spanien: Bildergalerie Córdoba
DIRK KLAIBER
[art. 1]
cuba: Varadero - Auszüge aus einem Reisetagebuch
Teil 2: Erster Ausflug nach Havanna
NORA VEDRA
[art. 2]
portugal: Die flämischen Inseln
JEROEN DEWULF
[art. 3]
venezuela: Die Goajiros (heute/damals/im 19. Jahrhundert)
DIRK KLAIBER
[art. 4]
macht laune: Tanzen im Land der langen Fischmesser
Forró und São João in Campina Grande
THOMAS MILZ
[kol. 1]
grenzfall: Nachts im Nichts oder Kolumbien mal anders
FRANK BRAKHAN
[kol. 2]
amor: El Atropello
ANDREAS DAUERER
[kol. 3]
erlesen: Katalonien im Doppelpack
TORSTEN EßER
[kol. 4]





[art_1] Spanien: Bildergalerie Córdoba

Das historische Zentrum Córdobas gleicht einem Freilichtmuseum, das wunderschön anzusehen ist. Aber ein Hauch zuviel Schönheit und Sauberkeit wirkt bisweilen steril, fast leblos. Anders als die auch im Kern pulsierenden Städte Sevilla oder Granada lädt Córdoba nach dem Besuch der Sehenswürdigkeiten wenig zum längeren Verweilen ein. Ein Muss einer Andalusienreise ist Córdoba aber trotzdem, nicht zuletzt wegen der Mezquita: Eine Vereinigung von Moschee und Kathedrale auf 23.000 Quadratmetern mit 860 Säulen. Inmitten der seit 785 mehrfach erweiterten Moschee, errichtete der Bischof Alonso Manrique ab 1523 ein gotisches Kirchenschiff.











Text + Fotos: Dirk Klaiber





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[art_3] Portugal: Die flämischen Inseln

Im Atlas des berühmten flämischen Kartographen Mercator ist in der Nähe der Azoren eine Insel aufgeführt, die er Vlaenderen, Flandern, nannte. In Wirklichkeit gab es an diesem Ort nur Wasser, das wusste Mercator, aber offenbar fiel ihm die Tatsache, dass er die Azoren nicht mehr "die flämischen Inseln" nennen konnte, so schwer, dass er sich entschloss, eine neue, imaginäre, Insel zu kreieren. Obwohl die Azoren nie wirklich flämisch waren, hat die Inselgruppe tatsächlich eine flämische Vergangenheit; und diese hat fast dazu geführt, dass Amerika fünf Jahre vor Kolumbus von einem Flamen von den Azoren hätte entdeckt werden können.

Die Azoren waren bereits im 14. Jahrhundert von portugiesischen Seefahrern entdeckt worden, aber erst um 1440 wurde mit der Kolonisation der unbewohnten Inselgruppe begonnen.

Es war Heinrich der Seefahrer, der die Unternehmung leitete und sich - aus mangelndem portugiesischen Interesse - dafür entschied, auch Ausländer mit einzubeziehen. Diese Ausländer fand er in Flandern. Die wirtschaftlichen Kontakte zwischen Portugal und Flandern waren bereits seit dem frühen Mittelalter ausgeprägt. Die Portugiesen besaßen eine wichtige Faktorei in der damaligen Weltstadt Brügge und verschiedene flämische Händler waren in Lissabon und Porto tätig. Mit der Ehe zwischen Philipp dem Guten, Herzog von Burgund und den Niederlanden, und der portugiesischen Prinzessin Isabel bekamen diese Kontakte auch einen politischen Charakter. Die goldene Zeit der flämischen Städte endete im 15. Jahrhundert; das Tuchgewerbe war in eine Krise geraten und die ständige Konkurrenz zwischen den Städten und dem burgundischen Herzog hatte zu Instabilität geführt - und zum Heranwachsen der brabantischen Stadt Antwerpen, die die Rolle von Brügge als Welthafen allmählich übernehmen sollte.

Daher wundert es nicht, dass verschiedene Flamen sich für Heinrichs Pläne interessierten. Vier Inseln der Azoren kamen in der Folge unter die Führung von einem capitão donatório, einem adligen Gouveneur, aus Flandern. Jacob van Brugge gelangte 1450 nach Terceira, Joost de Hurtere erhielt zuerst 1468 die Führung über Faial und bekam 1481 noch die Insel Pico zugesprochen, während Willem van der Haegen einige Jahre Gouverneur von São Jorge war. Ihnen wurde ein Zehntel der Gebühren der Ordem de Cristo, des Gelbgebers der portugiesischen Kolonisation, versprochen und außerdem erhielten sie die Jurisdiktion. Sie verpflichteten sich, die Inseln nicht zu verlassen und für die Kolonisation nur katholische Ausländer einzusetzen.

Wie viele Flamen damals ausgewandert sind, ist nicht bekannt. Fest steht, dass es für die neuen Gouverneure nicht immer leicht war, ihre Landsmänner zur Auswanderung zu bewegen, noch dazu auf eine unbekannte Insel. Joost de Hurtere gelang es nur, indem er ihnen versprach, dass auf Faial Mineralien zu finden seien. Als aber nach einem Jahr weder Zinn noch Silber zutage gefördert werden konnten, kam es zum Aufstand und de Hurtere wurde von den eigenen Leuten mit dem Tod bedroht. Ihm gelang rechtzeitig die Flucht, er wurde am Hof in Lissabon empfangen, heiratete eine portugiesische Hofdame und kehrte bald darauf mit einem Aufgebot von portugiesischen Soldaten nach Faial zurück, um "Recht und Ordnung" wiederherzustellen.

Der Mythos der "flämischen" Inseln ist deutschen Ursprungs. Der Verantwortliche hierfür war Martin Behaim, der auf seinem Globus eine Inselgruppe einzeichnete, die er "die flämischen Inseln" nannte. Martin Behaim hat zwar in Portugal gelebt und war sogar verheiratet mit Johanna, der Tochter von Joost de Hurtere.

Die Azoren aber kannte er nicht und das merkt man seinen Notizen an, in denen er von "vil tausent Persohnen [...] von teutsch und flaming" spricht, obwohl es damals auf den Azoren wahrscheinlich kaum Deutsche gab und auch die Zahl der Flamen bestimmt viel niedriger war.

Über die Aktivitäten der Flamen auf den Azoren ist wenig bekannt. Das wichtigste Zeugnis finden wir bei Valentim Fernandes, einem Portugiesen deutscher Herkunft. Er muss einige flämische Kolonisten gekannt haben und auch er nennt Faial Ylha dos Flamengos, erwähnt aber, dass auf den Azoren bereits Anfang des 16. Jahrhunderts fast kein Flämisch mehr gesprochen wird. Fernandes beschreibt auch die Produktion von Färberwaid, einer Pflanze, aus der ein blauer Farbstoff gewonnen wurde und die für die flämische Tuchwirtschaft bedeutend war.

In seinem Atlas Nova et aucta obris terrae desciptio ad visum navigantium (1569) bezeichnete Mercator die Inseln richtigerweise als Azoren, erfand aber in einem nationalistischen Reflex eine neue Insel, die er nördlich der Azoren situierte und "Vlaenderen" taufte. Noch weiter ging 1595 jener andere wichtige flämische Kartograph Abraham Ortelius. In seinem Atlas Theatrum Orbis Terrarum schrieb er den Flamen gar die Entdeckung der Azoren zu: "de Vlaemsche Eylanden quod ab Brugensibus mercatoribus primum detectas creditur". Beide beeinflussten ihrerseits den Niederländer Jan Huygen van Lindschoten, der den Mythos der "Azores ofte de Vlaemsche Eijlanden" weiterführte und dazu Anlass gab, dass bis in das 18. Jahrhundert hinein allerlei Dokumente erschienen, die aus der Entdeckung und Kolonisation der Azoren eine rein flämische Sache machten. Noch 1746 nennt Jacques Nicolas Bellin auf seiner Kaart van den West-Oceaan die Azoren "Vlaamse Eilanden".

Der berühmteste Azorianer flämischer Herkunft ist zweifellos Ferdinand von Olmen, auf portugiesisch Fernão d’Ulmo. Er lebte auf der Insel Terceira und in seiner Urkunde vom 24. Juli 1486 schlug er dem damaligen portugiesischen König Afonso V. vor, in westlicher Richtung die "Insel der Sieben Städte" entdecken zu wollen.

Erstaunlicherweise erwähnt er in seiner Urkunde eine großen Insel, mehrere kleinere Inseln und die Küste eines Kontinents, was deutlich an Kuba und die Antillen erinnert.

Nun war spätestens seit Fernão Teles um 1475 schon die Rede von einer legendären Insel, die "Sieben Städte" genannt wurde. Sogar Kolumbus erwähnt diese Insel, auch unter dem Namen "Antilia", als Zwischenstation auf einer möglichen Route nach China oder Indien. Allerdings zeigten die Portugiesen wenig Interesse an den Vorschlägen Kolumbus, erstens weil sie - zu Recht - festgestellt hatten, dass Kolumbus die Entfernung bis China schwer unterschätzt hatte und zweitens, weil sie bereits weit fortgeschritten waren in ihren Erkundigungen entlang der afrikanischen Küste, so dass sie hoffen konnten, eines Tages um Afrika herum nach Indien gelangen zu können. Da aber 1486 die Expedition von Diogo Cão mit dessen Ermordung in der Nähe des heutigen Namibia gescheitert war, entschied sich König João II, Indien in drei verschiedenen Richtungen zu suchen. Er schickte Bartolomeu Dias Richtung Süden, Pero da Covilhã als Spion Richtung Osten und Ferdinand van Olmen Richtung Westen. Die beiden ersten Expeditionen waren erfolgreich. Pero da Covilhã gelangte, zehn Jahre vor Vasco da Gama, bis nach Indien. Allerdings tat er dies auf arabischen Schiffen über das für die Portugiesen unzugängliche Rote Meer. Bartolomeu Dias gelang es, 1488 die Südspitze Afrikas zu umfahren und so eine weitere Route nach Indien zu öffnen. Ferdinand van Olmen verließ im Frühling 1487 Terceira Richtung Westen. Er aber kehrte nie zurück. Wahrscheinlich gingen seine beiden Schiffe in einem Sturm unter oder wurden von den Passatwinden in die Arktis abgetrieben.

Heute sind die Überreste der flämischen Anwesenheit auf den Azoren eher spärlich. Auf der Insel Faial existiert ein Dorf Flamengos und der Name der Hauptstadt, Horta, geht wahrscheinlich auf Hurtere, den Namen des ersten Gouverneurs, zurück. Stärker als sonstwo in Portugal ist die Herstellung von Milchprodukten auf den Azoren verbreitet und es ist wohl kein Zufall, dass der wichtigste Käse der Inseln ausgerechnet queijo flamengo heißt. Weiterhin gibt es in den Museen von São Miguel und Terceira ein paar nicht unbedeutende flämische Gemälde.

Hinzu kommen Familien wie die da Silveiras, die sich als Nachkommen von Willem van der Haegen auf ihre flämische Herkunft berufen. Ebenso wie die Brums (de Bruin), die da Terras (van Aartrijke) oder die de Bruges (van Brugge). Einer dieser Namen flämischer Herkunft ist dank der Emigrationswelle nach Südamerika im 19. Jahrhundert inzwischen auch in Brasilien weit verbreitet.

Es handelt sich um Nachkommen von, wiederum, Joost de Hurtere, dessen Name auf Portugiesisch zu Dutra wurde. Der berühmteste Nachkomme dieser Familie ist sicherlich Gaspar Dutra, der von 1946 bis 1951 Präsident Brasiliens war. So wurde der erste Flame, der sich auf den Azoren niederließ, am Ende sogar Stammvater einer der bedeutendsten brasilianischen Familien.

Text + Fotos: Jeroen Dewulf





[art_4] Venezuela: Die Goajiros (heute / damals / im 19. Jahrhundert)

Heute: Als eine seiner ersten Amtshandlungen nach der Machtübernahme 1998 stellte Hugo Chávez ein Komitee zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung zusammen. Beteiligt waren unter anderem drei Vertreter indigener Gruppen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten in Venezuela Indígena-Gemeinschaften keine oder zumindest nur sehr eingeschränkte Rechte - im südamerikanischen Vergleich belegten sie diesbezüglich den letzten Platz. In der neuen Verfassung (1999) sind die Rechte venezolanischer Indígena nun niedergeschrieben (Artikel 119-126). Bei der Umsetzung dieser gibt es reihenweise Probleme - neue Organisationsformen entsprechen nicht den Stammesorganisationen (Machtkompetenzverletzungen), Entstehen von Korruption und Machtmissbrauch innerhalb von Gemeinschaften - aber die 500.000 in Venezuela lebenden Indianer finden (nicht nur bei kleineren linksgerichteten Organisationen) nun Gehöhr und können auf Missstände aufmerksam machen: Anzeigen von Zerstörung von Lebensräumen durch Bergwerke oder Raffinerien, Fehlen von ärztlicher Versorgung oder Strom oder Verlust von eigenen Traditionen oder Sprachen.

Die Regierung Chávez handelt schnell und direkt (nicht immer überlegt). Sie sorgt für permanente ärztliche Versorgung auf eigens eingerichteten Booten etwa im Orinokodelta, baut Straßen zu entlegenen Gebieten, gewährleistet die Stromversorgung oder die Anbindung an Telefonnetze und bringt Indianersprachen als Studienfächer an die Universitäten. Ein aus der Sicht zumindest einiger Indianergruppen wichtiger Punkt, den die Verfassung vorsieht, ist jedoch bislang nicht umgesetzt: Die Überschreibung von Besitztiteln der seit jeher bewohnten Landstriche an Indígena-Kollektive. Möglicherweise ist der Einfluss mancher Bergwerksunternehmen, die auf diesen Gebieten tätig sind, doch so groß, dass selbst Chávez nicht uneingeschränkt handeln kann.

Damals: Kolumbus brachte das Bild der beiden Typen Guter Indianer und Schlechter Indianer nach Europa: Die, die alles hergaben und sich engagiert in kürzester Zeit zu Tode schufteten in den Minen und auf den Feldern der spanischen Herren, waren die Guten, die Teine oder Warau. Die bösen waren die, die sich mit dem Speer in der Hand weigerten, für die Spanier zu arbeiten. Sie wurden von Kolumbus als Kariben bezeichnet.

Die Warau sind weit über den südamerikanischen Kontinent verbreitet, vom peruanischen Hochland bis ins Orinokodelta. Teilweise gibt es noch Verbände auf den großen Antillen (Kuba) und den mittelamerikanischen Küsten.


[Goajira im Maracaibosee]

Ursprünglich stammen sie wohl aus Südamerika, wurden aber von kriegerischen Stämmen immer weiter vertrieben, bis auf die kleinen Antillen und dann weiter auf die großen. Offensichtliche Gemeinsamkeiten der Warau finden sich in ihrer Sprache und ihren matriarchalen Gesellschaftsformen (Matriarchat meint nicht Frauenherrschaft, sondern das Fehlen von Herrschaftsstrukturen und Hierarchien).

Auf der Halbinsel Goajiro leben die Wayúu oder auch Goajiros. Mit 60.000 ist es einer der größten noch existierenden Verbände der Bon Savage.

Im 19. Jahrhundert: Nach der fünfjährigen Reise Alexander von Humboldts brachen Geografen und Ethnologen auf in die Welt, um über alles und jedes in einer der zahlreichen wissenschaftlichen Zeitschriften zu berichten, so auch von den Goajiro Indianern. Unter jenen befanden sich:
  • Franz Engel, Botaniker und Ethnologe. Er bereiste Venezuela um 1857-60er Jahre. Über die Goajiros schrieb er u.a.: Die Goajiros, in: Das Ausland, 1865
  • Adolf Ernst, Botaniker und Ethnologe. Er lebte in Venezuela zwischen 1870-99 und gründete die Ethnologische Fakultät der Universität zu Caracas. Über die Goajiros schrieb er u.a.: Die Goajiro-Indianer. Eine ethnologische Skizze, in: Zeitschrift für Ethnologie, 1870
  • D. Blümacher war nordamerikanischer Konsul in Maracaibo. Sein Artikel Etwas über die Goajiro-Indianer erschien in: Das Ausland, Wochenzeitschrift für Länder- und Völkerkunde, 1888
  • Ferdinand Carl Appun, Künstler und Botaniker, bereiste Venezuela zwischen 1848-59. Er schrieb u.a. Die Goajiro-Indianer, in: Das Ausland, 1868
Ernst: Die Halbinsel gehörte früher zu dem Vicekönigreich von Neugranada, von dem vergebens ihre Eroberung versucht wurde. Seit der Spaltung der Republik Colombia in die 3 Schwesterstaaten haben sich Kolumbien und Venezuela durch einen Strich auf der Karte in die Halbinsel geteilt; doch hat keine von beiden bis jetzt irgendwelche Hoheitsrechte gegen die unbezwungenen Gaojiros geltend machen können, obgleich die selben bereits mehrfach Gegenstand eines diplomatischen Notenwechsels zwischen Caracas und Bogotá gewesen sind.

Engel: Nach Ende des 16. Jahrhunderts brachten die Missionare durch die Kraft des Wortes und das Übergewicht der moralischen Macht (die auch sogar auf den wilden Menschen überzeugender wirkt als physische Gewalt) die Unterwerfung der Goajiros und die Gewinnung ihrer Freundschaft für die Spanier zustande; sie zeigten sich gelehrig, fügsam, dem eingebürgerten Leben zugeneigt, Lust und Geschick zu Ackerbau, Gewerbe und künstlichen Handarbeiten.

Aber was die überzeugende Rede und die moralische Macht vermocht und Großes getan, das verdarb die Zuchtpeitsche derselben Missionare und die Brutalität der weißen Christen wieder.

Die Europäer verführten ihre Weiber, raubten sie sogar mit Gewalt aus einem ihrer Dörfer unter dem Schutz und Schirm königlicher Gerechtigkeiten.


[Goajiras in Puerto Concha, Maracaibosee]


Dazu kam dass einer der Goajiros wegen Beschuldigung einer nach den Gesetzen der Mission unerlaubten Verbindung auf Befehl eines Geistlichen ausgepeitscht wurde. Blutend aus dem zerfetzten Fleische rief er um Rache auf dem Aschenhaufen seiner Wohnungen, und schwor seine Freiheit wieder zu gewinnen und zu behaupten; die europäischen Ansiedelungen verschwanden. Die Weißen wurden vertrieben und niedergemetzelt. Seit dem Jahr 1766 waren die Goajiros wieder unversöhnliche Feinde der Spanier, und nie mehr zum Christentum zurückzuführen; wer ihr Gebiet betreten, hat es meistens mit dem Tode büßen müssen oder sich durch Überlistung oder besondere Vergünstigung den Weg geöffnet.

Blümacher: Die Regierung von Venezuela begnügt sich einen militärischen Posten an die Grenze zu stellen, zur Abwehr räuberischer Ausfälle in die angrenzenden Ansiedelungen und Vieh-Farmen der Weißen. Dessen ungeachtet rotten sich die Indianer zuweilen zusammen und überziehen, mehrere hundert Köpfe stark, das kultivierte Land, um zu plündern.

Im Februar 1886 wurde das Grenzgebiet nahe dem beträchtlichen Städtchen Sinamaica von 400 Goajiros, wovon 250 beritten waren, überfallen, und es nahmen dieselben mehrere hundert Stück Vieh und eine Anzahl Pferde; bevor sie aber ihren Raub auf ihr Gebiet treiben konnten, griffen 55 Weiße sie an und töteten im ersten Gefecht ihren Anführer. Dadurch kam die Bande so in Auflösung, dass es ihren minderzähligen Verfolgern nicht nur gelang ihnen die Beute abzunehmen, sondern noch eine große Anzahl wertvoller Indianerpferde zu erbeuten. Nach einem Gefecht, welches fast einer Abschlachtung gleichkam, flohen die Überlebenden ins Innere ihres Gebietes und wagten seither keinen Raubzug mehr.

Appun: Sie sind ausgezeichnete Schiffer und wagen sich in ihren gebrechlichen Kähnen weit in das Meer hinaus; der durch zahllose Untiefen der Schifffahrt gefährliche Golf von Maracaibo, wie alle anderen Teile der Küste ihres Landes sind ihnen so wohl bekannt, dass sie als die sichersten Lotzen in diesen Gewässern zu gebrauchen wären, hätten sie nicht bereits zu oft dass in sie gesetzte Vertrauen getäuscht, das ihnen anvertraute Schiff auf einen Felsen oder eine Sandbank gerannt, und nach Ermordung seiner Mannschaft sich in Besitz seiner Ladung gesetzt.

Nicht allein, dass sie ihr Unwesen als Piraten treiben und ihre Küsten passierender Schoner sich bemächtigen, täuschen sie zur Zeit der Stürme durch an der Küste angezündete Feuer die bei Nacht vorüberfahrenden fremden Schiffe, welche den falschen Signalen vertrauend, ihrem Verderben entgegenlaufen.

Engel: England wusste den Hass dieses Volkes gegen die Kolonisten in seinen Kriegen mit den Spaniern wohl zu benützen; jedoch wagten seine Schiffe es nie in einem ihrer Häfen zu landen. Der Handel fand an Bord der Schiffe statt, die sich nach Abschluss desselben so schleunigst wie möglich wieder entfernten.

Ernst: Kein Denkmal aus alten Zeiten gibt Aufschluss oder Andeutung über die Vergangenheit. Die persönliche Erinnerung des Individuums ist rückwärts geschichtliche Grenze. Ein Gefühl nur hat den Untergang der hingestorbenen Generationen überdauert, der Hass gegen die Spanier und deren Abkömmlinge.

Äußeres
Ernst: Die Goajiros sind durchschnittlich ein kräftiger Menschenschlag, welcher in der gleichgültigen Erduldung von Entbehrungen aller Art keinem der übrigen amerikanischen Urvölker nachsteht. Sie sind verhältnismäßig klein von Wuchs und erreichen selten eine Höhe von mehr als 5 Fuß. Das Gesicht erscheint groß durch die fleischigen Backen.

Das Gesicht der Gaojiros ist plump, der allgemeine Ausdruck mehr kräftig als roh. Die stets dunklen Augen stehen ziemlich schief; die Nase ist breit und stumpf, der Mund groß, das Haar grob und straff, pechschwarz von Farbe. Der Querdurchschnitt des letzteren unter dem Mikroskop ist beinahe kreisförmig mit sehr undeutlich zu erkennendem Kern. Der Bart ist stets schwach, die übrige Körperbehaarung spärlich.

Die Hautfarbe der meisten Goajiros ist eher hell als dunkel zu nennen. Die Haut transpiriert stark; doch habe ich an den von mir untersuchten Individuen nichts von einem speziellen Hautgeruche gemerkt.

Die Brust ist meist breit. Bei den Weibern sind die Brüste oft sehr groß, doch selten oder nie schlaff hängend. Die Hüften stehen seitlich bedeutend vor und erhöhen das gedrungene Aussehen des Körperbaus.

Handel
Blümacher: Obgleich die Goajiros bis jetzt jeder Beeinflussung widerstanden haben und Hass gegen alle, die nicht zu ihrer Rasse gehören, zeigen, erkennen sie doch die Vorteile der Handelsverbindungen mit den Weißen, und während der trockenen Jahreszeit kommen sie häufig nach den Grenzansiedelungen. Sie betreiben nämlich eine nicht unbedeutende Viehzucht und vertauschen ihre Rinder, Pferde und Esel, sowie auch Häute, unter Umständen wohl auch ihre eigenen Kinder, gegen weiße und bedruckte Baumwollzeuge, Messer, Glasperlen u. vgl., besonders aber auch gegen Rum, den sie in großen Quantitäten konsumieren.

Appun: An einem herrlichen Julimorgen, kurz nach Sonnenaufgang, geschah es, dass eine Bande halbnackter Goajiro-Indianer auf ihren wilden Pferden nach dem Fort von Sinamaica, wo ich in dieser Zeit mich befand, in vollem Galopp angesprengt kamen, denen bald darauf eine Menge Weiber und Mädchen zu Fuß, große Körbe vermittelst eines Stirnbandes auf dem Rücken tragend, folgten.

Bald nach Ankunft entspannen sich Tauschgeschäfte mit den im Fort befindlichen Venezolanern, indem die Goajiro ihre Pferde, Rindvieh, schön geflochtene lederne Pferdezügel, Lazzos, Fische, Honig, gegen Rum, Mais, blaue und rote Decken, lange Messer, Glasperlen und andere von ihnen gesuchte Artikel vertauschten.

Kurz vor diesem Handel hatten die Venezolaner die Vorsicht gebraucht sie tüchtig mit Rum zu traktieren, um ihre Einkäufe zu billigsten Preisen zu machen, was ihnen auch bei der bekannten Liebhaberei aller Indianer für starke Getränke gelang. So erhandelte ich 2 schöne Pferde für 5 Gallonen Rum, einige wollene Decken, einige Säcke Mais und 2 Dutzend Dolche, zusammen noch nicht um den Wert von 20 Dollar.

Nach geschlossenem Handel mussten die Weiber und Mädchen die erhandelten Waren in den Tragekörben fortschaffen, während die Männer noch einige Zeit in den Pulperias (Schenken und Verkaufslokalen), welche in der nahen Umgebung des Forts in reichlicher Anzahl sich befanden, verweilten, und gegen Abend unter wüstem Lärmen, größtenteils berauscht, auf ihren mutigen Pferden der Heimat zujagten, da ihnen nicht gestattet wird, die Nacht in der Nähe des Forts zu verbringen.

Blümacher: Es wagen sich aber auch Händler in ihr Gebiet hinein. Um dieses mit einiger Sicherheit tun zu können, müssen dieselben in ein freundschaftliches Verhältnis mit den Häuptlingen treten. Dies geschieht gewöhnlich vermittelst Heirat, welche bei den Goajiros ganz nur als Geschäft erachtet wird. Da die verschiedenen Stämme aber oft in Fehde miteinander sind, so muss der Händler, um die verschiedenen Distrikte bereisen zu können, in verschiedene Clanschaften einheiraten. Natürlich bleiben die Frauen im Kreise ihrer Angehörigen und erfreuen sich der Gegenwart ihrer Gatten nur vorübergehend, wenn dieser auf seinen Geschäftsreisen ihren Wohnort berührt. Solche Verbindungen sind aber eine kostspielige Geschichte, denn nicht nur müssen unter Umständen mehrere hundert Dollar an den Vater bezahlt werden, sondern auch sämtliche Verwandten des Mädchens beanspruchen Geschenke vom Bewerber.

Erbrecht
Blümacher: Bezüglich des Heiratens haben wir gerade gesehen, dass die Tochter dem Vater (resp. Dem Bruder oder Neffen, wenn der Vater tot ist) abgekauft werden muss. Ist das Mädchen mannbar, so bezieht es eine eigene Hütte, muss seinen Schmuck ablegen und trägt ein langes Gewand; während der ersten Tage seiner Absonderung darf es nichts genießen als den Absud gewisser medizinischer Kräuter, genannt "haguape". Diese Zeit der Einschließung, während welcher das Mädchen "Surtirse surapaura" genannt wird, ist die Lehrzeit für die künftige Ehefrau; sie wird in allen häuslichen Arbeiten, beim Spinnen, Färben, Weben, der Anfertigung der Hängematten, u.s.w. unterrichtet. Der Mangel an Bewegung im Freien macht die Mädchen in der Regel bald fett, der Teint wird heller und manche sollen in dieser Zeit wirklich hübscher werden. Den heiratslustigen Männern ist es erlaubt, die "Surtirse surapaura" durch die Türe zu besichtigen. Gefällt sie, so geht der Freier zum Vater und der Handel beginnt. Der Preis wird meist in Vieh bezahlt und der Vater des Mädchens muss ihn mit den Verwandten teilen. Dann wird ein Ball angeordnet, an dem die Braut in dem Kleid, welches sie sich in ihrer Klausur angefertigt hat und behangen mit all ihrem Schmuck, teilnimmt. Weiterer Zeremonien bedarf es nicht. Die Frau hat für Wohnung und Nahrung des Gatten zu sorgen, ist dafür aber auch sehr angesehen und wird rücksichtsvoll behandelt; auch ist kein Handel eines Indianers gültig ohne die Zustimmung seiner Frau.

Wird eine Frau ihrem Manne untreu, so verlangt dieser von der Verwandtschaft den Kaufpreis zurück, kann die Verwandtschaft selben nicht auftreiben, so hält er sich für Schadensersatz an die Liebhaber der Frau; trifft die Frau aber irgendein Unfall, irgendein Leibesschaden oder stirbt sie im Wochenbett, so muss der Gatte nochmals den bei der Hochzeit bezahlten Preis ihren Angehörigen entrichten. Stirbt dagegen der Gatte, so fällt die Frau als Eigentum an ihren jüngeren Brüder oder in Ermangelung eines solchen an einen Neffen zurück.

Die nochmalige Entrichtung des Kaufpreises beim Tode der Frau geschieht entsprechend der Sitte des "Blut- und Tränenpreises". Für jeden Schaden, welchen ein Goajiros einem anderen antut oder letzterer direkt oder indirekt durch ihn erleidet, ist er und seine Familie, ja unter Umständen sein ganzer Clan, verpflichtet, Schadensersatz an die Angehörigen des Beschädigten zu entrichten. Das Einstehen der Familie für das Individuum, des Clans oder Stammes für die einzelne engere Familie, ist ähnlich wie bei den der Blutrache huldigenden Völkern; aber der Krämersinn der Goajiros verlangt nicht Blut für Blut, Leben um Leben, sondern er will bezahlt sein mit Vieh oder anderen Marktwerten für die Tränen und die Trauer, die ihm angeblich für der Schaden seines Familiengliedes verursacht hat; denn nicht der Beschädigte selbst hat den Blut- und Tränenpreis zu verlangen, sondern die teilnehmenden Verwandten, besonders die der Mutterseite, die als näher stehend gelten. Das Originellste an der Sitte ist, dass die zärtlichen Verwandten sich ihr - im wahrsten Sinne des Wortes - wertvolles Mitgefühl auch dann bezahlen lassen, wenn einer ihrer Angehörigen sich selbst verwundet hat; und zwar die Verwandten von Mutterseite den Blut-, die von Vaterseite den Tränenpreis, der niedriger zu stehen kommt. Dabei bestimmt die Größe der Verwundung die Höhe der Entschädigung; ein Schnitt in den Finger verlangt etwas Korn oder ein Zicklein; ist die Verwundung bedeutender, so bedarf es einer Ziege, eines Schafes oder wohl gar einer Kuh, um die mitleidigen Verwandten zu trösten. Ist der durch die eigene Hand Verwundete zu arm zur Zahlung, so muss er von Hütte zu Hütte betteln und niemand wird in solchem Falle sein Scherflein verweigern.

Geschieht jemandem ein Leibesschaden durch ein Tier, so muss der Eigentümer des Tieres den Blut-, Tränenpreis bezahlen; auch dann sogar, wenn der verwundete das Tier - z.B. ein Pferd, von dem er geschlagen oder abgeworfen wird - geborgt hatte, denn - so lautet die Goajiro-Logik - wenn der Besitzer einen Pferdes dieses nicht hergeliehen hätte, so wäre der Borger nicht zu Schaden gekommen! Ebenso ist der Verkäufer der Verwandtschaft des Käufers haltbar für den Schaden, den der verkaufte Artikel anrichtet. Aus diesem Grund verkaufen die weißen Händler nur dann Rum, Waffen u. dgl., wenn ihrer mehrere sind und sie so stark genug sind, um sich nötigen Falls gewaltsam den Anforderungen der Verwandtschaft entziehen zu können, im Fall durch Trunkenheit oder Ungeschicklichkeit ein Unfall geschieht.

Engel: Das Erbrecht handhabt und bestimmt nicht der Vater, sondern der Großvater mütterlicher Seite; denn nicht in der Hand des Vaters, sondern des Mutter-Vaters ruht die Familienautorität, da der Vater nicht von der legitimen Herkunft seiner Söhne versichert sein kann.

Die geringfügigste Ursache ruft unter den immer kampflustigen Goajiros die offene Fehde herbei; die leiseste Unbill, die einem einzigen einer Tribus widerfahren, ist das Signal zum Krieg, meistens veranlasst durch den Verlust von Rindern oder Pferden, deren Zucht sie in ausgedehnter Weise betreiben, und welche sie einander abzufangen und zu rauben pflegen; bestiehlt ein Goajiro den anderen derselben Tribus, so hat der bestohlene das Recht sich des Diebes als Sklave zu bemächtigen, ihn entweder zu eigenen Diensten auszunutzen, oder, was häufiger der Fall ist, ihn an die Kaufleute der benachbarten Nationen, welche mit ihnen Handel treiben, gegen Eintausch verschiedener Waren zu veräußern. Der Diebstahl, weil er nur selten unentdeckt bleiben kann zwischen Angehörigen einer Verbindung, gehört zu den seltensten Vorgängen unter ihnen; ihre Keckheit und Verschlagenheit im Raube aber soll bewundernswert sein, so dass zuweilen im Laufe einer Nacht ein Pferd aus der unmittelbaren Nähe seines Besitzers verschwinden, an die Grenze oder zu benachbarten Parcialidad gebracht, verkauft werden, und der Täter mit dem ersten Morgengrauen sich wie gewöhnlich von seinem Lager erheben kann.

Waffen
Ernst: Mannigfaltig sind die Waffen. Zu diesen gehört vor allem der Bogen aus festem elastischen Holze. Die Sehne ist aus Pitahanf. Die Pfeile sind gewöhnlich 2 Fuß lang, ihr unterer Teil ist aus Rohr; in das obere Ende wird ein Holzstückchen fest eingebunden, an welchem oberhalb der Schwanzstachel des Stechrochens befestigt ist. Dieser Stachel ist gegen 3 bis 4 Zoll lang, scharf spitzig und an beiden Seiten mit scharfen, dichtstehenden Widerhaken versehen.

Die Pfeilspitze wird von den Goajiros vergiftet. Das Gift ist tierischen Ursprungs. Der gewöhnliche Bericht, wie ich ihn aus dem Munde von Indianern gehört habe, lautet wie folgt: Man tötet eine grüne auf Bäumen lebende Schlange, nimmt die Giftdrüse heraus und steckt diese durch eine kleine Öffnung in die Calabassenfrucht. Nach 15-20 Tagen ist das Innere der Frucht eine dunkle schleimige Masse, mit der man die Pfeile bestreicht. Die Goajiros gebrauchen ihre giftigen Pfeile nur im Kampfe, nicht auf der Jagd.

Die Pferde sind nicht schön, aber ungemein ausdauernd und werden von Weißen gern gekauft. Da der Indianer nicht leicht dem verlockenden Preise, der ihm geboten wird, widerstehen kann, so schneidet er lieber seinem Lieblingspferd die Ohren ab, um sicher zu sein, dass kein Weißer ihm ein Gebot dafür mache.

Die Hauptbeschäftigung der Goajiros ist die Viehzucht. Die von Europa eingeführten Haustiere (Pferd, Esel, Maultier, Ziege, Huhn) haben die ehemalige uns nicht bekannte Lebensweise dieser Völker sicherlich weit mehr umgestaltet, als dies betreffs der Bewohner Europas durch Erfindungen der Neuzeit geschehen ist. Die heutigen Goajiros müssen sich in der Tat sehr von ihren Vorfahren unterscheiden, die als Haustiere nur ihre Weiber hatten.

Die Hauptnahrung besteht demnach aus Fleisch. Sie sind wie alle Indianer in Betreff ihrer Mahlzeit wie der Kondor der Kordilleren. Ist Nahrung im Überfluss vorhanden, so verschlingen sie erstaunliche Mengen; fehlt es an Nahrungsmitteln, so wird der Hunger mit der größten Gleichgültigkeit ertragen, und die starke Konstitution leidet nicht sonderlich dabei.

Wohnen
Engel: Die Goajiros leben in festen Wohnsitzen, zu kleinen Dörfern und Flecken vereint; ihre sehr einfach konstruierten Hütten liegen innerhalb oder unweit der Fruchtfelder, welche sie mit Fleiß und Sorgfalt bestellen, die Wohlhabenden von ihren Frauen und Sklaven bearbeiten lassen. Die Wohnungen sind in der äußeren Form spitzen Zelten, aus der Ferne einem Termitenhaufen nicht unähnlich; mehrere Baumstangen werden gabelförmig, mit den Spitzen oben gegeneinander gekehrt, aufgerichtet, an der Spitze miteinander verbunden, durch seitliche Verbände von Stäben zusammengehalten und mit trockenem Savannengras, Schilf und Rohr oder bloßem Gestrüppe teils ganz, teils nur teilweise, schirmartig bedeckt. Zwischen den Pfählen des kleinen spitzen Dachgerüstes sind die Chinchorros - kleine, aus Pflanzenfaser geflochtene Hängematten - befestigt, in welchen, halbkugelig zusammengerollt, die Männer einen großen Teil ihres Lebens in süßem Nichtstun schaukelnd verträumen. Häute von erlegten Tieren und Binsen bedecken den Boden, auf denen die Weiber und Kinder niederkauern und schlafen; Bogen und Pfeil, Waffen-, Feld- und Haushaltsgeräte stecken rings umher in dem dünnen Fachwerke oder liegen auf der Erde, auf kleinen Sockeln und Schemeln umher; unweit der Türöffnung raucht der Feuerherd.

Ernst: Die Hütte ist selten etwas als ein auf einigen Pfählen ruhendes Dach. [...] Die an der Meeresküste oder den Lagunen lebenden Fischerstämme wohnen teilweise auch in Hütten, die auf einem Pfahlwerk in einer 3-4 Fuß tiefen Stelle des Wassers erbaut sind.



[Palafíto (Hütte auf Pfählen im Maracaibosee)]

In dem vorderen niederen Teil der Hütte ist die Küche; der hintere Teil ist Wohn- und Schlafplatz. Ursache dieser Wasserbauten ist wahrscheinlich der Umstand, dass über dem Wasser die Plage der Mücken und sonstiger Insekten weniger groß ist. Wir haben hier also moderne Pfahlbauten. Diese Sitte fiel schon den spanischen Entdeckern auf.

Wesen
Engel: Der Goajiro verrät Neigungen und Gewohnheiten, die einer weniger rohen Lebensart nicht abholt sind, wie er geistig beweglich und betriebsam ist, so offenbart er auch mehrere Spuren eines bildungsfähigen, sinnlichen wie intellektuellen Geschmacks. Er gibt etwas auf seine Kleidung, liebt mehr ein feines, geschmackvolles Gewebe als ein musterloses, grobes Hemde, ebenso hält er es mit Leibgerichten und ist auf eine sorgsame Behandlung derselben erpicht; während seiner außerhäuslichen Tätigkeit beschäftigt er sich stundenlang im Stillen mit dem Fisch den ihm daheim die Weiber bereiten, mit der Essbegierde eines Gourmets kehrt er zurück und schüttet den ganzen Napf mit Speise in die Asche, wenn die Zubereitungen seiner Erwartung nicht entsprochen, er schlingt nicht stumpf und viehisch seine Speisen hinunter, wie so mancher seiner unterentwickelten und geistesmatteren Rassenbrüder.

Ernst: Die Goajiros sind leidenschaftliche Säufer. Außerdem tanzen sie gerne, doch stets einzeln, nach dem Tone einer Rohrpfeife, einer Art Trommel und der Maraca (Rassel).

Text: Dirk Klaiber
Fotos:
Posada Casa Vieja Mérida + Dirk Klaiber

Online Reiseführer Venezuela (reihe fernrausch)
Der Hauptteil des Reiseführers besteht aus Beschreibungen von Ausflugsmöglichkeiten in die Natur, in Form ein- oder mehrtägiger Touren, individuell oder mit Guide organisiert, und Abenteuertrips.



Tipp:
Detaillierte Informationen zu Reisen in Venezuela:
Posada Casa Vieja Mérida / Tabay / Altamira





[kol_1] Macht Laune: Tanzen im Land der langen Fischmesser
Forró und São João in Campina Grande

In der Luft liegt ein Hauch von Parfum, vielleicht von Lampião, dem König der Banditen... Dort, wo man Probleme mit einem langen Fischmesser löst (man erinnere sich einfach einmal an die Technik, das Messer am Hals anzusetzen und durch die Schulter hinunter zu stoßen, bis es in der Leistengegend wieder heraustritt…), wird auch ähnlich heftig getanzt. Und zwar Forró, was sonst.

Campina Grande, das "Tor zum Sertão von Paraíba, ist in Feststimmung. Es ist São João, der Johannistag, und der São João von Campina Grande gilt als der größte und beste ganz Brasiliens. Wenigstens sagen das die Leute aus Campina Grande.


Der "Parque do Povo", der Volkspark, quillt an diesem 23. Juni über vor Menschen. Während der Junifeiern kommen hier täglich zwischen 60.000 und 80.000 zusammen. In dieser Nacht, am Vorabend des São João, liegen schwere Rauchwolken über der Stadt. Überall lodern die Feuer; eine alte christliche Tradition, die ihren Ursprung in den Feuern der heidnischen Sommersonnenwende Europas hat, wo man heute den längsten Tag des Jahres feiert.

Zu den Klängen des traditionellsten Forró des brasilianischen Nordostens, dem so genannten "Forro Pé de Serra", und angeheitert von dem wunderbaren Cachaça aus Paraíba, lässt das Volk die Hüften kreisen. "Zwei Schritte nach dort, zwei hierher - das ist das ganze Geheimnis für alle die, die nicht Forró tanzen können", erklärt die Morena mit den wasserblauen Augen. "Den Rest lernt man während des Tanzens", fügt sie hinzu. Sie selbst tanzt ausschließlich mit ihrem Freund... Und der macht sich nicht einmal besonders viel aus Tanzen, macht nur mit, um ihr einen Gefallen zu tun, wie er später zugibt.


Nachdem die Engländer Mitte des letzten Jahrhunderts begannen, Baumwolle aus Indien zu importieren, brach die traditionelle Baumwollindustrie der Region um Campina Grande zusammen. Viele Jahre lang stagnierte die Wirtschaft, während sich gut ein halbes Dutzend Universitäten hier ansiedelten. Seitdem ist Campina Grande eine der besten Adressen für Studenten des Nordostens.

Vor etwa zwanzig Jahren dann hatte man in der Stadt die brillante Idee, Campina in DAS Zentrum der São João Feierlichkeiten im Nordosten zu verwandeln. Mit Erfolg - gut 1,2 Millionen Menschen nehmen an den Junifesten teil, tanzen im "Parque do Povo", besuchen das "Sítio São João", den originalgetreuen Nachbau einer Kleinstadt des Sertão und kaufen Handwerkskunst im "Pavilhão de artesanato da Paraíba".


Und selbst die hart getroffene Baumwollindustrie hat neue Hoffnung geschöpft: die naturbunte Baumwolle, die in immer neuen Farben auf den Markt kommt. Bisher sind es schon vier Farben und weitere stehen in den Startlöchern. Und alles 100% natürlich. Dank einer genetischen Mutation, die man früher als Defekt ansah und aussortierte, gibt es jetzt traumhaft schöne Hängematten in den verschiedensten Farbmustern, sowie traditionelle Decken und Kleider mit regionalen Strickborden.

Derweil führen die alteingesessenen Tanzgruppen ihre Reigen im Volkspark auf, die Forró-Bands spielen ihren Pé de Serra auf den drei ursprünglichen Instrumenten, der Sanfona, einer abgewandelten Ziehharmonika, der Triangel und der Zabumba-Trommel. Und ein jeder kaut auf einem queijo coalho herum, einem über der Glut leicht gebräunten weißen Käse. Nicht einmal der beharrlich fallende Regen schafft es, die allgemeine Freude zu verderben. Nur die Johannisfeuer löscht der Nieselregen allmählich.


Plötzlich ist sie wieder da, die pure Luft des Sertão. Zurückgekehrt ist sie in die Stadt. "Am Ende dieser Straße", erklärt ein Freund und zeigt auf den dunklen Horizont, "beginnt der Sertão."

Text + Fotos: Thomas Milz





[kol_2] Grenzfall: Nachts im Nichts oder Kolumbien mal anders

Einige Städte in Kolumbien sind nicht wirklich weit voneinander entfernt, nur so 500 bis 600 Kilometer, aber wegen der Berge und der schlechten Straßen braucht man dann doch 15 Stunden. Daher entscheidet man sich ab und zu für einen Nachtbus, weil 15 Stunden bei vollem Bewusstsein in so einem Kühlschrank auf Rädern nur schwer zu ertragen sind.

Nach zehn Tagen habe ich mich schweren Herzens von Bogotá verabschiedet und bin mit dem Taxi zum Busterminal. Dort musste ich zwei Stunden warten bis zur Abfahrt. Nicht schlimm, denke ich mir: Lese ein bisschen im Reiseführer, trinke zwei Bier dazu (Fehler!).

Der Bus: ganz OK. Der obligatorische Film: nicht zu arg (kein Rocky 1 bis 5, die kennt man mittlerweile auswendig, und auch kein Baller- oder Kriegsfilm) und vor allem nicht zu laut. Die Klimaanlage: nicht zu kalt. Also soweit alles in Ordnung.

[busbahnhof]

Nachts um zwei in einem kleinen Kaff an der Panamericana mit fünf Häusern eine kurze Pause zum Beineausstrecken und Cola-Trinken. Ich bin noch ein wenig schläfrig, brauche meine Zeit, um mich aus dem Bus zu schleppen, trinke Saft, gehe kurz aufs Klo (wegen der zwei Bier, wie gesagt: Fehler!). Im Klo (eine gekachelte Rinne hinter einem Duschvorhang, um genau zu sein) höre ich noch „BrummBrumm“, denke mir aber nichts Böses. Das war bestimmt der andere Bus, der, der neben unserem parkte.

Ich komme also aus der Toilette - und mein Bus ist weg! Mit allen meinen Sachen, die ich mir in letzter Zeit nach dem Diebstahl meines Rucksacks in Venezuela mühsam zusammengekauft hatte. Nichts wertvolles, aber trotzdem. Ich stehe also zum zweiten Mal da in einem fremden Land und besitze nur die Dinge, die ich am Körper trage. Kolumbien gilt zwar mittlerweile wieder als einigermaßen sicher - doch nachts um Viertel nach Zwei irgendwo im Nichts fühlt man sich nicht wirklich wohl...

Leichte Panik kommt auf. Ich fühle mich verlassen und sehe wohl etwas gehetzt aus. Im Lokal (eigentlich nur einem Loch in der Wand, d.h. eine kleine Theke mit ein paar Sachen zum Essen) steht der ältere Herr, dem der Laden gehört; er schaut mich ganz mitleidig an.

Es gibt noch zwei weitere Leute. Sie tragen das gleiche Hemd wie der Busfahrer, der mir grad davongefahren ist und sind augenscheinlich von der Busgesellschaft. Die beiden trinken gemütlich ihre Cola und tun so, als ob sie mich nicht wahrnehmen würden. Ich frage sie, was da gerade passiert sei, was ich tun solle und ob sie „meinen“ Busfahrer anrufen könnten. Sie schauen nur unbeteiligt, sagen irgendwas von "nicht unser Problem". Sie fahren wohl in eine andere Stadt (von der ich noch nie gehört habe) und ihr Bus sei voll besetzt. Als die beiden dann fertig gegessen/getrunken haben, schlendern sie zu ihrem Bus. Meine Panik wächst. Der nette Cola-Verkäufer bedeutet mir, ich solle sie nicht davonfahren lassen und mit einsteigen; sie könnten versuchen, den anderen Bus einzuholen. Es sei dieselbe Strecke für die nächsten Stunden.

Ich also mit in den Bus, es sind wirklich alle Plätze besetzt. Quetsche mich auf den Boden zwischen die Sitze und hoffe, dass wir schneller sind als der zehn Minuten vorher abgefahrene Bus. Habe aber meine Zweifel...

Eine haarsträubende Bergtour folgt. Unterwegs sind um diese Urzeit nur noch rasende Busse und kriechende Lastwagen. Der Bus rast also jeweils zwei Minuten, bis er hinter einem oder fünf oder zehn Lastwagen zum Kriechen kommt. Jeder versucht dann, irgendwie zu überholen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite das gleiche. Echt erschreckend! Normalerweise kriegt man das nicht so mit, weil die Sicht nach vorne verdeckt ist, aber im Mittelgang sieht man alles.

Irgendwann komm ich dann auf die Idee, es gäbe vielleicht eine Zentrale, die man anrufen könne. Da antwortet mir der Busfahrer, dass er schon längst mit dem anderen Bus telefoniert habe. Hat er mir nur nicht gesagt. Blödmann. Lässt mich lieber weiter Panik schieben. Fragt dann noch, ob ich für diesen "Service" nicht 10.000 Pesos (4 US-$) bezahlen wolle. Habe ich dann glatt gemacht, hätte auch mehr bezahlt, so froh war ich.

So um drei Uhr nachts macht mein Herz einen kleinen Hüpfer, ich sehe den anderen Bus vor uns. Beide halten, der Busfahrer „meines“ Busses und ich schreien ein bisschen aufeinander ein, wer denn jetzt Schuld habe. Dann steige ich schlaftrunken ein. Als ich zu meinem Platz komme, sagt mein Nachbar mir, dass er dem Busfahrer sofort nach Abfahrt mitgeteilt habe, dass ich nicht an Bord sei.

[davongefahren]

Der habe aber erstmal drauf geschissen und sei einfach weitergefahren. Allerdings könne man ihm zugute halten, dass er dann doch noch den anderen Bus angerufen habe und eventuell auch nicht ganz so schnell gefahren sei wie üblich.

Am nächsten Morgen im Hostal bin ich mir dann schon gar nicht mehr so sicher, ob das alles nicht nur ein Traum war. So unwirklich kommt mir das Ganze vor. Aber erstaunlicherweise ist ja alles gut gegangen. Und eine nette Geschichte ist es auch geworden. Ach ja, und Reisen macht Spaß!

Text + Fotos: Frank Brakhan





[kol_3] Amor: El Atropello

Es ist einer dieser bitter süßen Momente im Leben. Du stehst in einer Bar, betrinkst Dich mit Freunden und tanzt zur Musik. Die Stimmung ist gut und ausgelassen. Als Du nach einer längeren Tanzeinlage wieder zur Bar schreitest, um Nachschub zu organisieren, steht da diese wunderschöne Frau mit den tiefschwarzen Augen. Mariana heißt sie. Ein wundervoller Name, den ich so schnell nicht vergessen werde. Ihre Augen strahlen mich an, ihre Brüste reckt sie mir entgegen und der Mund ist sinnlich und wartet nur darauf, endlich geküsst zu werden. Es ist eine jener Szenen, die man sich gerne noch vorher zu Hause vorstellt, ehe man eine Nacht beginnt. In der Regel treten sie nie ein, in den seltensten Fällen kommt man auch nur annähernd in die Verlegenheit, dass man von der hübschesten Frau des Abends angemacht wird. Aber es passiert. Und mir ist nicht einmal mulmig zumute, sondern ich fühle mich wunderbar leicht und bei klarstem Verstand.

Als ich mir meinen Rum bestelle, kommt Mariana noch einen weiteren Schritt auf mich zu. Ich rieche das Shampoo ihrer Haare und blicke auf ihre kleine Nase herab. Ich weiß nicht mehr, was ich alles gesagt habe oder ob wir überhaupt miteinander gesprochen haben, aber sehr wohl erinnere ich mich an diesen Kuss. Sie stellt sich auf ihre Zehenspitzen und dieser halbgeöffnete Schmusemund kommt unaufhaltsam meinem Gesicht entgegen. Wie ein Magnet wird mein Kopf angezogen und ich spüre noch heute ihre warme Zunge zaghaft sanft mit der meinen spielen. Ein himmlischer Moment. Ihre Hände umschließen meinen Kopf und streichen mir leicht über die Wangen. Der Kuss dauert eine Ewigkeit. Ich umarme vorsichtig ihren zierlichen Körper; meine rechte Hand geht zu ihrem straffen Po und die linke habe ich auf der Höhe ihres BHs und den zartknochigen Schulterblättern. Ich fühle eine Zerbrechlichkeit und traue mich nicht, sie noch stärker an mich zu drücken.

Als der Kuss zu Ende geht, wandert ihre Hand von meinem Gesicht über meine Brust. Ganz langsam und voller Anmut. Ihre Augen lassen nicht von den meinen ab und ich spüre ein ungeheures Lodern in mir. Ihre Augen, ja ihre Augen, sie scheinen mich aufzufressen. Sie wendet sich von mir ab, ergreift beinahe beiläufig meine Hand und zieht mich sanft aber bestimmend aus dem großen Raum ins Freie. Lange stehen wir an dieser abgerissenen Ecke, eng umschlungen und unablässig küssend. Wir können nicht aufhören. Und wollen es auch nicht. Beide haben wir es ganz klar vor Augen, dass wir diese Nacht gemeinsam erobern wollen. Und uns gegenseitig. Das Taxi hält und wir steigen ein. Zu ihr. Es geht tatsächlich zu ihr nach Hause, was durchaus ungewöhnlich ist. Die Zeit fliegt vorbei, wir steigen aus, die Hände nicht voneinander lassend. Als ihre Haustür hinter uns ins Schloss fällt, ist es um uns geschehen, wir sind bereit für einander. Mein Hemd ist ausgezogen, ihre Bluse geöffnet, unsere Hosen auf dem Boden verstreut und ich kann in aller Ruhe mit beiden Händen ihren BH öffnen, als sie den Kopf in meinem Schoß verbirgt. Das Bett, der Spiegel, die Musik, alles glänzt und tanzt und wir reiben unsere Lust aneinander. Es lodert.

Schlapp und matt erwacht man aus einem Schlaf, der eigentlich keiner ist. Man ist noch aufgewühlt und unheimlich glücklich. Die Frau neben mir ist wunderschön, ich würde ihr gerne noch einmal zeigen, was ich kann, aber ich muss gleich zur Arbeit. Und sie sieht nicht so aus, als hätte sie große Lust auf eine zweite Runde. Ich schau sie an, aber sie schließt die Augen. Ein Zeichen, dass es wohl an der Zeit ist, zu gehen. Adieu, Du süßer Traum. Macht nichts. Es war schön und fühlte sich gut an. Zumindest für mich. Kein Kompromiss, keine Versprechungen, kein gar nichts. Eine Nacht mit einer bezaubernden Frau wird ins Büchlein eingetragen werden. Daran kann ich nichts Falsches erkennen. Im Gegenteil. Wie kann ein Tag schöner begangen werden? Ich ziehe mich nach und nach an. Das Auffinden meiner Kleidung ist gar nicht so einfach. Sie scheint in der ganzen Wohnung verstreut zu sein. Aber ich finde alles und suche dann noch einmal, um nichts zu vergessen. Nur keine Angriffsfläche bieten für Neues, Altes oder Sachen, die irgendwie irgendwem irgendwann wehtun könnten.

Das gleiche Klacken begleitet mich, als sich die Haustüre erneut schließt. Ich bin draußen. Außerhalb des Traums, außerhalb jeglicher Reichweite ihrer Emotionalität. Und der meinigen. Ich steige in den Bus, lasse das Kleingeld in den Schlitz und meinen Körper auf die freie Hinterbank fallen. Es ist bereits hell und ich fühle mich trotz wenig Schlaf frisch für neue Taten. Da macht es auch nichts aus, dass ich zur Arbeit muss. Ich drücke den orangefarbenen Knopf, damit der Bus mich an meiner Haltestelle hinauslässt, steige die drei Stufen hinab und springe auf den Gehsteig. Die Luft ist frisch, noch immer. In ein paar Stunden wird es so warm und flirrend sein, dass es beinahe schon unerträglich ist. Ich gehe die paar Meter zum Haus meiner Eltern, öffne die Gartentüre und hole mein Moped. Alles ganz leise. Es braucht ja niemand zu wissen, dass ich der König der Nacht gewesen bin. Eine Quadra schiebe ich das Moped, ehe ich es starte und Gas gebe. Ich liege gut in der Zeit und werde pünktlich zur Arbeit kommen. Es sind nur wenige Kilometer. Eine halbe Stunde Inspiration.

Ein wahres Farbenspiel! Entlang des Flusslaufes, der jetzt im Sommer noch reicher sprudelt, weil die Quellen in den Bergen durch das Schmelzwasser gut gefüllt sind, geht es an den Weinfeldern vorbei und an den Äckern, die landwirtschaftlich genutzt werden. Ein bisschen Zuckerrohr, ein bisschen Mais. Gelb, grün, gold, rot. Ja, immer wieder das erdige Rot des Bodens, der manchmal rissig ist. Nämlich genau da, wo nicht bewässert werden kann. Die Vögel zwitschern und durchbrechen das Rattern meines Motors. Aus dem Augenwinkel sehe ich den Fahrradfahrer. Aber zu spät! Wir prallen aufeinander oder besser gesagt, er fährt mir direkt vor den Vorderreifen, der sein Rad spielend zusammenfalten lässt. Ich höre noch das Brechen von Knochen und mein rotes Hemd ist röter als zuvor.

Während ich dem Boden entgegen segele, merke ich, wie meine Kniescheibe aus den Angeln gehoben wird. Nichts Ernstes, ein paar kleinere Schürfwunden am Schenkel und das Knie. Ich kann noch gehen. Der Motor rattert, das Moped liegt neben mir auf der Seite. Es fehlt ihm aber nichts. Ein Kratzer ist drin. Vernachlässigbar. Als ich zu dem Radfahrer hinüber schreite, sehe ich schon die größer werdende rote Lache unter ihm. Er bewegt sich nicht. Ich zupfe ihn an der Schulter, die noch nicht vom Blut besudelt ist. Keine Reaktion. Mir wird kalt. Ich schreie ihn an, aber es kommt keine Reaktion. Ich kann noch nicht einmal feststellen, ob der Kerl atmet. Das Hinterrad ist eingedrückt, der Rest sieht gut aus. Auch der Rahmen hat eine leichte rosé Färbung abbekommen. Es riecht nach Metall. Und Erde. Ich drehe Alvaro auf den Rücken. Sein Gesicht ist fahl und der Lenker hat ihm ein kleines Loch in den Bauch gerissen, das nun sein T-Shirt voll saugt. Er sieht friedlich aus, wenn er so dasitzt. Das Gezwitscher der Vögel ist verstummt. Dafür höre ich jetzt wieder meinen Motor. Ich setze Alvaro auf, tätschle sein Gesicht, aber er mag nicht aufwachen. Ich schreie ihn ein letztes Mal an, ehe ich im auf die Beine helfe. Ich nehme seinen rechten Arm und hänge mir seinen jungen Körper zur Hälfte über meine Schulter und schleife ihn zu meinem Moped. Es geht so gerade mit ihm und ich muss ihn von meiner rechten auf die linke Schulter umpositionieren, um den Gashebel am Motorrad betätigen zu können. Fünfhundert Meter weiter unten ist eine kleine Mulde unweit des Weges. Es ist anstrengend, weil ich aufpassen muss, dass der träge Körper nicht herunterfällt und mir das ganze Moped verschmiert. Ich lasse Alvaro von meiner Schulter rutschen. Eigentlich hab ich nur seinen Arm losgelassen und er fällt rücklings vom Gepäckträger. Aufgewacht ist er noch immer nicht. Ich fühle mich klamm. Ich trage Alvaro zu seiner Kuhle. Er ist jetzt schwerer als zuvor. Dann fahre ich noch einmal zurück und hole das Rad. Das ist einfacher, weil ich es nur ein bisschen anheben brauche und schon fährt es mit. Eines der Räder ist noch vollkommen intakt.

Alvaro schläft in der Mulde. Sein Gesicht ist ausdruckslos. Ich schreie ihn an. Ich schüttle ihn. Den Puls kann ich nicht feststellen. Also schiebe ich sein Rad mit hinunter in die Mulde. Beide liegen jetzt da unten. Ganz ruhig. Ich wanke zurück zum Moped, schalte den Motor ab. Ich ziehe mein Hemd aus und trenne einen Ärmel ab, den ich anschließend in den Tank hänge und mit dem Benzingemisch tränke bis er ganz schwer ist und tropft. Der Weg zur Mulde wird länger, als ich dachte, aber ich komme an und streiche das Gemisch über Alvaros Körper und sein Fahrrad. Wringe den Lappen aus und gehe erneut zum Moped um diese Prozedur zu wiederholen. Dann umwickle ich Alvaro mit meinem Ärmel und entzünde ein Streichholz. Mir wird wieder wärmer jetzt, als die Flammen nach oben schießen. Es knistert. Ich mag Feuer.

Wie lange ich da geblieben bin? Ich kann es nicht sagen. Vielleicht zehn Minuten. Ein bisschen zu spät komme ich zur Arbeit, aber das ist egal. Es hat auch niemand gefragt. Und ein neues Hemd hab ich auch noch in meinem Spind, so dass ich nicht direkt verdreckt unter der immer heißer werdenden Sonne arbeiten muss.

Text: Andreas Dauerer





[kol_4] Erlesen: Katalonien im Doppelpack

Katalonien. Ein Reisebegleiter
"Katalonien gehört zu den schönsten und facettenreichsten Regionen Spaniens" lautet der erste Satz in Andreas Drouves Reisebegleiter und dem ist von Seiten eines Katalonien-Residenten eigentlich nichts hinzuzufügen. Um aber bei Noch-nicht-Katalonienbegeisterten die Entdeckungslust zu wecken, bedarf es natürlich einiger Seiten und Informationen mehr. So hat sich der in Spanien lebende Reisejournalist auf den Weg gemacht und ist bei seinen Routen auf den Pfaden literarischer Vorlagen und Reiseberichte gewandelt. Beispielsweise lässt er uns an den Gedanken von katalanischen Schriftstellern und Künstlern wie Salvador Dalí, Eduardo Mendoza, Mercè Rodoreda oder Josep Pla - letzterer übrigens auch ein hervorragender Reisejournalist - über ihre Heimat teilhaben, ermöglicht uns aber auch Einblicke in die Werke ausländischer Katalonienbesucher: Ausschnitte aus den Werken von George Orwell, Cees Nooteboom, Hans Christian Andersen u.a. zeigen Perspektiven und Einblicke in historische Zeiten. Dabei kommt so manche interessante Geschichte/ Anekdote zum Vorschein, wie zum Beispiel die über den gierigen Händler Jaime Muga, der in Palamós den Hoteltourismus begründete und so den unaufhaltsamen Wandel der Küste in Gang setzte oder jene über den deutschen Kaufmann Karl Faust, der sich in den 1920er Jahren in Blanes einen Traum verwirklichte und dort einen botanischen Garten schuf.

Andreas Drouve
Katalonien. Ein Reisebegleiter
insel Verlag
München 2007
225 Seiten
10,00 Euro

Bewusst klammert Drouve die politische Diskussion um Katalonien aus und beschränkt sich auf "touristisch" interessante Orte und Landschaften. Er beschreibt - manchmal erfrischend subjektiv (im Falle der Bettenburg Lloret de Mar) - die Vorzüge und Nachteile einzelner Orte, Museen oder Sehenswürdigkeiten. Die praktischen Informationen im Anhang beschränken sich allerdings auf ein Minimum, so dass der Kauf eines "echten" Reiseführers unerlässlich ist. Aber denen will Drouve ja auch keine Konkurrenz machen, sondern gemeinsam mit seinen "Kollegen" aus der schreibenden Zunft Neugierde auf Katalonien wecken; und das ist ihm gelungen.

Gebrauchsanweisung für Katalonien
Sind Katalanen geizig oder verschlossen? Nein, schreibt Michael Ebmeyer und räumt - teils sehr humorvoll - mit diesen Klischees auf, indem er u.a. auf die kaufmännischen Qualitäten der Einwohner Kataloniens hinweist und auf ihre Gastfreundschaft gegenüber Touristen aber auch Immigranten. Der Schriftsteller und Katalonienexperte zerstört im Laufe der Lektüre noch so manches andere Vorurteil, vor allem aber erklärt er in wunderbar lockerer Schreibe fundiert die vielen kleinen und großen Besonderheiten Kataloniens. Ob sich Touristen nun über die allsonntäglichen Menschenkreise vor der Kathedrale in Barcelona oder über Türme aus Menschen auf den meisten Stadtfesten wundern, Ebmeyer klärt sowohl über die Sardana als auch die Castellers auf. Er beleuchtet die Herkunft des Esel-Symbols und des caganers, historische Legenden, die Geschichte und Bedeutung der Sprache und die Problematik des Zusammenlebens zwischen Spaniern und Katalanen (bzw. ihrer Regierungen); denn "Nationalist" zu sein hat in Katalonien eine ganz andere Bedeutung als in Deutschland.

Michael Ebmeyer
Gebrauchsanweisung für Katalonien
Piper
München 2007
192 Seiten
12,90 Euro

Kenntnisreiche Kapitel zu Kunst, zur Musik, zur Gastronomie uvm. werden ergänzt durch kurze Stellungnahmen von in Katalonien lebenden Menschen, so dass Ebmeyers Ausführungen ein persönliches Gesicht erhalten. Und auch der leidvollen Diskussion um den Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse widmet er sich. Dieses Buch bereitet den Besucher optimal auf Katalonien vor und weckt zugleich die Lust, mehr zu entdecken.

Text: Torsten Eßer
Foto: amazon.de






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