ed 03/2011 : caiman.de

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[art_3] Mexiko: Wie man wilde Busse bändigt
Straßenverkehr und öffentliche Verkehrsmittel in Guadalajara
 
Auf den ersten Blick wirkt der Verkehr in Guadalajara, Mexiko, chaotisch, denn alles läuft so anders ab als im Schilder- und Regelwald Deutschland. Doch auch in Mexiko gibt es ein System, man muss es nur erst kennen lernen. Es gibt sowohl Ampeln, als auch Schilder. Es wird auf der rechten Straßenseite gefahren und zwar mit Autos, Motorrädern, dreirädrigen Verkaufsständen, Mofas, LKWs und Bussen und ganz selten mal mit dem Fahrrad. Ganz normal also. Allerdings schlängeln sich schmale Autos, Mofas und todesmutige Fahrradfahrer zwischen zwei Fahrspuren hindurch und eröffnen so weitere Fahrspuren, Hupkonzerte sorgen für fiepende Ohren und Clowns tanzen auf den Kreuzungen vor den parkenden Autos - Feuerspiele und Autowäschen können die Wartezeit an der Ampel verkürzen.

Polizeiautos mit Blaulicht werden so lange ignoriert, bis sie die Sirene einschalten und Fußgänger sausen immer bei Rot über die Ampel. Denn wenn die Fußgänger auf der großen Kreuzung grün haben, dann fahren auch die Autos auf der Parallelstraße. Wer mit dem Auto abbiegt, muss sich um Fußgänger und ihre grüne Ampel nicht scheren, denn wer die dickere Knautschzone hat, hat das Recht auf seiner Seite. Für Fußgänger ohne Airbag heißt es da, schnell sein oder ein paar Ampelphasen lang stehen bleiben.

Vor allem wenn der Boden vibriert und ein ohrenbetäubendes Röhren lauter und lauter wird, ist Obacht geboten, denn das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass sich ein Bus nähert. Bussen sollte aus offensichtlichen Gründen in jedem Fall die Vorfahrt gewährt werden.

Und nicht nur für Fußgänger sind die beängstigend lauten Busse gefährlich. Wer sich in das Innere eines solchen Monstrums gewagt hat, wird ordentlich durchgeschüttelt; denn obwohl es keine festen Abfahrtszeiten gibt, scheinen die Busfahrer ständig in Eile, mehr noch als die Taxifahrer. Rote Ampeln und Radfahrer werden wenn nötig und möglich umfahren. Schlaglöcher werden einfach ignoriert. Von Vollbremsung zu Vollbremsung rasen die klapprigen Busse so durch die Stadt und hupen sich ihren Weg frei.

Es in das Innere eines Busses zu schaffen ist nicht schwer. Da es keine festen Haltestellen und auch keine Abfahrtszeiten gibt, wurde mir in meiner ersten Woche in Guadalajara geraten, mich einfach an eine Straßenecke zu stellen, an der auch andere Menschen stehen. Sobald man die Routen kennt, kann man sich sogar ganz alleine irgendwohin stellen und eine eigene Haltestelle bilden. Die vorbeifahrenden Busse kann man heranwinken und sofern sie noch Platz im Inneren haben, halten sie auch an. Dann werden sechs Pesos gegen ein dünnes Fitzelchen Papier getauscht und - wuuuuusch - geht es los. Wer meint, sich im Sitzen nicht festhalten zu müssen, ist selbst schuld, wenn er mit dem Kopf gegen die Decke und mit den Knien gegen den Vordersitz knallt. Nähert man sich dem gewünschten Ziel, so kann man dem Fahrer Bescheid schreien, an welcher Kreuzung man gerne raus möchte. Dort wird dann meistens auch angehalten.

Ich hatte schnell verstanden, wie man es schafft, in einem Bus mitzufahren, blieb nur die Frage nach dem richtigen. Jeder Bus hat eine dreistellige Nummer, die die Route anzeigt. Auf die Windschutzscheibe sind ein paar Orte aufgemalt, die die jeweilige Nummer passiert und in manchen Bussen hängt innen sogar noch ein alter Routenplan, auf dessen Aktualität allerdings nicht zu stark vertraut werden sollte. In der ersten Woche sagte man mir, die 051 führe nach Osten in Richtung Zentrum und kreuze dabei die Federalismo, die U-Bahn-Haltestelle für beide Linien und die Independencia. Da ich viel in dieser Richtung unterwegs war und der Bus fast vor der Haustür abfuhr, habe ich ihn viel genutzt. Aber ich bin nie an der Independencia rausgekommen. Mal war die Fahrt schon nach zwei Minuten vorbei und der Fahrer scheuchte uns alle raus und mal bogen wir plötzlich ab und fuhren in eine völlig andere Richtung. Es dauerte Wochen bis ich das Geheimnis der 051 durchblickte. Hinter der Zahl, die mit Edding auf die Windschutzscheibe geschrieben war, standen kleine Buchstaben:  A, B, C und AB. Nur die 051B und 051AB fuhren grob in Richtung Osten. Und nur die 051B fuhr auch durch bis zur Independencia. Allerdings wechselt diese genau an der Stelle, an der der Bus sie kreuzt, einen Block lang ihren Namen in Grecia. So viel zu den Bussen die direkt vor der Haustür abfahren.

Was nun wenn man sich ans andere Ende der Stadt bewegen will? Ich habe im Laufe der Zeit gelernt, einfach so weit wie möglich gefühlt in die gewünschte Himmelsrichtung zu fahren und mich anschließend im Bus oder in der Straße durchzufragen. Irgendwie kommt man immer irgendwo an und sei es in dem kleinen Dörfchen Huaxtla über 50 Kilometer außerhalb der Stadt.

Zusammenfassend sind also folgende simple Grundregeln zu beachten:
  • An Kreuzungen hat der Fußgänger wie der Wind zu rennen, um diese zu überqueren. Ausnahme: er fühlt, dass der Boden vibriert, hört Geknatter oder sieht eine schwarze Rauchwolke, dann hat er brav auf dem Fußweg zu bleiben.
  • Wer die dünnere Knautschzone hat verliert.
  • Jeder ist seine eigene Bushaltestelle - sofern er an einer Kreuzung steht und winkt.
  • Vor dem Einsteigen ist die Nummer des Busses genauestens zu überprüfen.
  • Im Bus sollte der Fußgänger sich festhalten. Nicht umsonst hängt der Fahrer den ganzen vorderen Busteil mit Kreuzen und Rosenkränzen voll.
  • Der Fahrer bestimmt die Musik und dessen Lautstärke.
  • Es gibt in jedem Verkehr ein System. Dies gilt es zu erkennen und sich ihm anzupassen.
Wem das zu kompliziert erscheint, der sollte sich an die beiden U-Bahnlinien oder den Metrobus halten, denn die haben feste Haltestellen. Um sie zu erreichen gilt es nur, den richtigen Bus zu finden...

Text + Fotos: Annika Wachter

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Die Autorin auf Tour – absolut lesens- und schauenswert!
Annika & Roberto sind mit dem Fahrrad nach Süd-Ost Asien unterwegs
Ihren Blog zum Trip "Tasting Travels – tasting the cultures of the world" findet ihr unter:
www.tastingtravels.com


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