brasilien: Paule und Paulo an der weißblauen Torwand
Breitner und Sérgio am Rio Pinheiros
THOMAS MILZ
[art. 1]
spanien: Tanausú – König der Guanchen
Ein historischer Roman von Harald Braem (Buchrezension)
BERTHOLD VOLBERG
[art. 2]
brasilien: Olinda - Oh! Schöne Lage für ein Städtchen Teil II
NICO CZAJA
[art. 3]
kuba: Wie kann er nur so geduldig sein?
SARAH LINDNER
[art. 4]
grenzfall: Das globale Verständnis
Pfingstsonntag in São Luís de Piraitinga
THOMAS MILZ
[kol. 1]
amor: Zwei der schönsten Hotels der Dominikanischen Republik
DIRK KLAIBER
[kol. 2]
lauschrausch: Weltmusikmesse Womex III
TORSTEN EßER
[kol. 3]
macht laune: Den Profis über die Schulter geschaut
NIL THRABY
[kol. 4]





[art_1] Brasilien: Paule und Paulo an der weißblauen Torwand
Breitner und Sérgio am Rio Pinheiros

So zahlreich waren die Vertreter der deutschen und brasilianischen Wirtschaftsgemeinde erschienen, dass die mit weißer Fliege ausstaffierten Kellner Schwierigkeiten hatten, ihre vor Weißbiergläsern überquellenden Tabletts sicher durch die Räume des deutschen Clubs im Süden São Paulos zu manövrieren. Schon zu früher Mittagsstund genoss man das hefige Gebräu an den Ufern des träge vor sich hintrübenden Rio Pinheiros aus vollen Gläsern. Dazu erfreute ein reichhaltiges Buffet die Herzen der Anwesenden.

"Wir sind nicht mehr die Quadratköpfe, die cabeças quadradas, für die uns immer alle gehalten haben", ruft Paul Breitner dem Publikum entgegen, und als der Fußballweltmeister von 1974 noch hinzufügt: "Wir würden uns freuen, wenn Brasilien Weltmeister werden würde", bleibt einigen Gästen die Weißwurst fast im Halse stecken. Der bayrische Staatsminister Erwin Huber, der mit Breitner und dem brasilianischen Weltmeister von 1994, Paulo Sérgio, auf einer Werbetour für die WM 2006 durch Südamerika unterwegs ist, freut sich über die gute Stimmung im Saal. Schließlich greift er selber zum Mikro, um den Anwesenden eine Kostprobe seiner Portugiesischkenntnisse zukommen zu lassen. "Und ich verspreche, ich werde noch mehr lernen", fügt er noch auf Bayrisch hinzu, bevor es zum obligatorischen Showdown an der Torwand kommt. Jeder zwei Schuss, zuerst einen unten rechts, dann einen oben links!

"Im Prinzip ist der Weltfußball in den letzten 31 Jahren nicht besser geworden. Ups, jetzt bin ich wahrscheinlich zum ersten Mal in meinem Leben diplomatisch gewesen." Breitner grinst verschmitzt. Gefühlvoll tritt er den Ball, der daraufhin willig in das Loch untere rechte Torloch fliegt - 1:0.

"Der Fußballsport hat sich enorm verändert, und eben nicht zu seinem Vorteil. Und dazu haben vor allen Dingen wir in Deutschland und die Aktiven in den umliegenden Fußballländern beigetragen, weil wir das Verhältnis von Technik und Kraft immer mehr zu Gunsten der Kraft und zu Ungunsten der Technik verschoben haben. Es heißt nicht umsonst, dass wir Deutschen in den letzten 10, 15 oder sogar 20 Jahren den Fußball zuviel gearbeitet und zu wenig gespielt haben." Breitner schaut kurz auf, nimmt Maß und versenkt die Kugel oben links - 2:0.

Behände greift sich Paulo Sérgio den Ball. Breitner beobachtet ihn gespannt aus den Augenwinkeln. "Wir sind dabei, die führenden internationalen Fußballländer zu beobachten und da vor allen Dingen Brasilien und Argentinien, um wieder den Anschluss an die absolute Weltspitze wieder zu finden. Doch für unsere Nationalmannschaft kommt diese Weltmeisterschaft wahrscheinlich zwei bzw. vier Jahre zu früh. Ich sag das aus heutiger Sicht, dnn wir sind auf einem guten Weg. Aber ob es zu einer Finalteilnahme reicht, das würde ich für den heutigen Tag als sehr unwahrscheinlich erachten."

Knallhart semmelt Paulo Sérgio den Ball unten links in das kleine Torloch - 1:2. Er zupft sich noch einmal die Hose zurecht, dann nimmt er wieder Anlauf. "Für mich ist Brasilien der absolute WM Favorit. Bisher hat man immer gesagt, eine brasilianische Mannschaft kann keine WM in Europa gewinnen, aus welchen Gründen auch immer. Dafür gibt es jetzt, da viele der Nationalspieler in Europa spielen, überhaupt keinen Grund mehr. Ob Ronaldo, Ronaldinho oder Lúcio, alle wissen wie und wohin der Fußball in Europa läuft." Während Breitner noch über die deutschen Chancen sinniert, versenkt Paulo Sérgio seinen zweiten Ball - 2:2.

Die Entscheidung muss Staatsminister Huber bringen. Doch dessen erster Schuss findet nicht das untere rechte Torloch. Skeptisch beäugt er das obere linke, das erfahrungsgemäß schwierigere... "Sie können auch zweimal auf das untere schießen, Herr Minister." Doch davon will Huber nichts wissen.

Stattdessen lupft er den Ball hoch über die Torwand hinweg und mitten hinein in die Sponsorenbanner. "Ich schlage vor, wir holen noch jemand aus dem Publikum dazu."

"Es ist ja sehr einfach zu sagen, die Brasilianer hätten den Fußball im Blut." Breitners Blick gleitet geduldig durch die Zuschauerreihen. "Aber was einen großen Unterschied ausmacht, ist die etwas andere Motorik der Brasilianer. Der Brasilianer bewegt sich mit dem Ball, der Ball ist Teil seines Körpers, während bei uns der Ball meist unser größter Feind ist. Dazu kommt aber noch, dass wir seit einiger Zeit in Deutschland einen Wohlstand erreicht haben, der es unseren Kindern nicht mehr abverlangt, zu beißen, zu kämpfen, zu rennen und zu hoffen, dass sie über den Fußball wirtschaftlich und sozial nach oben kommen, so wie das bei meiner Generation noch der Fall war."

"Ich heiße Kerstin und arbeite im deutschen Konsulat", sagt die Frau aus dem Publikum mit den roten Haaren und tritt in den Kreis der Torwandschützen.

"Wenn man hier durch São Paulo oder Rio fährt und sieht, wie jeder noch so kleine Flecken, ob Wiese, Parkplatz oder sonst was, zum Fußballspielen benutzt wird, ob 2 gegen 2, 5 gegen 5 oder 11 gegen 11, dann wird einem klar, dass dies die Quelle für die nächsten Jahre und Jahrzehnte ist. Hier werden immer und immer wieder neue Ronaldos im Dutzend herausgebracht." Breitner schießt daneben. Jetzt ist Paulo Sérgio dran. Er könnte alles klar machen, doch auch er scheitert an der Torwand.

Kerstin macht es mit ihren hochhackigen Schuhen besser und versenkt die Pille zu ihrer eigenen Überraschung ganz trocken. "Ich habe das vorher nicht geübt, ich schwöre", sagt Kerstin vom deutschen Konsulat. Motorik hin oder her, die Deutschen haben es halt einfach im Blut.

Text + Fotos: Thomas Milz

Und hier noch ein Zugaben-Zuckerl für alle Fußballfans. Wofür Paule ne halbe Stunde braucht, das sagt der Paulo in drei Sätzen:

Kann überhaupt irgendeine Mannschaft Brasilien bei der WM 2006 schlagen?
Paulo Sérgio: Ich hoffe nicht. Ich hoffe, dass Brasilien mal wieder der Gewinner sein wird. Das Team dazu haben wir, großartige Spieler haben wir auch, und wenn man sich gut vorbereitet und sich alle darauf konzentrieren, dann haben wir auch gute Chancen, zu gewinnen.

Und was ist mit Argentinien?
Paulo Sérgio: Argentinien zählt immer zu den Favoriten. Es gibt schon einige gute Teams, die auch Favoriten sind, aber wenn wir Brasilianer uns konzentrieren und unsere Spieler ihr Potential abrufen, haben wir gute Chancen zu gewinnen.

Was denkst Du über die Deutschen?
Paulo Sérgio: Deutschland ist immer eine große Kraft, und hat das auch immer gezeigt. So wie bei der letzten WM als sie großartigen Sport gezeigt haben, was niemand in der Form erwartet hatte. Sie sind diszipliniert, die Spieler haben einen auf Sieg programmierten Charakter.






[art_2] Spanien: Tanausú – König der Guanchen
Ein historischer Roman von Harald Braem (Buchrezension)

In den Geschichtsbüchern, die sich dem Beginn der Neuzeit widmen, ist diese Episode aus dem Jahr 1492 nur eine Fußnote wert: eine winzige Notiz im Windschatten der "Entdeckung" Amerikas durch Kolumbus. Die Eroberung der kleinen Kanareninsel Benahoare (später von den spanischen Eroberern La Palma genannt) ist das Thema des historischen Romans "Tanausú – König der Guanchen" von Harald Braem, der 2003 vom Zech Verlag auf Teneriffa publiziert wurde.


Historischer Roman von La Palma
Harald Braem: Tanausú - König der Guanchen
Roman, Zech Verlag, Teneriffa 2003 (3. Aufl.), 288 S., illustriert
ISBN 84-933108-0-8

Was in vielen historiographischen Werken nur in einem Satz erwähnt wird, war für die Eroberten, das Volk der Guanchen, der Zusammenbruch ihrer Welt und für die Sieger die Entdeckung einer neuen – auch wenn die meisten von ihnen das nicht zu würdigen wussten. Der dramatische Zusammenprall zweier Kulturen, der europäisch-katholischen und der weißafrikanisch-kanarischen, der mit der Einverleibung der herzförmigen Insel La Palma ins spanische Imperium enden sollte, bildet den Hintergrund für die Romanhandlung. Der Autor beginnt seine Erzählung mit einer Rückblende, in der einer der ältesten Guanchenkrieger dem jungen Bencomo, der Hauptfigur des Romans, vom ersten Invasionsversuch der Spanier unter Guillén Peraza berichtet. Damals konnten die Guanchen die spanischen Eindringlinge noch in der Schlucht der Todesängste besiegen. Aber der Alte warnt vor einer möglichen Rückkehr der Konquistadoren und bekanntlich sollte er Recht behalten.

Alonso Fernández de Lugo, der schon Gouverneur der soeben endgültig eroberten Insel Gran Canaria war, gelingt es, die Katholischen Könige Ferdinand und Isabela davon zu überzeugen, dass die Eroberung der restlichen Kanaren La Palma und Teneriffa ein gewinnbringendes Unternehmen sei. Originell ist die Ironie von Harald Braem, der König Ferdinand von Aragón Worte in den Mund legt, mit denen er sich über Kolumbus abfällig äußert, den er als Phantasten bezeichnet, dessen drei Schiffe wohl nie mehr aus dem Nirgendwo zurückkehren würden. Da war La Palma doch ein viel handfesteres Ziel mit kalkulierbarem Risiko.

So erscheinen die Schiffe der Konquistadoren um Alonso de Lugo in der Bucht von Tazacorte und fortan praktiziert der Autor einen geschickten Standortwechsel. Er verbirgt zwar nicht, dass seine Sympathien eindeutig auf der Seite der besiegten Guanchen liegen, aber seine Geschichte gewinnt an Glaubwürdigkeit und Spannung dadurch, dass er sie aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Zunächst beschreibt er den unerwarteten Anblick der spanischen Invasionsschiffe aus der Sicht der entsetzten Guanchen, die ahnen, dass dies das Ende ihrer kleinen freien Welt ist. Danach schildert er die ersten Eindrücke der Spanier von der exotischen Insel. Neben dem Anführer De Lugo baut er dabei die ihn begleitenden Missionare zu weiteren Hauptfiguren auf spanischer Seite auf. Dem fanatischen, von Inquisitionseifer und Kreuzzugsmentalität getriebenen Pater Innozenz stellt der Autor den idealistischen Pater Ángel und den unschuldigen jungen Mönch Domingo gegenüber. Domingo spürt immer stärkere Abscheu vor der Gewalt und zunehmenden Brutalität, mit der seine Spanier zum Beispiel nach der Schlacht bei den Mondbergen im Süden der Insel gegen die Besiegten vorgehen. Seine Zweifel machen ihn zum Gewissen der Konquistadoren, obwohl er kaum wagt, seine Verurteilung offen zu äußern - er vertraut sie nur seinem Tagebuch an. Der junge Mönch ist hin und her gerissen zwischen der Angst vor dem Unbekannten und der zaghafter Faszination für das rätselhaft Neue. Symbolisch wird dies angedeutet, als er widerstrebend eine Tonfigur der Erdgöttin Tara behält, obwohl dies als Ketzertum gilt.

Überhaupt gelingt es dem Autor Harald Braem, seine fundierten Kenntnisse über die Mythologie, Religion und Sitten der Ureinwohner von La Palma in die Handlung einzuflechten und diese Informationen spannend verpackt dem Leser zu vermitteln. So erfährt man nicht nur etwas über die Erdgöttin Tara, sondern auch über den Dämon aus dem Vulkankrater (Guayote), vor dem die Guanchen angstvoll erzittern, über die klosterähnlich lebenden Heilfrauen (Harimaguadas) und die zentrale kultische Bedeutung der inmitten des Riesenkraters aufragenden phallischen Felsnadel des Roque de Idafe, der von den Guanchen als Stütze des Himmels verehrt wurde und auch heute noch ein geheimnisvoller Ort ist. Zu den absoluten Höhepunkten des Romans gehört für mich die Beschreibung des Initiationsritus, an dem Mazo, der halbwüchsige Bruder von Bencomo, teilnimmt. Es ist eine Mutprobe, die ihn zum Krieger machen soll. Dabei werden die Gefühle Mazos, seine Grenzerfahrungen und die Todesangst während der lebensgefährlichen Bewährung mit fast mystischer Intensität beschrieben.

Wenn man die Protagonisten auf der Seite der Guanchen betrachtet, so ist es anfangs etwas irritierend für den Leser, dass der titelgebende Guanchenkönig Tanausú gar nicht die eigentliche Hauptfigur des Romans ist. Er spielt zunächst lediglich eine Nebenrolle, bevor er im letzten Drittel der Erzählung in den Mittelpunkt rückt, als er die Führerschaft der Guanchen im Zuge ihres letzten Aufbäumens gegen die spanischen Invasoren an sich reißt. Und als er schließlich nach der entscheidenden Niederlage (deren Schauplatz die Schlacht der Todesängste war) am Ende als Sklave an den Mast des Schiffes gekettet von Lugo gen Cádiz segelt, verkörpert er das ganze tragische Schicksal des Guanchenvolkes.

Harald Braem ist mit "Tanausú" ein höchst empfehlenswerter historischer Roman gelungen. Wenn man ihm eines vorwerfen kann, dann vielleicht, dass er die Geschichte an einer besonders interessanten Stelle abrupt abbricht. Nämlich in dem Moment, als der Guanchenkrieger Bencomo, der als einer der wenigen den spanischen Sklavenjägern entkommen kann, den jungen spanischen Mönch bewusstlos neben dem Schlachtfeld findet. Wie diese Begegnung nun weiter geht, hätte man als Leser schon gerne gewusst. Aber das wäre wohl schon eine neue Geschichte.

Text: Berthold Volberg
Foto: Zech Verlag






[art_3] Brasilien: Olinda - Oh! Schöne Lage für ein Städtchen Teil II

Die heutigen Bewohner Olindas sind keine reichen Zuckerpflanzer. Ganz im Gegenteil: Zwar gibt es den einen oder anderen gut verdienenden Restaurantbesitzer in der Oberstadt, aber ein großer Teil der Einwohnerschaft, Künstler, Studenten und Familien, lebt in einfachen Verhältnissen. Trotzdem darf Olinda wieder schön sein - und muss es sogar. Die UNESCO hat die Altstadt, eine der größten und am besten erhaltenen Stätten kolonialer Architektur in Brasilien, zum Weltkulturerbe erklärt. Die Häuser, von außen ganz klein und von innen riesig, leuchten in den buntesten Farben wie eh und je. Nur der Grund ist heute ein anderer als damals: Früher war die Farbgebung weniger ein ästhetischer als ein zweckmäßiger Entschluss, denn es gab keine Hausnummern, und einen Brief adressierte man an das rosa Haus mit den blauen Fenstern.

Das numerische Ordnungssystem kam erst später, und das erklärt vielleicht auch, warum die Hausnummern heute mit einer gewissen sympathischen Willkür verteilt sind. Die groben Kopfsteine des Straßenpflasters sind zum Teil noch immer dieselben, die seinerzeit die Holländer legen ließen.


Es findet sich kaum ein Stück der Stadt, das nicht eine lange Geschichte zu erzählen hätte. Steigt man auf den Berg, auf dem vor über vierhundert Jahren Duarte Coelho seine Stadtgründung beschloss, überblickt man zwei Welten: Am Abhang, bis hinunter zum Meer, zwischen Palmen, Büschen und tropischen Obstbäumen recken barocke Kirchen mit zwei Glockentürmen und alte Prachtresidenzen gelassen ihre Häupter. Dann das Meer, jeden Tag in einer anderen Schattierung zwischen türkisgrün, tiefblau und silbergrau - und auf der anderen Seite der Bucht Recife, heute eine Millionenstadt, Hochhaus an Hochhaus, bis die grauen, eckigen Konturen sich im gelblichen Dunst verlieren. Der Anblick ist jedes mal aufs Neue beeindruckend, und um so mehr, da man weiß, dass dieser Kontrast sich nicht auf Äußerlichkeiten beschränkt: Die große Stadt ist chaotisch, voller Autos, die ununterbrochen im Stau stehen, voller Bauruinen, Lärm und Geschäftigkeit, Bewegung und Unruhe.

In Olinda dagegen gehen die Leute langsam, vorzugsweise in Badelatschen. Man kennt sich, man grüßt sich, man kauft sein Obst, indem man durchs Fenster ruft, wenn der Obstmann vorbeikommt, mit seinem klapprigen Pickup, die Ladefläche voller Bananen, Ananas, Orangen, Guaven, Maracujas und Papayas.

Und hat man kein Kleingeld, dann zahlt man eben morgen. Oder übermorgen.

In Olinda lebt auch der alte Mann, der antiken Kleinkram restauriert. Er läuft, hin und wieder eine Singer-Nähmaschine auf dem Kopf balancierend, die Straßen hinauf und hinunter.

Mit Sicherheit ist einer der Gründe, warum zumindest ich ihm das Schmuckstück nicht abkaufe, die Tatsache, dass er einfach ein so schönes Bild abgibt: ein alter Mann mit einer noch älteren Nähmaschine auf dem Kopf, einen bronzenen Kerzenleuchter in der einen, einen mit Blüten bemalten Porzellannachttopf in der anderen Hand und das Rasseln von antiken Münzen in der Hosentasche.

Und zwischen all diesen pittoresken Szenen allgegenwärtig: Die Touristen. Brasilianische, meist in Gruppen von fünfzig oder mehr, die sich von einem Stadtführer mit lauter Stimme Jahreszahlen und Anekdoten erzählen lassen, und andere, die Individualreisenden aus dem Rest der Welt, die den Stadtführern, die wie in Polohemden gekleidete Geier unten an der Bushaltestelle sitzen und auf Kundschaft warten, meist nicht ins Netz gehen, schon allein deshalb, weil sie deren Sprache in der Regel nicht verstehen.

Es gibt mindestens vier verschiedene Vereinigungen in Olinda, die Stadtführer ausbilden, und jede von ihnen macht ihre Schüler durch ein anderes buntes Polo-Shirt erkennbar. Leider ist diese Ausbildung in den meisten Fällen nicht die profundeste, und das, was den guías oft zu fehlen scheint, ist Identifikation mit der Geschichte ihrer Stadt. Man merkt ihnen an, dass sie diese Arbeit machen, weil sie nichts Besseres finden, und nicht weil es ihnen Freude macht, den Fremden ihre Heimatstadt zu präsentieren. In Olinda gibt es kaum jemanden, der nicht wenigstens um ein paar Ecken am Tourismus mitzuverdienen versucht, und wenn man es sich nicht leisten kann, ein Hotel zu eröffnen, und es an Ambitionen für ein Kunstatelier fehlt, dann entscheidet man sich eben für die Ausbildung zum Stadtführer. Die dauert nicht lange, und am Ende bekommt man ein obskures Ausweiskärtchen mit Foto und darf sich guia local nennen.

Zu manchen Zeiten gibt es mehr von diesen guias locais als Touristen; dann laufen sie zu dritt oder zu viert hinter jedem Auto her, das in die Altstadt fährt, recken ihre Ausweise in die Höhe und pfeifen und gestikulieren in die Richtung der besten freien Stellplätze, um zumindest als Parkplatzwächter ein paar Centavos zu verdienen.


Zu anderen Zeiten allerdings sind die Touristen zahlreich, womöglich zahlreicher als die Einheimischen, insbesondere, wenn der Karneval vor der Tür steht, der in den letzten Jahren von einem Insidertipp zu einem der populärsten in ganz Brasilien geworden ist. Was die Einwohner von Olinda angeht, hat man allerdings den Eindruck, dass kein Tag vergeht, an dem der Karneval sein ungeduldiges Warten vor der Tür unterbricht: Kaum ein Abend, ohne dass man von irgendwoher Trommeln hört; vielleicht ein Maracatu oder eine Sambagruppe, die das ganze Jahr für ihren großen Auftritt proben, meistens draußen, auf einem öffentlichen Platz, damit auch die Zuschauer sich schon einmal ein Bild machen können; kaum ein Atelier, in dem nicht mindestens ein Drittel der Bilder karnevaleske Straßenszenen vor olindenser Kulisse zeigen. Olinda hat eine reiche Kunsthandwerkstradition. Holzschnitte, Malereien, Keramiken, Schnitzereien werden an jeder Ecke ausgestellt und feilgeboten, und es gibt kaum ein Motiv, das nicht auf irgendeine Weise einen Bezug zum Karneval herstellt.

Während der Tage des lang erwarteten Ereignisses teilen all die Unglücklichen, die ihre Bleibe nicht besitzen, sondern nur mieten, ein unangenehmes Schicksal: Für das Fest müssen sie sich eine andere Unterkunft suchen, denn in nahezu jedem olindenser Mietvertrag ist festgeschrieben, dass während dieser vier Tage die Unterkunft an Fremde vermietet wird, für astronomische Beträge.

Der Mieter verlässt sein Heim für diese Zeit, und der Besitzer streicht ein paar tausend Reais ein, die eine von weither angereiste Horde gutbetuchter Karnevalsfreunde gerne bezahlt, um das Spektakel in Olinda erleben zu dürfen.


Und kaum ist das Fest vorbei, mit den flitterbunten Paraden, die im Rhythmus der Trommeln die Berge Olindas hinauf- und hinabflanieren; mit den großen Gruppen, die regenbogenfarbene Schirmchen schwingend den akrobatischen Frevo tanzen; mit den Maracatús, die nicht nur aus Freude in aufwendigen Kostümen durch die Straßen ziehen, sondern auch, um ihre Orixás zu ehren, die zugleich katholische Heilige und afrikanische Götter sind; mit den fröhlichen und nie nüchternen Menschenmassen, die all die engen Gassen der Altstadt bis zum Bersten füllen, Tag und Nacht, denn während des Karnevals schläft niemand - kaum endet dieses Fest, der Höhepunkt des Jahres, beginnen schon die Vorbereitungen für das nächste Mal. Denn nach dem Karneval ist vor dem Karneval, ist ja auch, so fand ich nach einer Weile, irgendwie einleuchtend. Wer diese Meinung nicht teilt, soll sich auf anderen üppig grünen Hügeln nach anderen wunderschönen Städtchen umsehen. Der alte Duarte Coelho und ich jedenfalls bleiben in Olinda und genießen die Aussicht, der eine als Geist, der andere im Geiste.

Text: Nico Czaja
Fotos: Katrin Sperling + Nico Czaja






[art_4] Kuba: Wie kann er nur so geduldig sein?
Deutsches Temperament und kubanische Coolness

"Nein, ich habe jetzt wirklich keine Lust mehr auf diese Probleme, es ist ständig das Gleiche, so ein Mist" denke ich mir, als ich merke, dass es keinen Sinn hat, mit dem Parkwächter zu diskutieren. Ein so schöner Tag in Santa Clara, Wochenende, wir haben frei. Yariel, ein Kubaner und ich wollten ihn im Freizeitpark verbringen. Aber wir dürfen einfach nicht zusammen rein. Der Grund: Ich bin Ausländerin, mein Begleiter ist Kubaner.

Das ist in Kuba ganz normal: Nur wenn ein kubanischer Bürger mit einem Ausländer verheiratet ist, dürfen sie zusammen weggehen, in einem Hotel übernachten oder zusammen in manchen Diskos eintreten. Alleine das ist schon kurios - aber dass man zusammen nicht in einen Park eintreten darf, das war mir wirklich neu.

Diskriminierung von Herkunft – in Kuba ganz normal. Gewöhnt habe ich mich ja schon daran, dass die Ausländer ständig andere Preise als die Kubaner zahlen, in Kinos, Museen oder Hotels – vielleicht ist das sogar noch gerechtfertigt, schaut man sich die kubanischen Löhne an.

Immerhin müsste er sich doch noch viel mehr ärgern: Darüber, dass er in seinem eigenen Land keinen Zutritt in die Hotels für Touristen hat. Er aber bleibt gelassen und geduldig. Ich bewundere ihn dafür, denn ich bin völlig anders: Ich kann einfach nicht eine dreiviertel Stunde vor der Bank stehen, um Geld abzuholen oder in einem Geschäft so lange warten, bis die Kassiererinnen ihren Kaffeeklatsch beendet haben.

Immer wird behauptet, die Kubaner seien sehr temperamentvoll, die Deutschen hingegen unterkühlt. Das stimmt keineswegs. Jedenfalls nicht bei mir – während ich wegen dem „Parkvorfall“ innerlich koche, lässt sich der Kubaner Yariel nichts anmerken.

Dabei müsste er sich doch noch mehr ärgern: Darüber, dass er in seinem eigenen Land keinen Zutritt in einige Hotels hat, weil dort nur wir Ausländer rein- und rausspazieren dürfen; darüber, dass er eine Erlaubnis braucht, um auf eine der kleinen, vor Kuba gelagerten Inseln zu gelangen (Fluchtmöglichkeit…) und darüber, dass er ohne offizielle schriftliche Erlaubnis nicht mal mit seiner langjährigen Freundin zusammen wohnen darf. Die Kubaner bleiben gelassen, in fast jeder Situation. In Deutschland würden nicht mal Rentner eine Dreiviertelstunde vor der Bank anstehen, um Geld abzuholen oder höflich in einem Geschäft darauf warten, dass die Verkäuferin vom Kaffeeklatsch wieder kommt.

"Damit, dass du dich aufregst, änderst du auch nichts", sagt mein kubanischer Begleiter zu mir. Das ist zwar richtig, aber es fällt uns Deutschen doch schon manchmal schwer, zu akzeptieren, dass an einer Situation nichts zu ändern ist. Einfach schlucken, nur nicht rebellieren. Wo sind all die Menschen, die früher „Revolution“ gerufen haben?

Vieles ist anders in Kuba – vor allem die Männer – sehr selbstbewusst, sehr offensiv. Als deutsche Frau, die darauf nicht vorbereitet ist, musste ich mich erst mal an den Brauch gewöhnen, dass mir fast überall Männer mit „kss kss“ hinterher pfeifen. Nach einigen Wochen darauf eingestellt, erwartet mich die nächste Stufe: Im Vorbeigehen sagen sie dir "piropos", also Komplimente.

Und dann auch noch das: Ein Kubaner geht direkt auf mich zu, stellt sich vor mich und macht mir einen spontanen Heiratsantrag. „Ich kenne den doch gar nicht“ schießt es mir in den Kopf. Cool bleiben, bestimmt nur eine Verwechslung. Aber nein, erst nach Wochen durchschaue ich das System – dazu beobachtete ich die Kubanerinnen. Die Männer wollen einfach nur Beachtung finden, und sei es nur ein Lächeln – meist reicht das schon und man kann vergnügt weitergehen.

Ist allerdings ein Mann dabei und begleitet die Frau, halten sich die anderen Männer zurück. Praktisch also, wenn man das einmal weiß.

In vielen Situationen, behaupte ich, sind die kubanischen Männer aber charmante Gentlemen und machen (fast) alles für einen – vor allem, wenn man als Ausländerin nach einiger Zeit etwas Gelassenheit und Geduld gelernt hat:

Sie erklären, wie man am besten Salsa tanzen sollte (naja, vielleicht ist erklären zu viel gesagt...), sie holen Wasser aus dem Brunnen der Nachbarin, wenn mal wieder die Wasserleitung abgestellt wurde und wärmen es auf der Herdplatte sogar auf – weil die Kubaner wissen, dass wir Ausländer nicht gerne ganz kalt duschen.

Übrigens kommt es nicht wirklich oft vor, dass ein Kubaner selber kocht und danach das Geschirr auch noch selber abspült. Das macht meist seine Frau oder seine Mama, vor dem Hintergrund, dass in der Machogesellschaft Kuba die Hausarbeit generell als Frauensache eingestuft wird.

Was also sind nun die "typisch" kubanischen Eigenschaften, die vor allem Frauen so anziehen?

Sicherlich ist es interessant, so wie früher bei Papa umsorgt zu werden; sich zu fühlen, wie als Tanzschülerin von Patrick Swayze, weil die meisten Kubaner wirklich Tanzblut in sich tragen; als Besucher recht unkompliziert und offen in die Familie und den Freundeskreis aufgenommen zu werden und jemanden zu sehen, der auch in armen Zeiten fast immer ein Lächeln auf den Lippen hat.

Sicherlich faszinieren jeden ganz andere Eigenschaften: Vielleicht ist es auch die Fähigkeit einiger Kubaner, die es beherrschen, nicht nur die Zeitung aus dem Briefkasten, sondern die Kokosnüsse von den himmelhohen Palmen zu holen. Das Schöne an interkulturellen Freundschaften und Beziehungen ist sicherlich, der gegenseitige Austausch. Jeder hat seine Stärken – und die können auch mal ganz anders als angenommen sein.

Text + Fotos: Sarah Lindner






[kol_1] Grenzfall: Das globale Verständnis
Pfingstsonntag in São Luís de Piraitinga

"Und als der fünfzigste Tag gekommen war, versammelten sich die ersten Christen, versteckt an ein und demselben Ort. Und plötzlich geschah etwas Außergewöhnliches. (...) Wind und Feuer signalisierten, dass der Heilige Geist in Aktion getreten war. (...) Und alle waren erfüllt vom Heiligen Geist, und sprachen in verschiedenen Sprachen, so wie es der Heilige Geist ihnen aufgetragen hatte."


Die Augen dem Himmel zugewandt, der heute so blau strahlt, rufen die Jungs: "Du schaffst das schon, streck die Hand aus." Aber dem Jungen ganz oben auf der menschlichen Pyramide gelingt es nicht, das an der Spitze des Holzmasts aufgehängte Geld zu greifen. "Sie reiben den Mast mit Öl ein, damit es schwieriger wird, hinaufzuklettern. Aber heute Abend werden sie es schaffen, wenn sich das Öl abgerieben hat und der Mast weniger rutschig ist," erzählt eine fliegende Händlerin. Der Platz ist voller Menschen, Farben und Spruchbändern, die aus den Fenstern der umliegenden Häuser hängen.

Wir befinden uns in der "Kaiserlichen Stadt São Luís do Paraitinga", inmitten des Serra do Mar-Gebirges, zwischen Taubaté und der Küste von Ubatuba, im Norden des Bundesstaates São Paulo. Der Name kommt aus dem Tupi-Guarani: Parahytinga bedeutet klares Wasser.

Die Stadt mit ihren heute 10.000 Einwohnern war im 18. und 19. Jahrhundert ein Versorgungsposten für die Minenregion des heutigen Minas Gerais und die Kaffeeroute, die aus dem Tal des Paraíba in Richtung Küste herüberführt. Das Örtchen, das 1769 gegründet wurde, lebte damals vom Kaffee-, Baumwoll- und Bohnenanbau, Mandioka, Zuckerrohr und Mais.


Heutzutage zieht die Stadt vor allem Wochenendtouristen aus dem nicht allzu fernen São Paulo an. Die Straßen zu allen Seiten des zentralen Platzes quellen über vor Menschen, und mittendrin tanzen zwei riesige Puppen. "João Paulino und Maria Angú. Die Legende besagt, dass jemand mit Namen João Paulino die Puppen angefertigt habe, und dessen Frau Maria hieß. Zwar sind die beiden schon im Himmel, aber ihre Puppen sind geblieben."

Das Fest des heiligen Geistes, auch bekannt als Pfingsten bzw. Pentecoste, das griechische Wort für den fünfzigsten Tag, ist ein populär-katholisches Fest mit zahlreichen synkretistischen Einflüssen. Inmitten der Pfingstsonntagsprozession schreitet der "Kongo-König", der mit lauter Stimme die Gebete des Padre wiederholt, welcher die Prozession anführt. Das Fest erstreckt sich über zehn Tage, mit dem Pfingstsonntag als Höhe- und Schlusspunkt der Festivitäten.

Überall hört man die Trommeln den Rhythmus zum Moçambique schlagen, der der beliebteste Tanz der afrikanischen Sklaven war. Jedes Mal, wenn ihr Herr ihnen einen Tag freigab, feierten sie. Einige Musiker bilden einen Halbkreis und preisen singend den Heiligen Benedikt zum Rhythmus der Trommeln und Tamburins. Der Rest der Gruppe schlägt im Takt Holzstöcke gegeneinander und stampft mit den Füssen.

Die Gruppen tanzen den ganzen Tag bis spät in die Nacht hinein, wenn der schwache Schein der Laternen den Platz in gelbes Licht taucht. Die Hitze des Tages ist verflogen und hat einer kühlen Brise Platz gemacht, einem herbstlichen Vorboten.


"Komm schnell, die Jungs sind fast schon oben." Ein ohrenbetäubendes Geschrei ertönt als sich die Jungs den Mast immer weiter hinaufarbeiten. Es sind etwa 20, die eine Pyramide gebildet haben, von denen der oberste bis auf 50 Zentimeter an das Geld herangekommen ist. Da geschieht es. Zuerst ist ein leichtes Schwanken in den unteren Reihen auszumachen, welches sich langsam nach oben fortsetzt und schließlich die Pyramide zum Einsturz bringt. Einer nach dem andern fallen sie herunter, bis auf den obersten, der sich krampfhaft an den öligen Stamm klammert. Fünf Sekunden, zehn Sekunden, dann beginnt auch er zu rutschen. "Sie werden nicht eher aufgeben, bis sie es geschafft haben."

Von allen Seiten dröhnen die Trommeln, das Click-Clack der aneinander schlagenden Stöcke, sie alle sprechen eine rhythmische Sprache. Wir machen uns auf den Heimweg, ohne zu wissen, ob die Jungs endlich das Geld erreicht haben oder nicht. Oder ob sie es immer noch versuchen.

Text + Fotos: Thomas Milz






[kol_2] Amor: Zwei der schönsten Hotels der Dominikanischen Republik

Abseits der sich auf wenige Stellen im Land konzentrierenden All-Inclusive-Hochburgen finden sich reizvolle Hotels für Individualreisende im ganzen Land verteilt. Zwei davon stellen wir hier vor:

Hotel El Quemaito
Anfang der achtziger Jahre erwarben die beiden Schweizer fast durch Zufall ein größeres Stück Land an der traumhaften Küstenstraße von Barahona nach Pedernales und vollendeten wenige Monate später den Bau eines Hotels, dass den Charme ihrer selbst widerspiegelt: 13 Zimmer, alle mit Blick aufs Meer und in die weitläufige Gartenanlage integriert.


Der Aufenthalt lädt dazu ein, morgens mit dicker Lektüre bewaffnet die nächste Liege anzusteuern, hin und wieder Abkühlung zu suchen im Schwimmbecken oder an einem der drei Hausstrände, möglichst frühzeitig die Cocktailstunde einzuläuten und dann fürstlich zu speisen. Ein Auto sollte in dieser Gegend jedoch nicht fehlen und zwei Ganztagsausflüge auf dem Programm stehen:

1. Straße nach Pedernales: Diese schlängelt sich zunächst entlang der Küste, führt dann ins Landesinnere, um bei Pederales wieder ans Meer zu stoßen und bei Cabo Verde mit traumhaften Stränden aufzuwarten. Besonderen Reiz hat der Abschnitt zwischen den beiden Küsten. Hier windet sich die Straße fast Achterbahn gleich durch staubtrockenes Kakteengebiet.

2. Umrundung des Enriquillo-Sees:
Heiß und noch trockener als das Kakteengebiet ist der Weg. Der See liegt 40 Meter unter dem Meeresspiegel und es gibt nur einen Zugang. Als Hinweis auf diesen hat man liebevoll eines der hier heimischen Krokodile auf ein Holzschild gemalt. Leguane machen ganz von selbst auf sich aufmerksam.


Seinerzeit wurde von der dominikanischen Regierung der Bau eines Flughafens in Barahona angekündigt und die beiden Schweizer erhofft sich ein wenig Unterstützung für den Aufbau ihrer Hotelanlage. Doch flossen alle Gelder aus dem Touristenausbau Topf nur an die großen All-Inclusive-Anlagen in den Touristenzentren. Und auf den Flughaffen wartet man bis heute. Individualtouristen treffen daher auf einen vom Tourismus noch fast unberührten Landstrich der Dominikanischen Republik. Doch auch die Schweizer sind keineswegs entmutigt. Zum Einen haben sie Gäste, die in diversen Reiseführern auf ihr Hotel El Quemaito gestoßen sind und nun als Stammgästen jedes Jahr wiederkommen, zum Anderen haben sie noch reichlich Ziele, die sie in naher Zukunft bereisen oder vielleicht auch bewohnen wollen, wie Venezuela oder einige Staaten in Afrika.

Infos zu Hotel El Quemaito:
Adresse:
km 61, Carr. Oviedo- Paraiso
Barahona
Dominikanische Republik
Preis pro Nacht im Doppelzimmer: ca. 35 US-$ (Stand: Februar/2005)
Telefon: 001-809-223-0999
Fax: 001-809-223-0999
Email: c.elquemaito@verizon.net.do
Internet: http://www.bboxbbs.ch/home/bamert/durrer/hotel.htm

Hotel Bahia Blanca
Etwa aus der gleichen Zeit wie das Quemaito stammt das Hotel Bahia Blanca in San Juan del Rio, an der Nordküste der Dominikanischen Republik gelegen, 60 Kilometer vom Flughafen Puerto Plata entfernt. Obwohl es von seinen frankokanadischen Besitzern gepflegt wird, nagt doch der Zahn der Zeit an den Außenmauern; was die Romantik des Hotels, das von seiner Lage und Bauart her an ein idyllisches Mittelmeerhotel aus den Siebzigern erinnert, nur noch fördert. Dazu trägt auch der Barkeeper bei, der in jedem Film aus dieser Zeit einen Platz finden würde. Wordkarg, doch immer galant, bereitet er täglich ab exakt 17.30 Uhr klassische Cocktails wie Manhattan, Bloody Mary oder Daiquiri.


Links und rechts des Hotels erstrecken sich kleinere Strände und fünf Kilometer weiter lockt mit der Playa Grande einer der schönsten Strände der Insel. Eine Minute zu Fuß entfernt finden sich zudem eine Tauchbase und der Ausgangshafen für Touren zur Laguna Gri Gri durch Mangrovenwurzeln mit reichlich Vogelwelt.

Infos zu Hotel Bahia Blanca (Stand März 2005):
Transfer vom Flughafen im Taxi: 60-70 US-$
Preis pro Nacht im Doppelzimmer: ca. 35 US-$ (Stand: Februar/2005)
Email: infos@labahiablanca.com
Internet: http://www.labahiablanca.com

Wenn ihr den genauen Zeitpunkt des Aufenthalts im Bahia Blanca im Vorfeld kennt, reserviert Zimmer 35.

Text + Fotos: Dirk Klaiber





[kol_3] Lauschrausch: Weltmusikmesse Womex III

Argentinien war - trotz Wirtschaftskrise - mit einem großen Stand auf der WOMEX präsent. Dort wurden neben traditionellem Tango viele neue Produktionen vorgestellt. Die Band Mc Dougall Tango folgt dem neuen Trend und bastelt aus Tangoelementen, Jazz und elektronischen Klängen auf "San Telmo Lounge" (Epsa) intelligente, entspannte Lounge- und Tanzmusik. Die Gruppe Debayres hatte auch diese Idee, setzt sie aber wenig geistvoll um. Auf ihrem Album mit dem phantasievollen Titel "Tango" (Loshe Rec.) überwiegen kitschige Arrangements oder platte Housemusic. Einen anderen Weg gehen Juanjo Domínguez und Lidia Borda.

Der Gitarrist hat sich für seine Produktion "Corazón Guitarrero" (Epsa) 15 Tangos von Carlos Gardel ausgesucht, die er gemeinsam mit drei weiteren Gitarristen sehr gelungen instrumental interpretiert. Auch die Sängerin Lidia Borda hat alte Tangos ausgewählt, denen sie mit ihrer Stimme und neuen Arrangements auf "Tal vez será tu voz" (Epsa) gekonnt neues Leben einhaucht.

EI Terceto hingegen ist ein Jazztrio, das neben Eigenkompositionen Tangos spielt. Dabei kommt es auf der CD "Tocatangó" (Epsa) zu sehr gelungenen Improvisationen, wie im Falle von "Naranjo en flor" oder "María".

Auch La Chicana setzen bei ihrer teils rockigen Tango-Musik auf eigene Stücke, die das akustische Quintett mit surrealen und deftigen Texten versieht, die die heutige Lebenswirklichkeit spiegeln. Auf "Tango agazapado" (galileo mc) findet sich auch eine sehr gelungene Version von Brechts "Die Ballade vom Weib und vom Soldaten".

Die Auszeichnung als bestes Album in der Kategorie "Nuevo Tango" bei den Premios Gardel (die argentinischen Grammies) zeigt, dass La Chicana allgemein respektiert wird.

Wer sich übrigens für die Musik der Urväter (bzw. -mütter) des Tango interessiert, wird sich über eine Neuerscheinung in der Reihe "Masters of Tango Argentino" des Labels Danza y Movimiento freuen: Volume 2 dokumentiert einen Teil des Werkes der Sängerin Mercedes Simone, die zwischen 1927 und 1966 230 Titel aufgenommen hat.

Seine ganz eigene, avantgardistische Version des Tango spielt und komponiert schon lange der Uruguayer Luis di Matteo.

Anlässlich seines 70. Geburtstages hat sein deutsches Label Jaro nun eine Doppel-CD "Siempre hay algo nuevo" herausgebracht, die einerseits einen Querschnitt seines Werks zwischen 1976 und 2000 hörbar macht, sowie das neue Album "Tango y más alla" enthält.

Auch hier klingen seine Kompositionen wieder sehr modern und könnten ohne weiteres als Soundtrack für surreale oder sogar Horrorfilme dienen (die Sopranstimme von Anabela Varela bringt mich auf diese Idee). Immer wieder hörenswert.

Aus Deutschland stammt das Quartett Tango Five, das aber weniger Tango interpretiert als eine Mischung aus Tango, Klezmer und arabischer Musik, zu hören auf ihrem Album "Europique Music" (Peregrina), auf dem sie mit Gästen ihre musikalischen Visionen wunderbar zu Gehör bringen.

Karamelo Santo sind eine sehr bekannte Ska-Punk-Rockband in ihrer Heimat, und dank ihres eifrigen Labels Übersee-Records auch in Deutschland.

Die vor Energie sprühenden Konzerte sind ein Erlebnis und auch die neue CD "Haciendo Bulla" reiht sich da ein. 14 neue feurige Titel inklusive einer Coverversion von Rubén Blades.


Zum Schluss noch zwei Produktionen mit argentinischer Folklore: Das Duo Juan Falú und Marcelo Moguilevsky (Gitarre, Flöte), arabischer und jüdischer Abstammung, lässt auf "Semitas" (Epsa) unbekannte Musik aus allen Teilen des Landes aus den Boxen klingen, vom gato, einem Tanz aus der Pampa, über die cueca aus Nordargentinien bis zu populären Liedern.

Das deutsche Label Pläne hat ein Konzert mit Instrumentalstücken des bekanntesten aller argentinischen Folkloremusiker, Atahualpa Yupanqui, veröffentlicht, das dieser 1978 in Köln gegeben hat. Auf "Concierto Instrumental" spielt er zambas, chacareras, malambos uvm. Interessant: seine musikalische Verarbeitung zweier Gedichte Pablo Nerudas.

Text: Torsten Eßer
Fotos: amazon.de






[kol_4] Macht Laune: Den Profis über die Schulter geschaut

Jeden Monat kommt der Tag, an dem es ums Ganze geht: ein neuer Caiman wird erstellt! Ich hatte letzten Monat endlich Gelegenheit, live dabei zu sein.

Zunächst verblüffend: die lange Warteschlange von Prominenten aus Funk und Fernsehen, die "alle mal dabei sein wollen". Einer der Chefredakteur: "Wenn es hier hart auf hart geht, dann kann ich keine Quatschtanten wie *** gebrauchen." Das Ex-Caiman-Girl darf nun schon lange nicht mehr dabei sein.

Tatsächlich hat das monatliche Ritual etwas klosterhaftes. Da ist zum einen der Rückzug in das ländliche Nordkatalonien. "Im Caiman-Tower in Köln ist einfach zuviel Betrieb. Da hat man keine Ruhe". Und dann die relative Einsamkeit: gerade mal der Redaktionskoch darf die beiden begleiten. Keine Sekretärinnen, keine Putzfrauen. Der andere Chefredakteur: "Sonst geht das hier ja gar nicht".

Und dann die harte Arbeit: noch vor dem ersten Angelus sitzen die Redakteure schon in der Caiman-Konklave. Die harte Sitzung wird nur zur Einnahme des (leichten) Redaktionsmenüs unterbrochen.


Redaktionssitzung mit Allmacht, Koch und Autor

Nur die klösterliche Ruhe, die will sich nicht so recht einstellen. Gesprochen wird viel an diesem Tag, vor allem natürlich vis-à-vis in der Marathon-Redaktionssitzung, aber auch über eine der vielen Standleitungen, die das Büro mit dem Rest der Welt verbindet. An diesem Tag ist die Leitung nach Brasilien allerdings unterbrochen, denn der Caiman-Satellit liegt im Funkloch. Da kann man den zweiten sonst so ruhigen und liebenswürdigen Chefredakteur schon mal brüllen hören: "Wann kommt endlich der [zensiert] aus Brasilien?" Begreiflich, bei so viel Spannung. Schließlich geht es hier nicht um peanuts, sondern um die Mai-Ausgabe des Caiman. "Jeden Monat das gleiche", stöhnt der erste, aber dann schleicht sich ein beinahe verklärtes Lächeln in sein Gesicht: "Wenn dann jedoch Säcke über Säcke an Leserbriefen kommen, weiss ich immer wieder: es lohnt sich".

Mal ganz abgesehen davon, dass der Caiman schließlich mehr als 2000 Familien weltweit ernährt:Redakteure, Sekretäre, Fahrbereitschaften, Satellitenmechaniker…

Kurz vor Mittag beginnt sich dann vor dem Redaktionskloster die "plaza del caimán" zu füllen. Das rote Kreuz vollauf beschäftigt, obwohl es heute Gott sei Dank nicht so heiß ist. "Jeden Monat haben wir hier Ohnmachten noch und nöcher. Der helle Wahnsinn", sagt der freundliche Zivi recht ernst. Kurz darauf lacht er wieder: "Aber verstehen tue ich die Leute schon. Wenn ich hier nicht arbeiten würde, stände ich wahrscheinlich auch hier. Ein caiman ist schließlich ein caiman."

Gegen Mittag ist die kurze Ruhepause Pflicht. Abgespannt kommen die beiden Chefredakteure aus der Klausur. Ihre bleichen Gesichter sprechen Bände. "Ein Bier?", frage ich und setze mich damit voll in die Nesseln. Der Koch zischt mir zu: "Heute trinkt hier keiner." Alkohol ist generell nicht gerne gesehen, aber am Tag des neuen caiman herrscht absolute Abstinenz.

Das Ziel:
ein neuer Caiman



Die kurze Ruhepause der Chefredakteure ist gleichzeitig Glanzmoment für den Redaktionskoch. "Den ganzen Monat lebe ich für diese halbe Stunde", vertraut er mir an.

"Jeden Monat aufs Neue muss ich ihre verwöhnten Gaumen überraschen." Besonders einer der beiden sei eine harte Nuss: "Der isst ja schließlich nicht irgendwas". Seine feine Zunge zu befriedigen, ist das Ziel des Chefkochs, der sein Mainzer Dreisterne-Lokal kürzlich aufgeben musste: "Beides war einfach zu viel. Da musste ich mich entscheiden." Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, ist ihm die Wahl nicht schwer gefallen.

Heute hat er sich ein ebenso einfaches wie raffiniertes Menü einfallen lassen:

Tafelfreuden
Knofel-Gamben (Gambas in Knoblauch)
Frischer Marktsalat mit Wasabidressing
Getaschte Dorade, auf dem Grill geröstet

Doch die beiden Redakteure sind heute nicht recht bei der Sache. Brasilien und seine Kommunikationsprobleme liegen ihnen schwer im Magen. Ein kritischer Moment entsteht, als einer bemerkt, seine Dorade (Goldfisch) sei an der Hauptgräte ein wenig zu roh. Der Koch ist indigniert, schluckt es aber herunter. Später sagt er im geheimen: "Ich gebe doch nicht meine ganze Karriere für eine Dorade auf." Denn er weiss: beim Caiman haben die Chefs noch recht. Wer das nicht versteht, findet sich ganz schnell auf der anderen Seite der Mauer, die das Redaktionsgebäude von der wartenden Menschenmenge trennt.

Dann geht es zum Endspurt. In zwei Stunden muss der Cheftechniker in Köln den großen Hebel umlegen. Über einen der vielen Fernseher im Kontrollraum flackert sein unbewegliches Gesicht. "Ich bin immer bereit", sagt er lakonisch. Was mag sich hinter den halbgeschlossenen Augen dieses Spezialisten abspielen, der immer wieder lukrative Angebote von der NASA ausschlägt? "Hier ist mein Platz", sagt er schlicht.

Aufgeregtes Murmeln dringt vom Platz in den Aufenthaltsraum für Auslandskorrespondenten, der heute erstaunlich leer ist. Der Redaktionskoch platzt aufgeregt herein: "Ist er draußen, ist er draußen?" Ich schaue herunter zu meinem Hosenlatz, aber er sprintet zum kleinen Balkon und reckt seinen Hals nach oben.

Die enttäuschten Rufe vom Platz verraten es jedoch schon: noch ist der neue caiman nicht draußen. Die aufsteigende Rauchsäule ist dreckig-schwarz. "Einige behaupten, das wären Artikel, die es nicht geschafft haben. Angeblich pinkeln sie darauf und schieben sie dann in einen speziell dafür angefertigten Ofen", raunt mir der zu. Dann fügt er hinzu: "Deine Hose ist offen."

Die Menge verstummt wieder und das ist auch gut so. Schließlich fehlen noch so einige Stunden, bis die beiden Chefredakteure endlich das ersehnte Zeichen geben. Des Technikers Erleichterung ist förmlich spürbar, als er mit beiden Armen kraftvoll den Hebel umlegt. "Heute war es verdammt knapp", gibt er später zu, "als der Sekundenzeiger der 12 immer näher kam, wurde ich schon ein bisschen nervös".

Nerven muss man haben: um 23:59:59 ist der neue caiman online.

Erste Publikumsreaktionen sind
etwas undeutlich, aber recht positiv


Text + Fotos: Nil Thraby






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