brasilien: Luis und die Insel aus Müll
THOMAS MILZ
[art. 1]
cuba: Varadero - Auszüge aus einem Reisetagebuch
Teil 1: Ankunft
NORA VEDRA
[art. 2]
bolivien: Faire Frühstücksflocken
KATHARINA NICKOLEIT
[art. 3]
venezuela: Catatumbo-Delta im Maracaibo-See
DIRK KLAIBER
[art. 4]
helden brasiliens: Buntes Treiben auf der Paulista
Bildergalerie: Die 11. Parada Gay in São Paulo
THOMAS MILZ
[kol. 1]
lauschrausch: Jarabe de Palo vs. La Vega Puerca
ANDREAS DAUERER
[kol. 2]
pancho: Gesellschaftsfähig trotz Chilischote
Interview mit einem kleinen scharfen Psychotiger
DIRK KLAIBER
[kol. 3]
erlesen: Lateinamerika-Management
Konzepte, Prozesse, Erfahrungen
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] Brasilien: Luis und die Insel aus Müll

Es stinkt und ist laut. Direkt neben der Schnellstraße Linha Vermelha im Norden von Rio de Janeiro schwimmt Luis Bispos Meisterwerk - ein aus Müll erbautes Haus mitten auf dem Wasser. Halt! Es schwimmt eigentlich nicht. Es sitzt eher auf einer Schlammbank im Canal do Cunha, einem skandalös riechenden Abwasserkanal.

Luis ist Autodidakt. Normalerweise errichtet er kleine Häuschen in der Vila Pinheiro. Die Familie lebt von den Mieteinnahmen und nebenbei bessert Luis sein Einkommen durch den Verkauf alles Brauchbaren, das er aus dem Öl verdreckten Kanal zieht, auf.

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"Ich wollte auf die Verschmutzung aufmerksam machen. Als Kind habe ich hier gebadet - jetzt ist es lebensgefährlich. Die durch die Guanabara-Bucht fahrenden Schiffe werfen ihren Abfall einfach über Bord, hinzu kommen die industriellen Abwässer", so der 40-jährige Luis Bispo, Anwohner der Vila Pinheiro, einer armseligen, zwischen mehreren Schnellstraßen eingezwängten, in Abfall ertrinkenden Siedlung, in der Hund, Hahn und Schwein frei herumlaufen. Zwischendrin lassen Kinder ihre selbst gebastelten Drachen steigen. Von den Namen stiftenden Pinienbäumen sieht man weit und breit nichts und eine Müllabfuhr gibt es hier auch nicht - und so wäscht der Regen den umher liegenden Müll in den Kanal und die nahe Bucht.

Das Haus ist mit 3.000 Plastik-Getränkeflaschen und Styropor unterfüttert. "Ich habe vorher genau berechnet, wie viele Flaschen ich brauche, damit es schwimmt." Darüber hat er sein Heim gezimmert - inklusive Zementfußboden und Steinmauern. Ausgestattet wurde das Ganze mit all dem, was er aus dem vergammelnden Wasser zog: ein kleines Plastikschwimmbad, eine Hydromassage und sogar ein gemütliches Sofa. Dank eines Unterwasser-Stromkabels, das er aus Telefondraht gebastelt hat, gibt es Licht in seinem Häuschen.

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"Ab und zu schlafe ich auf meiner Insel", sagt Luis und räkelt sich gemütlich auf dem Sofa. An den Wänden hängen selbst gemalte Bilder, auf die Rückseiten weggeworfener Wahlkampftransparente gemalt. Stolz zeigt er drei Briefe, die als Flaschenpost angeschwemmt wurden. Mit seiner Aktion hat er national auf sich aufmerksam gemacht. Und auch die Auslandspresse war schon da. Die Behörden versuchten ihn aus dem Haus zu jagen; zu gefährlich sei es dort draußen auf der Brühe.

"Wir müssen unsere Konsumgesellschaft überdenken - man kann doch nicht einfach weiter so Müll produzieren", klagt Luis. Demnächst will er in die Politik gehen - "zu den Grünen" - damit sich endlich was tut. Oder aber eine Kirche gründen: "Einige Anhänger habe ich bereits im Verwandtenkreis." Er ist ein gläubiger Mensch, der gerne aus der Bibel zitiert. Luis steckt so voller Energie, dass er wohl beides machen wird.

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Und er hat Visionen für eine bessere Welt. "Ich ziehe Baumsetzlinge groß, um sie in der Vila Pinheiro und in der Umgebung zu pflanzen." 100.000 Setzlinge sollen es sein, einige Hundert wachsen bereits in mit Schlamm gefüllten Milchtüten auf dem Hausboot und dem Geländer der Linha Vermelha. Der Schlamm sei ein prima Dünger, meint Luis. "Man sollte ihn hier aus der Bucht wegbaggern und auf den sandigen Boden des Landesinnern streuen." Dort könne man dann Pflanzen für die Gewinnung von Biodiesel anbauen, ganz ohne Gefahr für die Gesundheit der Menschen.

Doch soweit ist die hiesige Regierung noch lange nicht. "Sie haben den Kanal ausgebaggert und den Schlamm mitten in die Bucht gekippt. Sie haben sechs gegen ein halbes Dutzend getauscht." Heute hat er wieder mal hunderte von Plastik-Getränkeflaschen und ein Dutzend Bretter aus dem Kanal gefischt. Jedes Jahr stellt Brasilien mehr als sieben Milliarden dieser Flaschen her. Hier enden viele von ihnen.

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Luis hat seit seinem Hausbau schon wieder einige tausend Flaschen auf der Insel deponiert. Demnächst will er damit ein noch tragfähigeres Floß bauen. "Das schiebe ich unter das Haus, um es etwas aus dem Wasser herauszudrücken." Danach baut er einen zweiten Stock "inklusive Sonnenterrasse".

Ideen hat er im Überfluss. Und ein starkes Sendebewusstsein. "Vielleicht kann mich ja mal jemand aus Deutschland einladen. Ich würde den Deutschen gerne erzählen, was es mit der Konsumgesellschaft so auf sich hat."

Text + Fotos: Thomas Milz





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[art_3] Bolivien: Faire Frühstücksflocken

Ein kurzer Pfiff warnt die Umstehenden. Mit einem lauten Knall geht die Popcornkanone los und schießt gepoppte Quinuaflocken in ein riesiges Netzt. Gleichzeitig breitet sich ein köstlicher Geruch nach frischem Popcorn aus. Gelassen füllt Santos Llave erneut seine Röstmaschine um die nächste Portion Frühstücksflocken für die gepa zu rösten. "Hier bei Coronilla zu arbeiten, ist etwas Besonderes. Wir werden hier partnerschaftlich und mit Respekt behandelt und ordentlich bezahlt." Der 38-jährige Vater von vier Kindern ist sehr zufrieden damit, für einen Betrieb zu arbeiten, der als einer der sozialsten Arbeitgeber Boliviens gilt.

Das Familienunternehmen La Coronilla wurde 1972 gegründet und schon für Martha Willes Vater waren soziale Fragen ein wichtiges Thema. "Er sah die Schere zwischen Arm und Reich als eines der Hauptprobleme unseres Landes und wollte, dass es wenigstens in seiner Firma gerecht zugeht", erinnert sich Martha Wille, die das Unternehmen heute im Sinne ihre Vaters weiterführt und dafür 2005 von der Schweizer Schwab Stiftung für soziales Unternehmertum ausgezeichnet wurde. La Coronilla hat sich seit 1997 auf glutenfreie Produkte, also Produkte ohne Weizenanteile, gegen die in Europa und Nordamerika viele Menschen allergisch sind, spezialisiert. Neben Frühstücksflocken werden hier vor allem Nudeln und salzige Snacks produziert.

Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Fabrikanten ist, dass bei Coronilla bevorzugt Frauen beschäftigt werden. Von den 45 Arbeitern in der Fabrik sind 30 Frauen. "Bei uns herrscht absolute Gleichberechtigung. Wir bezahlen Männer und Frauen gleich und bieten beiden dieselben Aufstiegschancen. Viele Firmen in Bolivien stellen lieber Männer ein, weil sie diesen keinen Mutterschaftsurlaub bezahlen müssen." Für Jolanda de Cerro ist dies ein Glücksfall. "Sonst würde doch niemand eine allein erziehende Mutter einstellen, weil die Arbeitgeber Angst haben, dass ich ausfalle, wenn meine Tochter krank ist." Meint die 36-Jährige, deren Aufgabe es ist, die gepoppten Frühstücksflocken zu sortieren.

Außergewöhnlich an Coronilla ist außerdem, dass die Firma auch Behinderte anstellt. "Alle haben uns für verrückt erklärt, als wir beschlossen, Taubstumme zu beschäftigen. Aber das ist ein großer Erfolg. Sie sind die loyalsten und effizientesten Arbeiter, die wir haben", erklärt Martha Wille nicht ohne Stolz.

Als verantwortungsvolles Unternehmen erfüllt Coronilla gewissenhaft alle sozialen Auflagen: "Unsere Arbeiter sind krankenversichert und wir führen für jeden einzelnen Abgaben in die Rentenkasse ab. Das ist nicht selbstverständlich, denn obwohl diese Sozialabgaben in Bolivien gesetzlich vorgeschrieben sind, gibt es nur wenige Unternehmen, die sich daran auch wirklich halten." Und Coronilla zahlt seinen Arbeitern 15 Prozent mehr als den allgemein üblichen Mindestlohn - eine Leistung, die aus der gepa-Prämie finanziert wird.

Bei La Coronilla wird nicht nur Wert darauf gelegt, dass die Arbeiter sozialversichert sind und fair bezahlt werden. Das Unternehmen achtet auch ganz genau auf seine Zulieferer: Im Unterschied zu anderen Firmen in Bolivien bezieht Coronilla seine Rohstoffe nicht über Mittelsmänner, die den Bauern die Preise diktieren und beim Weiterverkauf hohe Gewinne einstreichen. Coronilla kauft das Quinuagetreide und die anderen benötigten Grundstoffe stattdessen direkt bei den Bauern ein, und zwar zu dem Preis, den die Mittelsmänner verlangen. "So haben die Bauern ein deutlich höheres Einkommen als üblicherweise. Außerdem leisten wir Vorauszahlungen und beraten die Bauern beim Anbau", erklärt Martha Wille. 2.800 kleinbäuerliche Familien - rund 20.000 Menschen, die in den ärmsten Gegenden des Landes leben, profitieren davon.

Text: Katharina Nickoleit

Tipp: Katharina Nickoleit hat einen Reiseführer über Bolivien verfasst, den ihr im Reise Know-How Verlag erhaltet.

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
139 Seiten; broschiert
ISBN-10: 3896623648
ISBN-13: 978-3896623645
Verlag: Reise Know-How Verlag Hermann
2. Auflage (01.09.2009)





[art_4] Venezuela: Catatumbo-Delta im Maracaibo-See

Das Delta des in Kolumbien entspringenden Flusses Catatumbo erstreckt sich in den Maracaibo-See, den größten Binnensee Südamerikas. Es ist von Mangroven durchsetzt, die durch ihr verzweigtes Wurzelsystem in dem unbefestigten schlammigen Boden Halt finden. So entstehen zahlreiche kleinere verwinkelte Seitenarme des Catatumbo. Neben Delfinen, Brüllaffen und vereinzelten Kaimanen ist besonders die Vogelwelt vertreten: Papageien, Aras, Tukane, Wasservögel wie Ibise und Reiher und Greifvögel wie der Fischadler.

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Abgesehen von den Mangrovenwäldern gibt es vor allem noch zwei Gründe, warum sich ein Ausflug ins Delta und zum Maracaibosee lohnt:

1. Blitz von Catatumbo: Hierbei handelt es sich um elektrische Entladungen in Form von Blitzen direkt über der Wasseroberfläche, ohne dass auch nur die geringsten Anzeichen eines Gewitters bestehen. Das Phänomen kann man das ganze Jahr über beobachten, allerdings setzt es von Zeit zu Zeit für mehrere Tage aus. Die Goajiro-Indianer, die vor allem das nord-westliche Seegebiet bewohnen, erklären sich das Phänomen dieser Blitze wie folgt:

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Legende vom Hut der Sonne
Zu Anbeginn der Zeit lebten im Inneren der Ma, der Erde, zwei Freunde namens Ka´i, die Sonne, und Kashí, der Mond. Eines Tages waren sie es leid, in den Gängen der unterirdischen Höhlen zu weilen und beschlossen, die Oberfläche zu erkunden. Kashí schlug vor, den Gang nach oben mit einem kleinen Wettstreit zu verbinden: Wer weiter und schneller laufe und dabei am meisten Leben erschaffe, habe gewonnen. Ka´i gefiel der Vorschlag und so machten sie sich auf den Weg.

Als sie ins Freie traten, war die Erde in tiefe Dunkelheit gehüllt, da sie von gewaltigen Wolken umgeben war. Ka´i schritt umgehend zur Tat, durchbrach die Finsternis und brachte dank seines strahlenden Hutes Licht auf die Erde. Inmitten des nun Sonne durchfluteten Sandes platzierte er eine Mutter mit ihrem Kind. Sein Freund Kashí konterte mit einer Ziege und ihrem Zicklein. Während schon die Mutter den heißen Sand kaum ertrug, weinte ihr Kind bitterlich ob der Hitze. Die Ziegen aber liefen munter drauflos ohne den glühenden Sand überhaupt zu spüren. Und so konnte Kashí durch sein bedachtes Vorgehen Ka´i dieses und weitere Male bezwingen, was Ka´i immer mehr in Rage versetzte und ihn Krawall und Sabotage schwören ließ.

Kashí rief das Wasser zu sich und nach dem er es hatte regnen lassen, sprossen augenblicklich alle nur erdenklichen essbaren Pflanzen aus dem Boden. So mussten weder Mensch noch Tier Hunger leiden. Ka´i jedoch, der Kashí keinen Triumph mehr gönnte, verbrannte die Pflanzen mit seinen starken Strahlen. Der Versuch von Kashí, die Strahlung mit dicken Wolken zu unterbinden, scheiterte, da Ka´i seine Bemühungen verstärkte und die Wolkendecke durchdrang.

Nun war es an Kashí, der seine zweite Niederlage hintereinander einstecken musste, sich zu sorgen. In diesem Moment begegnete er Keerralie, dem schicksalhaften Feuer. Nachdem dieser den Ausführungen des Kashí gelauscht hatte, antwortete er:

"Ka´i ist zu mächtig. Mit fairen Mitteln wirst du ihn nicht schlagen können."
"Was soll ich tun?", fragte ihn Kashí.
"Ka´is gesamte Macht steckt in seinem Hut. Ich werde ihn dir besorgen."

Und so entwendete Keerralie Ka´i während dieser schlief den Hut der Sonne.

Als Ka´i erwachte, traute er seinen Augen nicht. Hoch oben am Himmelsgewölbe sah er Kashí wandeln und einen silbernen Lichtschein gen Erde projizieren. Umgehend sprang er auf und in Richtung Kashí rasend schrie er diesem entgegen: "Gib mir meinen Hut zurück, du Verbrecher."

Als Kashí seinen Freund auf sich zustürzen sah, nahm er ebenfalls die Beine in die Hand und nun liefen und liefen und liefen sie hintereinander her immer rund herum um die Erde bis Kashí vorschlug, den Wettstreit zu beenden. Ka´i erklärte sich einverstanden und so beschlossen sie, dass Ka´i den leuchtenden Hut fortan am Tage tragen solle, während Kashí schlief und andersherum.

Und während von diesem Tage an Sonne und Mond abwechselnd die Erde beschienen, war Keerralie nicht mehr ganz wohl in seiner Haut, denn er hatte den mächtigen Ka´i bestohlen. Und so versteckte er sich in den Mangrovensümpfen an den Ufern des Maracaibosees und verließ nur noch im Schutze der Nacht, wenn Ka´i schlief und der Lichtschein gedämpft die Erde erreichte, das Dickicht, um mit seiner Erscheinung in Form von schicksalsträchtigen Blitzen über der Wasseroberfläche die Menschen zu erschrecken.

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2. Pfahlbauten: Ein zweiter Grund, warum man das Catatumbo-Delta besuchen sollte, sind die Pfahlbauten. Die Bewohner des Sees haben ihre Häuser teilweise im See auf Pfählen errichtet. Venezuela, zu deutsch Klein-Venedig, hat durch diese Bauart seinen Namen erhalten. Als Namensgeber gilt der italienische Entdecker Amerigo Vespucci, der im Auftrag der spanischen bzw. portugiesischen Krone in den Jahren 1501 - 1503 die Küstenregionen Venezuelas und Brasiliens erkundete. (Aufgrund dieser Entdeckungen und des phonetischen Wohlklangs des Namens Amerigo verlieh der deutsche Kartograf Waldseemüller 1507 dem ganzen Kontinent in seinen bald Welt bekannten Karten den Namen "Amerika".)

Es besteht die Möglichkeit im See auf einem Palafito, so nennen die Venezolaner ihre Pfahlbauten, zu übernachten, zu speisen und zu baden. Vorsicht ist geboten aufgrund der Stachelrochen. Zwar ist der See flach und man kann oftmals stehen, sollte das aber vermeiden. Ansonsten ist es himmlisch, wenn die sanfte Brise die Hängematte umspielt, von der aus man Ausschau hält nach in der Ferne leuchtenden Blitzen.

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Touren ins Catatumbo Delta/Maracaibosee
Touren ins Delta del Catatumbo starten in Mérida. Hierbei gibt es zwei Varianten:

1. Eine Ein-Tagestour, die früh am Morgen über die Schnellstraße nach El Vijia direkt zum See-Hafen Puerto Concha führt, von wo aus man für 5-6 Stunden mit dem Außenborder zur Erkundung des Deltas und des Sees aufbricht und abends nach Mérida zurückkehrt.

2. Eine Zwei-Tagestour, die der Ausfahrtsstraße Richtung Jají folgt. Der Weg führt hierbei zunächst durch den Sierra La Culata Nationalpark und ist rechts der Straße mit Wasserfällen gespickt. Nach einem kurzen oder ausführlichen (je nach Tour-Anbieter) Aufenthalt im koloniale Andendorf Jají gelangt man auf einer meist unbefestigten Straße durch subtropische Nebelwälder vorbei an Bromelien, Orchideen, Cecropien (Ameisenbäume) und riesigen Baumfarnen zum Dorf La Azulita. Mitten durch Kaffeeplantagen fahrend, erreicht man am Nachmittag Puerto Concha, den Ausgangshafen am Maracaibo-See. Nach einer Bootsfahrt durch die Mangrovenvegetation des Catatumbo-Deltas wird man zu den Pfahlbauten gebracht, in denen Hängematten als Nachtlager dienen. Nachts hat man zumeist die Chance, die Wetterleuchten über dem See zu beobachten. Am nächsten Tag folgt nach einem weiteren Bootsausflug die Rückfahrt nach Mérida über El Vijía und einen Canyon, dessen Vegetation aus Feigen- und Säulenkakteen besteht.

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Text + Fotos: Dirk Klaiber

TIPP: Die beiden Touren werden angeboten von: Casa Vieja Mérida / caiman Tours

Online Reiseführer Venezuela (reihe fernrausch)
Der Hauptteil des Reiseführers besteht aus Beschreibungen von Ausflugsmöglichkeiten in die Natur, in Form von ein- oder mehrtägige Touren, individuell oder mit Guide organisiert, und Abenteuertrips.





[kol_1] Brasilien: Buntes Treiben auf der Paulista
Bildergalerie: Die 11. Parada Gay in São Paulo

Schönstes Wetter, Rekordbesuch - was will man mehr? Auch dieses Jahr versammelten sich Schwule, Lesben und die so genannten "Sympathisanten" auf São Paulos Finanzmeile, der Avenida Paulista.
 
Dem Rassismus, Machismus und der Homophobie hatte man dieses Mal laut Motto - Für eine Welt ohne Rassismus, Machismus und Homophobie - den Kampf angesagt, und 3,6 Millionen Menschen folgten dem Aufruf. Nach der letztjährigen Ausgabe, die bereits 2,5 Millionen Menschen angezogen hatte und daraufhin im Guinnessbuch der Rekorde landete, konnte man die Besucherzahlen noch einmal kräftig steigern.
 
Aus ganz Brasilien und dem Ausland kamen Gäste in Brasiliens 20-Millionen-Metropole, um bei 31 Grad unter der Herbstsonne durch die Straßen zu ziehen. Für die Musik sorgten 23 Trio-Elétricos, zu fahrenden Bühnen ausgebaute LKWs, die von Nachtklubs und Diskotheken gesponsert wurden und teils mit Stars und Sternchen der Szene besetzt waren. Hier einige Blicke auf den netten Reigen:






Text + Fotos: Thomas Milz





[kol_2] Lauschrausch (live): Jarabe de Palo vs. La Vega Puerca

Jarabe de Palo mit seiner neuen Scheibe Adelantando
"Vorwärts" - Das ist das Motto der jüngsten Scheibe von Jarabe de Palo mit ihrem charismatischen Sänger Pau Donés. Und wer schon einmal Gelegenheit hatte, die mittlerweile seit zehn Jahren aufspielende Band live zu erleben, der will immer wieder hin. Und so konnte auch ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen und hörte mir das zweite Konzert der diesjährigen Deutschlandtournee in München an. Man merkt es gleich: die Hallen werden größer, das Publikum vielfältiger, aber der Sound bleibt unverkennbar und zwingt die steifen Hüften in den rockigen Latino-Rhythmus.

Ein reifes Album haben die Damen und Herren mit Adelantando herausgebracht und getreu ihrem Motto nimmt man es sprichwörtlich so, wie es nun mal kommen mag. Mit den schlechten Zeiten, mit den guten Zeiten, aber eben immer eins im Sinn: vorwärts! Es geht immer weiter. Irgendwie.

Zunächst allerdings beginnt es gemütlich: wir holen uns gerade die erste Maß im Biergarten an der Muffathalle, da sitzt die ganze Band plötzlich neben uns und schaufelt sich noch schnell Bratfisch inklusive gutem bayrischen Bier in die hungrigen bzw. durstigen Musikerkehlen. Ja, man spiele gern in Deutschland, erfährt man vom Gitarristen Jordi Mena. Warum? Die Leute seien nett, es sei entspannt und es mache ungeheuer viel Spaß, mit spanischer Musik in Deutschland erfolgreich sein zu können. Gerade, weil nicht alle die Texte verständen.

Es hat etwas von familiärer Atmosphäre und die Jungs und Mädels sind alles, nur nicht abgehoben. Man merkt, dass sie Spaß haben, hierzulande in den kleineren Hallen zu spielen. Noch ein kurzes Salud, hoch die Krüge und schon geht's zur Vorbereitung auf das Konzert, das sich sehen lassen kann. Keine komplizierte Bühnenshow, sondern ein erstklassiges Zusammenspiel von Pau Donés’ Rhythmus- und Jordi Menas Sologitarre, den femininen Bassläufen und der glasklaren Stimme Carmen Ninos, den Rhythmen von Alex Tenas und Quino Béjar vermischt mit dem virtuos verrückten Keyboarder Jorge Rebenaque. Letzterer ist im Übrigen auch einen Extrakommentar wert, weil er wirklich alles gibt auf der Bühne, als sei es sein letzter Auftritt. Die Tasten hat er im Griff und auch das Akkordeon gehorcht ihm willig, wenngleich er beide Instrumente manches Mal arg strapaziert. Das Publikum dankt es ihm mit lautstarkem Applaus nach Nummern wie La Flaca oder En el Puro no hay Futuro, wenn er mit seinen Sololäufen doppelt punktet. Und so ergibt sich ein gelungener Abend mit Latino-Rock-Sounds, die ihres gleichen suchen. Und das Publikum geht wunderbar mit, ist ausgelassen, tanzt, singt und man könnte fast meinen, man stehe irgendwo in einem Madrider Vorstadtklub, wenn da nicht mit großen Lettern Augustiner auf dem Bierbecher stehen würde. Offensichtlich sind alle Hispanophilen in die Muffathalle gekommen, um Jarabe de Palo live zu erleben. Und wer möchte es ihnen verdenken?

Es ist diese einzigartige Mischung von Pau Donés Kompositionen und seiner Stimme, die diese Band so speziell machen.

Natürlich werden neben den neuen Stücken wie Adelantando, No Escondes Tu Corazon, Ole, auch die älteren Hits wie Romeo y Julieta, La Flaca, Depende, El Lado Oscuro gespielt.

Schade ist allerdings einmal mehr, dass bei den Touren heutzutage alles derart durchorganisiert ist, dass nach dem letzten Lied unweigerlich das Licht angeht. Gut, mit Grita fand das Konzert einen würdigen Abschluss, aber wenn schon nach dem Abklingen des letzten Gitarrenakkords Retortenmusik aus den Lautsprechern kommt, dann hat das dieser Abend einfach nicht verdient. Normal ist es wohl, aber gewöhnen werde ich mich daran nicht können. Da hilft nur ein: Vorwärts, Blick nach vorn, das nächste Konzert ist nicht weit…


La Vela Puerca stellen ihre neues Album El Impulso auf Deutschlandtournee vor - theoretisch
Zum siebten Mal sind sie jetzt in deutschen Landen. Man kann also gar nicht mehr von einem Geheimtipp sprechen und dennoch: sie füllen noch nicht die ganz großen Hallen, aber zufrieden scheinen die Herren um die Sänger Sebastián Teysera und Sebastián Cebreiro allemal zu sein. Warum auch nicht?! Das neue Album El Impulso kommt hervorragend an in Lateinamerika und ist soeben auch in Deutschland erschienen, die im Mai absolvierte Spanientour lief ziemlich gut und nun lässt die Band den Europabesuch in Deutschland ausklingen, ehe das nächste Konzert Ende Juli im argentinischen Córdoba stattfinden wird, wo sicherlich mehr als 200 Leute zum Konzert kommen werden. Wahrscheinlich müssen dort noch zwei Nullen an die Zuschauerzahl dran gehängt werden.

Mit El Impulso entfernen sich die Uruguayer vom Ska Image, das ihnen anhaftet. "Mir war das eigentlich immer egal", erklärt mir Santi, der Gitarrist.

"Wir machen unsere eigene Musik und das ist wichtig. Aber es stimmt schon, die Scheibe ist eher rockero geworden und das passt ziemlich gut zu uns." Ja, rockig ist sie geworden, aber auch tiefgründiger als ihre Vorgänger. Und persönlicher. Die Texte sind auf der einen Seite recht düster und pessimistisch wie in Para no verme mas, aber hoffnungsvoll und lebensbejahend wie in Hoy tranquilo auf der anderen. "Enano (so heißt der Leadsänger Sebastán Teysera - Anm. d. Red.) schafft es einfach, die ganz alltäglichen Gefühle und Lebenssituationen in Liedtexte zu verpacken. Jeder kann sich damit identifizieren und das ist uns sehr wichtig", fügt Santi an. Musikalisch sind sie zwar noch unter dem Label Surco des berühmten Gustavo Santoalalla (erhielt seinen zweiten Oskar für den Soundtrack des Films Babel), aber für den Sound ist ein anderer zuständig: Juan Campodónico, der sagt, dass das Konzept der neuen Scheibe die Kreation einer Wand aus Gitarrensounds sei. Und diese Wand kommt auch live zum Tragen: Wenn die Klänge zu Colabore, Neutro und La Sin Razon angestimmt werden, dann hält es niemanden mehr in der kleinen Halle.

Leider blieben das die einzigen Songs der neuen Scheibe, die zum Besten gegeben wurden, was der Stimmung allerdings keinen Abbruch tat.

Zu kraftvoll ist die Show der acht Musiker und die drei vorherigen Scheiben können überdies mit einprägsamen Liedern aufwarten. Unter ihnen auch das in Uruguay am häufigsten im Radio gespielte Lied Llenos de Magia, welches das Konzert mit einem Paukenschlag eröffnete. Das Publikum konnte sich in den folgenden zwei Stunden und knapp 30 Liedern an einem musikalischen Mix aus Ska / Rock / Funk / Reggae erfreuen, in der Hoffnung, dass La Vela beim nächsten Mal mehr Songs ihrer aktuellen Scheibe dabei haben.

Text: Andreas Dauerer
Fotos: (C) 2007 Universal Music Group / La Vela
Warner / Jarabe de Palo
Cover: amazon.de





[kol_4] Erlesen: Lateinamerika-Management
Konzepte, Prozesse, Erfahrungen

Lateinamerika ist neben Europa der einzige Kontinent, auf dem deutsche Unternehmen Spitzenpositionen einnehmen. Rund 1.700 von ihnen sind dort tätig, die zum Beispiel in Brasilien etwa fünf Prozent der einheimischen Wertschöpfung erzielen. São Paulo gilt mit 800 Unternehmen als der weltweit wichtigste deutsche Industriestandort. Trotzdem ist das Interesse der deutschen Unternehmer (wie auch der Allgemeinheit) an der Region zurückgegangen, da man sich heute eher nach Osten orientiert. An diejenigen, die sich trotzdem dort engagieren wollen, weil die Märkte ein hohes Wachstumspotenzial bieten, und an Menschen, die in Lateinamerika arbeiten möchten, richtet sich dieses, auf dem deutschen Markt in seiner Zusammenstellung einzigartige Buch.

Nikolaus Schweickhart/ Lutz Kaufmann (Hg.).
Lateinamerika-Management.
Konzepte, Prozesse, Erfahrungen
Gabler Verlag
Wiesbaden 2004
660 Seiten
69,00 Euro

Der erste Teil des je nach Autor in deutsch oder englisch verfassten Buches umfasst verschiedene interessante Beiträge von zum Teil einschlägig bekannten Autoren – u.a. K. Bodemer und F. Foders - zur Politik und Wirtschaft der Region, die so aber auch anderswo zu finden sind und hier deswegen nicht weiter zur Sprache kommen.

Teil 2 des Werkes beschäftigt sich mit Corporate Governance (CG), im weitesten Sinne also der Herrschafts- und Verwaltungsstruktur in einem Unternehmen. Da lateinamerikanische Unternehmen eher eine hierarchische Ordnung kennen, ist es wichtig, sich mit diesem Punkt zu beschäftigen. Deutsche Investoren und Berater sollten die CG-Praktiken vor Ort - zu denen auch die Managementkultur zählt - kennen, denn eine gute CG steigert den Unternehmenswert und -erfolg. Die Fallstudien zu Brasilien und Argentinien in diesem Teil helfen sicher bei einer Entscheidung. Eine funktionierende CG kann aber nur erwartet werden - so Weigand in seinem Beitrag -, wenn auch der Staat und seine Institutionen vertrauensvoll arbeiten und handeln, wenn also die Korruption gering und vor allem der Schutz von Eigentumsrechten gewährleistet ist, da sich sonst eine langfristige Planung nicht lohnt (S. 167).

Der dritte Teil widmet sich den deutschen Unternehmen vor Ort und da vor allem der Automobilindustrie, die in Lateinamerika schon sehr lange und stark vertreten ist. Man erfährt humorvolle Details zur Gründung der VW-Werke in Mexiko (S. 267), vor allem aber geht es um Marktanteile, Zulieferer und Strategien von Mercedes in Brasilien und VW in Mexiko und Brasilien. Eine interessante Grafik auf S. 253 verdeutlicht die enormen Unterschiede der Straßennetze in Brasilien und Deutschland. Weitere Beiträge thematisieren die Pharmaindustrie sowie Logistik- und Nahrungsmittelunternehmen.

Der interessanteste Teil für die meisten Leser dürfte der vierte sein, in dem es hauptsächlich um interkulturelles Management geht. Denn das ist gerade für Deutsche sehr wichtig, da sie mit ihren Geschäfts- und Verhandlungspraktiken ziemlich alleine auf der Welt sind. Kaum jemand ist so direkt und ungeduldig wie wir, und trennt Beruf und Privates so strikt. "Business is personal" gilt in Lateinamerika, aber auch in Spanien oder den USA, zwischen Geschäftspartnern viel stärker als in Deutschland.

Vorausschickend möchte ich dazu bemerken, dass der von den Autoren Garff und Illing in ihrem Beitrag verwendete Begriff "Human-Material" (S. 527), sei er auch in der Personalersprache evtl. gängig, menschenverachtend ist, denn es geht um eben solche und nicht um "Material". Keine gute Reklame für die Deutsch-Argentinische Handelskammer, bei der die Autoren beschäftigt sind.

Deutsche Führungskräfte und Mitarbeiter, die sich nicht intensiv mit der Mentalität der lateinamerikanischen Bevölkerung und ihrer (Arbeits-)Kultur beschäftigt haben, werden Probleme bekommen, die ein interkulturelles Training verhindern oder zumindest abschwächen kann, vor allem bei der Auswahl von Mitarbeitern. Ein erster Schritt ist es, die Beiträge in diesem Kapitel zu lesen. Hier eine Auswahl an Situationen: Man sollte möglichst immer freundlich sein, keine Vergleiche des Gastlandes mit Deutschland ziehen und negative Äußerungen über Missstände vermeiden, das erledigen die Einheimischen meistens von selbst. Konflikte werden nicht in der Öffentlichkeit ausgetragen, höchstens mal als vermeintlich witzige Bemerkung.

Persönliche Beziehungen zwischen den Mitarbeitern spielen eine große Rolle, der Vorgesetzte ist eine "Vaterfigur". Ihm wird absoluter Respekt gezollt, man erwartet Führungsstärke, aber evtl. auch Lösungsvorschläge für private Probleme. Das alles belegen die wenigen Studien, die bisher zu lateinamerikanischen Managern und Unternehmen erstellt wurden und die Anabella Davila zitiert. Den besten Beitrag des Kapitels leistet meiner Meinung nach Andreas Kissling, der alle diese Probleme aufgreift. In "German Expatriates in Mexico" beschreibt der Manager das Verhalten der lateinamerikanischen Mitarbeiter, liefert dafür Erklärungen, die auf den kulturellen Unterschieden basieren, und versucht mit seinen Lösungsvorschlägen auch Verständnis für ihre "Andersheit" zu vermitteln. "Wie motiviere ich meine einheimischen Mitarbeiter ohne meine eigenen Vorstellungen aufzugeben", lautet seine Leitfrage. So bietet er "flexible Deadlines" als Kompromiss zwischen den beiden so grundverschiedenen Zeitkonzepten Deutschlands und Lateinamerikas an. Er thematisiert, warum der äußere Eindruck eines Mitarbeiters wichtig ist, sein Aussehen und seine Umgangsformen, und dass die gezeigte Höflichkeit nicht gleichbedeutend mit Respekt für die andere Person ist. Aber auch die Kritik an Mitarbeitern, die Eigen- und Selbstbestimmtheit und das kurzfristige Denken und Handeln werden von ihm in breitere kulturelle Zusammenhänge eingebettet.

Anabella Davila regt zur Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit mehr vergleichende Länderstudien an, von denen es für Deutschland und die lateinamerikanischen Staaten nur ansatzweise etwas zu Deutschland-Mexiko gibt. Wichtig sind Studien zu einzelnen Ländern, da in der täglichen Arbeit der Teufel oft im nationalen Detail liegt (S. 575).

Das abschließende Kapitel beschäftigt sich mit der Rolle der Außenhandelskammern und der Kapitalmarktentwicklung.

Fazit: Ein gelungener Band für RWL- und BWL-Studenten, aber auch alle anderen, die in Lateinamerika erfolgreich in einem Unternehmen arbeiten oder ein Praktikum absolvieren möchten, und natürlich für Unternehmer, die dort tätig sind oder es werden wollen.

Text: Torsten Eßer
Foto: Gabler Verlag






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