik der Ruf eines "karibischen Mallorca" vorauseilt. Für Castro kein problemloses Feld, hat der Tourismus doch der "Dollarisierung" Kubas Vorschub geleistet und ein Anwachsen des informellen Sektors zur Folge. Ein schrilles Alarmzeichen für einen Staat, der sich selbst als sozialistisch bezeichnet und totale Kontrolle über alle Bereiche der Wirtschaft fordert. Doch durch die gegenwärtigen ausländischen Direktinvestitionen im Tourismusbereich ist der Staat nicht länger alleiniger Arbeitgeber; die Investoren verlangen mehr und mehr Einflußmöglichkeiten auf wirtschaftliche Entscheidungsprozesse.
Da es für die Einheimischen nicht möglich ist, allein vom staatlichen Gehalt zu (über) leben, und die Familie zu versorgen, üben der Tourismus und die in Aussicht gestellten harten Dollars eine schier unwiderstehliche Anziehungskraft aus.
Tourguides, Chauffeure, Kunsthandwerker, Privatköche und Prostituierte beiderlei Geschlechts bieten überall ihre Dienste an. Der Tourismus und der damit einher gehende Dollarbesitz haben das soziale Gefüge der kubanischen Gesellschaft auf den Kopf gestellt.

Neue Oberschicht
auf Kuba
Entstanden ist eine Zwei-Klassen-Gesellschaft der lohnabhängigen Peso- und der privilegierten Dollarbesitzer.
Erstere setzt sich vor allem aus Rentnern, und hochqualifizierten Berufsgruppen wie Ärzten oder Lehrern zusammen, die vom Staat bezahlt werden und daher keinen Zugang zu den heiß begehrten Dollars haben. Dienstleister gehören im neuen gesellschaftlichen Umfeld Kubas zu den eindeutigen Gewinnern. Angesichts der Umkehrung der sozialen Pyramide hilft auch die angekündigte Gehaltserhöhung für Ärzte von umgerechnet 15 auf 25 Dollar pro Monat herzlich wenig.

Ein echtes Dilemma für das kubanische Regime.


alexandra geiser
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