ed 03/2011 : caiman.de

kultur- und reisemagazin für lateinamerika, spanien, portugal : [aktuelle ausgabe] / [startseite] / [archiv]


argentinien: Gottverlassenes Alemania im Niemandsland
ANDREAS DAUERER
[art. 1]
druckversion:

[gesamte ausgabe]


mexiko: Gefangene im Nationalpark Tierra Colorado
KATHARINA NICKOLEIT
[art. 2]
mexiko: Wie man wilde Busse bändigt
Straßenverkehr und öffentliche Verkehrsmittel in Guadalajara
ANNIKA WACHTER
[art. 3]
bolivien: M
ROBERT GAST
[art. 4]
karibik: Reggae und Calypso im Karneval
CORINA OBLINGER
[art. 5]
grenzfall: Typisch Portugal
THOMAS MILZ
[kol. 1]
lauschrausch: Cumbia vs. Chicha
TORSTEN EßER
[kol. 2]
macht laune: Carnaval-Hits 2011
THOMAS MILZ
[kol. 3]




[art_1] Argentinien: Gottverlassenes Alemania im argentinischen Niemandsland
 
Mal ehrlich, wer besucht schon den aufregenden Norden Argentiniens, um sich dann seinen überaus positiven Eindruck mit einem etwas ungewöhnlichen Abstecher in eine Geisterstadt zu ruinieren? Nur weil die Siedlung zufällig genau so genannt wird, wie das eigene Herkunftsland?! Die Antwort: Ich, ich mache das sehr wohl.



Die Gegend zwischen den Städten San Miguel de Tucumán und Salta dürfte mittlerweile für Argentinienbesucher, die länger als drei Wochen Zeit haben, zum festen Standardtouristenrepertoire gehören. Schließlich kann man da entlang der berühmten Ruta 40 nicht nur die faszinierendsten Landschaftsformen der Valles Calchaquíes erleben, sondern auch ein unglaubliches Farbspektakel. Von Tucumán aus geht’s jedoch erst einmal auf der Bundesstraße 307 in Richtung Tafí del Valle, wo die reicheren Tucumanos oben in luftigen Höhen ihre kleinen Wochenendhäuser haben. Und schon der Blick von dort oben auf den Lago de Angostura ist den Ausflug wert. Die schneebedeckten Berge ringsherum bilden einen wundervollen Kontrast zu dem türkis schimmernden Wasser des Bergsees, wo ein paar Angler ihre Routen ausgeworfen haben. Und nach 30 weiteren Kilometern biegt man endlich auf die Ruta 40 ab, die längste nationale Straße Argentiniens.

Und auch ein paar Tage im Örtchen Cafayate sind durchaus empfehlenswert, kann man dort nicht nur jede Menge Weingüter besuchen, sondern auch die eindrucksvollen Gesteinsformationen der Quebrada de las Conchas. Wenn man an die unzähligen Sandsteinformationen wie den Frosch, das Amphitheater, den Teufelsschlund endlich passiert hat, dann ist es auf der Karte nicht mal mehr ein Fingerbreit nach Alemania.


Kein Schild zeigt die Ausfahrt an und wer zu schnell fährt, dem wird nicht einmal auffallen, dass außer der vorgelagerten Bushaltestelle überhaupt noch etwas Menschliches hinter den Bäumen liegt. Dabei muss man über eine mächtige Eisenbrücke in den Ort hineinfahren, der inzwischen fast so verlassen daliegt, wie eine Geisterstadt in einem schlechten amerikanischen Western. Von 1916 bis 1920 erlebte Alemania seine beste Zeit. Damals war der kleine Ort angebunden an die Eisenbahnlinie. Von Salta aus gelangten so Lebensmittel und andere Güter ins Tal. Im Gegenzug dürfte es vor allem Wein gewesen sein, der in dicken Fässern in die Provinzhauptstadt verfrachtet wurde.

Diese Zeiten sind jedoch schon lange vorbei. Seit über 30 Jahren fährt kein Zug mehr nach Alemania oder hinaus. Und mit dem letzten Zug verließen auch immer mehr Menschen den Ort, in dem es noch immer nicht überall fließendes Wasser gibt, der aber immerhin an das Stromnetz angeschlossen wurde.



Fünf Familien sollen es sein, die hier noch ausharren. Zu sehen bekommt man aber maximal Fernanda, die im alten Bahnhof Kunsthandwerk verkauft und die Mini-Bibliothek verwaltet. Ansonsten kann man sich höchstens mit den herumstreunenden Hunden unterhalten, die die fast unheimliche Ruhe durch ständiges Kläffen zu durchbrechen suchen. Lange Zeit war hier auch noch die öffentliche Schule in Betrieb. Weil es aber immer weniger Fernandas gibt, müssen die Handvoll Kinder mit dem Bus nach La Viña oder Coronel Moldes weiter nördlich gebracht werden. Wie lange sie noch aushalten will, darauf möchte sich Fernanda nicht festlegen. So lange das Geschäft mit den Artesanías noch etwas abwirft, so lange wird sie zusammen mit ihrem Mann und den beiden Kindern wohl noch hier bleiben. Zwar versuchen die Tourismusbehörden immer mal wieder Alemania als lohnenswerten Abstecher in ihre Broschüren aufzunehmen, aber die meisten kommen nur kurz, drehen eine Runde durch den Bahnhof, machen ein paar Bilder und fahren weiter – ohne Einkäufe zu tätigen.

Und dennoch kann ein Besuch sehr wohl lohnen, vor allem wenn die Hitze in der Hochebene unerträglich wird. Dann nämlich kann man unten am Fluss die Füße ins Wasser baumeln lassen und nach dem Genuss des mitgebrachten Rotweines und der darauffolgenden zweistündigen Zwangspause, hat man wieder Kraft genug, um noch eine kleine Wanderung durch die grüne, unberührte Umgebung zu machen. Wer ganz viel Zeit und Muße hat, der kann auch auf dem kleinen Campingplatz nächtigen. Aber nur, wenn er neben Zelt und warmem Schlafsack auch an die Verpflegung gedacht hat. Es gibt zwar in Alemania auch ein kleines Lebensmittelgeschäft, aber man darf sich dann weder über die geringe Auswahl ärgern noch wundern, wenn es geschlossen ist.



Woher unterdessen der Name der Geisterstadt kommt, weiß niemand so ganz genau. Eine Legende erzählt von Gleisarbeitern aus Deutschland, eine andere vom deutschen Architekten, der den alten Bahnhof geplant haben soll. Dabei fällt jedoch vor allem die unterschiedliche Betonung auf. Die nämlich liegt auf dem „i“. Und so hat das Dorf das Alemanía genannt, aber Alemania geschrieben wird nur noch bedingt etwas mit Deutschland zu tun.

Wahrscheinlicher ist daher vielleicht die dritte Version. Es soll nämlich in dieser Gegend einen alten Patron gegeben haben, der „Alemanía“ gerufen wurde. Ob der sich jedoch in Anlehnung an die Gleisarbeiter oder den Architekten selbst so nannte, oder die Wortähnlichkeit nach deren Herkunftsland mit einem betonten „i“ vermeiden wollte, bleibt ebenso ein Geheimnis wie die offenkundig falsche Schreibweise. Die jedoch hat bis heute Bestand.



Text + Fotos: Andreas Dauerer

[druckversion ed 03/2010] / [druckversion artikel] / [archiv: argentinien]






[art_2] Mexiko: Gefangene im Nationalpark Tierra Colorado
 
Das Land der Bauern von Tierra Colorado wurde zum Nationalpark erklärt - nun gelten die Indianer als illegale Siedler, die keine Rechte haben.

Alonso Velasco Guzman schöpft Wasser aus der Regentonne und setzt sich zu seiner Frau Antonia und drei seiner neun Kinder an das Herdfeuer, über dem ein verbeulter Topf mit Kaffee köchelt. Die kleine Hütte ist aus einfachen Brettern roh zusammen gezimmert und wird nur vom Schein des Feuers erleuchtet. Fenster hat sie keine. Wer nach Tierra Colorada kommt, kann kaum glauben, dass er sich im Schwellenland Mexiko, keine 20 Kilometer Luftlinie von der Millionenmetropole Tuxtla Gutierrez befindet.  Selbst in abgelegenen Orten sind die Häuser in Mexiko heutzutage  aus Ziegeln gemauert und an die öffentliche Versorgung angeschlossen. Doch an Tierra Colorada ist die sonst überall spürbare Entwicklung des Landes unbemerkt vorbei gegangen.

1980 wurde das Gebiet rund um den Canyon Sumidero zum Nationalpark erklärt. Die Schlucht des Sumidero ist an manchen Stellen über 1.000 Meter tief und nicht nur eine bedeutende Touristenattraktion, sondern auch Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten. Doch bei der Einrichtung des Schutzgebietes wurde übersehen, dass in der Nähe des Canyons Menschen leben. Es sind 42 Kaffeebauern mit ihren Familien, alles in allem rund 340 Personen.

Die Nationalparkverwaltung möchte die Bauern loswerden. Niemand, so heißt es in der Argumentation, dürfe im Nationalpark wohnen, das sei gesetzlich so geregelt. Dabei sind die Bauern eigentlich kein Störfaktur in dem Naturschutzgebiet. "Wir bauen ausschließlich Biokaffee an und verzichten auf jeglichen chemischen Dünger und Pestizide", erläutert Alonso Velasco Guzman. Und es ist ihnen schon durch ihre Kooperative verboten, Bäume zu fällen - wer das macht, fliegt bei San Fernando sofort raus. Außerdem haben sie sich verpflichtet, ihre Pflanzungen nicht weiter auszudehnen. Und die Bauern leisten sogar einen Beitrag zum Umweltschutz. Die Felder der Kleinbauern sind alles andere als Monokulturen - sie sind von dem eigentlichen Wald auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden. "Wir achten bei unseren Pflanzungen ganz besonders auf die Artenvielfalt. Deswegen haben wir fünf verschiedene Sorten Schattenbäume gepflanzt und wir lassen das Unterholz stehen." Vier verschiedene Vogelarten bauen auf den Kaffeefeldern ihre Nester, sie bieten diversen Schlangenarten ein Zuhause und nachts streichen sogar wilde Bergkatzen an den Kaffeebüschen entlang.

Eigentlich müsste sich ein Kompromiss finden lassen. Doch die Fronten zwischen Parkverwaltung und Bauern sind verhärtet. Immer wieder wird angedroht, das Dorf werde gewaltsam geräumt. Noch ist es dazu nicht gekommen, aber der Druck auf die Bauern nimmt zu. Man versucht, sie auszuhungern. "Wer versucht, Mörtel oder Ziegelsteine in das Dorf zu bringen, wird am Eingang zum Nationalpark aufgehalten", erklärt Alonso Velasco Guzman. "Deshalb können wir unsere Hütten nicht zu richtigen Häusern ausbauen."

Das Dorf ist fast vollständig von der öffentlichen Versorgung abgeschnitten. Zwischen den Hütten stehen zwar noch ein paar Straßenlampen, doch die Verbindung zum Stromnetz wurde schon vor Jahren gekappt. Wenn die Sonne untergeht, dann wird Tierra Colorada nur durch Kerzen und Öllampen erleuchtet. Noch gravierender ist das Problem der Wasserversorgung. Das Dorf hat weder einen Anschluss an die öffentlichen Wasserleitungen noch einen Brunnen. "Wir fangen jeden Tropfen Regenwasser auf, sammeln das Wasser in großen Behältern und gehen so sparsam damit um, wie irgend möglich. Aber in der Trockenzeit kommt trotzdem jedes Mal der Punkt, an dem wir kein Wasser mehr haben", erzählt Antonia. Es gibt nicht einmal einen kleinen Dorfladen - Lebensmittel, die über den persönlichen Bedarf einer Familie hinausgehen, werden konfisziert. Ärzte, die nach Tierra Colorada wollen, werden von der Parkverwaltung zurück geschickt. Lediglich ein Grundschullehrer darf passieren.

Je beliebter und bekannter der Nationalpark bei in- und ausländischen Touristen wird, desto heftiger werden die Einschüchterungsversuche durch die Parkverwaltung. Die Situation der Menschen in Tierra Colorado wird von Jahr zu Jahr schwieriger. So kann es nicht mehr lange weiter gehen, dass ist Alonso Velasco Guzman klar. Hüter des Nationalparks zu werden, das wäre für ihn und seine Nachbarn die ideale Lösung  "Das Dorf ist unsere Heimat, hier sind wir geboren worden und hier möchten wir auch bleiben", meint er. "Aber noch wichtiger ist es mir, in Ruhe und Frieden leben zu können, ohne Schikanen und ohne die Angst, dass wir eines Tages doch geräumt werden." Deshalb wären der 49jährige und seine Genossen bereit, umzuziehen - wenn ihnen eine Alternative geboten würde. "Wir brauchen gutes, fruchtbares Land, auf dem wir unseren Kaffee anbauen können, eine Anbindung an die Strom- und Wasserversorgung und eine wie auch immer geartete Starthilfe um Häuser bauen zu können. Wenn wir das bekämen, dann würden wir schweren Herzens unsere Heimat aufgeben." Ohne ein solches Abkommen aber werden sie ihr Land nicht kampflos verlassen - wo und von was sollten sie dann auch leben?

Doch bislang sieht es nicht so aus, als wäre die Parkverwaltung zu einer Entschädigung bereit. Die Bauern seine illegale Siedler, heißt es, sie hätten das Land nie legal erworben. "Aber hier sind doch die Papiere, notariell beglaubigt", ruft Alonso Velasco Guzman verzweifelt und wedelt mit einem Stapel Papier, unterschieben von seinen Eltern und den vorherigen Besitzern. Doch die Generation seiner Eltern konnte kaum Lesen und Schreiben, sie sprachen  nicht einmal richtig Spanisch. Als sie 1969 das Land kauften, wussten sie nicht, dass sie vor dem Gesetz Grundbesitz nur dann wirksam erwerben, wenn der Titel im Grundbuch eingetragen wird. Und weil diese Formalie damals nicht erfüllt wurde, spricht die Parkverwaltung den Bauern heute jegliche Rechte ab.

Das einzige, was die Bauern schützt, ist ihre Zugehörigkeit zur Kooperative San Fernando. Die Organisation hat rund 1.000 Mitglieder und wenn sich die Direktion öffentlich äußert, hat das ein gewisses Gewicht. Über die Kooperative konnte ein Anwalt eingeschaltet und nachgewiesen werden, dass die Bauern selbst gesetzte strenge Umweltauflagen einhalten. San Fernando bemüht sich aktuell außerdem darum, dass die Bauern für die unbebauten Waldflächen von internationalen Geldgebern Ausgleichszahlungen erhalten - schließlich leisten sie, indem sie den Wald erhalten, einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.

Vor allem aber sichert die Zusammenarbeit mit dem Fairen Handel den Bauern das Überleben. Mit seinen drei Hektar Kaffee schafft es Alonso Velasco Guzman, seine insgesamt 15köpfige Familie durchzubringen. Möglich ist das nur, weil er seinen Kaffee an Fairhandelshäuser wie die Gepa verkauft. Mit dem, was er normalerweise von den Aufkäufern bekommen würde, wäre das nicht machbar. Denn dann würde sein Verdienst nur bei rund drei US Dollar pro Tag liegen. Dank des Fairen Handels verfügt die Familie über mehr als 7 US Dollar pro Tag. Das sind auch in Mexiko keine Reichtümer, aber bei der eisernen Sparsamkeit, die Antonia und Alonso an den Tag legen, reicht es sogar, um die älteren Kinder in der Stadt zur Oberschule zu schicken. "Ich hoffe, dass es meinen Kindern gelingt, richtige Berufe zu erlernen. Dann werden sie nicht in ständiger Angst vor Vertreibung hier ausharren müssen, sondern könnten in Frieden leben."

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

[druckversion ed 03/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: mexiko]





[art_3] Mexiko: Wie man wilde Busse bändigt
Straßenverkehr und öffentliche Verkehrsmittel in Guadalajara
 
Auf den ersten Blick wirkt der Verkehr in Guadalajara, Mexiko, chaotisch, denn alles läuft so anders ab als im Schilder- und Regelwald Deutschland. Doch auch in Mexiko gibt es ein System, man muss es nur erst kennen lernen. Es gibt sowohl Ampeln, als auch Schilder. Es wird auf der rechten Straßenseite gefahren und zwar mit Autos, Motorrädern, dreirädrigen Verkaufsständen, Mofas, LKWs und Bussen und ganz selten mal mit dem Fahrrad. Ganz normal also. Allerdings schlängeln sich schmale Autos, Mofas und todesmutige Fahrradfahrer zwischen zwei Fahrspuren hindurch und eröffnen so weitere Fahrspuren, Hupkonzerte sorgen für fiepende Ohren und Clowns tanzen auf den Kreuzungen vor den parkenden Autos - Feuerspiele und Autowäschen können die Wartezeit an der Ampel verkürzen.

Polizeiautos mit Blaulicht werden so lange ignoriert, bis sie die Sirene einschalten und Fußgänger sausen immer bei Rot über die Ampel. Denn wenn die Fußgänger auf der großen Kreuzung grün haben, dann fahren auch die Autos auf der Parallelstraße. Wer mit dem Auto abbiegt, muss sich um Fußgänger und ihre grüne Ampel nicht scheren, denn wer die dickere Knautschzone hat, hat das Recht auf seiner Seite. Für Fußgänger ohne Airbag heißt es da, schnell sein oder ein paar Ampelphasen lang stehen bleiben.

Vor allem wenn der Boden vibriert und ein ohrenbetäubendes Röhren lauter und lauter wird, ist Obacht geboten, denn das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass sich ein Bus nähert. Bussen sollte aus offensichtlichen Gründen in jedem Fall die Vorfahrt gewährt werden.

Und nicht nur für Fußgänger sind die beängstigend lauten Busse gefährlich. Wer sich in das Innere eines solchen Monstrums gewagt hat, wird ordentlich durchgeschüttelt; denn obwohl es keine festen Abfahrtszeiten gibt, scheinen die Busfahrer ständig in Eile, mehr noch als die Taxifahrer. Rote Ampeln und Radfahrer werden wenn nötig und möglich umfahren. Schlaglöcher werden einfach ignoriert. Von Vollbremsung zu Vollbremsung rasen die klapprigen Busse so durch die Stadt und hupen sich ihren Weg frei.

Es in das Innere eines Busses zu schaffen ist nicht schwer. Da es keine festen Haltestellen und auch keine Abfahrtszeiten gibt, wurde mir in meiner ersten Woche in Guadalajara geraten, mich einfach an eine Straßenecke zu stellen, an der auch andere Menschen stehen. Sobald man die Routen kennt, kann man sich sogar ganz alleine irgendwohin stellen und eine eigene Haltestelle bilden. Die vorbeifahrenden Busse kann man heranwinken und sofern sie noch Platz im Inneren haben, halten sie auch an. Dann werden sechs Pesos gegen ein dünnes Fitzelchen Papier getauscht und - wuuuuusch - geht es los. Wer meint, sich im Sitzen nicht festhalten zu müssen, ist selbst schuld, wenn er mit dem Kopf gegen die Decke und mit den Knien gegen den Vordersitz knallt. Nähert man sich dem gewünschten Ziel, so kann man dem Fahrer Bescheid schreien, an welcher Kreuzung man gerne raus möchte. Dort wird dann meistens auch angehalten.

Ich hatte schnell verstanden, wie man es schafft, in einem Bus mitzufahren, blieb nur die Frage nach dem richtigen. Jeder Bus hat eine dreistellige Nummer, die die Route anzeigt. Auf die Windschutzscheibe sind ein paar Orte aufgemalt, die die jeweilige Nummer passiert und in manchen Bussen hängt innen sogar noch ein alter Routenplan, auf dessen Aktualität allerdings nicht zu stark vertraut werden sollte. In der ersten Woche sagte man mir, die 051 führe nach Osten in Richtung Zentrum und kreuze dabei die Federalismo, die U-Bahn-Haltestelle für beide Linien und die Independencia. Da ich viel in dieser Richtung unterwegs war und der Bus fast vor der Haustür abfuhr, habe ich ihn viel genutzt. Aber ich bin nie an der Independencia rausgekommen. Mal war die Fahrt schon nach zwei Minuten vorbei und der Fahrer scheuchte uns alle raus und mal bogen wir plötzlich ab und fuhren in eine völlig andere Richtung. Es dauerte Wochen bis ich das Geheimnis der 051 durchblickte. Hinter der Zahl, die mit Edding auf die Windschutzscheibe geschrieben war, standen kleine Buchstaben:  A, B, C und AB. Nur die 051B und 051AB fuhren grob in Richtung Osten. Und nur die 051B fuhr auch durch bis zur Independencia. Allerdings wechselt diese genau an der Stelle, an der der Bus sie kreuzt, einen Block lang ihren Namen in Grecia. So viel zu den Bussen die direkt vor der Haustür abfahren.

Was nun wenn man sich ans andere Ende der Stadt bewegen will? Ich habe im Laufe der Zeit gelernt, einfach so weit wie möglich gefühlt in die gewünschte Himmelsrichtung zu fahren und mich anschließend im Bus oder in der Straße durchzufragen. Irgendwie kommt man immer irgendwo an und sei es in dem kleinen Dörfchen Huaxtla über 50 Kilometer außerhalb der Stadt.

Zusammenfassend sind also folgende simple Grundregeln zu beachten:
  • An Kreuzungen hat der Fußgänger wie der Wind zu rennen, um diese zu überqueren. Ausnahme: er fühlt, dass der Boden vibriert, hört Geknatter oder sieht eine schwarze Rauchwolke, dann hat er brav auf dem Fußweg zu bleiben.
  • Wer die dünnere Knautschzone hat verliert.
  • Jeder ist seine eigene Bushaltestelle - sofern er an einer Kreuzung steht und winkt.
  • Vor dem Einsteigen ist die Nummer des Busses genauestens zu überprüfen.
  • Im Bus sollte der Fußgänger sich festhalten. Nicht umsonst hängt der Fahrer den ganzen vorderen Busteil mit Kreuzen und Rosenkränzen voll.
  • Der Fahrer bestimmt die Musik und dessen Lautstärke.
  • Es gibt in jedem Verkehr ein System. Dies gilt es zu erkennen und sich ihm anzupassen.
Wem das zu kompliziert erscheint, der sollte sich an die beiden U-Bahnlinien oder den Metrobus halten, denn die haben feste Haltestellen. Um sie zu erreichen gilt es nur, den richtigen Bus zu finden...

Text + Fotos: Annika Wachter

[druckversion ed 03/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: mexiko]

Die Autorin auf Tour – absolut lesens- und schauenswert!
Annika & Roberto sind mit dem Fahrrad nach Süd-Ost Asien unterwegs
Ihren Blog zum Trip "Tasting Travels – tasting the cultures of the world" findet ihr unter:
www.tastingtravels.com





[art_4] Bolivien: Der Berg und der Teufel
 
46.000 und acht Millionen - diesen zwei Zahlen wohnt die Tragik von Potosí inne. Zu der auf 4.100 Metern gelegenen Stadt führen vor allem holprige Straßen, die sich durch die surreale Marslandschaft des südlichen bolivianischen Hochlandes winden. Doch man sieht aus unserem Bus nur wenig von den sonderbaren Felsformationen, denn in der Nacht ist feiner Schnee gefallen, der die karge Gesteinsebene überzieht.

Das flüchtige Weiß kann nicht verstecken, dass Potosí nicht so recht in diese menschenfeindliche Umgebung passen will. Wie Ruinen liegen einige tausend kantige Häuser auf der Bergschulter des Cerro Rico, jenem steil in den Himmel ragenden Berg, der Potosís Schicksal geprägt und seine Existenz erst bedingt hat. Hier entdeckten spanische Schürfer im 16. Jahrhundert reiche Silbervorkommen. Im 18. und 19. Jahrhundert dann soll Potosí die größte Stadt der Welt gewesen sein, bedeutender als London oder Paris. In dieser Epoche wurden 46.000 Tonnen des glitzernden Edelmetalls aus dem Berginneren gehauen, das in der Folge vor allem spanische Thronsäle verzierte.


Am nächsten Tag war der Schnee geschmolzen:
Potosí mit dem Cerro Rico im Hintergrund


Ans Tageslicht geschafft wurde das Silber von indigenen Zwangsarbeitern, die von den Spaniern wie Sklaven in den Bergwerken verheizt wurden - in zwanzig Stunden langen Arbeitsschichten und mit der Auflage, sechs Monate lang den Berg nicht zu verlassen. Im Laufe der Jahrhunderte hat der Cerro Rico angeblich das Leben von etwa acht Millionen Minenarbeitern gefordert. Man könnte auch sagen: an jeder Tonne Potosí-Silber klebte das Blut von über 170 Menschen.

Obwohl die Silberadern irgendwann im 19. Jahrhundert versiegt sind, wird auch heute noch nach Zink, Kupfer und anderen Metallen gegraben. Den Berg durchziehen mittlerweile über 500 Schächte, die teilweise über einen Kilometer ins Innere führen. Für Touristen ist es eine der Hauptattraktionen, sich für einen halben Tag durch eines der Bergwerke führen zu lassen. Auch wir schließen uns einer Tour an, die in unserem Hostal angeboten wird. Am nächsten Morgen geht es los und jeder von uns wird mit einer Pseudo-Minenausrüstung ausgestattet, das heißt mit Stirnlampe, Minenhelm, Wasser abweisender Jacke und  Gummistiefeln.

Mit Blick auf die dunkle Öffnung eines der Stollen lernen wir das Einmal-Eins für Bergleute: 1. Immer wenn wir uns den Kopf stoßen, "Bajo" nach hinten rufen. 2. Dem Tio huldigen. Der Tio ist eine teufelsartige Kreatur, die für die Bergleute Hoffnung und Schicksal verkörpert. Er geht auf einen Trick der Spanier zurück und stammt aus Zeiten, als sich Widerstand unter den Minenarbeitern regte. In dem Wissen, dass die indigenen Bolivianos in allem eine Gottheit sehen, um deren Gunst sie bangen, brachten die Spanier eine Statue nach Potosí. Sie sollte über das Schicksal der Bergarbeiter wachen.


Fehlt in keinem Stollen:
eine obszöne Teufels-Statue mit Opfergaben
Bald war es Brauch unter den Bergarbeiten, diesem Tio ("Onkel", abgeleitet wurde das Wort aber von "Dios"/Gott - in Quechua gibt es jedoch den Buchstaben D nicht) regelmäßig Opfer zu bringen, damit er die Bergarbeiter vor dem Verschüttetwerden und Erstickungstod unter Tage bewahrt. Heute findet sich in jedem Stollen mindestens eine der grotesken Statuen.

Ein Großteil unserer Gruppe lacht über diese Erzählungen. Die Stimmung ändert sich erst, als wir die ersten 50 Meter durch knöcheltiefes Schlammwasser in den Schacht waten. Schon nach wenigen Schritten verschluckt die klaustrophobische Dunkelheit die Späße, unsere Stirnlampen werfen  einen milchigen Schein auf Wasser und Stein. Wir bekommen eine erste Ahnung davon, was es heißt, hier Tag für Tag zu arbeiten. Dieses Schicksal trifft nach wie vor etwa 10.000 Bolivianer, lässt uns unser Guide wissen. Ob darunter auch Kinder sind, will er uns aber nicht sagen.


Kunstwerk anlässlich der Ernennung
Potosis zum UNESCO-Weltkulturerbe
Eine vage Auskunft auf diese Frage gibt der Film "A Devil's Miner", der von einem deutschen Filmstudenten gedreht wurde und den wir uns am Vortag in unserem Hostal anschauen konnten. Als der Film 2004 gedreht wurde, war Kinderarbeit im Cerro Rico Gang und Gebe. Meist traf es Waisen, wie den 14-jährigen Basilio und seinen zwei Jahre jüngeren Bruder Bernardino, für die im Film das Bergwerk die einzige Möglichkeit ist, ihre jüngeren Geschwister zu ernähren. Ob der Film die Situation der Kinder vor Ort verbessert hat, wissen wir nicht.

Wir hören aber, dass er zumindest das Schicksal von Basilio positiv beeinflusst hat: er ist mittlerweile der mit Abstand gefragteste Minen-Führer in Potosí.

Doch auch die Filmbilder konnten uns nur unzureichend auf die bizarre Welt im Inneren des Berges vorbereiten, in die wir auf unserer Tour hinabsteigen. An den Decken des eineinhalb Meter hohen Stollens wachsen organisch anmutende Mineralien, Schwefel durchdringt die Luft. Bald darauf fangen wir an zu schwitzen, denn je tiefer man in den Berg vordringt, desto wärmer wird es.

Ab und zu hört man ein unverständliches, gerufenes Kommando und aus dem Dunkel kommt ein krächzender Wagen geschossen - wehe dem, der seinen Körper nicht schnell genug an die Wand presst. Plötzlich erschüttert ein dumpfer Knall den Stollen. Unser indigener Guide grinst lediglich und wedelt Kaugummi kauend mit einer Dynamit-Stange,, was uns daran erinnern soll, dass andernorts im Berg gerade gesprengt wird.

Nachdem wir über einige Leitern hinab gekraxelt sind, stehen wir vor einem drei Meter tiefen Loch. Darin kauert ein junger Mann, der mit einer Spitzhacke den Fels bearbeitet. Sein Alter will er uns nicht sagen. Er könnte zwanzig sein. Oder vierzehn.


Weg in die Dunkelheit
Für ihn ist das Graben nach Zink und Kupfer verhältnismäßig lukrativ. Er verdient bis zu 500 Bolivianos (55 Euro) pro Woche, deutlich mehr als ein Durchschnitts-Bolivianer. Dafür - so lehrt uns "A Devils Miner" - wird er voraussichtlich nicht älter als 38 Jahre. Wenn er nicht durch einen der häufigen Stollen-Einstürze oder giftige Gase zu Tode kommt, tötet ihn der Staub, der sich im Laufe der Jahre in seinen Lungen festsetzt.

Einer der jungen Briten fragt, ob er seine Arbeit genießt. Zum ersten Mal auf der Reise sind wir dankbar für die Sprachbarriere zwischen Touristen und Einheimischen und danken unserem Guide, dass er diese Frage nicht übersetzen will.

Als wir nach zwei Stunden wieder ins Freie treten, reißt uns das Tageslicht aus dem Albtraum. Zurück bleibt bittere Gewissheit, unter was für Bedingungen Menschen heute noch arbeiten müssen und das Bewusstsein, privilegiert zu sein, ein Leben wählen zu können, das mit keiner Hölle in Kontakt steht.



Es bleibt die Hoffnung, dass die bolivianische Regierung die ohnehin wenig ergiebigen Grabungen bald aussetzt, da in den kommenden Jahren mit einem Zusammensacken des Cerro Ricos zu rechnen ist. Mit der Stilllegung würden aber tausende Minenarbeiter ihre Arbeit verlieren. Und wie manche selbst sagen, würden sie lieber in den Tiefen des Berges verschüttet werden; ist die Arbeit in den Stollen doch das Einzige, was sie je gelernt haben.

Text + Fotos: Robert Gast

[druckversion ed 03/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: bolivien]





[art_5] Karibik: Reggae und Calypso im Karneval
 
Karneval wird in vielen Ländern der Welt gefeiert - in der Regel im Februar oder März, kurz vor Beginn der Fastenzeit. Auch wenn es lokale Besonderheiten und Ausprägungen gibt, ist es doch überall die Zeit, um fröhlich zu sein, zu lachen, die Traurigkeit zu vergessen, den Alltag hinter sich zu lassen, zu singen, zu tanzen und sich hinter einer Maske zu verstecken.

Der brasilianische Karneval, vor allem der in Rio de Janeiro, eines der größten künstlerischen Spektakel unter freiem Himmel, dürfte in weiten Teilen der Welt wohl als DER Karneval schlechthin gelten. In Lateinamerika gibt es noch viele andere farbenfrohe und prächtige Karnevalsveranstaltungen, die nicht weniger leidenschaftlich als die brasilianischen sind.

In ganz Lateinamerika wird Karneval gefeiert - immer mit Musik, Tanz, Verkleidungen, Masken, Wägen, Umzügen und großen Auftritten. In manchen Ländern Lateinamerikas werden Passanten während der Faschingszeit mit Wasser bespritzt oder mit Mehl bestäubt.

Musikgruppen sorgen mit Calypso-, Tumba- und Road March-Songs für Stimmung, prächtige Wagen konkurrieren um den ersten Preis und Faschingsfreunde zeigen voller Stolz ihren aufwendigen Kopf- und Körperschmuck! Der karibische Karneval gilt - nach dem Karnevalstreiben in Rio - als zweitgrößte und -bunteste Sensation der Fastnachtszeit in Lateinamerika. Auch dort wird mit ohrenbetäubendem Lärm gefeiert, bei tropischer Hitze getanzt - auf manchen Inseln gleich mehrmals im Jahr. Anders als allgemein angenommen, ist Fasching dort nämlich an keine bestimmte Jahreszeit gebunden.

Dass auf den Bahamas, in St. Kitts und auf Montserrat in der Zeit von Weihnachten bis Neujahr ausgelassen auf den Straßen gefeiert wird, liegt in der Zeit der Sklaverei begründet: Damals waren die christlichen Festtage für die afrikanischen Sklaven die einzigen freien Tage im ganzen Jahr - Grund genug, um zu tanzen, zu singen, lautstark zu feiern und ein bisschen in Erinnerungen an die alte Heimat zu schwelgen. Mancherorts sind die Fastnachtsfeiern noch heute als Andenken an diese Ursprünge zu sehen. Anderswo war die Christianisierung dominanter: Dort wird Karneval heute vor allem als Fest vor der entbehrungsreichen Fastenzeit gesehen.

Auf den Bahamas beginnt die fünfte Jahreszeit bereits zu Weihnachten und erreicht ihren Höhepunkt am Neujahrstag. Auch in den Kneipen und auf den Straßen Montserrats erklingen um Weihnachten eher Jazz-, Reggae-, und Calypso-Songs als besinnliche Flöten- und Orgelmusik, die man aus unseren Breiten kennt.

Aus Marketing-Gründen, um Überschneidungen mit der Faschingssaison auf Trinidad zu vermeiden, haben manche Inseln ihren Karneval zeitlich verschoben. Trinidad ist nämlich die Karnevalshochburg der Karibik. Jouvay oder Jouvert heißt dort der offizielle Beginn des Karnevals, der die Herzen vieler Insulaner höher schlagen lässt. Für die stolzen Trinibagonians ist ihr Karneval, auch genannt Jump-Up, The Greatest Show On Earth. Richtig rund geht es hauptsächlich an Rosenmontag und Faschingsdienstag. Auf den Straßen der Inseln sind Jab Jabs (Teufel), Burrokeets (Esel), Midnight Robbers (Gauner) und Moko Jumbies (Riesen auf Stelzen) unterwegs. Der Ursprung dieser Figuren reicht bis in die Kolonialzeit zurück, als sich die unteren Bevölkerungsschichten verkleideten und so die Oberen verspotteten.

Beim Jump-Up bewegen sich die bis zu 20.000 uniform kostümierten Mitglieder einer Band tanzend in bis zu drei Kilometer langen Gruppen zu Calypso und Soca-Musik durch die Straßen. Eine der bedeutendsten Ehrungen im Karneval auf Trinidad ist die Auszeichnung als Calypso King. Calypso ist die charakteristische Musikrichtung Trinidads. Typische Songs handeln einerseits von Ereignissen, die die Welt bewegt haben, andererseits kritisieren sie auch Missstände vor Ort. Das Jumping in einer Karnevalsband ist für viele arme Inselbewohner ein teurer Spaß, für den sie ein ganzes Jahr sparen.

Auf Guadeloupe wird sogar am Aschermittwoch gefeiert: Kleine schwarz-weiße Teufel sind unterwegs und am Abend wird eine Stoffpuppe verbrannt.

Ein bedeutender Feiertag in der Dominikanischen Republik ist der 27. Februar. Dann wird Santo Domingo zur Bühne für eine riesige Menge von Merengue-Fans. Danach zieht der Karneval von einer Stadt zur nächsten, so dass immer wieder anderswo getanzt werden kann.

Die Verkleidungen der Narren in Puerto Rico bestehen hauptsächlich aus bunten, meist übel dreinblickenden, Papmachée-Masken. Am Ende der Feierlichkeiten wird der Karneval begraben - in der Hoffnung, dass er im nächsten Jahr wieder aufersteht. Ähnlich läuft das Faschingsende auf Guadeloupe und Aruba ab, wo der Karnevals-Gott Vaval bzw. Momo verbrannt wird.

Die Karneval-Fans auf St. Martin/St. Maarten haben doppeltes Glück: Sie dürfen im Februar im französischen und im April im niederländischen Teil der Insel feiern. Das Carnival Village im holländischen Teil der Insel hat dann rund um die Uhr geöffnet. Bemerkenswert bei 50.000 Bewohnern: Der Paradezug der Hauptstadt Philipsburg ist stolze sechs Kilometer lang!

Aus den Cayman Islands wird Anfang Mai der Batabano Carnival gefeiert. An die Sklavenarbeit des 18. Jahrhunderts auf Barbados erinnert das Crop Over Festival, eine Mischung aus Zuckerrohr-Erntedankfest und Karneval, im Juli. Fünf Wochen lang bedanken sich die Insulaner dann für die eingefahrene Zuckerrohr-Ernte. Auch auf Kuba wird im Juli gefeiert. Dann findet in Havanna eine Art Rummel statt, mit unzähligen Essensständen, Buden und Tanzbühnen.

Der Fasching auf der kleinen britischen Insel Anguilla (12.000 Bewohner) mag auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich erscheinen: Eine Segelwettfahrt im August zählt zu den absoluten Höhepunkten der Festlichkeiten. Am Strand spielen dann etliche Bands zwischen den zahlreichen Essensbuden und selbstverständlich wird auch getanzt - auf Sand oder im seichten Wasser.

Ebenfalls im Sommer findet der Jumpin’ and Jammin’ Carnival auf Antigua statt. Denn ähnlich wie auf St. Maarten gibt es auch dort eine Karnevals-Stadt.

Text: Corina Oblinger
Fotos: Trinidad & Tobago Tourism Development Company Ltd

Corina Oblinger arbeitet für das Südamerika Reiseportal. Hier findet ihr zahlreiche Reiseangebote in die im Artikel genannten Länder.

[druckversion ed 03/2011] / [druckversion artikel]





[kol_1] Grenzfall: Typisch Portugal
 
"Ein seltsames Völkchen sind sie schon, die Portugiesen", resümiert ein Freund nach seinem vierwöchigen Urlaub in dem südeuropäischen Land. "Sie nehmen alles so wörtlich…"

Er hatte dort ein Geschäft betreten um irgendwas zu kaufen. "Arbeiten Sie mit VISA-Card?", fragte er den Mann hinter der Ladentheke. Die Antwort war ein knappes "Nein". Als mein Freund daraufhin auf ein VISA-Zeichen verwies, das er in diesem Moment an der Kasse klebend erspähte, klärte der Portugiese ihn auf. "Ich persönlich arbeite nicht mit VISA, denn ich habe keine VISA-Card. Aber hier im Geschäft können Sie gerne mit VISA bezahlen."

Ich habe ähnliche Erfahrungen in dem sympathischen Land gemacht. In einer Gastwirtschaft fragte ich die Bedienung, ob sie eine Coca-Cola hätte. "Klar, haben wir", antwortete sie freundlich. Als ich eine halbe Stunde später immer noch keine Coca-Cola auf meinem Tisch stehen hatte, entschloss ich mich ob der drückenden Sommerhitze noch einmal nachzufragen, wo denn die Erfrischungsbrause bliebe. "Aber der Herr hat doch gar keine Cola bestellt, sondern lediglich gefragt, ob wir eine hätten..."

Mein Freund besuchte eine Pizzeria, gemeinsam mit einer Bekannten. Im Zweifel ob der Größe der Pizza, fragte er die Bedienung, ob eine Pizza wohl für zwei Personen okay wäre. "Natürlich, Sie müssen sie einfach nur in der Mitte durchschneiden." Typisch Portugal.



Hier in Brasilien gibt es unendlich viele Witze über die Portugiesen. Dabei halten sich die Brasilianer allgemein für cleverer als ihre Brüder auf der anderen Seite des großen Teiches. Aber ein wenig portugiesisches Erbe kann man auch hier noch feststellen. Man muss bloß eine Pizzeria betreten und die Bedienung nach der Größe der Pizza fragen. "Acht Stücke ist die Pizza groß", so die Antwort. Bohrt man weiter und fragt, wie groß denn dann wohl jedes dieser acht Stücke sei, bekommt man lediglich ein Schulterzucken zur Antwort. Scheinbar war hier vor mir noch nie jemand so weit in die Geheimnisse der Pizzawelt eingedrungen... Typisch brasilianische Pizzeria.

Text + Foto: Thomas Milz

[druckversion ed 03/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: grenzfall]






[kol_2] Lauschrausch: Cumbia vs. Chicha
 
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sound)))trip Colombia
Reise Know-How 029
Die international bekannten Stars Shakira und Juanes bilden nur die Spitze einer breiten und quirligen Musikszene in Kolumbien. Hier fast ausschließlich mit Bürgerkrieg und Drogenanbau in Zusammenhang gebracht, verlieren die Menschen dort - trotz dieser Bedrohungen - nicht ihre Lebensfreude. Und dazu gehört an vorderster Stelle die Musik. Die ist in Kolumbien mit seiner rund 1.600 Kilometer langen Karibikküste stark von den dort lebenden Nachfahren der afrikanischen Sklaven geprägt. Die afro-kolumbianische Kultur hat viele Folklorestile wie cumbia oder champeta hervorgebracht und ist über ihre Rhythmik auch in die modernen, urbanen Musikstile eingeflossen.

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sound)))trip Colombia
Reise Know-How 029

Und so ist auf "sound)))trip Colombia" ein Großteil der Titel davon beeinflusst. Das gilt für die Musik und Texte von "Bomba Estéreo", die traditionelle Rhythmen mit Rapgesang und Elektronik mischen, beide Titel sehr tanzbar, aber musikalisch eher unspannend. Humberto Pernett hingegen mixt die Folklore und sein Spiel auf der gaita (traditionelle Flöte) wesentlich intelligenter mit elektronischen Klängen und seinem Gesang. Auch das Kollektiv "Systema Solar" geht diesen Weg und gewichtet seinen Mix zugunsten der Folklore.

Den Sprung nach Afrika bzw. in die afrikanisch beeinflusste Karibik vollzieht die Sängerin Erika Muñoz, deren beschwingende Kompositionen stark vom soukous (aus dem Kongo) und vom zouk (Martinique) beeinflusst sind. Mit "En Brazos" von Alfonso Espriellas verlassen wir kurz die verschiedenen Spielarten der "modernen Folklore" und tauchen in die Welt der Rockmusik ein, die in Kolumbien viele Anhänger hat, wie das seit 1994 bestehende, größte Festival Lateinamerikas "Rock al parque" belegt. Espriellas Musik ist eine interessante Mischung aus Anleihen von "Nirvana", "Heroes del Silencio" und einer meistens sanften Stimme à la Leon Gieco. Die Rapper von "Choc Quib Town" mischen die Musik ihrer Herkunftsregion - die afro-kolumbianische Pazifikküste - mit den harten Beats des Hiphop, während die siebenköpfige Truppe "La Manigua" beweist, dass sich auch Funk und Soul mit den kolumbianischen Rhythmen gut vertragen. Mit "Con Las Unas" ist auch eine Gruppe aus der riesigen Salsa-Szene des Landes vertreten, die so berühmte Interpreten wie "Grupo Niche" oder Joe Arroyo hervorgebracht hat. "Cimarrón" entführen uns in die staubigen Ebenen der Llanos, von wo sich der traditionelle Joropo über Venezuela und Kolumbien ausgebreitet hat. Eine sehr lebhafte Musik, mit Harfe, cuatro (kleine Gitarre) und verschiedenen Perkussionsinstrumenten gespielt, hier angereichert um einen dezenten elektrischen Bass. Dieses in keinster Weise verstaubt klingende Instrumentalstück ist ein Höhepunkt der Compilation. Mit "Totó La Momposina" sind wir dann in der ursprünglichen afro-kolumbianischen Kultur angekommen, die hier nicht nur in der Auswahl der Instrumente durchscheint, sondern auch in der Verehrung der afro-lateinamerikanischen Götter wie Chango oder Yemaya. Tini Martinez, der diese CD beschließt, spielt zwar auch Folklore, fällt aber gänzlich aus dem Rahmen dieser Sammlung: mit seiner rauen Stimme singt der Guajiro-Indianer wie ein alter Bob Dylan zur Gitarre seine überlieferten, englischen Texte aus der Karibik, die vom Fischen, von Frauen und dem harten Alltag handeln. Einfach wunderbar!

sound)))trip Colombia" bietet - für ein einzelnes Album - eine repräsentative Darstellung der aktuellen Musikszene Kolumbiens, die Laune macht und auch auf Tanzparties ihren Einsatz finden wird.


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The Roots of Chicha 2. Psychedelic Cumbias from Peru
Barbès / Crammed Discs 73
Die kolumbianische cumbia breitet sich seit Jahrzehnten erfolgreich über den lateinamerikanischen Kontinent aus. Lokal entstanden und entstehen Varianten wie die cumbia villera in Argentinien oder die cumbia andina in den Andenländern. Peru erreichte die cumbia in den 1950er Jahren und es entwickelte sich daraus in den 60ern die dort chicha genannte Variante der cumbia andina als Ausdrucksform der damals am schnellsten wachsenden Bevölkerungsgruppe: den Jugendlichen der zweiten Generation andiner Emigranten in den Vorstädten von Lima, die der Öl-Boom in die Stadt gelockt hatte.

Die chicha, eigentlich die Bezeichnung für Maisbier, auf die Musik transferiert durch einen Hit mit dem Titel "La chichera” (die chicha-Verkäuferin), entstand aus der Vermischung einer urbanen Form der kolumbianischen cumbia mit dem huayno, einem andinen Gesangsgenre, sowie mit Einflüssen aus dem angelsächsischen Surf-Rock, vor allem durch die elektrischen Instrumente, (Stratocaster)-Gitarre und Farfisa-Orgel, die in dieser Zeit erschwinglich wurden und vielen Stücken einen psychedelischen Touch verleihen.

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The Roots of Chicha 2. Psychedelic Cumbias from Peru
Barbès / Crammed Discs 73

Die chicha diente der Identitätsfindung einer urbanen Jugend, die größtenteils der Unterschicht angehörte. Die Texte handeln meistens von Liebe, aber auch von schicht-spezifischen sozialen Phänomenen wie Armut oder schlecht bezahlter Arbeit (z.B. in "Ambulante soy”, also Straßenverkäufer). Von der konservativen Oberschicht wurde diese Musik als andin und textlich vulgär abgelehnt, von den linken Intellektuellen als anti-fortschrittlich und zu wenig revolutionär verurteilt. Darum blieb diese Musik lange Zeit ein Randphänomen. Erst ab Mitte der 80er wurde die chicha mit großem Erfolg in die Mainstream-Kultur des Landes integriert.

Dem französischen Musiker und Barbesitzer aus Brooklyn, Oliver Conan, der die chicha bei einem Trip durch Peru entdeckte, verdanken wir nun die Erschließung der Anfänge dieser Musik. Er hat sich durch Archive und Privatsammlungen gekämpft und eine große Zahl von Chicha-Ohrwürmern gefunden, die er auf seinem Label auf zwei Compilations veröffentlicht hat. Auf diesem, zweiten, Teil finden sich die eher raren und unbekannten Aufnahmen von damaligen Stars wie "Los Shapis", "Los Walkers" oder "Los Destellos", die 1968 als eine der ersten Bands einen Moog-Synthesizer für ihre Musik nutzten. "Los Walkers" integrierten bald auch kubanische Rhythmen in die Stücke oder spielten diese im chicha-Sound (hier z.B. zu hören beim Titel "Siboney" von Ernesto Lecuona).

"El diablo" von der Band "Compay Quinto" klingt wie ein Titel der US-Instrumental-Band "The Ventures" mit Gesang und "Manzanita y su Conjunto" kombinieren den psychedelischen Gitarrensound des frühen Carlos Santana mit den Surf-Sounds von Duane Eddy. So reiht sich eine Überraschung an die nächste und ganz nebenher erfährt man, dass die wohl berühmteste Cumbia, "La Colegiala", eigentlich eine chicha-Gitarrennummer von Walter León und seinen "Los Ilusionistas" ist.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 03/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





[kol_3] Macht Laune: Carnaval-Hits 2011
 
Welches Lied wird wohl der große Hit des Carnavals 2011?
Das ist die Frage, die ganz Salvador da Bahia zurzeit beschäftigt...

Nachdem ich eine Woche vor Ort die Lage gecheckt habe, lauschte, was so auf den Straßen gesungen wird, konnte ich mich gerade noch rechtzeitig absetzen bevor die große Sause beginnt.

Es gibt wohl vier Lieder, die zu den heißesten Favoriten zu zählen sind. Persönlich halte ich das Lied von der "Mulher Maravilha", die mit ihrem Superman das Weite sucht, für das aussichtsreichste. Wohl auch deshalb, weil ich die Hoffnung habe, eines Tages gemeinsam mit ihr fliegen zu können.

Und hier geht es zu den traumhaften Kompositionen:

Leva Noiz - Liga da Justiça (Foge Mulher Maravilha)




Alexandre peixe - Ela é total flex





Parangolé - Tchubirabirom




Aviões do Forró - Minha Mulher num Deixa não




Viel Spaß! - Unterdessen beantrage ich musikalisches Asyl im Carnaval von Rio de Janeiro.

Text: Thomas Milz

[druckversion ed 03/2011] / [druckversion artikel] / [archiv: macht laune]






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