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[art_3] Portugal: Die flämischen Inseln

Im Atlas des berühmten flämischen Kartographen Mercator ist in der Nähe der Azoren eine Insel aufgeführt, die er Vlaenderen, Flandern, nannte. In Wirklichkeit gab es an diesem Ort nur Wasser, das wusste Mercator, aber offenbar fiel ihm die Tatsache, dass er die Azoren nicht mehr "die flämischen Inseln" nennen konnte, so schwer, dass er sich entschloss, eine neue, imaginäre, Insel zu kreieren. Obwohl die Azoren nie wirklich flämisch waren, hat die Inselgruppe tatsächlich eine flämische Vergangenheit; und diese hat fast dazu geführt, dass Amerika fünf Jahre vor Kolumbus von einem Flamen von den Azoren hätte entdeckt werden können.

Die Azoren waren bereits im 14. Jahrhundert von portugiesischen Seefahrern entdeckt worden, aber erst um 1440 wurde mit der Kolonisation der unbewohnten Inselgruppe begonnen.

Es war Heinrich der Seefahrer, der die Unternehmung leitete und sich - aus mangelndem portugiesischen Interesse - dafür entschied, auch Ausländer mit einzubeziehen. Diese Ausländer fand er in Flandern. Die wirtschaftlichen Kontakte zwischen Portugal und Flandern waren bereits seit dem frühen Mittelalter ausgeprägt. Die Portugiesen besaßen eine wichtige Faktorei in der damaligen Weltstadt Brügge und verschiedene flämische Händler waren in Lissabon und Porto tätig. Mit der Ehe zwischen Philipp dem Guten, Herzog von Burgund und den Niederlanden, und der portugiesischen Prinzessin Isabel bekamen diese Kontakte auch einen politischen Charakter. Die goldene Zeit der flämischen Städte endete im 15. Jahrhundert; das Tuchgewerbe war in eine Krise geraten und die ständige Konkurrenz zwischen den Städten und dem burgundischen Herzog hatte zu Instabilität geführt - und zum Heranwachsen der brabantischen Stadt Antwerpen, die die Rolle von Brügge als Welthafen allmählich übernehmen sollte.

Daher wundert es nicht, dass verschiedene Flamen sich für Heinrichs Pläne interessierten. Vier Inseln der Azoren kamen in der Folge unter die Führung von einem capitão donatório, einem adligen Gouveneur, aus Flandern. Jacob van Brugge gelangte 1450 nach Terceira, Joost de Hurtere erhielt zuerst 1468 die Führung über Faial und bekam 1481 noch die Insel Pico zugesprochen, während Willem van der Haegen einige Jahre Gouverneur von São Jorge war. Ihnen wurde ein Zehntel der Gebühren der Ordem de Cristo, des Gelbgebers der portugiesischen Kolonisation, versprochen und außerdem erhielten sie die Jurisdiktion. Sie verpflichteten sich, die Inseln nicht zu verlassen und für die Kolonisation nur katholische Ausländer einzusetzen.

Wie viele Flamen damals ausgewandert sind, ist nicht bekannt. Fest steht, dass es für die neuen Gouverneure nicht immer leicht war, ihre Landsmänner zur Auswanderung zu bewegen, noch dazu auf eine unbekannte Insel. Joost de Hurtere gelang es nur, indem er ihnen versprach, dass auf Faial Mineralien zu finden seien. Als aber nach einem Jahr weder Zinn noch Silber zutage gefördert werden konnten, kam es zum Aufstand und de Hurtere wurde von den eigenen Leuten mit dem Tod bedroht. Ihm gelang rechtzeitig die Flucht, er wurde am Hof in Lissabon empfangen, heiratete eine portugiesische Hofdame und kehrte bald darauf mit einem Aufgebot von portugiesischen Soldaten nach Faial zurück, um "Recht und Ordnung" wiederherzustellen.

Der Mythos der "flämischen" Inseln ist deutschen Ursprungs. Der Verantwortliche hierfür war Martin Behaim, der auf seinem Globus eine Inselgruppe einzeichnete, die er "die flämischen Inseln" nannte. Martin Behaim hat zwar in Portugal gelebt und war sogar verheiratet mit Johanna, der Tochter von Joost de Hurtere.

Die Azoren aber kannte er nicht und das merkt man seinen Notizen an, in denen er von "vil tausent Persohnen [...] von teutsch und flaming" spricht, obwohl es damals auf den Azoren wahrscheinlich kaum Deutsche gab und auch die Zahl der Flamen bestimmt viel niedriger war.

Über die Aktivitäten der Flamen auf den Azoren ist wenig bekannt. Das wichtigste Zeugnis finden wir bei Valentim Fernandes, einem Portugiesen deutscher Herkunft. Er muss einige flämische Kolonisten gekannt haben und auch er nennt Faial Ylha dos Flamengos, erwähnt aber, dass auf den Azoren bereits Anfang des 16. Jahrhunderts fast kein Flämisch mehr gesprochen wird. Fernandes beschreibt auch die Produktion von Färberwaid, einer Pflanze, aus der ein blauer Farbstoff gewonnen wurde und die für die flämische Tuchwirtschaft bedeutend war.

In seinem Atlas Nova et aucta obris terrae desciptio ad visum navigantium (1569) bezeichnete Mercator die Inseln richtigerweise als Azoren, erfand aber in einem nationalistischen Reflex eine neue Insel, die er nördlich der Azoren situierte und "Vlaenderen" taufte. Noch weiter ging 1595 jener andere wichtige flämische Kartograph Abraham Ortelius. In seinem Atlas Theatrum Orbis Terrarum schrieb er den Flamen gar die Entdeckung der Azoren zu: "de Vlaemsche Eylanden quod ab Brugensibus mercatoribus primum detectas creditur". Beide beeinflussten ihrerseits den Niederländer Jan Huygen van Lindschoten, der den Mythos der "Azores ofte de Vlaemsche Eijlanden" weiterführte und dazu Anlass gab, dass bis in das 18. Jahrhundert hinein allerlei Dokumente erschienen, die aus der Entdeckung und Kolonisation der Azoren eine rein flämische Sache machten. Noch 1746 nennt Jacques Nicolas Bellin auf seiner Kaart van den West-Oceaan die Azoren "Vlaamse Eilanden".

Der berühmteste Azorianer flämischer Herkunft ist zweifellos Ferdinand von Olmen, auf portugiesisch Fernão d’Ulmo. Er lebte auf der Insel Terceira und in seiner Urkunde vom 24. Juli 1486 schlug er dem damaligen portugiesischen König Afonso V. vor, in westlicher Richtung die "Insel der Sieben Städte" entdecken zu wollen.

Erstaunlicherweise erwähnt er in seiner Urkunde eine großen Insel, mehrere kleinere Inseln und die Küste eines Kontinents, was deutlich an Kuba und die Antillen erinnert.

Nun war spätestens seit Fernão Teles um 1475 schon die Rede von einer legendären Insel, die "Sieben Städte" genannt wurde. Sogar Kolumbus erwähnt diese Insel, auch unter dem Namen "Antilia", als Zwischenstation auf einer möglichen Route nach China oder Indien. Allerdings zeigten die Portugiesen wenig Interesse an den Vorschlägen Kolumbus, erstens weil sie - zu Recht - festgestellt hatten, dass Kolumbus die Entfernung bis China schwer unterschätzt hatte und zweitens, weil sie bereits weit fortgeschritten waren in ihren Erkundigungen entlang der afrikanischen Küste, so dass sie hoffen konnten, eines Tages um Afrika herum nach Indien gelangen zu können. Da aber 1486 die Expedition von Diogo Cão mit dessen Ermordung in der Nähe des heutigen Namibia gescheitert war, entschied sich König João II, Indien in drei verschiedenen Richtungen zu suchen. Er schickte Bartolomeu Dias Richtung Süden, Pero da Covilhã als Spion Richtung Osten und Ferdinand van Olmen Richtung Westen. Die beiden ersten Expeditionen waren erfolgreich. Pero da Covilhã gelangte, zehn Jahre vor Vasco da Gama, bis nach Indien. Allerdings tat er dies auf arabischen Schiffen über das für die Portugiesen unzugängliche Rote Meer. Bartolomeu Dias gelang es, 1488 die Südspitze Afrikas zu umfahren und so eine weitere Route nach Indien zu öffnen. Ferdinand van Olmen verließ im Frühling 1487 Terceira Richtung Westen. Er aber kehrte nie zurück. Wahrscheinlich gingen seine beiden Schiffe in einem Sturm unter oder wurden von den Passatwinden in die Arktis abgetrieben.

Heute sind die Überreste der flämischen Anwesenheit auf den Azoren eher spärlich. Auf der Insel Faial existiert ein Dorf Flamengos und der Name der Hauptstadt, Horta, geht wahrscheinlich auf Hurtere, den Namen des ersten Gouverneurs, zurück. Stärker als sonstwo in Portugal ist die Herstellung von Milchprodukten auf den Azoren verbreitet und es ist wohl kein Zufall, dass der wichtigste Käse der Inseln ausgerechnet queijo flamengo heißt. Weiterhin gibt es in den Museen von São Miguel und Terceira ein paar nicht unbedeutende flämische Gemälde.

Hinzu kommen Familien wie die da Silveiras, die sich als Nachkommen von Willem van der Haegen auf ihre flämische Herkunft berufen. Ebenso wie die Brums (de Bruin), die da Terras (van Aartrijke) oder die de Bruges (van Brugge). Einer dieser Namen flämischer Herkunft ist dank der Emigrationswelle nach Südamerika im 19. Jahrhundert inzwischen auch in Brasilien weit verbreitet.

Es handelt sich um Nachkommen von, wiederum, Joost de Hurtere, dessen Name auf Portugiesisch zu Dutra wurde. Der berühmteste Nachkomme dieser Familie ist sicherlich Gaspar Dutra, der von 1946 bis 1951 Präsident Brasiliens war. So wurde der erste Flame, der sich auf den Azoren niederließ, am Ende sogar Stammvater einer der bedeutendsten brasilianischen Familien.

Text + Fotos: Jeroen Dewulf