brasilien: Salvador da Bahia
A Bahia tem um jeito… Das etwas andere Brasilien
THOMAS MILZ
[art. 1]
spanien: Barcelona entdecken
SÖNKE SCHÖNAUER
[art. 2]
spanien: Roberto Zapperi: Der wilde Mann von Teneriffa
Die wundersame Geschichte des Pedro González und seiner Kinder
BERTHOLD VOLBERG
[art. 3]
brasilien: Warme Weihnacht
NICO CZAJA
[art. 4]
pancho: Pi Pi Pi Pilz-STARS Finale
DIRK KLAIBER
[kol. 1]
helden brasiliens: Marquinhos Samba-Bahn
Ein Rettungsversuch der anderen Art
THOMAS MILZ
[kol. 2]
grenzfall: Fiesta Latina in Melbourne
Zwischen Stereotyp und Salsa
ANDREAS DAUERER
[kol. 3]
lauschrausch: ¡Baila Salsa!
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] Brasilien: Salvador da Bahia
A Bahia tem um jeito… Das etwas andere Brasilien

Sogar für die meisten Brasilianer ist der Bundesstaat Bahia im Nordosten Brasiliens untypisch für dieses Land. Der starke afrikanische Einfluss mit seinen religiösen Praktiken, das für brasilianische Verhältnisse ungewöhnlich stark gewürzte Essen – all dies lässt Bahia wie ein anderes Land inmitten Brasiliens erscheinen.

A Bahia tem um jeito, que nenhuma outra terra tem (Bahia hat die gewisse Art, die es sonst nirgends gibt) - wie ein alter Samba verspricht. Aber, was ist es letztlich eigentlich, was Bahia so einzigartig macht?

Wir fragten Anna, eine junge Frau aus Bahia, die seit einiger Zeit in São Paulo lebt, was das Einzigartige an Bahia sei und wie sie mit den Vorurteilen gegen die Menschen aus Bahia in São Paulo umgehe.


Was macht eigentlich Bahia so einzigartig?
Die Menschen sind einfach wunderbar. Obwohl die meisten es im Alltag besonders schwer haben, vergessen sie nie, den anderen anzulächeln und ihn freundlich zu empfangen. Denn alle glauben, dass es ihnen eines Tages mal besser gehen wird. Und diese Hoffnung gibt man niemals auf. Selbst wenn man morgens schlecht gelaunt aufwacht und deprimiert ist, spätestens wenn man auf der Arbeit die Anderen lächeln sieht, geht es einem besser.


Fühlen sich die Menschen in Bahia eher als Brasilianer oder als Nachkommen der Afrikaner? Oder vielleicht sogar beides?
Natürlich sind die Bahianer Brasilianer. Aber das afro-brasilianische Selbstgefühl ist sehr stark. Es gibt heutzutage eine starke Afro-Bewegung, besonders in der Hauptstadt Salvador. An den Universitäten wird verstärkt über die afrikanischen Wurzeln geforscht. Es findet eine starke Aufwertung der afrikanischen Einflüsse statt. In Salvador spürt man einen Respekt zwischen den Menschen und eine gleichzeitige Lockerheit im Umgang miteinander, die typisch für das afrikanische Lebensgefühl ist.


Die Menschen in São Paulo beschimpfen die armen Einwanderer als “baianos”. Wie gehst Du selber damit um, wenn Du so etwas in São Paulo hörst?
Die Leute aus São Paulo werden niemals verstehen, was es bedeutet, aus Bahia zu kommen. Ich habe gute Freunde hier in São Paulo, und ich lebe gerne hier. Aber wenn mir jemand in São Paulo quer kommt mit seinen Vorurteilen, wehre ich mich und schimpfe zurück. So etwas stillschweigend hinzunehmen, hieße, dem zuzustimmen. Und das werde ich niemals tun. Man darf so etwas nicht zulassen.


Wie beschimpfen denn die Leute in Bahia die Leute aus São Paulo?
Wir beschimpfen sie nicht. Wir reden auch nicht schlecht über sie, noch nicht einmal Witze machen wir über sie. Wir wehren uns jedoch, falls jemand aus São Paulo oder sonst woher schlecht über uns redet. Aber ich mache mir keine Sorgen um das Zusammenleben zwischen den Menschen in São Paulo und Bahia. Ich für meinen Teil werde den Leuten aus São Paulo zeigen, dass jemand, der aus Bahia stammt, sehr wohl in der Lage ist, etwas in São Paulo auf die Beine zu stellen.

Was sind die Dinge, die Dich stolz auf Dein Heimatland Bahia machen?
Viele Dinge. Zuerst einmal die Art und Weise, wie sich die Menschen in Bahia um die anderen Menschen kümmern, sie empfangen. Das ist sehr herzlich. Und dann natürlich das Essen, das sowohl afrikanische Einflüsse als auch Einflüsse aus aller Welt hat. In Bahia liebt man stark gewürztes Essen, und das Palmöl gibt den Gerichten noch einen speziellen Reiz. Und dann gibt es noch die Caipiroskas, die wir hier mit so wunderbaren Früchten wie Siriguella, Carambola, Cajá, Umbú und Goiaba zubereiten.


Wenn Salvador noch immer Hauptstadt Brasiliens wäre, dann...
...wäre Brasilien weniger sozial ungerecht. Denn die Menschen in Bahia sind sehr großzügig, und man ist weniger darauf aus, seinen eigenen Vorteil zu suchen, als an die Gemeinschaft zu denken. Leider ist es dort, wo über Brasilien entschieden wird, nicht so. Dort regiert der Egoismus.

Was ist denn das Außergewöhnliche an Bahia?
Das Außergewöhnliche an Bahia ist ein Zusammenspiel vieler Dinge: die Musik, die Spiritualität, die Zufriedenheit mit dem Leben und der Wunsch, dass es dem anderen immer gut geht und man alles dafür tut. Es ist diese Herzlichkeit, die Bahia zu dem macht, was es ist: ein ganz besonderer Flecken Erde.

Text + Fotos: Thomas Milz





[art_1] Spanien: Barcelona entdecken

Hier sind die jecken Ecken:





































[art_3] Spanien: Roberto Zapperi: Der wilde Mann von Teneriffa
Die wundersame Geschichte des Pedro González und seiner Kinder

Fast jeder kennt den Mythos "Die Schöne und das Biest", Gegenstand zahlreicher Legenden und Thema vieler Verfilmungen, wie z.B. in der Version des französischen Surrealisten Jean Cocteau. Es gab jedoch auch eine wahre Geschichte mit dieser Konstellation, die sich Ende des 16. / Anfang des 17. Jahrhunderts abgespielt hat, damals sicherlich für Aufsehen sorgte und einige Geschichtenerzähler inspirierte, bevor sie weitgehend in Vergessenheit geriet.
Es handelt sich um die Biographie des Pedro González und seiner Nachkommen, in mühevollem Quellenstudium recherchiert vom italienischen Kunsthistoriker Roberto Zapperi.

Pedro González war ein Guanche von der Insel Teneriffa, der als Kind von spanischen Eroberern geraubt worden war und im Alter von zehn Jahren 1547 dem französischen König Heinrich II. als "Geschenk" übergeben wurde. Dabei war diesem Kind von den fernen Kanarischen Inseln weder ein Dasein als Sklave, noch als Diener oder Hofnarr zugedacht. Es besaß eine Eigenschaft, die es per se für den Königshof interessant machte: ein dichter Haarpelz bedeckte nicht nur den Körper, sondern auch sein Gesicht, so dass es aussah wie ein Tier.

So mag Heinrich II. dieses Geschenk zunächst behandelt haben wie einen menschlichen Schoßhund, aber er sorgte auch dafür, dass dieses exotische Wesen, das von den Hofdamen wie ein Zootier bestaunt wurde, eine Ausbildung bekam, Lesen und Schreiben und sogar Latein erlernte.

Die Leser, die nun eine Geschichte in Form eines historischen Romans erwarten, müssen enttäuscht werden. Anfangs ist man möglicherweise irritiert, da der Autor selbst einen Moment zu schwanken scheint zwischen Romanstruktur und wissenschaftlichem Essay, aber dann entscheidet er sich für letzteres. Spannend und außergewöhnlich bleibt der Werdegang des "Wilden aus Teneriffa" _ wie González anfangs meist genannt wurde _ auch in dieser Form einer wissenschaftlichen Analyse.

Roberto Zapperi betont zu Recht das Dilemma dieses "Wilden": seine sonderbare Behaarung, die ihn zum _ wohl auch oft verspotteten _ Außenseiter macht, ist zugleich auch die "abartige" Attraktion, die ihm bei Hofe seinen Lebensunterhalt sichert. Überspitzt kann man sagen, er wurde dafür bezahlt, wie ein "Monster" auszusehen. Der Autor weist darauf hin, dass die Probleme im Leben des Pedro González gravierend wurden, als er das Erwachsenenalter erreichte. Als Kind war er vor allem eine niedliche Attraktion und konnte sich durch die eifrig erworbene Bildung eine gewisse Achtung verschaffen, zumal der König ihm ein höfisches Amt übertrug, für das er ein regelmäßiges Gehalt erhielt. Aber als Erwachsener muss seine Erscheinung auf den ersten Blick furchterregend gewesen sein. Wie sollte jemand eine Frau finden, der mit seiner tierisch wirkenden Behaarung aussah wie ein Affe und nicht wie ein Mensch?

Und doch kam es zu einer Hochzeit, wobei es kaum Angaben gibt, unter welchen Bedingungen sie zustande kam, nicht einmal das genaue Datum ist überliefert. Wahrscheinlich fand die Hochzeit 1573 statt und wurde vom Königshof arrangiert, der auch die Mitgift für die Braut zahlte. Denn die schöne, zwanzig Jahre jüngere Frau von Pedro González war eine der Hofdamen. So kam es zur Vereinigung zwischen der Schönen und dem "Biest". Über die wahrscheinlich enormen Schwierigkeiten dieser Ehe, die ein Leben lang mit den im höfischen Ambiente herrschenden Vorurteilen gegenüber dem "Wilden" zu leiden hatte, kann nur spekuliert werden. Es gibt kaum schriftliche Quellen, die uns Details aus dem Eheleben dieses kontrastreichen Paares verraten. Aber es existieren Bilder, die von Zapperi an verschiedenen Orten entdeckt wurden, z.B. in der Burg von Ambras in Tirol. Diese offenbar von Erzherzog Karl von Habsburg in Auftrag gegebenen Porträts weckten damals großes Interesse und wurden mehrfach kopiert. Auf diesen Bildern tritt der Kontrast zwischen der hellen weiblichen Schönheit und dem finsteren "Monster" González deutlich hervor.
Und es sind auch Porträts der Kinder des ungleichen Paars überliefert. Die Geschichte wiederholt sich, als Kardinal Farnese 1595 den Sohn von Pedro und Katharina, Enrique (Enrico) als "Geschenk" erhält und später für ihn eine Hochzeit mit einer schönen Frau arrangiert.

Doch sowohl für Vater Pedro als auch für seinen Sohn Enrico González blieb am Ende ein entscheidender Unterschied zu den verschiedenen Versionen des Märchens "Die Schöne und das Biest": sie wurden durch die Liebe einer Frau nicht plötzlich in schöne Prinzen verwandelt.

Text: Berthold Volberg
Fotos: Zech-Verlag

Kontakt zum Verlag:
Zech-Verlag, Santa Cruz de Tenerife
Tel./Fax: 0034-922302596
Email: info@zech-verlag.com
www.zech-verlag.com





[art_4] Brasilien: Warme Weihnacht

Weihnachtszeit! Der Schnee legt sich gnädig und erhaben über die Landschaft, weiß und weich, dämpft dabei jedes Geräusch und knirscht bei jedem Schritt wohlig unter den Füßen. In den Tannen leuchten bunte Lichter wie herabgefallene Sternchen, und ach, sie spiegeln sich in den glänzenden Augen der Kinder. In ihren kleinen Unterschlupfen räkeln sich die Eisbären und winken. Weihnachtszeit! In den Herzen der Menschen eine Wärme wie stete Kerzen in Butzenfenstern, die dem Wanderer draußen in der Kälte den Weg in die Stube weisen. Und auf einem Thron auf einem verschneiten Hügel vor mir - der Weihnachtsmann!

Und der gute, arme Weihnachtsmann - er schwitzt wie hulle unter seiner fellgefütterten Zipfelmütze und seinem weißen Rauschebart. Und wer ist die Weihnachtsfrau in dem kurzen, äh, Weihnachtsrock an seiner Seite?

Was ist aus dem alten Ruprecht geworden? Merkwürdig. Und diese Eisbären - wenn ich dadrüber nachdenke, kann ich mich nicht erinnern, dass sie zum klassischen Weihnachtsszenario gehören. Wohnt der Weihnachtsmann nicht bekanntermaßen am Nordpol? Und gab es da nicht irgendeine Geschichte, von wegen Eisbären nur im tiefen Süden? Oder waren das Pinguine? Jedenfalls, ihr Räkeln und Winken - ich kann mir nicht helfen, es wirkt mechanisch. Und die Stimme in den Lautsprechern - warum unterbricht sie gerade in diesem Moment ihr getragenes Ave Maria, um "Fünfzehn bitte Zwölf" zu sagen, mit einem Mal so sachlich, so ohne jedes Gefühl?

Schließlich, desillusioniert, hör auf zu träumen, Träumer, trete ich hinaus aus der fast völlig authentischen Weihnachts-Wunderwelt des Einkaufszentrums, und die Hitze umschließt mich mit ihrer geballten Faust aus warmer, feuchter Watte. Das Licht ist viel zu grell. Auch hier sind die Bäume mit bunten Lämpchen geschmückt. Aber die Bäume sind Palmen, Bäume ohne jedwede Nadel.

In meiner Hand trage ich eine Einkaufstüte mit einem beträchtlichen Truthahn. Eine Gans habe ich nicht gefunden. Einen ordentlichen Weihnachtsbaum auch nicht. Also basteln wir uns einen aus einem Besenstiel, grüner Wolle und ein paar Sternen aus Goldfolie. Hübsch sieht er aus.

Wenigstens in einer Hinsicht verhalten sich die Tropen, wie man es an Weihnachten von seiner Umgebung erwarten würde: Sie dunkeln früh. Also können wir ganz traditionell am Heiligabend mit unserer kleinen Exil-Ersatzfamilie bei Kerzenschein um den Tisch sitzen und einen köstlichen Truthahn verspeisen, gefüllt mit Pflaumen, Nüssen und Äpfeln. Gut, es ist ein besonders warmer, schwüler Abend, und deswegen tragen wir dabei vorwiegend nichts weiter als unsere Unterwäsche und/oder Bademode. Zur Freude unserer Nachbarn, die in unregelmäßigen Abständen an den geöffneten Fensterläden unserer Parterre-Wohnung vorbeidefilieren und uns im Plauderton fragen, was wir denn da gerade so treiben. Denn offenbar ist unser Timing falsch oder zumindest kulturell unsensibel. Der Brasilianer bekommt seine Geschenke erst am ersten Weihnachtstag. Aber aus Gründen der Anpassung einen Tag länger auf unsere Geschenke warten? Niemals.

Und am Ende, nach der Bescherung, fühlt es sich dann auch gar nicht mehr so fremd an. Wir freuen uns über unsere Geschenke und über die gute Gesellschaft. Wir denken an unsere Familien in der Ferne und sind uns ziemlich sicher, dass sie uns beneiden.

Gleichzeitig versuchen wir uns mit Beschreibungen unseres Völlegefühls und Überfressenheitsgrades zu übertreffen. Weil wir inzwischen auf dem Boden zwischen ausgepackten Päckchen verteilt sitzen, können uns die Nachbarn auch nicht mehr so gut durchs offene Fenster anstarren. Und morgen, entscheiden wir voll diebischer Freude ob der Absurdität einer solchen Aktivität am ersten Weihnachtstag für den durchschnittlichen Westeuropäer, morgen gehen wir an den Strand und trinken viel Caipirinha.

Text: Nico Czaja
Fotos: Katrin Sperling / Nico Czaja





[kol_1] Pancho: Pi Pi Pi Pilz-STARS Finale

Endlich: Aus 5.000 Bewerbern hat unsere Jury in sechs arbeitsreichen Monaten sechs Kandidaten ausgewählt, die nun zu einem letzten Wettstreit gegeneinander antreten. Von diesen sechs können es nur drei in den Kochtopf schaffen; drei Kandidaten, denen grenzenloser Ruhm winkt und große Ehre zu Teil wird: das diesjährige katalanisch angehauchte Weihnachtsrisotto mit seinen einzigartigen Geschmacksnuancen, seinen markant lieblichen Düften und seinem Grad an Festigkeit gepaart mit dem sanft-weichen Umspielen des Gaumens. Austragungsort dieses Finales sind die weltweit an Ästhetik unübertroffenen Hallen des Marktes der katalanischen Hauptstadt Barcelona.

Und da kommen sie auch schon:

Der Edelreizker, der unter katalanischen Fichten reift und sich vom gemeinen Milchling durch seinen betörend rötlichen Saft absetzt.
Edelreizker

Der Austernpilz, der aufgrund seines kräftigen Fleisches bei feinem Aroma nicht nur bei Vegetariern als Schnitzelersatz geschätzt wird.

Der Feldegerling, auch Wiesenchampignon, der besonders in früher Jugend seine zart rosa Lamellen unter einem weißen Käppchen in saftigen grünen Wiesen präsentiert; gerade so als wolle er der Jury “Pflügt mich!” entgegen rufen.

Die Herbsttrompete, die sich düster eingefärbt im Dickicht verkriecht und nur im trocken anmutenden Zustand Frische garantiert.

Der Steinpilz, auch als Herr unter den Pilzen bekannt, der mit seinem glatten braunen Hut auf seinem dicken Stil fest unter der Fichte steht.

Steinpilz
Der Eierschwammerl oder Pfifferling, vielleicht der Schlagfertigste - ihr seid total gras Publikum - unter den Kandidaten; in Maßen zu genießen, da nur schwer verdaulich.

In der ersten Runde präsentieren sich die Pilze in zwei Dreierformationen. Die Jury ist aufgrund der herausragenden Leistung jedes einzelnen Kandidaten zum ersten Mal an diesem Abend zu Tränen gerührt; müssen sie auch, denn schließlich sind die sechs zu einem nicht unmaßgeblichen Teil ein Produkt der Juroren, die die Kleinen in einem mehrmonatigen Workshop in Sachen Perfektion und Esprit, gedrillt haben. Die Spannung steigt als der Pfifferling einen Schritt vortritt und aufgrund seiner polarisierenden Wirkung auf den bereits von Printen und Puten gemästeten Weihnachtsspachtler als erstes auf die DUbistRISOTTO-Bank gebeten wird. Die Tränen des Pfifferlings wie auch der anderen fünf Kandidaten fließen in rauen Mengen die Stämme herab und dem ersten Nervenzusammenbruch der Freude folgt ein solcher des Leids: Die Herbsttrompete erinnere die Jury zu sehr an eine Trompeta de la Mort, eine Todestrompete, wie sie in Katalonien heißt, und sie muss sich ins Dickicht zurückziehen.

Hätten die Katalanen den geschmacklich unterbewerteten Pilz Engelstrompete genannt, wäre er wohl noch im Rennen.
Herbsttrompete

Die zweite Runde, die Kandidaten entfalten als Solisten persönliches Bukett und Geschmack vor dem Millionenpublikum, endet nach der Nominierung des kleinen Edelreizkers mit einem echten Schocker: Der seit Wochen favorisierte Steinpilz muss gehen, zu perfekt sein Vortrag, zu dominant sein Geschmack und Adéu.

Runde drei heißt somit Champignon gegen Austernpilz, Alleskönner gegen Seelenappell, weißer Glanz gegen bissfest. Und dieses Mal kann sich die Jury zurücklehnen, denn das Publikum entscheidet und die Pilzwahl ist schnell getroffen. Neben dem pfiffigen Pfifferling - der Abend war für mich wie Geschnapptwerden von der Polizei nach Ladendiebstahl, hey ist nur Spass - und dem kessen Edelreizkers - ich danke dem Publikum, es war unser aller Traum in den Topf zu kommen - hat sich der ebenfalls kesse Austernpilz gegenüber dem Champignon durchgesetzt.

Austernpilz
Hoffen wir, dass der Pfifferling den Kollegen möglichst schnell die Geschichte des wahren Lebens erzählt, damit die Weihnachtskonstellation mit geschmacklichem Spaß und kecker geruchlicher Abwechslung unseren Risotto belebt, mehr belebt als ich danke dem Publikum.

Rezept: Pi Pi Pi Pilz-STAR Risotto
Pro Person: 1-2 Knoblauchzehen und eine kleine Zwiebel in Olivenöl glasig dünsten, dann 250-500 Gramm gereinigte und in Streifen geschnittene Pilze hinzugeben (Edelreizker/Pfifferling und Austernpilz; wer auf das Finale pfeift, kann natürlich auch Champignon, Steinpilz und/oder Herbsttrompeten hinzufügen). Kurz anbraten und wenig Reis hinzugeben. 2-3 leicht gehäufte Esslöffel Reis reichen, da der Reis von der eigentlichen Risotto-Hauptkomponente zum Hintergrundsänger degradiert wird. Mit zunächst vorzugsweise katalanischem (wer es mag auch gerne säuerlichem) Weißwein und danach Fleischbrühe ablöschen und je nach Gusto mehr Wein oder Brühe angießen, so dass der Reis in Ruhe quellen kann. Zuvor Rosmarin und Thymian hinzugeben. Später, kurz bevor der Reis gar ist, Koriander oder Petersilie einmischen. Sobald der Reis gar ist, Flamme aus und geriebenen Parmesan unterheben. Fertig.

Text + Fotos: Dirk Klaiber





[kol_2] Helden Brasiliens: Marquinhos Samba-Bahn
Rettungsversuche der anderen Art

Oswaldo Cruz teilt das Schicksal der meisten Stadtviertel der Peripherie der "cidade maravilhosa", der wundervollen Stadt, wie sich Rio de Janeiro gerne selber nennt. Weit weg von den Postkartenmotiven der Zona Sul, des wohlhabenden und mehrheitlich weißen Rio de Janeiros, der Traumstrände von Ipanema, Leblon und Copacabana mit seinen teuren Hotels und den immerwährenden Touristenströmen. In Oswaldo Cruz herrscht hohe Arbeitslosigkeit und tagtägliche Gewalt – halt das Übliche für einen Stadtteil im vergessenen Teil von Rio.

marquinhos de oswaldo cruz

Wenig erinnert heute noch an den prägenden Beitrag, den das Viertel einst zur brasilianischen Kultur beisteuerte. "Einige der größten und wichtigsten Sambakomponisten wurden hier geboren, und das Viertel war einst das Zentrum der Karnevalsschulen der Stadt", erzählt Marcos Sampaio de Alcântara, ein hier aufgewachsener Sambamusiker, den man in Rio nur unter seinem Künstlernamen Marquinhos de Oswaldo Cruz kennt: der kleine Marcos aus Oswaldo Cruz.

Seit Anfang der Neunziger Jahre bemüht sich Marquinhos, seinem Heimatviertel Selbstbewusstsein und Hoffnung zurück zu geben. Damals fuhr er mit einem Kleinbus durch die Straßen und verteilte zu übersteuerten Sambaklängen Flugblätter. "Wach auf, Oswaldo Cruz" forderte er darauf seine lethargischen Mitbewohner auf.

"Hätte man am Bahnhof das Ortsschild abmontiert, wäre Oswaldo Cruz vollkommen vergessen worden." Marquinhos hat Erfahrung im Wachrütteln vergessener Viertel.

Vor einigen Jahren nahm er sich dem heruntergekommenen Stadtteil Lapa an, bekannt durch die hohen weißgetünchten Bögen des Viaduktes, über den sich Rios letzte Straßenbahn Richtung Santa Teresa schleppt. Gemeinsam mit anderen Musikern begann Marquinhos 1996 regelmäßige Musikevents in Lapa zu organisieren. Heute ist die Region das boomende Ausgehviertel der Stadt.

Und mittlerweile hat Marquinhos auch neue Mittel und Wege gefunden, Oswaldo Cruz zurück auf den Stadtplan von Rio zu bringen. Am 2. Dezember, dem "Nationalen Tag des Samba", organisiert er zum zehnten Mal die "Samba-Bahn". Fünf mit Musikern und tausenden Sambabegeisterten voll gestopfte Züge verlassen Rios Zentralbahnhof "Central do Brasil" in Richtung Oswaldo Cruz. 40 Minuten dauert die Fahrt. Viel Zeit, sich singend und tanzend auf das große Sambafestival rund um den Bahnhof einzustimmen, wo 100.000 Besucher das Spektakel verfolgen.

"Die Vorortbahnen stehen in Rios Geschichte für die Verdrängung des afrobrasilianischen Bevölkerungsteils", so Marquinhos.

"Rio sollte eine moderne Stadt nach europäischen Vorbildern werden, und darin war kein Platz mehr für die Nachkommen ehemaliger Sklaven." Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts vollzog sich die schrittweise Verdrängung der "schwarzen" Bevölkerung aus dem Zentrum. Einige besiedelten die unzugänglichen Hügel der Stadt, wo ihre Nachkommen noch heute in den Favelas leben.

Dem Thema hat sich Marquinhos auch auf seiner neuen CD angenommen, die Anfang Dezember erscheint. Sie trägt den Titel "Memórias de Minh`Alma" und wurde mit Rios besten Sambamusikern eingespielt. Es geht um die Vergessenen dieser unvergesslichen Stadt. Über 13 Lieder spannt sich der Bogen - von der Verschleppung der afrikanischen Sklaven aus ihrer Heimat, bis hin zu der andauernden Verdrängung der afrobrasilianischen Bevölkerung an den Rand der Städte und der Gesellschaft.

Heute zwängen sich Putzfrauen, Verkäufer, Friseusen und Babysitterinnen aus der Peripherie jeden Morgen zu Hunderttausenden in die Vorstadtzüge, um an ihre Arbeitsplätze im wohlhabenden Rio zu gelangen.

Die Bahnstation von Oswaldo Cruz scheint der einzige Fluchtweg aus der Hoffnungslosigkeit des Viertels.

364 Tage im Jahr erscheint auf keinem Stadtplan Rios, einmal im Jahr aber fährt die Sambabahn in die entgegengesetzte Richtung. An diesem Tag sind es die Bewohner des Zentrums, die zum Feiern in die Peripherie aufbrechen. Die Bahn bringt an diesem Tag die Samba, die, seit der Karneval Rios zu einem Fest für Touristen verkommen ist, bei den Vorstädtern in Vergessenheit geraten zu sein schien, zurück nach Oswaldo Cruz.

Marquinhos ist zuversichtlich, den Menschen aus Oswaldo Cruz mit der Samba ein wichtiges Element ihrer eigenen Kultur zurückzugeben. Und mit ihr Selbstbewusstsein und ein wenig Hoffnung.

Text + Fotos: Thomas Milz





[kol_3] Grenzfall: Fiesta Latina in Melbourne
Zwischen Stereotyp und Salsa

"Wir feiern uns selbst, was sonst?" So oder so ähnlich hätte das Motto des iberoamerikanischen Wochenendes in Melbourne lauten können. Traditionell wird das Fest jedes Jahr in der Johnston Street im Stadtteil Brunswick gefeiert; im Zentrum also der Spanisch sprechenden Gemeinde, wo sich rund um den Club Español einige nette Bars und Cafés angesiedelt haben und südamerikanisches Flair in die australische Metropole bringen. Und da gebietet es natürlich der Anstand, und das nicht nur, weil ich bei einem Venezuelaner eine Woche lang residieren durfte, nein, sondern oder gerade als Lateinamerikaliebhaber, dass man da kurz vorbeischaut. Und sei es nur, um eine Kleinigkeit zu essen. Aber mal der Reihe nach.

Nachdem das Wetter pünktlich zum samstäglichen Festbeginn am 18. November mit 30 Grad den kulturbeflissenen Besucher erfreute, machte sich nach einem kurzen mittäglichen Rundgang schon eine gewisse Enttäuschung breit. Zwar wurde gleich ein ganzer Straßenabschnitt für zwei Tage abgesperrt, aber bei den paar Leutchen wäre das nicht von Nöten gewesen. Praktisch ist es aber allemal.

Auffallend gleich zu Beginn ist, dass die Kolumbianer einfach keine BBQs machen können: sie können nicht Grillen, weiß der Teufel warum. Drei relativ kleine Kolumbianer versuchen ein bisschen Fleisch und Chorizo auf ihrem Rost zuzubereiten und den Leuten anzudrehen.



Und allerhand anderes Zeugs, das vor sich hinschmort und den gemeinen Besucher ein Taschentuch vors Gesicht halten lässt, um nicht direkt am ersten Stand wegen des dunkel empor steigenden Rauches zu kapitulieren. Weniger schlimm, dass der nächste Kiosk passender Weise Gringo Vibe heißt und zwei blonde Rastermähnen hinter dem Tresen stehen. Da weiß man eben gleich, dass man in der Tat lediglich Gringo TexMex-Food bekommt. Na ja, wer’s mag. Ich lasse es sprichwörtlich links liegen und ziehe weiter. Vorbei am Stand, wo drei bildhübsche Chileninnen ein Abo für einen auf Telenovelas spezialisierten Privatsender anpreisen, hin zum Latinamerican Food Store, der ebenfalls von Chilenen geführt wird, die hier in Melbourne scheinbar die Mehrheit bilden. Ich frage den Chef, den sie alle Juancito nennen, ob er denn eine meiner hoch geschätzten Empanadas de Carne hätte. Juancito allerdings hat keine mehr. "Nur noch die mit Käse, hijo." Nun ja, ich hätte es mir denken können. Wahrscheinlich lag es an meinem etwas argentinisch gefärbten Spanisch, das die Chilenen ja nicht wirklich mögen. Dennoch muss ich Juancito zugute halten, dass auch die Empanada de queso recht gut ist. Für australische Verhältnisse. Der letzte Bissen mit dem arg öligen Käse ist gerade hinuntergeschlungen, als ich an einem der spanischen Stände Churros erblicke. The spanish version of the doughnut steht dann noch mit großen Lettern unter dem Schild. Aha. Nun ja, widerstehen kann ich dann doch nicht und ich genieße den pappsüßen spanisch-versionierten-Donut. Natürlich inklusive Schokoladen-Dip. Wunderbar.

Allmählich wird es Zeit, auch mal etwas Flüssiges zu organisieren. Leider ist es in Australien verboten, Alkohol auf der Straße zu trinken; auch bei einem Fest wie diesem. Das heißt, dass die Kioske keine Drinks verkaufen dürfen. Kein Caipirinha beim einzigen Brasilianer, kein Wein beim einzigen Argentinier und was der einzige Äthiopier mit seinem vegetarischen Köstlichkeiten inmitten dieser Szenerie macht, hab ich bis heute noch nicht durchschaut. Wie dem auch sei, dann wohl noch ein Choripan beim Argentinier und ein klein wenig Flirten mit dem hübschen Tochter des Budenbesitzers. Nach der salzigen Wurst ist der Durst größer den je. Was ein Glück, dass mir ein als Argentinier verkleideter Australier (er hatte zumindest ein Quilmes-Shirt mit dem Emblem der AFA drauf) mit pseudo-spanisch angehauchtem Englisch einen Flyer in die Hand drückt, der den Weg zu einer Bar weist, die lateinamerikanisches Bier ausschenkt. Was für eine Überraschung: Quilmes und Paceña haben die da. Hoch lebe die Globalisierung! Nun wird es doch noch gemütlich, denke ich mir und tatsächlich - es wird interessant. Aus den Boxen erklingen Latinomusik und ich genieße hingebungsvoll drei Quilmes brewed in Spain. Schmecken tut es und irgendwie verfehlt es auch hier seine Wirkung nicht, da einige Latinas ihre Hüften schwingen, während eine Reihe älter Männer gelassen zuschauen.

Draußen wird es allmählich dunkel und die Straße füllt sich zunehmend. Endlich, das wurde ja auch Zeit! Nach dem vierten Quilmes schlendere ich gemütlich zur Hauptbühne, wo lokale Latino-Größen ihr Können unter Beweis stellen dürfen. "Virus" heißt die Band - ein weiteres Mal aus Chile - und sie heizen den Zuschauern mit ihrem Salsa-Rock-Hip-Hop Mix richtig ein. Der Sänger und seine Stimmen erinnern mich an den Hauptdarsteller aus dem Film "Havana Blues". Textlich befinden wir uns trotz allen Mixes in der guten alten Lateinamerika-Schmalz-Tradition: die Lieder handeln beinahe ausschließlich von Amor, Dolor, Amigos und Fiesta. Die Mehrheit der Besucher wippt ganz ordentlich im Takt und erfreut sich der tollen Musik. Leider nur bis sieben Uhr abends, dann muss Ruhe herrschen. Glücklicherweise lassen sich die brasilianischen Trommler davon noch nicht beirren und geben ein letztes Mal Vollgas. Die Johnson Street vibriert. Wer jetzt noch still stehen kann, dem ist nicht mehr zu helfen. Ein paar europäische Hippies tanzen geradezu ekstatisch, aber leider ohne jeden Rhythmus. Besser machen es da schon die vielen Latinos und die brasilianische Bikinidame, die derart schnell mit ihrem Hintern wackelt, dass auch dem letzten Besucher klar geworden sein dürfte, auf welcher Art von Fest er hier gelandet ist.

Text + Foto: Andreas Dauerer





[kol_4] Lauschrausch: ¡Baila Salsa!

Cuban Salsa Dance Course
(DVD)
Danza y Movimiento

Salsa tanzen ist beliebt und macht Spaß: davon zeugt die immer noch große Zahl an Lokalen und Diskotheken mit Salsa-Abenden in deutschen Großstädten. Nur... wie bekommt man diese Schritte hin? Und das mit der Leichtigkeit und der Eleganz der kubanischen Tänzer. Ein Tanzkurs auf DVD (dreisprachig) soll uns ungelenken Europäern nun Hilfe bringen.

Cuban salsa
Tanzlehrer Waldemar Guijarro und seine Tänzer möchten uns in fünf Kapiteln die wichtigsten Schritte beibringen. Grundschritte und Drehungen demonstrieren die jungen Tänzer am Strand oder in der Altstadt von Havanna. Mir geht das allerdings zu schnell - gut, dass es die Wiederholtaste gibt - die langen Filmsequenzen erzeugen zwar eine gute Stimmung und Lust nach Kuba zu reisen, aber bringen mir über weite Strecken zum Nachahmen wenig.

Die Idee, die Tänzer auf einer Glasplatte von unten zu filmen, um die Schrittmuster zu zeigen ist zwar gut, aber besser wäre wohl gewesen eine Kamera über dem Tänzer zu montieren, die seine Schritte zeigt oder Schrittmuster zu animieren, denn dann fiele es leichter die eigenen Füße zu der schnellen Musik, auf die unbedingt geachtet werden muss, zu koordinieren. Aber ich bin auch kein besonders guter Tänzer...

Dieser Salsa-Kurs wird für Naturtalente ausreichend sein, Normalbegabten empfehle ich weiterhin den Tanzkurs bzw. die Gratisstunde in der Discothek und die DVD als sinnvolle Ergänzung. Bleibt noch die Frage, warum Waldemar auf Deutsch von einem Kubaner (?) synchronisiert wird: Das wirkt zwar amüsant authentisch, lenkt aber irgendwie ab, eine deutsche Originalsprecher diente der Sache eher!


Calle Real
Calle Real Con Fuerza
galileo mc

Wer schon Tanzen kann, dem sei die CD von Calle Real empfohlen. Timba - also die Vermischung der Salsa mit Elementen aus dem Hiphop, Pop, Funk etc. - ist ihr bevorzugter Stil, gut zu hören in "Rompiendo murallas" oder "Dime que me quieres". Das besondere an Calle Real: sie kommen aus Schweden!

Calle Real Con Fuerza

Dort haben sich viele Latinos niedergelassen, auch Kubaner wie der berühmte Pianist Bebo Valdés, dessen Sohn Rickard hier die Timbales bedient.


Der Kopf der Gruppe hat chilenische Wurzeln. Die Mehrheit der Musiker sind jedoch "echte" Schweden oder andere Europäer, deren Spiel nicht von "echten" Kubanern zu unterscheiden ist, weswegen sie 2003 auch schon auf die Insel eingeladen wurden. Der europäische Einfluß ist nur bei einigen Intros zu hören, die sie origineller gestalten als die meisten Latino-Bands.

Text: Torsten Eßer
Fotos: amazon.de






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