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[kol_3] Pancho: Gesellschaftsfähig trotz Chilischote
Interview mit einem kleinen scharfen Psychotiger

Warum man mich Tiger nennt? Weil ich mir die Sonne auf den dicken Bauch scheinen lasse, der mit seinem Hang zum Faltenwurf nicht alle Stellen freigibt, mit dem Ergebnis wunderbarer Streifen. Warum man mich scharfer Tiger nennt? Weil das Streifenkätzchen ohne Chilischote niemals das Haus verlässt. Warum man mich kleiner scharfer Tiger nennt? Das würde ich auch gern wissen.



Wo liegt das Problem des kleinen scharfen Tigers? Das Essen ist zu fad. Solange ich mich in trauten Kreisen bewege, in denen mein kleines Laster bekannt ist, kann ich mit Chili nachwürzen wie es mir beliebt. Folge ich aber Einladungen ins Ungewisse, so mache ich mir Gedanken: Wie werden sie sein, die Gastgeber? - Du wirst dich wundern, wie verletzlich selbst die scheinbar liberalsten Menschen in Bezug auf ihre Kochkunst reagieren. Schon die Frage nach Salz kann den Abend beenden. Mindestens genau so schlimm ist ein unangetasteter Teller. Ich habe versucht mich als Frutaner, der sich ausschließlich von Fallobst ernährt, auszugeben. Aber einem Tiger nimmt man das nicht wirklich ab.

Eine recht verlässliche Methode, um festzustellen, ob der Frage nach dem Gebrauch des eigens für diesen Abend gezüchteten Chilis mit lässiger Gleichgültigkeit oder gar freudig interessiertem Wohlgefallen begegnet wird, ist die des mehrfachen Besuchs der Gastgebertoilette. Natürlich ist das erste Anzeichen eines unverkrampften Haushaltes das Fehlen von witzigen Abbildungen mit durch ein rotes Kreuz kastrierten Strichmännchen. In Hinblick auf den Feuervogel, der es liebt von hinten durch die Beine zu sausen und dann hämisch zu grinsen (da erschreck ich mich immer so), ist es im Sinne Feng Shuis zumindest von Vorteil, wenn sich die Toilettentür nicht direkt gegenüber der Eingangstür befindet und eine Flucht mit dem Fenster bildet. Und Lesestoff in Reichweite zeugt natürlich von Gemütlichkeit. Nun aber zum Eigentlichen: Brille unten - Brille oben. Deckel auf - Deckel zu. Brille hält nicht.



Ich sag mal so: In einer reinen Männerrunde, vor allem an Abenden, an denen Bierkisten als Sitzgelegenheiten dienen, erübrigt sich die Erörterung der Konstellation zwischen nackter Toilette, Brille und Deckel. An allen anderen, gerne auch als kultivierte Form des Zusammenseins bezeichneten Abenden reicht ein Gang allein zum Bad meist nicht aus. Nehmen wir einmal an, wir haben es mit einem gastgebenden Pärchen zu tun: Wenn man schnell herausfindet, wer den dominanten Part in der Beziehung inne hat und seine Dominanz persönlich schon früh am Abend die Toilette aufsucht, dann darf man in diesem Glücksfall nichts unversucht zu lassen, sich umgehend nach seiner Dominanz in das Bad zu mogeln, um zu examinieren. Denn wenn man sich hier bei zukünftigen Gängen an die soeben erforschte Vorgabe hält, kann man die möglichen Fauxpas, die man an einem solchen Abend begehen kann, schon mal erheblich reduzieren. Im Nachhinein wird es positiv ausgelegt werden, wenn sich die Gastgeber über den Event unterhalten und der weniger dominante Part der beiden deinen Chiliauftritt - vielleicht um sich zu profilieren - verteufelt, der dominante Part dann aber kontert: sein Toilettenverhalten jedenfalls ist geradezu vorbildlich.

Natürlich besitzt man nicht immer dieses Glück und im schlimmsten Fall sogar handelt es sich bei ihr (nennen wir den dominanten Part einfach mal Sie, ausgehend von einem Heteropärchen) um eine Weintrinkerin mit schwachem Zug. Dies könnte bedeuten, sie geht gar nicht oder nur ein mal für Pipi. Glänzen ist dann natürlich ausgeschlossen, da, selbst wenn man den Zeitpunkt abpassen und sich direkt nach ihr einbucht, sie deine Aufmerksamkeit nicht mitverfolgen kann.

Warum ich nicht einfach immer die Brille herunterklappe? Bisschen einfältig die Frage. Es gibt scheinbar keine allgemein gültigen Verhaltensregeln zur Positionierung der örtlichen Klappen. Ich habe sowohl - immer im guten Glauben, alles richtig gemacht zu haben - mit der Komplett-Verschlusstechnik wie auch mit der alles Öffnenden, Häme und Spott vor versammelter Mannschaft erfahren. Einzige Regel, so voll du auch sein magst, außerhalb der geschlossenen Tür deines kleinen Paradieses möchte wirklich niemand geräuschvoll umplätschert werden.

So oder so aber lohnt es sich die Toilette so oft als möglich aufzusuchen, aus zweierlei Gründen:
1. Man erfährt, wie sich die anderen Gäste verhalten und kann im Streitfall ihr geräuschvoll schamloses oder aber ihr Brille platzierendes unachtsames Verhalten gegen sie verwenden.

2. Natürlich möchte man sich nicht anmerken lassen, dass man aus inspizierenden Gründen die Toilette aufsucht und tarnt dies frequentierende Unterfangen durch Flüssigkeitsaufnahme. Das hat den entscheidenden Vorteil, dass die Sinne schneller benebeln und die Schamgrenze sinkt, was das Zücken der Chilischoten bei Tisch erleichtert.



Wie der kleine scharfe Tiger mit den Chilischoten verfährt? Dies hängt nicht zuletzt von dem oben Ausgekundschafteten ab. Die allgemeine Stimmung und der Gesamteindruck der Wohnung sind dabei ebenfalls Einflussfaktoren. Fühle ich mich richtig wohl, dann schenke ich der Runde ein Strahlen, ziehe eine handvoll scharfer Früchte aus der Tasche und brösele sie mir über die Speisen, "Mmmmh lecker" in Richtung Köchin und Koch heuchelnd. Läuft der Abend auf 60-90 Prozent, dann zerbrösele ich die Schoten möglichst unauffällig - es ist in solchen Momenten von Vorteil, wenn Alleinunterhalter anwesend sind - bereits in der Tasche, ziehe die rechte Faust, in der ich das Pulver verberge, in Richtung Mund und täusche ein leichtes Husten vor, bei dem sich die Hand schwungvoll aber dezent öffnet und der Inhalt über den gesamten Teller rieselt. Ist die Speise jedoch am Tisch Thema Nummer eins und/oder die Gastgeber loben ihre eigenen Kochkünste in den Himmel, eventuell begleitet von einem Hauch nervöser Unentspanntheit, dann entschuldige ich mich, suche den bekannten Ort auf und schiebe mir solange Chilischoten unter die Zunge bis mir der Schweiß von der Stirn rinnt und mich der Schmerz fast umbringt. Zurück zu Tisch täusche ich dann einen Schwächeanfall vor und flüchte im Taxi.

Warum man mich kleiner scharfer Psychotiger nennt? Miau. Miau. Hamm. Hamm.

Text + Fotos: Dirk Klaiber