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[kol_2] Macht Laune: Naturgewalten
Fuerza Natural von Gustavo Cerati
 
Mal wieder etwas Neues vom Ex- (und mal kurzzeitig wieder) Frontman der legendärsten argentinischen Rockband Soda Stereo. Nach einem kurzen Tournee-Intermezzo mit seinen alten Bandkollegen Zeta Bosio und Charly Alberti bringt Gustavo Cerati Ende September sein neuestes Album heraus: Fuerza Natural heißt es, hat aber mit natürlichen Kräften nicht wirklich viel gemein. Beim ersten Drüberhören können sich die Ohren überhaupt nicht auf das - für Cerati - ziemlich ungewöhnliche Klangerlebnis einstellen. Man könnte es fast als ein Konzeptalbum sehen, denn es ist von vorne bis hinten durchkonstruiert, äußerst melodisch und strotzt nur so von wundervollen Songarrangements. Cerati traut sich, wieder mehr zu experimentieren - die Scheibe ist akustischer und leiser geworden, der Einsatz von Synthesizer und Computer ist unüberhörbar und kreiert einen ganz eigenen Sound, den man am ehesten mit einem vielschichtigen Klangteppich vergleichen könnte. Von mehrspurigen Gitarren bis hin zu Hintergrundchören, die es bis dato so noch nicht bei ihm gab, ist die Bandbreite dementsprechend groß.

Gustavo Cerati
Fuerza Natural
Sony Music Entertainment S.A

„Nach diesem Album kann ich mich beruhigt ins Grab fallen lassen“, so Cerati pathetisch vor der argentinischen Presse. Doch auch wenn die Argentinos gerne große Worte in den Mund nehmen (zur Bestätigung braucht man nur mal die Sportseiten aufschlagen), gibt dieser Satz schon einen Vorgeschmack auf das erste Lied, welches dem Album auch den Namen gibt: Fuerza Natural. Fast schon sanft erklingen die ersten Töne der Gitarre bis der Song Fahrt aufnimmt, rhythmischer wird und beinahe schon zu einem Gospel verkommt. Der Zuhörer begibt sich mit ihm auf eine imaginäre Seelenreise, vorbei an spielenden Kindern im Garten hin zur Erkenntnis, wie wankelmütig der Mensch doch ist und auf welch kleiner Welt er doch lebt. Auf der Reise habe ich mich verloren, niemals habe ich mich so gut gefühlt, lässt Gustavo den Zuhörer gegen Ende des ersten Liedes noch wissen, ehe es mit Deja Vu wieder einigermaßen Gustavo-like zur Sache geht. Dieses Stück hätte auch auf dem Vorgänger Ahí Vamos enthalten sein können, der ganz im Zeichen von schnellen Riffs und kraftvollen Melodien stand. Lediglich der Text ist nachdenklicher: Alles ist Lüge, Du wirst schon sehen; die Poesie ist die einzige Wahrheit, es gilt lediglich das Schöne aus dem Chaos herauszuziehen, oder etwa nicht?

Auch bei den restlichen dreizehn Liedern besinnt sich Cerati auf seine ganz eigene, leise gewordene Poesie. Alles hilft mir, nichts verliert sich, ich werde es verändern, singt er in Magia und mit Amor sin rodeos und Tracción a sangre will er beweisen, dass New Wave und Country doch gut zueinander passen (und das tun sie). Vor allem Letzteres erinnert an Indie-Folk. Das aber ist auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass Fuerza Natural in New York von Héctor Castillo produziert wurde. Der nämlich hat auch schon mit Lou Reed, David Bowie oder Pete Townshend gearbeitet und das überaus erfolgreich.

Mit Desastre und Rapto wird es dann ein wenig lauter. Verschiedene Gitarren bestimmen die Melodie und man weiß teilweise gar nicht, wie viele es wirklich sind. Vermeintlicher Kontra- und Höhepunkt ist schließlich Cactus. Ein Folklore-Song mit kryptischen Texten und wilden Metaphern: Und die Dünen werden zu Eisschollen im Vertigo der Ewigkeit und die Vögel zu Bäumen im Vertigo der Einsamkeit. Kein Wunder, dass der nächste, leicht bluesige Song Naturaleza Muerta heißt.

Mit Dominó, Sal, Convoy und He visto a Lucy bleibt es auf dem Album zwar auch zum Abschluss relativ ruhig, man fühlt sich aber zurückerinnert an die ersten Cerati Solo-Platten wie Bocanada oder Amor Amarillo, die eher in Richtung Elektro-Psychodelic-Rock gingen. Besonders hervorzuheben ist dabei Sal. Zwar nicht textlich (Einen Kompass aus Licht zeichnet der Leuchtturm ins Meer, mit einem blauen Kuss wird aus dem Schaum Salz), aber musikalisch ist es eine wunderschöne Ballade mit Piano und wenig Gitarre, die einen unwillkürlich an Crimen aus dem letzten Album erinnert.

Zugegeben, leicht macht es Cerati seiner Fangemeinde nicht unbedingt. Die Melodien in Fuerza Natural sind nicht so eingängig, die Gitarren nicht so laut und der Rhythmus viel feiner als beim Vorgängeralbum Ahí Vamos. Aber wenn man diese Scheibe einfach mal ein, zwei oder drei Wochen im CD-Player lässt und sie immer wieder anmacht, kann man fast in jedem Song wieder etwas Neues entdecken. Man merkt Gustavo Cerati an, dass er reifer geworden ist. Oder konsequenter. Denn nach der einjährigen Wiedervereinigung mit Soda Stereo war klar, dass man nicht immer nur laut herumschreien kann. Weder stimmlich, noch textlich. So hebt sich die Platte angenehm von ihren Vorgängern ab, auch wenn man die Durchschlagskraft bei manchen Liedern ein wenig vermisst. Aber keine Sorge, das nächste Album kommt bestimmt. Und zwei ruhige Platten hintereinander wird auch Cerati nicht schaffen.

Text: Andreas Dauerer
Foto: amazon.de

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