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[kol_4] Macht Laune: Den Profis über die Schulter geschaut

Jeden Monat kommt der Tag, an dem es ums Ganze geht: ein neuer Caiman wird erstellt! Ich hatte letzten Monat endlich Gelegenheit, live dabei zu sein.

Zunächst verblüffend: die lange Warteschlange von Prominenten aus Funk und Fernsehen, die "alle mal dabei sein wollen". Einer der Chefredakteur: "Wenn es hier hart auf hart geht, dann kann ich keine Quatschtanten wie *** gebrauchen." Das Ex-Caiman-Girl darf nun schon lange nicht mehr dabei sein.

Tatsächlich hat das monatliche Ritual etwas klosterhaftes. Da ist zum einen der Rückzug in das ländliche Nordkatalonien. "Im Caiman-Tower in Köln ist einfach zuviel Betrieb. Da hat man keine Ruhe". Und dann die relative Einsamkeit: gerade mal der Redaktionskoch darf die beiden begleiten. Keine Sekretärinnen, keine Putzfrauen. Der andere Chefredakteur: "Sonst geht das hier ja gar nicht".

Und dann die harte Arbeit: noch vor dem ersten Angelus sitzen die Redakteure schon in der Caiman-Konklave. Die harte Sitzung wird nur zur Einnahme des (leichten) Redaktionsmenüs unterbrochen.


Redaktionssitzung mit Allmacht, Koch und Autor

Nur die klösterliche Ruhe, die will sich nicht so recht einstellen. Gesprochen wird viel an diesem Tag, vor allem natürlich vis-à-vis in der Marathon-Redaktionssitzung, aber auch über eine der vielen Standleitungen, die das Büro mit dem Rest der Welt verbindet. An diesem Tag ist die Leitung nach Brasilien allerdings unterbrochen, denn der Caiman-Satellit liegt im Funkloch. Da kann man den zweiten sonst so ruhigen und liebenswürdigen Chefredakteur schon mal brüllen hören: "Wann kommt endlich der [zensiert] aus Brasilien?" Begreiflich, bei so viel Spannung. Schließlich geht es hier nicht um peanuts, sondern um die Mai-Ausgabe des Caiman. "Jeden Monat das gleiche", stöhnt der erste, aber dann schleicht sich ein beinahe verklärtes Lächeln in sein Gesicht: "Wenn dann jedoch Säcke über Säcke an Leserbriefen kommen, weiss ich immer wieder: es lohnt sich".

Mal ganz abgesehen davon, dass der Caiman schließlich mehr als 2000 Familien weltweit ernährt:Redakteure, Sekretäre, Fahrbereitschaften, Satellitenmechaniker…

Kurz vor Mittag beginnt sich dann vor dem Redaktionskloster die "plaza del caimán" zu füllen. Das rote Kreuz vollauf beschäftigt, obwohl es heute Gott sei Dank nicht so heiß ist. "Jeden Monat haben wir hier Ohnmachten noch und nöcher. Der helle Wahnsinn", sagt der freundliche Zivi recht ernst. Kurz darauf lacht er wieder: "Aber verstehen tue ich die Leute schon. Wenn ich hier nicht arbeiten würde, stände ich wahrscheinlich auch hier. Ein caiman ist schließlich ein caiman."

Gegen Mittag ist die kurze Ruhepause Pflicht. Abgespannt kommen die beiden Chefredakteure aus der Klausur. Ihre bleichen Gesichter sprechen Bände. "Ein Bier?", frage ich und setze mich damit voll in die Nesseln. Der Koch zischt mir zu: "Heute trinkt hier keiner." Alkohol ist generell nicht gerne gesehen, aber am Tag des neuen caiman herrscht absolute Abstinenz.

Das Ziel:
ein neuer Caiman



Die kurze Ruhepause der Chefredakteure ist gleichzeitig Glanzmoment für den Redaktionskoch. "Den ganzen Monat lebe ich für diese halbe Stunde", vertraut er mir an.

"Jeden Monat aufs Neue muss ich ihre verwöhnten Gaumen überraschen." Besonders einer der beiden sei eine harte Nuss: "Der isst ja schließlich nicht irgendwas". Seine feine Zunge zu befriedigen, ist das Ziel des Chefkochs, der sein Mainzer Dreisterne-Lokal kürzlich aufgeben musste: "Beides war einfach zu viel. Da musste ich mich entscheiden." Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, ist ihm die Wahl nicht schwer gefallen.

Heute hat er sich ein ebenso einfaches wie raffiniertes Menü einfallen lassen:

Tafelfreuden
Knofel-Gamben (Gambas in Knoblauch)
Frischer Marktsalat mit Wasabidressing
Getaschte Dorade, auf dem Grill geröstet

Doch die beiden Redakteure sind heute nicht recht bei der Sache. Brasilien und seine Kommunikationsprobleme liegen ihnen schwer im Magen. Ein kritischer Moment entsteht, als einer bemerkt, seine Dorade (Goldfisch) sei an der Hauptgräte ein wenig zu roh. Der Koch ist indigniert, schluckt es aber herunter. Später sagt er im geheimen: "Ich gebe doch nicht meine ganze Karriere für eine Dorade auf." Denn er weiss: beim Caiman haben die Chefs noch recht. Wer das nicht versteht, findet sich ganz schnell auf der anderen Seite der Mauer, die das Redaktionsgebäude von der wartenden Menschenmenge trennt.

Dann geht es zum Endspurt. In zwei Stunden muss der Cheftechniker in Köln den großen Hebel umlegen. Über einen der vielen Fernseher im Kontrollraum flackert sein unbewegliches Gesicht. "Ich bin immer bereit", sagt er lakonisch. Was mag sich hinter den halbgeschlossenen Augen dieses Spezialisten abspielen, der immer wieder lukrative Angebote von der NASA ausschlägt? "Hier ist mein Platz", sagt er schlicht.

Aufgeregtes Murmeln dringt vom Platz in den Aufenthaltsraum für Auslandskorrespondenten, der heute erstaunlich leer ist. Der Redaktionskoch platzt aufgeregt herein: "Ist er draußen, ist er draußen?" Ich schaue herunter zu meinem Hosenlatz, aber er sprintet zum kleinen Balkon und reckt seinen Hals nach oben.

Die enttäuschten Rufe vom Platz verraten es jedoch schon: noch ist der neue caiman nicht draußen. Die aufsteigende Rauchsäule ist dreckig-schwarz. "Einige behaupten, das wären Artikel, die es nicht geschafft haben. Angeblich pinkeln sie darauf und schieben sie dann in einen speziell dafür angefertigten Ofen", raunt mir der zu. Dann fügt er hinzu: "Deine Hose ist offen."

Die Menge verstummt wieder und das ist auch gut so. Schließlich fehlen noch so einige Stunden, bis die beiden Chefredakteure endlich das ersehnte Zeichen geben. Des Technikers Erleichterung ist förmlich spürbar, als er mit beiden Armen kraftvoll den Hebel umlegt. "Heute war es verdammt knapp", gibt er später zu, "als der Sekundenzeiger der 12 immer näher kam, wurde ich schon ein bisschen nervös".

Nerven muss man haben: um 23:59:59 ist der neue caiman online.

Erste Publikumsreaktionen sind
etwas undeutlich, aber recht positiv


Text + Fotos: Nil Thraby