ed 10/2009 : caiman.de

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spanien: In der Stadt des Herkules
Rundgang durch Cádiz (Bildergalerie)
THOMAS MILZ
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


brasilien: Rio ist heiß! - Olympia kann kommen
THOMAS MILZ
[art. 2]
spanien: Alexander von Humboldt
Seine Woche auf Teneriffa 1799 (Rezension)
BERTHOLD VOLBERG
[art. 3]
venezuela: Kolibris in La Azulita (Bildergalerie)
DIRK KLAIBER
[art. 4]
pancho: Fideuá de choco
Ein Leckerbissen aus Andalusien
GRETA BLANCO GALLEGO
[kol. 1]
macht laune: Naturgewalten
Fuerza Natural von Gustavo Cerati
ANDREAS DAUERER
[kol. 2]
grenzfall: Warum Kaimanhaltung?
MARIA JOSEFA HAUSMEISTER
[kol. 3]
lauschrausch: Nour trifft Sara Tavares
TORSTEN EßER
[kol. 4]




[art_1] Spanien: In der Stadt des Herkules
Ein Rundgang durch Cádiz 
 
An Sevilla vorbeigeprescht. Jerez rechts liegen gelassen. Das Ziel liegt noch weiter im Süden: Cádiz! Weiße Perle des Atlantiks! Stadt der Sagen und Geschichte! 

Kurz nach dem Fall Trojas soll sie gegründet worden sein, von niemand geringerem als Herkules, Sohn von Zeus und Teilnehmer an den Argonautenzügen. 

Geschichtswissenschaftler rechnen die tatsächliche Gründung der Stadt allerdings den Phöniziern zu, die sie Gadir nannten. Von hier brach Hannibal in den Zweiten Punischen Krieg und nach Italien auf, was nach viel versprechendem Beginn letztlich dann doch das Ende Karthagos einläutete. Nachdem die Römer in der Stadt die Macht übernommen hatten, tauften sie diese in Gades um. 

Sich auf dem Landweg Cádiz nähernd, durchfährt man zunächst einmal nur hässliche Hafenviertel und gelangt dann auf den Südteil der Halbinsel, die früher eigentlich mal eine ganze Insel war. Über Kilometer geht es an modernen Hochhäusern vorbei.  

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Und wenn man schon nicht mehr daran glaubt, dann taucht die alte Stadtmauer auf. Dahinter liegt Geschichte pur! Neben dem ältesten römischen Theater der iberischen Halbinsel ragt seit dem 18. Jahrhundert die beeindruckende Kathedrale auf. Dahinter liegt die Altstadt, die man zu Fuß erforschen kann.

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Vom Einfluss der Mauren, die hier vom 8. bis zum 13. Jahrhundert herrschten, sieht man nicht mehr viel. Dafür gibt es auffallend viele blondhaarige und blauäugige Menschen. Ein unglaubliches Blau übrigens, manchmal auch ein leuchtendes Grün. 

So leuchtend wie die ganze Stadt, sie strahlt von hoch oben über dem Atlantik hinaus in den Horizont hinein, hinüber in die neue Welt Amerika: Cádiz! Die Stadt, in der Spaniens erste Verfassung entstand. Wer es noch nicht bis Cádiz geschafft hat, darf mit unserem virtuell-digitalem Rundgang Vorlieb nehmen. 

Viel Spaß!

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Text + Fotos + Videos: Thomas Milz

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[art_2] Brasilien: Rio ist heiß! – Olympia kann kommen
 
Rios ist heiß drauf, und seine Cariocas sowieso! Die Stadt am Zuckerhut will die Olympiade 2016, komme, was da wolle. Im Gegensatz zu den anderen Bewerberstädten Madrid, Tokio und Obama’s Chicago steht in Rio die große Mehrheit der Bevölkerung hinter dem Milliarden teuren Spektakel. Ein Pluspunkt in Zeiten knappen Geldes und besorgter Bevölkerungen.

So kann Rios Bürgermeister Eduardo Paes siegesgewiss schmunzeln. Nein, Favoriten gebe es natürlich nicht. Aber eine "gute Chance" habe man, meint er. Da kann sind auf Rios Straßen ganz andere Töne zu vernehmen. Man sei die einzige der Bewerberstädte, die die Olympiade wirklich wolle – egal, ob man gerade in einer Wirtschaftskrise stecke oder nicht. Man stehe für die neue, junge Welt, die endlich auch ihre Spiele haben wolle. Madrid, Tokio, Chicago – was solle da an Neuem für die Welt bei herauskommen?

Zum ersten Mal in der Geschichte der Olympischen Spiele könnte so eine südamerikanische Stadt den Zuschlag erhalten – ein starkes Argument für Brasiliens Sonnenscheinhauptstadt. So hat man sich auch ein schönes Motto für die Kandidatur einfallen lassen: "Viva essa paixão" (Lebe diese Leidenschaft). Wo anders als in Rio kann man so etwas ungeschoren sagen?

"In Tokio bestimmt nicht oder können Sie sich vorstellen, dass man dort die Leidenschaft seines Lebens erfahren kann?", meint ein vom Sieg Rios überzeugter Carioca. Schließlich leben Brasilianer, wie ja so viele Latinos, von der Leidenschaft. Die muss natürlich auch stets gefüttert werden und Rio könnten da ganz ungewohnte Zeiten ins Haus stehen: schließlich trägt man die Fußball-WM 2014 ja auch schon aus.

Kommt nun Olympia noch dazu, so wäre Rio de Janeiro in den nächsten Jahren so etwas wie die Welthauptstadt des Sports.

Da trüben auch die vielen Probleme der Stadt die Stimmung nicht wirklich: Das allgemeine Verkehrschaos, die große Entfernung des Olympiazentrums in Barra da Tijuca vom Stadtzentrum, die hohe Gewaltrate besonders in den Armenvierteln, das veraltete und unzureichende Hotelbettenangebot und – natürlich – der marode Internationale Flughafen.

Doch manch einer zeigt sich besorgt, ob der horrenden Kosten für die Spiele. Jede Menge "weiße Elefanten" werde man da hochziehen, Bauten die nachher niemand mehr brauchen oder finanzieren könne. Ein Beispiel hierfür ist das Stadion João Havelange. Für 500 Millionen Reais zu den Panamerikanischen Spielen 2007 erbaut, soll es bis 2016 zum Olympiastadion ausgebaut werden. Nach Ende der PAN 2007 suchte man verzweifelt eine vernünftige Funktion für das riesige Bauwerk. Schließlich vermietete man es für die lächerliche Summe von 36.000 Reais monatlich an den bald wohl zweitklassigen Fußballklub Botafogo.

Ähnlich erging es der gigantischen Basketballhalle in Barra da Tijuca, die seit Ende der PAN-Spiele vor allem Rockkonzerte beherbergt.

Dagegen ist das daneben gelegene Schwimmstadion Maria Lenk für Olympia zu klein, obwohl es erst vor zwei Jahren fertig gestellt wurde. Jetzt wird man halt eine komplett neue Schwimmarena bauen müssen. Olympia ist schließlich kein Kinderspiel. Vorsichtig fragt da manch einer, ob man das ganze Geld nicht lieber in Sozialprojekte stecken solle...

Entscheiden wird sich das Rennen um die Olympiade 2016 am 02. Oktober in Kopenhagen. Präsident Lula wird live vor Ort sein, genau wie Kollege Obama.

Dem hat Lula schon angekündigt, dass er in der dänischen Hauptstadt eine Niederlage erleiden werde. Lula ist 100%ig von Rios Sieg überzeugt.

Und er weiß auch warum: "Wenn die Athleten gerade eine Goldmedaille gewonnen haben, werden sie sich nicht im Hotel einschließen und in die Hydromassage gehen - sondern sie werden an den Strand gehen, ein Bad im Meer nehmen, eintauchen wollen und anschließend mit noch mehr Energie wieder herauskommen und bereit sein, noch eine Medaille zu gewinnen."

Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 10/2009] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]





[art_3] Spanien: Alexander von Humboldt - Seine Woche auf Teneriffa 1799 (Rezension)
 
Wenn man eine Liste der international bedeutendsten Deutschen aufstellen würde, so müsste das Jahrhundertgenie Alexander von Humboldt (1769 - 1859) unter den Top Ten erscheinen. Diese Meinung vertrat bereits Goethe, dessen Lobeshymne auf Humboldt vom Verfasser des vorliegenden Buches  "Alexander von Humboldt - Seine Woche auf Teneriffa 1799" als Eröffnungszitat gewählt wurde.

Alfred Gebauer (gest. 1997) hatte dieses Werk über die erste Station von Humboldts Weltreise bereits 1985 veröffentlicht, bevor es nun posthum vom Zech-Verlag auf Teneriffa erneut publiziert worden ist. Dies ist sehr erfreulich, denn während Humboldts Forschungsreisen durch die Andenregion (Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru) und durch Mexiko in deutschen und spanischsprachigen Kommentaren reichlich Nachhall fanden, erfuhr der eigentliche Auftakt dieser Reise ins spanische Amerika vergleichsweise wenig Beachtung und wurde oft genug vergessen.

Humboldt begann seine bahnbrechende Forschungsreise im Juni 1799 nämlich nicht erst in Amerika, in den spanischen Vizekönigreichen Neu-Granada oder Mexiko, sondern auf einer Insel auf dem Weg dorthin inmitten des Atlantiks: Teneriffa.

Gebauer eröffnet das Buch mit einem biographischen Abriss der Jugend Alexander von Humboldts bis zur großen Reise 1799.  Den zweiten und zentralen Teil des Buches nimmt die kommentierte Ausgabe des ersten Teils von Humboldts Reisebericht ein (d.h. die deutsche Übersetzung desselben, das Original schrieb er in Französisch). Der Informationswert von Gebauers Kommentaren ist dabei schwankend. Seine Anmerkung, dass die von Humboldt oft benutzte Bezeichnung "Hafen von Orotava"  sich auf das heutige Puerto de la Cruz bezieht, ist für alle Leser, die weniger mit der Geschichte Teneriffas vertraut sind, fundamental. Auch andere von Gebauer beigesteuerte Informationen, z.B. über Humboldts Gastfamilie und der Hinweis, dass das Haus, in dem der Forscher damals in Puerto de la Cruz wohnte, heute als "Hotel Marquesa" besucht werden kann, sind sehr interessant. Aber besonders den kurzen Abriss über die im Lauf der Geschichte wechselnden landwirtschaftlichen Prioritäten hätte man sich detaillierter und ausführlicher gewünscht, denn die Frage nach Gründen, warum welche Produkte (Zuckerrohr, Wein, Bananen) angebaut wurden, gehört zu den interessantesten bei der Betrachtung der Geschichte Teneriffas.

Der unbestreitbare Höhepunkt des von Gebauer neu publizierten Originaltextes ist Humboldts sehr detaillierter und lebendiger Bericht über seine Teide-Besteigung, wobei er auch die Vegetationspyramide der Kanareninsel darstellt. Der dritte, etwas zu kurz geratene, Teil des Buchs befasst sich mit der restlichen Biographie Alexander von Humboldts und den Umständen der Edition seines Opus Magnum, der Auswertung der Daten und Objekte, die er während seiner fünfjährigen Reise durch Amerika sammeln konnte. Sehr schön beschreibt Gebauer dabei den ständigen Wechsel zwischen freier Forschung und Diensten im Auftrag des preußischen Königs, die Humboldt annehmen musste.

Ein großer Pluspunkt des Buches von Gebauer ist das rare und wertvolle Bildmaterial: alte Fotos aus dem 19. Jahrhundert (z.B. Ansichten der alten Hauptstadt La Laguna und des damals noch von Bausünden unversehrten Orotava-Tals) und das hervorragende Kartenmaterial, nicht zuletzt die von Humboldt selbst gezeichnete Vegetationspyramide, die auch das schöne Cover ziert.

Komplettiert wird diese Hommage an Humboldt mit einer Fotosammlung der spektakulärsten Drachenbäume in der Umgebung von La Orotava. Von denen leider das größte und älteste Exemplar nicht mehr existiert. Dieser Gigant, dessen Alter auf mindestens 4000 Jahre geschätzt wurde, konnte 1868 einem heftigen Orkan nicht mehr standhalten. Doch er überlebte in Humboldts Zeichnung, die natürlich auch in Gebauers Buch präsentiert wird. Für alle Humboldt-Fans, die seine aufregende Teide-Besteigung miterleben wollen, ist dieses Buch ein Muss!

Text: Berthold Volberg
Foto: Zech Verlag

Kontakt zum Verlag:
Editorial Verena Zech
Carretera Vieja, 40
E-38390 Santa Úrsula
Tenerife / Islas Canarias
Tel./Fax: 0034-922302596
Email: info@zech-verlag.com
www.zech-verlag.com

[druckversion ed 10/2009] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_4] Venezuela: Kolibris in La Azulita (Bildergalerie)
 
La Azulita liegt inmitten des subtropischen Regenwalds West-Venezuelas. Von Süden her, der Andenstadt Mérida, kommend, durchquert man das Gebiet La Azulitas innerhalb einer Stunde und überwindet dabei 2500 Höhenmeter. An seiner nördlichen Wand geht der subtropische Regenwald über in Kaffeeplantagen. Das Gebiet verliert anschließend schnell an Höhe und trifft auf das heißeste Gebiet Südamerikas, die tropischen Landschaften rund um den Maracaibosee. Durch das Aufeinandertreffen des kühlen andinen und heißen tropischen Klimas ist La Azulita ein Gebiet vermehrter Wolkenbildung und heftigen Niederschlags.

Abgesehen von seinem landschaftlichen Reiz ist La Azulita ein Paradies für Bird Watcher. Besonders Quetzale, Tukane und Kolibris lieben die feuchten Wälder der Anden rund um La Azulita und zeigen sich den Vogelbegeisterten. Wenige, aber umso stilvollere Hotels bzw. in den Regenwald integrierte Kleinanlagen befinden sich in La Azulita. Einige, wie La Bravera, installieren mit Zuckerwasser gefüllte Trinkgefässe für Kolibris. Orte wie die Terrasse La Braveras eignen sich somit hervorragend für das Beobachten diverser Kolibriarten... 

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Text + Fotos: Dirk Klaiber

Tipp:
Detaillierte Informationen zu Reisen in Venezuela allgemein sowie Bird Watcher Touren im besonderen:
Posada Casa Vieja Mérida und birds-venezuela.de



[druckversion ed 10/2009] / [druckversion artikel] / [archiv: Venezuela]





[kol_1] Pancho: Fideuá de choco (Sepia)
Leckerbissen aus Andalusien

Zutaten für die Fideuá de choco
  • 1 Zwiebel
  • 2-3 ungeschälte Knoblauchzehen
  • 1 rote Paprika
  • 1 Schuss Weiß- oder Rotwein
  • 2 große, reife Tomaten
  • 2 Choco bzw. Sepia
  • 1-2 Tassen Fideos (spanische Nudeln in Form von auf fünf Zentimer gekürzten Spaghetti)
  • Abschmecken mit Salz und Pfeffer
  • Chili nach Gusto

Zubereitung der Fideuá de choco
Die Zwiebel klein schneiden und zusammen mit den ungeschälten Knoblauchzehen in heißes Olivenöl geben und braten bis sie schön glasig sind. Den Tintenfische in mundgerechte Stücke schneiden und ebenfalls hinzugeben zusammen mit einer gewürfelten Paprika und einem Schuss Weißwein. Kurz darauf die kleingeschnittenen Tomaten hinzufügen und nun köcheln lassen bis der Tintenfisch bissfest ist. Dann die Fideos (Fadennudeln) und pro Tasse Fideos zwei Tassen Wasser dazugegeben. Gut Vermischen.

Anmerkung
Alternativ zum Choco kann die Fideuá mit verschiedenen Meeresfrüchten, Fisch oder auch Fleisch gekocht werden. Statt Paprika passt je nach Zutaten Safran besser zur Fideuá.

Köchin: Greta Blanco Gallego
Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 10/2009] / [druckversion artikel] / [archiv: pancho]





[kol_2] Macht Laune: Naturgewalten
Fuerza Natural von Gustavo Cerati
 
Mal wieder etwas Neues vom Ex- (und mal kurzzeitig wieder) Frontman der legendärsten argentinischen Rockband Soda Stereo. Nach einem kurzen Tournee-Intermezzo mit seinen alten Bandkollegen Zeta Bosio und Charly Alberti bringt Gustavo Cerati Ende September sein neuestes Album heraus: Fuerza Natural heißt es, hat aber mit natürlichen Kräften nicht wirklich viel gemein. Beim ersten Drüberhören können sich die Ohren überhaupt nicht auf das - für Cerati - ziemlich ungewöhnliche Klangerlebnis einstellen. Man könnte es fast als ein Konzeptalbum sehen, denn es ist von vorne bis hinten durchkonstruiert, äußerst melodisch und strotzt nur so von wundervollen Songarrangements. Cerati traut sich, wieder mehr zu experimentieren - die Scheibe ist akustischer und leiser geworden, der Einsatz von Synthesizer und Computer ist unüberhörbar und kreiert einen ganz eigenen Sound, den man am ehesten mit einem vielschichtigen Klangteppich vergleichen könnte. Von mehrspurigen Gitarren bis hin zu Hintergrundchören, die es bis dato so noch nicht bei ihm gab, ist die Bandbreite dementsprechend groß.

Gustavo Cerati
Fuerza Natural
Sony Music Entertainment S.A

„Nach diesem Album kann ich mich beruhigt ins Grab fallen lassen“, so Cerati pathetisch vor der argentinischen Presse. Doch auch wenn die Argentinos gerne große Worte in den Mund nehmen (zur Bestätigung braucht man nur mal die Sportseiten aufschlagen), gibt dieser Satz schon einen Vorgeschmack auf das erste Lied, welches dem Album auch den Namen gibt: Fuerza Natural. Fast schon sanft erklingen die ersten Töne der Gitarre bis der Song Fahrt aufnimmt, rhythmischer wird und beinahe schon zu einem Gospel verkommt. Der Zuhörer begibt sich mit ihm auf eine imaginäre Seelenreise, vorbei an spielenden Kindern im Garten hin zur Erkenntnis, wie wankelmütig der Mensch doch ist und auf welch kleiner Welt er doch lebt. Auf der Reise habe ich mich verloren, niemals habe ich mich so gut gefühlt, lässt Gustavo den Zuhörer gegen Ende des ersten Liedes noch wissen, ehe es mit Deja Vu wieder einigermaßen Gustavo-like zur Sache geht. Dieses Stück hätte auch auf dem Vorgänger Ahí Vamos enthalten sein können, der ganz im Zeichen von schnellen Riffs und kraftvollen Melodien stand. Lediglich der Text ist nachdenklicher: Alles ist Lüge, Du wirst schon sehen; die Poesie ist die einzige Wahrheit, es gilt lediglich das Schöne aus dem Chaos herauszuziehen, oder etwa nicht?

Auch bei den restlichen dreizehn Liedern besinnt sich Cerati auf seine ganz eigene, leise gewordene Poesie. Alles hilft mir, nichts verliert sich, ich werde es verändern, singt er in Magia und mit Amor sin rodeos und Tracción a sangre will er beweisen, dass New Wave und Country doch gut zueinander passen (und das tun sie). Vor allem Letzteres erinnert an Indie-Folk. Das aber ist auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass Fuerza Natural in New York von Héctor Castillo produziert wurde. Der nämlich hat auch schon mit Lou Reed, David Bowie oder Pete Townshend gearbeitet und das überaus erfolgreich.

Mit Desastre und Rapto wird es dann ein wenig lauter. Verschiedene Gitarren bestimmen die Melodie und man weiß teilweise gar nicht, wie viele es wirklich sind. Vermeintlicher Kontra- und Höhepunkt ist schließlich Cactus. Ein Folklore-Song mit kryptischen Texten und wilden Metaphern: Und die Dünen werden zu Eisschollen im Vertigo der Ewigkeit und die Vögel zu Bäumen im Vertigo der Einsamkeit. Kein Wunder, dass der nächste, leicht bluesige Song Naturaleza Muerta heißt.

Mit Dominó, Sal, Convoy und He visto a Lucy bleibt es auf dem Album zwar auch zum Abschluss relativ ruhig, man fühlt sich aber zurückerinnert an die ersten Cerati Solo-Platten wie Bocanada oder Amor Amarillo, die eher in Richtung Elektro-Psychodelic-Rock gingen. Besonders hervorzuheben ist dabei Sal. Zwar nicht textlich (Einen Kompass aus Licht zeichnet der Leuchtturm ins Meer, mit einem blauen Kuss wird aus dem Schaum Salz), aber musikalisch ist es eine wunderschöne Ballade mit Piano und wenig Gitarre, die einen unwillkürlich an Crimen aus dem letzten Album erinnert.

Zugegeben, leicht macht es Cerati seiner Fangemeinde nicht unbedingt. Die Melodien in Fuerza Natural sind nicht so eingängig, die Gitarren nicht so laut und der Rhythmus viel feiner als beim Vorgängeralbum Ahí Vamos. Aber wenn man diese Scheibe einfach mal ein, zwei oder drei Wochen im CD-Player lässt und sie immer wieder anmacht, kann man fast in jedem Song wieder etwas Neues entdecken. Man merkt Gustavo Cerati an, dass er reifer geworden ist. Oder konsequenter. Denn nach der einjährigen Wiedervereinigung mit Soda Stereo war klar, dass man nicht immer nur laut herumschreien kann. Weder stimmlich, noch textlich. So hebt sich die Platte angenehm von ihren Vorgängern ab, auch wenn man die Durchschlagskraft bei manchen Liedern ein wenig vermisst. Aber keine Sorge, das nächste Album kommt bestimmt. Und zwei ruhige Platten hintereinander wird auch Cerati nicht schaffen.

Text: Andreas Dauerer
Foto: amazon.de

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[kol_3] Grenzfall: Warum Kaimanhaltung?
 
Es war das verflixte Jahr 1994. Chemische Drogen, schlaflose Wochenenden und Marusha mit Over the Rainbow kamen über die Stadt. Über die Stadt, die im Krieg ihre Noblesse gänzlich eingebüßt hatte und seither im Einklang mit ihren Bewohnern ein Bild prägte, bestehend aus planlosem Städtebau und schlampigem Äußeren gepaart mit sonnigem Gemüt. 

1994 kamen die Raver aus Berlin und Frankfurt und infizierten die Städter. Und während verzweifelte Vorgesetzte versuchten, ihre halbtoten Praktikanten und Gesellinnen zu Wochenbeginn aus den Betten zu treten und zur Arbeit zu zwingen, mischten sich subversive Elemente in das alltägliche Treiben der Stadt. Den Machthabenden gelang es, fast ohne Aufsehen zu erregen, jegliche Sabotage der bestehenden und der noch viel wichtigeren vorhergesehenen Ordnung zu unterbinden und die Elemente zu eliminieren. 

Fast ohne Aufsehen! Fast, denn den Wächtern über das städtische Treiben entwischte Sammy. Es war am 10. Juli 1994 als Sammy bei Neuss in einem See untertauchte und Tage später unter Beobachtung von Zivilisten und Tierschützern gestellt wurde. In den Tagen der Jagd auf ihn hatte der kleine Kaiman Berühmtheit erlangt und so war es unmöglich, ihn einfach verschwinden zu lassen. Und Sammy lebt heute noch und er spricht erstmals über seine einstige Mission und Mitstreiter... 

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"Sieh, was aus eurer Stadt geworden ist!", sagt Sammy. Der heute 15-jährige Kaiman äugelt verstohlen nach rechts und links und bittet dann um eine Zigarette. Er inhaliert tief. "Die Stadt verliert ihren Charme. Ordnungshüter kontrollieren die Straßen, Ämter unterbinden kreativen Schaffensgeist. Die guten Kneipen müssen weichen für Einheitsbrei. Pseudo-Schick statt Individualismus. Die Kunst ist geflohen. – Die Stadt ist eigentlich hässlich, aber sie hatte Charme. Niemand kann wollen, dass diese Stadt für ein wenig Aufbretzelei die Lust an Leben, Liebe und Feiern verliert." 

"Und dich, Sammy, haben sie geschickt, den Verfall durch Verkitschung, Aufsytlen und Ordnungswahn zu unterbinden?"
"Ja. Aber ich kam nicht allein. Und wir sind noch da. Und unsere Population steigt stetig. Wir sammeln uns dort, wo wir für das menschliche Auge kaum sichtbar sind, an bewachsenen Ufern. Er wird kommen der Tag X. Mit Charme, Scheiß und Ohne heißt die Losung."

"Was meinst du mit "eure Population steigt"?"
"Ihr importiert und züchtet und gebt uns an Private, die uns in Käfigen halten oder an Hundeleinen mit zum See nehmen. – Du erinnerst dich doch an meinen Fall? – Und dann büchsen wir aus. Hier nimm, auf dem Zettel findest du einen geheimen Ort, an dem wir zusammenkommen. Schieß Fotos, aber gib den Ort niemals Preis."

Sammy taucht ab. Ich warte geschlagene 30 Minuten, doch nichts passiert. Und so mache ich mich geschwind los mit der Kamera zum geheimen Treffpunkt. Einige Pillen später, über den Regenbogen dänzend, habe ich Glück: Ein erster Kaiman erscheint, gleitet durchs Wasser, dreht sich geschwind in die Seitenlage und schnappt sich einen Piranha. Weitere folgen und ich bekomme ein paar unglaubliche Aufnahmen in den Kasten – mitten in der Stadt, deren letzte Hoffnung auf Charmeerhaltung vor meinen Augen Kreise zieht und dem Wahnstreben nach Konformismus hoffentlich bald durch Wadenbeißerei Einhalt gebieten wird.

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Text: Maria Josefa Hausmeister
Fotos:
Dirk Klaiber

[druckversion ed 10/2009] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]





[kol_4] Lauschrausch: Nour trifft Sara Tavares

Nour
En blanc
kasba / galileo mc
Ein weiteres Crossoverprodukt aus der Mittelmeermetropole Barcelona, in der sich die musikalischen Kulturen aus Afrika, Europa und Lateinamerika vermischen wie nur in wenigen Städten auf dem Globus. Funk verbindet sich organisch mit Rockgitarren und arabischen Violinen, Gnawa-Rhythmen treffen auf Elektronik, der arabische Gesang des Algeriers Yacine Belahcene wechselt sich mit dem spanischen Rap von Olalla Castro sowie französischen Texten ab. Bei "Canto a la veritat" fühlt man sich kurz an die Riffs von Limp Bizkit erinnert.

Nour
En blanc
kasba / galileo mc

Seltenheitswert innerhalb dieser alles absorbierenden Fusionszene haben die katalanischen Titel und Texte, denn nur wenige Zuwanderer lernen die lokale Sprache so, dass es für sinnige Texte reicht. Insgesamt mal wieder ein sehr tanzbarer Mix mit Texten u.a. über die Wüste, den Ozean und eine Fliege auf der Nase ("La mosca al nas").

Sara Tavares
Xinti
World Connection
"Xinti" (Fühl' es) heißt das neue Album von Sara Tavares, einer kapverdischen Sängerin, die in Lissabon aufgewachsen ist. Die Texte ihrer selbst geschriebenen Songs singt sie in Portugiesisch und in ihrer Muttersprache Crioulo. In ihren Liedern dreht sich alles um Gefühle, Musik für die Seele, good vibes, wie es so schön im Booklet heißt, in dem die "sensible Liedermacherin" und "spirituelle Frau" ihren Fans Botschaften mit auf den Weg gibt: "O caminho é feito caminhando"!

Sara Tavares
Xinti
World Connection

"Quando dás um pouco mais" eröffnet das Album lebhaft und mit jazzigen Klängen, "Keda livre" ist tanzbar (vor allem für Frauen, die gerne mit nackten Füßen tanzen :-) und ein wenig funky. Insgesamt überwiegen jedoch die entspannten Songs und Popballaden. Ein mir alles in allem etwas zu ruhiges Album mit allerdings schönen Songs.

Text: Torsten Eßer
Fotos: amazon

[druckversion ed 10/2009] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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