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[kol_3] Grenzfall: Fiesta Latina in Melbourne
Zwischen Stereotyp und Salsa

"Wir feiern uns selbst, was sonst?" So oder so ähnlich hätte das Motto des iberoamerikanischen Wochenendes in Melbourne lauten können. Traditionell wird das Fest jedes Jahr in der Johnston Street im Stadtteil Brunswick gefeiert; im Zentrum also der Spanisch sprechenden Gemeinde, wo sich rund um den Club Español einige nette Bars und Cafés angesiedelt haben und südamerikanisches Flair in die australische Metropole bringen. Und da gebietet es natürlich der Anstand, und das nicht nur, weil ich bei einem Venezuelaner eine Woche lang residieren durfte, nein, sondern oder gerade als Lateinamerikaliebhaber, dass man da kurz vorbeischaut. Und sei es nur, um eine Kleinigkeit zu essen. Aber mal der Reihe nach.

Nachdem das Wetter pünktlich zum samstäglichen Festbeginn am 18. November mit 30 Grad den kulturbeflissenen Besucher erfreute, machte sich nach einem kurzen mittäglichen Rundgang schon eine gewisse Enttäuschung breit. Zwar wurde gleich ein ganzer Straßenabschnitt für zwei Tage abgesperrt, aber bei den paar Leutchen wäre das nicht von Nöten gewesen. Praktisch ist es aber allemal.

Auffallend gleich zu Beginn ist, dass die Kolumbianer einfach keine BBQs machen können: sie können nicht Grillen, weiß der Teufel warum. Drei relativ kleine Kolumbianer versuchen ein bisschen Fleisch und Chorizo auf ihrem Rost zuzubereiten und den Leuten anzudrehen.



Und allerhand anderes Zeugs, das vor sich hinschmort und den gemeinen Besucher ein Taschentuch vors Gesicht halten lässt, um nicht direkt am ersten Stand wegen des dunkel empor steigenden Rauches zu kapitulieren. Weniger schlimm, dass der nächste Kiosk passender Weise Gringo Vibe heißt und zwei blonde Rastermähnen hinter dem Tresen stehen. Da weiß man eben gleich, dass man in der Tat lediglich Gringo TexMex-Food bekommt. Na ja, wer’s mag. Ich lasse es sprichwörtlich links liegen und ziehe weiter. Vorbei am Stand, wo drei bildhübsche Chileninnen ein Abo für einen auf Telenovelas spezialisierten Privatsender anpreisen, hin zum Latinamerican Food Store, der ebenfalls von Chilenen geführt wird, die hier in Melbourne scheinbar die Mehrheit bilden. Ich frage den Chef, den sie alle Juancito nennen, ob er denn eine meiner hoch geschätzten Empanadas de Carne hätte. Juancito allerdings hat keine mehr. "Nur noch die mit Käse, hijo." Nun ja, ich hätte es mir denken können. Wahrscheinlich lag es an meinem etwas argentinisch gefärbten Spanisch, das die Chilenen ja nicht wirklich mögen. Dennoch muss ich Juancito zugute halten, dass auch die Empanada de queso recht gut ist. Für australische Verhältnisse. Der letzte Bissen mit dem arg öligen Käse ist gerade hinuntergeschlungen, als ich an einem der spanischen Stände Churros erblicke. The spanish version of the doughnut steht dann noch mit großen Lettern unter dem Schild. Aha. Nun ja, widerstehen kann ich dann doch nicht und ich genieße den pappsüßen spanisch-versionierten-Donut. Natürlich inklusive Schokoladen-Dip. Wunderbar.

Allmählich wird es Zeit, auch mal etwas Flüssiges zu organisieren. Leider ist es in Australien verboten, Alkohol auf der Straße zu trinken; auch bei einem Fest wie diesem. Das heißt, dass die Kioske keine Drinks verkaufen dürfen. Kein Caipirinha beim einzigen Brasilianer, kein Wein beim einzigen Argentinier und was der einzige Äthiopier mit seinem vegetarischen Köstlichkeiten inmitten dieser Szenerie macht, hab ich bis heute noch nicht durchschaut. Wie dem auch sei, dann wohl noch ein Choripan beim Argentinier und ein klein wenig Flirten mit dem hübschen Tochter des Budenbesitzers. Nach der salzigen Wurst ist der Durst größer den je. Was ein Glück, dass mir ein als Argentinier verkleideter Australier (er hatte zumindest ein Quilmes-Shirt mit dem Emblem der AFA drauf) mit pseudo-spanisch angehauchtem Englisch einen Flyer in die Hand drückt, der den Weg zu einer Bar weist, die lateinamerikanisches Bier ausschenkt. Was für eine Überraschung: Quilmes und Paceña haben die da. Hoch lebe die Globalisierung! Nun wird es doch noch gemütlich, denke ich mir und tatsächlich - es wird interessant. Aus den Boxen erklingen Latinomusik und ich genieße hingebungsvoll drei Quilmes brewed in Spain. Schmecken tut es und irgendwie verfehlt es auch hier seine Wirkung nicht, da einige Latinas ihre Hüften schwingen, während eine Reihe älter Männer gelassen zuschauen.

Draußen wird es allmählich dunkel und die Straße füllt sich zunehmend. Endlich, das wurde ja auch Zeit! Nach dem vierten Quilmes schlendere ich gemütlich zur Hauptbühne, wo lokale Latino-Größen ihr Können unter Beweis stellen dürfen. "Virus" heißt die Band - ein weiteres Mal aus Chile - und sie heizen den Zuschauern mit ihrem Salsa-Rock-Hip-Hop Mix richtig ein. Der Sänger und seine Stimmen erinnern mich an den Hauptdarsteller aus dem Film "Havana Blues". Textlich befinden wir uns trotz allen Mixes in der guten alten Lateinamerika-Schmalz-Tradition: die Lieder handeln beinahe ausschließlich von Amor, Dolor, Amigos und Fiesta. Die Mehrheit der Besucher wippt ganz ordentlich im Takt und erfreut sich der tollen Musik. Leider nur bis sieben Uhr abends, dann muss Ruhe herrschen. Glücklicherweise lassen sich die brasilianischen Trommler davon noch nicht beirren und geben ein letztes Mal Vollgas. Die Johnson Street vibriert. Wer jetzt noch still stehen kann, dem ist nicht mehr zu helfen. Ein paar europäische Hippies tanzen geradezu ekstatisch, aber leider ohne jeden Rhythmus. Besser machen es da schon die vielen Latinos und die brasilianische Bikinidame, die derart schnell mit ihrem Hintern wackelt, dass auch dem letzten Besucher klar geworden sein dürfte, auf welcher Art von Fest er hier gelandet ist.

Text + Foto: Andreas Dauerer