ed 01/2014 : caiman.de

kultur- und reisemagazin für lateinamerika, spanien, portugal : [aktuelle ausgabe] / [startseite] / [archiv]


spanien: Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana
Vierzehnte Etappe: Millionen Mohnblumen, zwölf Sterne und eine Pilger-Party im Provinznest
BERTHOLD VOLBERG
[art. 1] druckversion:

[gesamte ausgabe]


argentinien: Die Einsamkeit der Farben
LARS BORCHERT
[art. 2]
brasilien: Jetzt wirds ernst! - Ein Ausblick auf die Fußball-WM 2014
THOMAS MILZ
[art. 3]
brasilien: Adeus São Paulo
THOMAS MILZ
[art. 4]
macht laune: Auf 3 Sofas durch ... Barcelona
THOMAS NIEMIETZ SWR 3
[kol. 1]
erlesen: Wasserblaue Augen von Domingo Villar
MARIA JOSEFA HAUSMEISTER
[kol. 2]
traubiges: Primadonna aus Mendoza
Der Puro Malbec 2012 des Konzeptkünstlers und Hobbyweinbauers Dieter Meier
LARS BORCHERT
[kol. 3]
lauschrausch: Peru vs. Latin Jazz
Peru maravilloso - Fiesta al Jazz
TORSTEN EßER
[kol. 4]

[art_1] Spanien: Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana
Etappen [14] [13] [12] [11] [10] [9] [8] [7] [6] [5] [4] [3] [2] [1]
Vierzehnte Etappe: Millionen Mohnblumen, zwölf Sterne und eine Pilger-Party im Provinznest
 
10. Juni 2013. Wir stehen wieder vor unserer Lieblingskathedrale, wo wir vor fast einem Jahr unsere Jakobsweg-Wanderung abbrechen mussten. "Wenn ihr hier in Burgos den Weg beginnt, kann ich euch keinen Stempel für den Pilgerpass geben!" Dies verkündet uns, arrogant im Ton und mit leicht dümmlichem Gesichtsausdruck, das unfreundliche Mädel im Pfarrbüro der Kathedrale von Burgos.


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Von "beginnen" kann ja wohl keine Rede sein! Wir haben schon fast 400 Kilometer zurückgelegt auf Europas großem Pilgerweg: von Somport bis Burgos. Das war zwar vor einem Jahr, aber man muss selbstverständlich exakt wieder dort starten, wo man mangels ewigen Urlaubs aufgehört hat. Meine sehr temperamentvolle andalusische Begleiterin Cayetana ist so in Rage über die Arroganz der "Herrin der Stempel", dass ich sie nur mit Mühe zurückhalten kann. Fast hätte sie der Angestellten des Domkapitels den Stempel aus der Hand gerissen. Wegen der pilgerfeindlichen Haltung der jungen Dame müssen wir erstens den vollen Eintrittspreis für die Kathedrale ohne Pilger-Rabatt bezahlen – Cayetana schleudert die 7 Euro mit Anlauf auf die Theke – und zweitens klafft seitdem in unserem Pilgerpass eine hässliche Lücke. Sehr ärgerlich!

Wir beruhigen uns erst, nachdem wir wieder eingetaucht sind in die grandiose Bilderwelt der Sternenkuppel-Kathedrale von Burgos, die uns schon im August 2012 so beeindruckt hat. Gott sei dank ist Burgos eine sehr schöne Stadt, es gibt viel zu sehen: prächtige Kirchen, schöne Plätze und die grüne Uferpromenade. Daher wird uns die unfreiwillige Wartezeit hier nicht zu lang. Wir müssen nämlich zwei Tage auf meinen Rucksack warten – Air Berlin hat es nicht geschafft, ihn zusammen mit mir nach Spanien zu transportieren. Heute wurde er endlich geliefert, so dass wir morgen bei Sonnenaufgang endlich los marschieren können.

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Um vor dem morgigen Marsch noch einmal tüchtig Kalorien zu tanken, sitzen wir beim Abendessen im Restaurant "Gaona". Vor mir eine saftige Lammhaxe und vor Cayetana – fast nichts. Denn sie ist inzwischen "endgültig" zur Vegetarierin geworden. Während ich an der Lammhaxe knabbere, beschreibt sie mir sehr detailliert ein süßes, unschuldiges Lamm, wie es noch vor ein paar Tagen über die Wiesen gesprungen ist, bevor ihm die Kehle durchgeschnitten wurde. Ich halte mir die Ohren zu und verteidige mich: "Schließlich hat sogar Jesus Lammfleisch gegessen…" Als sie den Kellner nach einem vegetarischen Gericht fragt (in Kastilien! In Burgos, der "Blutwurst-Hauptstadt"!) schaut dieser sie an wie eine Außerirdische und antwortet trocken: "Brot!" Diesmal bleibt sie konsequent und isst tatsächlich nur Brot, meinen Beilagensalat und zweimal Pudding. Ich bin besorgt. Falls sie diese vegetarische Masche wirklich durchziehen will, wird sie wohl lange vor Santiago verhungert sein.

11. Juni 2013. Um 6 Uhr früh brechen wir endlich wieder auf Richtung Westen und mit 32 Kilometern ist unsere erste Tagesetappe schon ehrgeizig geplant. Zum Glück lassen wir die westlichen Vororte von Burgos bald hinter uns und kommen zügig voran. Am Ortsausgang grüßt ein Graffito: ein Pilgerpaar, eine hellblaue, grinsende und eine dunkelblaue, eher geplagt wirkende Gestalt, weist den Wanderern den Weg. Überraschend schnell verlieren sich die Spuren der Stadt und unser Pilgerpfad schlängelt sich durch die Einsamkeit der kastilischen Steppe, der großflächigsten Landschaft Europas. Und diese Steppe ist jetzt nicht strohgelb verbrannt wie vergangenes Jahr im August vor Belorado, sondern präsentiert sich im üppigsten Grün mit Millionen von roten Mohnblumen, lila Disteln, gelbem Ginster, violetten Lilien und anderen Blüten, deren Namen wir gar nicht kennen. Darüber schweben Wolken von kleinen, oft tiefblauen Schmetterlingen. Diese faszinierende Blütenpracht ist auch das Ergebnis des regenreichsten Frühlings, den Zentralspanien seit langer Zeit erlebt hat.

mapuche mapuche

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Cayetana ist euphorisch. Sie kannte nur die üblichen Fotos, die Kastilien als sonnenverbrannte Weizenwüste zeigen und ist überwältigt von dem unerwarteten Blumenmeer am Wegesrand. "Noch nie hab ich Kastilien so grün gesehen!", ruft sie mir zu. Gerade kniet sie erneut vor einem im Wind flatternden Blumenstrauß, der am Wegesrand wächst. "Also Cayetana, wenn Du jetzt hier jede Blüte einzeln fotografierst, kommen wir in einem Monat so etwa drei Kilometer weit", gebe ich zu bedenken. Sie verzieht das Gesicht, erhebt sich aber und schreitet mürrisch weiter. Scheinbar endlos breitet sich die Landschaft vor uns aus, der Wind jagt Wolkenschatten über die grünen Äcker und der Weg verliert sich bis zum Horizont. Es ist weder richtig heiß noch kalt, der heftige Steppenwind lässt die Temperatur kühler wirken als sie ist. Trotzdem hat man ständig Durst. "Weißt Du, was echt toll ist?", fragt Cayetana gegen den orgelnden Wind, "das Wasser, das man schon getrunken hat, braucht man nicht mehr zu tragen, da wird der Rucksack immer leichter…" Cayetanas philosophische Lebensweisheiten sollte man sich eingerahmt übers Bett hängen.

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Um die zwei verlorenen Tage aufzuholen, marschieren wir nun fast ohne Pause durch Kastiliens Felder unserem Tagesziel entgegen: Hontanas. Ein Dörfchen von 20 Häusern mitten im Nirgendwo. Offiziell 73 Einwohner - und doppelt so viele Pilger. Normalerweise wäre dieses Dorf in der Steppe halb verfallen und halb verlassen wie so viele kleine Dörfer in entlegenen Gebieten von Kastilien oder Aragón. Aber Gott schenkte Hontanas eine Lage mitten auf dem Camino. Durch den Boom, den der populäre Pilgerweg seit zwei Jahrzehnten erfährt, hat dieser Ort seine Renaissance erlebt. Heute lebt praktisch das ganze Dorf von den durchziehenden Pilgerscharen. Es gibt hier vier Pilgerherbergen mit zusammen über hundert Betten und Hontanas ist ziemlich konkurrenzlos, denn im Umkreis von 30 Kilometern gibt es – nichts! Ein Glücksfall für die erfindungsreichen Bewohner von Hontanas: so wurden aus Bauern Herbergseltern, Köche, Kellner und Fremdenführer. Nicht dass es hier viel Spektakuläres zu sehen gäbe. Nach unserer Ankunft in der Herberge "Santa Brígida" bricht Cayetana zu einem Besichtigungsrundgang auf. Nach fünf Minuten kommt sie zurück: "Ein entzückendes Kaff, aber ich hab schon alles gesehen."

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Jetzt gibt es erstmal von tatkräftigen Freiwilligen zubereitete Paella für alle mit reichlich Rotwein. Beim Abendessen lernen wir eine sympathische Rentnerin aus Madrid kennen, Conchita. Sie ist eine leidenschaftliche Hobbyfotografin und überredet uns, mit ihr auf einen Hügel nahe dem Dorf zu klettern, um von dort die Aussicht und später den Sonnenuntergang zu fotografieren. Flink wie eine Gams spurtet sie, die Kamera schussbereit in der Hand, den Dorfhügel zum Mirador El Puntido empor und dem Sonnenuntergang entgegen. Diese dynamische "Turbo-Oma" scheint direkt einem Almodóvar-Film entsprungen zu sein. Jedes zweite Wort aus ihrem Mund ist "bonito" und jedes dritte "espectacularrr", wobei sie das "r" so heftig rollt, dass uns beim Zuhören schwindelig wird. Wie viele Städter auf dem Land fotografiert sie so ziemlich alles, vom Misthaufen bis zum Sonnenuntergang. Dieser ist mitten in der Steppe alles andere als "espectacular". Viel schöner dagegen das Bild der Dorfkirche mit Mudéjarturm zwischen zwei im Wind flatternden Fahnen: Löwe und Burg Kastiliens und die zwölf goldenen Sterne Europas auf tiefblauem Grund. Lange können wir dieses Bild nicht auf uns wirken lassen, denn plötzlich stürmt mit viel Geschrei eine Gruppe von Jugendlichen an uns vorbei und verschwindet hinter einer mysteriösen Tür mitten im Berg. Das macht uns neugierig.

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Die einheimische Jugendgang entführt uns in ein altes Kellergewölbe, wo offenbar jeden Abend die Pilger-Party steigt. Sie lassen einen großen Bocksbeutel kreisen, aus dem jeder sich bedienen soll. Es geht darum, sich zur Unterhaltung der Umstehenden den Inhalt in hohem Bogen treffsicher in den Hals zu gießen, ohne dass die Hälfte auf dem Hemd landet. Der Inhalt ist schrecklich schmeckender Roséwein, aber immerhin umsonst. "Das ist Europa!", ruft in schlechtem Spanisch und mit euphorisch glitzernden Augen, die schon lange nicht mehr nüchtern blicken, ein US-Boy aus Seattle, bevor er wieder einen glitzernden Strahl schluckt. Nun ja, hoffen wir mal, dass Europa für ihn mehr ist als sich gratis in Jakobus Namen zu besaufen.

Wir verlassen die "Bodega" und blicken uns um. Die Sonne ist untergegangen und Europas zwölf Sterne (kann es überhaupt eine schönere Flagge geben?) flattern stolz und unbesiegbar neben dem arabisch aussehenden Kirchturm im Dämmerlicht. Aber ja, DAS ist Europa! Nicht gierige Investmentbanker in London, die mit ein paar Mausklicks Existenzen vernichten oder EU-Politiker im Brüsseler Beamtenschlaf, die nur die Tage bis zu ihrer Doppelrente zählen. Das hier ist Europa: ein Weg geschaffen von Europäern, der alte Kultur bis ins kleinste Dorf brachte, blühende Natur drumherum und Menschen, die langsam wieder erkennen, dass Glück und Zufriedenheit eben nicht proportional mit dem Bankkonto wachsen, sondern im Einklang mit sich und der Welt wurzeln. Wenn hier in einem spanischen Provinzkaff in der Steppe in zwanzig Häusern völlig verschiedene Menschen aus dreißig Nationen zusammen kommen weil sie, warum auch immer, den gleichen Weg gehen und, wenn auch nur für kurze Zeit, dasselbe Ziel haben: auf dem Sternenweg nach Santiago! Viva Hontanas!

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
Etappe von Burgos nach Hontanas: ca. 32 Kilometer

Unterkunft in Burgos:
Städtische Pilgerherberge, Calle Fernán González 28 - 32, direkt am Camino, kurz vor San Nicolás und Kathedrale, Tel. 947-460922: modern, groß und zentral, Waschmaschine, Trockner, Küche, Internet. Übernachtung 5 Euro.

Wer in der schönen Stadt Burgos länger als 1 Tag bleiben und/oder komfortabler übernachten möchte, dem sei folgendes Hotel empfohlen: Hotel "Abadía – Camino Santiago", C. Villadiego 10, Tel. 947-040404
email: reservas@hotelabadiacaminosantiago.com
website: http://www.hotelabadiaburgos.com/?gclid=CJLI8_j4gLsCFRLMtAodfTIARw
Modernes 3-Sterne Hotel, ideal für einen "Pausentag", direkt am Camino de Santiago am Ortsausgang von Burgos gelegen (das hat den Vorteil, dass man beim Start früh morgens schon nach ein paar Minuten die Stadt hinter sich lassen kann und dabei einen "Vorsprung" vor den Pilgermassen hat, die zur gleichen Zeit im Ortszentrum aufbrechen). Freier Internetzugang, kleine Bar im Eingangsbereich. Übernachtung (ohne Frühstück, verschiedene Zimmertypen): zwischen 40 und 65 Euro.

Verpflegung in Burgos:
Restaurant "GAONA", C. Paloma 41 (rechts hinter dem Kathedralenplatz), Tel. 947 279612. Authentisch, immer voll, tüchtige Bedienung. Sehr gutes Menü für 12 – 15 Euro (3 Gänge plus 1 Flasche Wein, sehr zu empfehlen: zarte Lammhaxe, hausgemachter Flan-Pudding, Rotwein der Region Ribera del Duero)

"Confitería Alonso", an der Plaza Mayor, mit Seiteneingang an der Uferpromenade Paseo de Espolón, einer der traditionsreichsten "Törtchentempel" von Burgos

Souvenirs:
"EL PEREGRINO"
Pza. del Rey San Fernando, 1
09003 BURGOS – Burgos
Schmuck aus Keramik mit Motiven der Kathedrale von Burgos, z.B. Fensterrosen als Amulett und Ohrringe: www.kimuceramica.com

Kirchen in Burgos:
Kathedrale Santa María in Burgos: www.catedraldeburgos.es/
Geöffnet: Di. – So. 9.30 – 19.00 (schließt im Winter eine Stunde früher!, die Capilla del Cristo de Burgos und die Capilla de Santa Tecla sind oft für Besichtigung geschlossen) Eintritt: 7 Euro, für Pilger die Hälfte.

Cartuja de Miraflores (Kartäuserkloster): www.cartuja.org
Großartige spätgotische Klosterkirche (15. Jh.) ca. 4 Kilometer außerhalb südöstlich von Burgos, ebenso wie der größte Teil der Kathedrale erbaut von Johann von Köln und Simon von Köln, mit zahlreichen Kunstschätzen: wunderbarer spätgotischer Hochaltar von Gil de Siloe mit Schwindel erregendem Detailreichtum, ebenfalls vom genialen Gil de Siloe sind die königlichen Grabmäler aus Alabaster, mit Löwen, die dem Betrachter die Zungen herausstrecken: Zudem filigranes Chorgestühl, beeindruckende Statue des Heiligen Bruno vom Barockbildhauer Manuel Pereira und im Museum zahlreiche Gemälde und Skulpturen. Eintritt frei, Spenden willkommen. Geöffnet: Mo. – Sa. 10.30 – 15.00 und 16.00 – 18.00, sonntags 11.00 – 15.00 und 16.00 – 18.00. Sonntagsmessen um 10 und 15 Uhr

Kloster Las Huelgas Reales
Monumentale frühgotische Klosterkirche des Zisterzienser-Ordens im Westen von Burgos mit zahlreichen Königsgräbern und romanischem Kreuzgang, leider nur mit Führung zu besichtigen und strenges Foto-Verbot. Eintritt: 5 Euro. Geöffnet: Di. – Sa. 10.00 – 13.00 und 16.00 – 17.30, sonntags 10.30 – 14.00, Mo. geschlossen

Kirche San Nicolás
Spätgotische Kirche schräg gegenüber der Kathedrale, schöner spätgotischer Hochaltar aus Alabaster. Geöffnet: Di. – Sa. 12.00 – 13.30 und 17.00 – 19.00 (davor und danach Messen), sonntags nur zu den Messen

Kirche San Gil
Die vielleicht schönste Pfarrkirche von Burgos, spätgotisch mit schönen Hochaltären, meist nur zu den Messen geöffnet

mapuche mapuche

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Unterkunft in Hontanas:
Private Pilgerherberge Santa Brígida, Calle Real 15, Tel. 628-927317. Sehr empfehlenswert. Verfügt über Waschmaschine und Trockner, Küche und kleinen Laden, zudem kleines Restaurant, in dem die Pilger (wegen des begrenzten Platzes abends meist in zwei Schichten) Abendessen bestellen können. Sehr freundliche und sympathische Betreuung. Übernachtung 7 Euro.

Verpflegung in Hontanas:
Private Pilgerherberge Santa Brígida, Calle Real 15, Tel. 628-927317. Bietet Pilgermenüs für 9 Euro, meist Paella oder Eintöpfe plus Salat.

Kirchen in Hontanas:
Pfarrkirche der Unbefleckten Empfängnis (Iglesia de la Inmaculada Concepción) von Hontanas: klein, mit interessantem Turm im Mudéjarstil mit angedeuteten Hufeisenbögen, meist geschlossen.

[druckversion ed 01/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]





[art_2] Argentinien: Die Einsamkeit der Farben
 
Als Dieter Meier in den späten 1990er Jahren ein Weingut im argentinischen Agrelo Alto, einem der besten Anbaugebiete rund um Mendoza, kaufte, hatte er sich bereits in einer ganzen Reihe von Berufen ausprobiert – zum Teil mit bombastischem Erfolg. Als Poker-, Roulette- und Golfspieler, Musiker, Videokünstler und Autor, Unternehmer und Großaktionär. In Deutschland ist sein Name erst einmal nur ein Allerweltsname. Erwähnt man aber seine Elektropop-Gruppe "Yello", die als einer der Vorreiter der Techno-Bewegung gilt, wissen die meisten Menschen nördlich der Alpen schon sehr viel eher etwas mit ihm anzufangen. Lieder wie Oh Yeah und The Race hielten sich nicht nur über Wochen in den Hitparaden. Sie wurden dem breiten Publikum vor allem als Film- und Fernsehmelodien bekannt.


Quelle: Weingut Dieter Meier

Dieter Meier fällt auf. Er hat einen ganz besonderen Stil sich zu kleiden. Ganz gleich, ob er auf der Bühne steht, in der Schweizer Geschäftswelt agiert oder auf seinem argentinischen Weingut arbeitet, trägt der Mann mit dem markanten Schnauzbart Halstuch und Jackett. Manche verbinden mit seinem Stil das Bild eines Bonvivants, andere das eines Dandys. Er selbst könne sich mit keinem dieser Begriffe anfreunden, sagte er in einem Interview. "Ein Bonvivant ist ein bedauerlicher Radikal-Hedonist, der sein eigenes oberflächliches ‚Gut leben’ über alles andere stellt. Der Dandy versteht sich als lebendes Gedicht, er produziert vor allem sich selbst und kann durchaus ein großer Künstler sein. Keiner dieser Begriffe trifft auf Meier-ab-dafür zu", bringt er sich in dem Gespräch selbst auf den Punkt.

Meier-ab-dafür steht für vieles. Vor allem dafür, etwas 100%ig zu machen, wenn er es sich vorgenommen hat. Nicht ohne Grund hat Yello bis heute mehr als zwölf Millionen Tonträger verkauft. Außerdem hält Meier rund 14 Prozent an dem Schweizer Notenbank-Drucker Orell Füssli und 13,6 Prozent am Verkehrs-Dienstleister BVZ Holding in Zermatt. Aktienpakete, die ein Vermögen von mehr als 50 Millionen Franken darstellen und deren Wert sich binnen 20 Jahren mindestens verzehnfacht haben dürfte.

Aber all das reichte Meier nicht aus. Er selbst sieht sich nicht als Mann der Zahlen, sondern findet Bestätigung in der Verwirklichung seiner Träume. Einer davon war der Kauf seines Weinguts ‚Ojo de vino’ am Fuße der Anden. Sechs Monate pro Jahr verbringt er seitdem in Argentinien. Einen Teil davon auf einer Estancia in der Pampa, wo er Rindfleisch und Getreide produziert, den anderen Teil auf ‚Ojo de vino’. "Hier fühle ich mich richtig frei. Die Einsamkeit der Farmen und das unendlich weite Land verleihen ein einmaliges Lebensgefühl", schwärmt er. "Ich liebe den Dialog mit der Natur und mag es, die verschiedenen Pflanzen wachsen zu sehen."

Die Einsamkeit der Farmen lässt sich in Agrelo Alto auch als die Einsamkeit der Farben interpretieren. Der alles überlagernde blaue Himmel, die immer weißen Gipfel der Anden und das saftige Grün der Weinberge dominieren die Landschaft. Alles andere verliert sich in diesen drei Farbtönen. Agrelo Alto gilt unter anderem deswegen als das beste Anbaugebiet von Mendoza, weil die Böden steinigtrocken sind und eine Vielzahl von Mineralien enthalten, die im Verlauf von Jahrmillionen aus den Anden mit dem Schmelzwasser heruntergeschwemmt wurden. Das Schmelzwasser füllt auch die Flüsse und Grundwasserseen der Umgebung, aus denen die Winzer ihren Teil für die gezielte Bewässerung der Weinberge ableiten. Ohne Bewässerung ginge in den staubtrockenen Lagen nicht viel. Erst die behutsame tröpfchenweise Versorgung mit Feuchtigkeit garantiert die regelmäßige Qualität der Trauben. Über ihre Wurzeln nehmen die Trauben diese Mineralien auf und verleihen den Weinen ihr einzigartiges Aroma.

Meier baut in Agrelo Alto vor allem die Rebsorten Malbec, Cabernet Sauvignon und Merlot an, bio-zertifiziert (zur Verkostung siehe Traubiges: Primadonna aus Mendoza – Der Puro Malbec 2012 des Konzeptkünstlers und Hobbyweinbauers Dieter Meier). "Wir müssen in Mendoza keine Fungizide spritzen, weil es kaum regnet. Wir können also Bio-Weine ohne Nachteile herstellen, im Gegensatz zu vielen anderen Gebieten", erzählt er. "Wenn die Trauben auf diese Art reif werden, haben sie fraglos eine schönere Frucht. Das ist wie ein gesunder Mensch, der keine Chemie zu sich nehmen muss."

Aufgrund der vorteilhaften Witterungsverhältnisse kann Meier seine Weine aus vollreifen Trauben keltern. Denn dank des sehr trockenen Klimas bestehen keine Probleme mit der Feuchtigkeit im Herbst und dem dadurch verursachten Pilzbefall. Das Verbot, Fungizide einzusetzen, zwingt Bio-Winzer auf der ganzen Welt das Traubengut vorzeitig und deshalb mit nicht voll entwickelten Aromen zu ernten. In Mendoza existiert dieses Problem nicht. Meier ist Purist. "Meine Tropfen sollen so munden, wie wenn man eine Traube isst. Keine Barriques. Naturbelassene Trauben ohne nachträgliche Eingriffe und Tricks", betont er. Der Star unter seinen Rebsorten ist Malbec. Weil diese Traube feuchtigkeitsempfindlich ist, gedeiht sie hier, auf tausend Metern über dem Meeresspiegel, prächtig und ist nicht so "zickig" wie in Europa. Daher nennt Meier sie die ‚Diva aus Mendoza’.

Er selbst blüht in der Einsamkeit der Anden ebenso sehr auf wie seine Diva. "Die Tage in Mendoza sind selbstbestimmt und oft wunderbar langweilig. Vieles, was ich als sogenannter Künstler produziere, entsteht aus dieser herrlichen Langeweile."

Text + Fotos: Lars Borchert

Über den Autor: Lars Borchert ist Journalist und schreibt seit einigen Jahren über Weine aus Ländern und Anbauregionen, die in Deutschland weitestgehend unbekannt sind. Diese Nische würdigt er nun mit seinem Webjournal wein-vagabund.net. Auf caiman.de wird er ab jetzt jeden Monat über unbekannte Weine aus der Iberischen Halbinsel und Lateinamerika berichten.

[druckversion ed 01/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: argentinien]





[art_3] Brasilien: Jetzt wirds ernst! - Ein Ausblick auf die Fußball-WM 2014
 
2014 ist da, das Jahr der angeblich größten, der Mutter aller Fußballweltmeisterschaften. Endlich!

Es war ja auch schon nicht mehr zu ertragen, diese ewigen Berichte über infrastrukturelle Verspätungen, und dann die ständigen sinnlosen Kommentare über die Favoriten auf den WM-Sieg - ist doch sowieso alles klar wie Kloßbrühe. (Trotzdem sag ichs noch mal ganz langsam für alle...): Zum ersten: es sind sowieso immer die gleichen Teams, die von den sogenannten Experten besserwisserisch aufgelistet werden: natürlich zuerst Brasilien, die haben schließlich schon fünfmal gewonnen! Und zudem spielen sie angeblich auch noch daheim (böse Zungen meinen allerdings, dass sie zuletzt viel öfter in London, Moskau oder der Schweiz aufgetreten sind – und könnten somit in Brasilien Probleme mit dem Klima bekommen...) – klarer Favorit also, da muss man kein Einstein für sein.


Danach ist direkt Argentinien zu nennen, weil die ja praktisch auch zuhause spielen. Zudem haben sie mit Messi den Zwerg unter den Kickergiganten mit an Bord. Und alle um Messi herum spielen zudem auch nur bei den Sahneklubs. Und natürlich Italien, einfach weil es Italien ist, das heißt, dass sie umso gefährlicher werden je schlechter sie spielen. Und spielen sie mal gut, hauen sie auch alle weg.

Dazu kommt noch Spanien, weil die ja alle drei Turniere gewonnen haben, an denen sie in den letzten Jahren teilgenommen haben. Und Deutschland, die ja immer bis ins Halbfinale kommen (und dann dort scheitern) mit ihren Jungtalenten – das scheint vielversprechend (oder nur viel versprechend?). Und die Franzosen – warum? Weil die ständig die Brasilianer aus den Turnieren werfen.

Manche setzen noch auf Uruguay und Belgien, weil sie entweder schon einmal Brasilien daheim den Titel geklaut haben (1950 im Maracanã, für alle Ungebildeten) oder aber derzeit über äußerst außergewöhnliche Spieler verfügen. Außergewöhnlich gut dafür, dass sie Belgier sind, meine ich. Mal sehen, obs bei denen was wird.

Und die besagten Bauprojekte der WM, das angebliche wirkliche Erbe der WM, das dem "Land des Fußballs" auf ewig erhalten bleiben wird? Um mal mit den Stadien anzufangen: die sind (fast) alle sterbens schön. Mit Ausnahme des Itaquerão in São Paulo, das eher wie ein Schuhkarton aussieht. Stadien müssen rund sein, der Ball ist es ja auch. Sechs, setzen!


Aber die Fonte Nova, jenes spektakuläre Stadion in Salvador, mit eingebauten Blick auf die „Dique do Tororó" Laguna, oder das Maracanã in Rio und die umgebauten Mineirão, in Belo Horizonte und Castelão, in Fortaleza, alles wunderbare Arenen mit einem chick-modernen Charme und ganz eigenem Charakter.

Eine Schande nur dass die wunderschönen Stadien in Brasília, Natal, Manaus und Cuiabá einer ungewissen Zukunft entgegen sehen. Ohne gutes Team und ohne Fans kann man sich nicht vorstellen, wozu man die Betonklötze nach der WM brauchen könnte.

Und der Rest der ganzen Infrastruktur, die Flughäfen und Hotels? "Jetzt können mich die Airports mal, und auch der Taxifahrer, der kein Englisch spricht – alles total egal. Jetzt wird der Fußball herrschen, und wie wir alle wissen, macht Liebe schließlich blind!" Solch interessante Worte schrieb zuletzt Nizan Guanaes. Ob er da Recht hat? Die Zeitschrift Veja schrieb gerade, dass Brasilien die WM zwar durchaus auf dem Rasen gewinnen, sie aber gleichzeitig außerhalb des eckigen Grüns verlieren könne. Kann so etwas sein? Schließlich ist Brasilien ja als "Land des Fußballs" bekannt, und nicht als "Land der exakten Planungen und der tollen Infrastruktur". Der anreisende Tourist wird mehr Wert auf die Bauprojekte als auf den Fußball legen? Glaub ich mal nicht. Und woher stammt eigentlich die seltsame Idee, dass Menschen, die gut gegen einen Ball treten können, gleichzeitig Baumeister ägyptischen Rangs sein müssen? Die haben ja auch Jahrhunderte für ihre Pyramiden gebraucht und hatten dabei kein kontinental großes Land mit schreienden sozialen Problemen in ein deutsches Autobahnkreuz zu verwandeln.


Vielleicht stammt diese verquere Idee ja aus dem Kopf des ehemaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, der der Welt gerne ein Brasilien zeigen wollte, das so gar nicht existiert. Aber solch ein Megaevent zu organisieren, wird halt leicht zur Frage nationaler Ehre. Klar, dass mit solch einer Denke die Proteste gegen die Geldverschwendung nach FIFA-Auflagen nur stören. Was da beim ConFedCup im Juni 2013 auf den Straßen des Landes geschehen ist, muss für solche Leute eine glatte Schande sein. Ich persönlich denke da anders, hat sich die Zivilgesellschaft doch endlich mal bewegt und aufgezeigt, wo die Prioritäten liegen sollten. Mehr bewegt sogar als die Regierung, die lieber "Hossa, Hossa" brüllt. Solche Proteste während der WM wären für Brasilien mittelfristig wohl wichtiger als der WM-Titel.

Aber das sagt natürlich ein Deutscher. Brasilianer sehen das bekanntlich anders. So schrieb doch der brasilianische Anthropologe Roberto DaMatta tatsächlich, dass die Niederlage bei der Heim-WM 1950 "wohl die größte Tragödie der brasilianischen Gegenwart" gewesen sei. Ähem? Ich denke da an die sozialen Probleme und die Gewalt, die jedes Jahr 50.000 Menschen in den Großstädten dahinrafft. Das erscheint mir doch etwas tragischer, Herr DaMatta, oder? Wie ein Anthropologe, der ja eigentlich die menschliche Existenz in seiner Totalität erkunden soll, seinen Job einem einzigen Fußballspiel opfern kann, bleibt mir ein Rätsel.


Vielleicht sollte man mal die Deutschen fragen, ob die Niederlage daheim 2006 die größte Tragödie der Neuzeit war oder die Italiener, die 1990 auch nicht auf dem eigenen Rasen gewinnen konnten. Nach einem Jahrhundert voller gruseliger Weltkriege dürften die ihre Meinung über Tragödien grundsätzlich geändert haben.

Wir wollen mitreißende Spiele sehen, viele Tore, hohe Fußballkunst. Mögen die Besten gewinnen. Fußball ist letztendlich bloß ein Spiel, oder sollte es sein. Ein Land danach zu beurteilen, wie gut oder schlecht es gegen eine Lederkugel treten kann, ist dann doch zu viel. Aber im Fall von Brasilien liegt das ja bekanntlich anders – "Land des Fußballs" nennt man sich ganz bescheiden, und da muss ich dann ernsthaft um die geistige Gesundheit der Brasilianer fürchten. Bitte denkt daran, dass Fußball nichts mit dem wirklichen Leben zu tun hat, genau wie Telenovelas. Daher: bitte ein weniger Dramatik, sonst wird euch das Jahr 2014 noch die zweitgrößte Tragödie eurer jüngsten Geschichte bescheren, auf dem Platz oder daneben. Oder beides. Mögen die Spiele beginnen!

Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 01/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]





[art_4] Brasilien: Adeus São Paulo
 
Fast auf den Tag genau vor 12 Jahren landete ich nach einer ausgiebigen Kreuz- und Querreise durch Brasilien auf dem Internationalen Airport von São Paulo und verabschiedete mich dort von meinem treuen Reisegefährten, der das nächste Flugzeug Richtung deutscher Heimat bestieg. Ich selber nahm einen Bus Richtung Stadtzentrum jenes Molochs, das ich bereits ein wenig von früheren Besuchen kannte. Dieses Mal wars jedoch ernst, dieses Mal gings darum zu bleiben, den Moloch in- und auswendig kennen zu lernen. Mir drehte sich der Magen um.

Die ersten Wochen schlief ich auf dem Sofa eines Kumpels, im Wohnzimmer eines zu engen Apartments an der Ecke Ipiranga und Rio Branco. Von dort nahm ich jeden Morgen erst einen Bus und dann den Vorortzug, der mich zu der endlos weit entfernten Arbeit in Santo Amaro brachte.

Stunde um Stunde inmitten des unerträglichen Verkehrs, der jeden Tag Millionen aus ihren Wohnungen zum Ort des Broterwerbs transportierte, mitten durch jene Welt, die sich verniedlichend Stadt nannte. Damals verdiente ich gerade einmal einen Mindestlohn, rund 200 R$.

Das Leben besserte sich als wir ein günstiges großes Apartment in der Vila Madalena fanden, jenem bohemen Stadtteil, in dem sich die Intellektuellen der durchgeknallten Stadt konzentrieren. Nächtelanges Geschwafel in den Bars, am liebsten bei einer Caipirinha gebraut aus allerlei roten Früchten. Ausgebildet in intelligentem Geschwafel, beschloss ich Journalist zu werden und hing mich direkt an die Fersen jenes Bärtigen, der so gerne Präsident werden wollte. Große Träume, null Kunden. Niemand kaufte mir meine Geschichten ab. Uum Glück hielten mich die Deutsch- und Englischstunden über Wasser.

Die ersten Liebschaften, noch ohne Hand und Fuß. Nach und nach kamen die ersten ernst zu nehmenden Jobs, wobei ich auf Englisch über Rohstoffe im Allgemeinen schrieb. Wer hätte das gedacht? Den Laptop auf den Knien, denn einen Tisch besaß man nicht, bastelte ich die kleinen Meldungen zusammen. Nachts noch mehr Gerede in den Bars, mit Freunden. In Rio sagt man, dass der Strand der demokratischste Ort sei. Ich sage, dass es die Bars in São Paulo sind. Dort nennt niemand den Gringo einen Gringo, stets ist man der Freund, der Kumpel. Amigo!

Amigos überall, und die meisten Ausländer wie man selber, damit man das täglich empfundene Heimweh teilen kann. Freunde, die einem erklärten, wo der Hase lang läuft, Freunde die einem den Weg aufzeigen und die mit einem ihre eigenen, über lange Jahre erkämpften Weisheiten teilten. Langsam eroberte man sich mit ihnen zusammen von São Paulo aus dieses Land, genau wie es die Bandeirantes-Eroberer Jahrhunderte zuvor getan hatten. Von besagtem Internationalen Airport aus reiste man in jeden Winkel des Riesenlandes, oder sogar darüber hinaus bis an den Rio de La Plata oder hoch in die Anden. São Paulo war das Basislager, und die Welt drum herum wuchs ständig an.

Während einem die ersten Jahre wie Jahrhunderte erschienen, flogen die letzten nur so dahin. Nach zwei Jahren im spektakulären Stadtteil Jardins ging es noch einmal für zwei Jahre zurück in die Vila. Aber vor lauter Reisen blieb keine Zeit mehr, den spirituellen Frieden jenes Dorfes inmitten der Verrücktheit der wildgewordenen Stadt zu genießen. In den letzten Jahren kam ich nur noch um den Koffer aus- und direkt wieder vollzupacken, stets auf dem Sprung in die Weite. Die Freunde mittlerweile in der Welt verstreut, die Arbeit zu riesigen Stapeln aufgetürmt. Und ein kleines Mädchen in weiter Ferne, das nach seinem Papa ruft. Es blieb einfach keine Zeit mehr, nur noch die um Bye-Bye zu sagen.

Du bist spießig, die größte Stadt des brasilianischen Interiors, ein Dorf voller unheilbarer Dorftrottel, ohne den gewissen Schwung, ohne Ahnung, ohne Traditionen, ohne Limits, frei von Schönheit, ohne Scham. Aber wie man so gerne auf Deutsch sagt: eine ehrliche Haut. Du hast all die Jahre gut auf mich aufgepasst, besten Dank dafür. Bye-bye São Paulo. Deine hübschere Schwester ruft mich.

Text + Fotos: Thomas Milz

[druckversion ed 01/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: brasilien]




[kol_1] Macht Laune: Auf 3 Sofas durch... Barcelona
 
Reiseabenteurer Thomas Niemietz besucht mit seiner Kamera Barcelona. Neben Gaudì und der Playa lernt er drei sehr unterschiedliche Sofas und ihre Besitzer kennen.



Als erste trifft Thomas Elise: Studentin aus Frankreich mit einem Erasmus-Stipendium. Kaum dass Thomas sein Sofa gesichtet hat, rasen die beiden in die Uni. Elise fehlt eine letzte Unterschrift für ihr Stipendium. Es wird knapp. Dann folgt Touri-Programm, Tapasfassen und Tanz bis in die Puppen.



Das zweite Sofa, auf dem Thomas nächtigt, gehört Danny. Ein Jung aus dem Leben. Bier ist sein Markenzeichen.



Zuletzt schläft Thomas bei Lidia und ihrem Hund in einer Traumwohnung am Plaza España. Thomas bricht den Abend erschöpft ab und muss im Tausch für den Haustürschlüssel den Hund ausführen.



Im TV kannst du die Barcelona-Folge am am 11. Februar 2014 um 21.45 Uhr auf EinsPlus sehen. Oder direkt hier und jetzt:



Weitere Infos zur Serie Auf 3 Sofas … und zu Thomas findest du unter:
http://www.einsplus.de/Auf-3-Sofas-durch

Fotos: SWR Pressestelle / Fotoredaktion
Video: Produziert von EinsPlus

[druckversion ed 01/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: macht laune]





[kol_2] Erlesen: Wasserblaue Augen von Domingo Villar
 
Ich hatte recht lange überlegt, ob ich mir das Buch bestellen soll. Der Titel war schuld an meinem Zögern, denn die Geschichte an sich hörte sich gut an.

Ein Kriminal-Roman abseits der spanischen Metropolen und hochfrequentierten Reiseziele. Ein Roman im galizischen Vigo. Ein Kommissar, der Berühmtheit erlangt, durch seine Auftritte als Radio-Experte für Kriminalfragen. Sein Kollege, ein kürzlich stafversetzter Aragonese, mit hohem Gewaltpotential, nicht zuletzt hervorgerufen durch seine kulturellen Anpassungsprobleme. Und ein toter Saxofonist, gefesselt an sein eigenes Bett, im Genitalbereich entsetzlich entstellt.


Wasserblaue Augen
Autor: Domingo Villar

Taschenbuch: 220 Seiten
Verlag: Unionsverlag (Juli 2010)

IISBN-10: 3293204988
ISBN-13: 978-3293204980

Die Ermittlungen führen die beiden Polizisten in die Jazz- und die Homosexuellenszene. Der Fall nimmt ein paar Umwege und dann steht der Mörder fest oder auch nicht.

Doch was sind Wasserblaue Augen? Mein erster Gedanke war trüb, milchig. Mein zweiter hellblau und durchsichtig. Eventuell noch ein wenig auffälliges dunkelblau. Auf jeden Fall unspektakulär bis negativ.

Von Lesern im deutschsprachigen Raum, deren Berg- und Baggerseen sowie Weltmeere im Winter im Zusammenspiel mit dem wolkenverhangenen Himmel eine grau-graue Einheit bilden, kann eine Transferleistung zu dem alles betörenden Farbenspiel des Atlantiks nicht erwartet werden. Genau von dieser Assoziation ist im Roman aber die Rede: Das Opfer hat stechend blaue Augen.

Fazit: Die Übersetzung des Titels scheint mißlungen. Leider zieht sich dieses Manko durch den ganzen Roman. Vor allem die Szenen, in denen der gradlinige Aragonese, der nur klare Gegensätze kennt wie ja und nein oder schwarz und weiß auf Einheimischen trifft, die gerne auch mal mehr Worte gebrauchen und sich für den Außenstehenden alles andere als eindeutig verständlich artikulieren, entbehren jeglichen Witzes. – Den Krimi im Original kenne ich nicht. Die deutsche Übersetzung Wasserblaue Augen aber ist leider nicht zu empfehlen.

Text: Maria Josefa Hausmeister
Foto: amazon

[druckversion ed 01/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: erlesen]





[kol_3] Traubiges: Primadonna aus Mendoza
Der Puro Malbec 2012 des Konzeptkünstlers und Hobbyweinbauers Dieter Meier
 
Lilaschwarze Farbe, Anklänge an Blaubeeren, Lorbeer, Wacholder und Gewürze, Kirschen und Bitterschokolade, oft auch Pflaumen- und Tabaknoten – all das charakterisiert einen Malbec.

Diese Rebsorte, die ursprünglich aus dem Südwesten Frankreichs stammt, war noch bis Ende der 1950er Jahre im Bordelais, der Region um Bordeaux, weit verbreitet. Aber nach mehreren extrem frostigen Wintern galt sie dort über lange Zeit nur noch als selten auffindbar. Heute spielt Malbec unter der Bezeichnung "Cot" wieder eine größere Rolle in Cahors (im Südwesten Frankreichs), wo sie als Grundlage für tieffarbige, sehr tanninreiche Weine dient. Auch in verschiedenen anderen französischen Weinregionen wie dem Loiretal, Languedoc-Roussillon und Cahors wird die Rebsorte nach wie vor angebaut. In Europa ist sie sonst noch in Spanien im oberen Duero-Tal anzutreffen.

Nachdem sie in Frankreich an Bedeutung verloren hatte, tauchte die Rebsorte in einer ganz anderen – damals in Europa als Weinanbaugebiet eher unbekannten – Region auf: vor dem atemberaubenden Panorama schneebedeckter Berge, einzigartiger Gletscher und Vulkane der argentinischen Anden in Mendoza. Hier gedeiht Malbec angesichts der großen Trockenheit besonders gut und ist unter anderem für den immer besser werdenden Ruf argentinischer Weine mit verantwortlich.

Einer der ausländischen Weinbauern, der sich hier vor einigen Jahren in der Region Mendoza, genauer gesagt in Agrelo Alto, angesiedelt hat, ist der Schweizer Dieter Meier, der mit seiner Musik und seiner Kunst schon in den 1970er und 1980er Jahren große Bekanntheit erlangt hat. Auf seinem Weingut Ojo de Vino vinifiziert er die Puro-Linie, aus Cabernet Sauvignon, Merlot – und Malbec.

Sein Puro Malbec 2012 kann und hat all das, was Malbec berühmt gemacht hat: Er leuchtet in einem tiefen Rot, das gleichermaßen ins Dunkelblaue und Violette changiert – und im Kern fast schwarz ist. Sein aromatisches Bukett verströmt den Duft frischer Beerenfrüchte, reifer Pflaumen sowie einen Hauch von Kirschsaft, Tabak und Kaffee. Am Gaumen präsentiert sich der Wein kraftvoll und angenehm offen zugleich, mit viel saftiger Frucht (auch hier sind es wieder Pflaumen und Schattenmorellen), feinen Röstaromen, geprägt von Pfeffer, wilden Kräutern und mineralischen Noten, einer anregenden Säure und sanftem Tannin. Sein Körper ist klar strukturiert, sehr elegant und perfekt ausgewogen – mit einer betörenden Länge im markanten, mineralischen großen Finale.

Fazit: Ein noch junger Malbec mit einer großen Zukunft.

Text + Foto: Lars Borchert

Über den Autor: Lars Borchert ist Journalist und schreibt seit einigen Jahren über Weine aus Ländern und Anbauregionen, die in Deutschland weitestgehend unbekannt sind. Diese Nische würdigt er nun mit seinem Webjournal wein-vagabund.net. Auf caiman.de wird er ab jetzt jeden Monat über unbekannte Weine aus der Iberischen Halbinsel und Lateinamerika berichten.

[druckversion ed 01/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: traubiges]





[kol_4] Lauschrausch: Peru vs. Latin Jazz
Peru maravilloso - Fiesta al Jazz
 
Mit zwei fetzigen Produktionen starten wir ins Jahr 2014. "Peru maravilloso" umfasst Aufnahmen der Jahre 1964-1979 aus dem Andenland. In dieser Zeit befand sich die urbane Musik im Umbruch, wurden die Einflüsse angloamerikanischer Pop- und Rockmusik aufgesogen und mit heimischen Klängen zu etwas Neuem verwoben. Martin Morales, erfolgreicher Koch und Unternehmer, teilt seine Leidenschaft, das Sammeln peruanischer Schallplatten mit Schwerpunkt auf den 60’er und 70’er Jahren, nun mit uns. Gemeinsam mit Duncan Ballantyne hat er "Tiger’s Milk Records" gegründet und veröffentlicht nun erneut die Vintage-Schätze seiner Heimat.

Peru maravilloso
Diverse
TIGM 003

Ob nun im Titel "Piraña" von Pedro Miguel son und cumbia auf Surfgitarren und fetzige Bläsersätze treffen, eine Mischung aus 70er-Latin-Jazz-Soul erklingt ("Sueño de amor" von Zulu) oder eine elektrifizierte chicha von Los Orientales psychedelisch verzerrt wird ("Bailando en la campiña"), die gute Laune klingt durch. Oft steht der Gitarrensound im Vordergrund – und kann wie in "La cumbia del Pacurro" auch echt nerven -, waren doch viele Bandleader Gitarristen. Es finden sich einige Instrumentalstücke auf der CD, so eine Jazz-Orchester-Version des bekannten Folksongs "Toro mata" von Lucia de la Cruz, eine schnelle Coverversion von "I feel fine" ("Me siento feliz") und als "Krönung" die Reinterpretation des peruanischen 1968er Hits "Meshkalina" der Band Traffic Sound, einem psychedelischen Drogensong.


Roberto Santamaria ist der Neffe des berühmten kubanischen Perkussionisten Mongo Santamaria, der die Karibikinsel 1948 Richtung Mexiko verließ, um dort mit Perez Prado aufzutreten und später in den USA mit Größen wie Tito Puente oder Dizzy Gillespie spielte. Seinem Onkel, den er nie kennen gelernt hat, widmet Roberto nun dieses Album, auf dem er auch mit Musikern spielt, die schon Mongo begleiteten, nämlich Jo Gallardo und Hector Martignon.

Fiesta al Jazz
Roberto Santamaria & his Latin Jazz Stars
Connector Rec.

Der in Deutschland lebende Roberto interpretiert Stücke seines Onkels – z.B. "Afro Blue", das auch John Coltrane gecovert hat – und Eigenkompositionen, die jenen ebenbürtig sind. Die Latin Jazz Stars, neben den schon genannten Veteranen, junge in Deutschland lebende lateinamerikanische Musiker, geben den Stücken durch ihr perfektes Zusammenspiel neuen Schwung - das gilt auch für "Watermelon man", den von Herbie Hancock komponierten Titel, mit dem Mongo 1963 berühmt wurde. Allerdings sollte Roberto bei seinen kommenden Produktionen Sänger verpflichten, wenn denn gesungen werden soll. Denn der Gesang der Musiker in den beiden Vokaltiteln fällt in der Qualität doch sehr hinter die Instrumente zurück.

Text: Torsten Eßer
Cover: amazon

[druckversion ed 01/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: lauschrausch]





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